11.28

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich darf mit dem Thema Ukraine beginnen, weil dieses das drängende und das schmerzlichste ist. Der russische Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen, die seit dem 24. Februar geschehen sind und die gerade jetzt geschehen, sind aufs Schärfste zu verurteilen. Unsere Gedanken sind bei der Bevölkerung der Ukraine, bei den Opfern und jenen, die zurzeit unter größter Not, unter den Auswirkungen dieses verheerenden Krieges leiden. Wir sehen täglich schreckliche Bilder der menschenverachtenden Kri­sensituation, von Bomben, Zerstörung, von Opfern vor Ort, nur wenige Hundert Kilome­ter von Österreich entfernt. Die Masse der Menschen vor Ort erfährt unerträgliches Leid.

Unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker ist es, in Zeiten der unerträglichen Unmenschlichkeit Menschlichkeit zu zeigen und Hilfe zu leisten, wo immer es möglich ist. Und gerade wir sind aus der Sicht unseres Landes dem eindringlichen Aufruf nach Frieden und den Bemühungen um Frieden verpflichtet.

Ich darf den ehemaligen deutschen Kanzler Willy Brandt zitieren: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Es ist jetzt immens wichtig, zu handeln und für die fliehenden Menschen einen so sicheren Weg wie möglich zu finden. Sie brauchen drin­gend die internationalen Anstrengungen, um Fluchtkorridore zu finden, die ihnen ein si­cheres Verlassen des Landes ermöglichen, wenn sie es verlassen wollen. Noch immer sitzen Betroffene in der Ukraine fest, die gehen wollen; sie halten sich in Kellern und in U-Bahnstationen auf, um sich vor Bomben zu schützen – und täglich sterben immer mehr Zivilistinnen und Zivilisten.

Hoffnung macht, dass die Österreicherinnen und Österreicher gezeigt haben, zu welcher unglaublichen Hilfsbereitschaft sie fähig sind – Spenden, Hilfskonvois, Quartierangebo­te –, und das ist wirklich beeindruckend. In dieser Hinsicht ist vor allen Dingen auch die rasche Hilfeleistung der Bundesländer zu unterstreichen, die in kürzester Zeit Unglaubli­ches auf die Beine gestellt haben: Ankunftszentren wurden errichtet, Netzwerke aktiviert, Betten hergerichtet. Ich möchte das Burgenland, das die Nova-Rock-Halle für Flüchtlin­ge hergerichtet hat, und Wien mit dem Happel-Stadion erwähnen. Allerdings wurden auch alle anderen Bundesländer von einer unglaublichen Welle der Hilfsbereitschaft er­fasst. Wir brauchen aber nun auch viele Maßnahmen zur guten Integration dieser Menschen, die ihr Land verlassen haben. Es sind derzeit hauptsächlich Frauen und Kinder, traumatisierte Menschen, die alles zurückgelassen haben und nun einen guten Platz finden sollen und müssen. Wir brauchen Sprachkurse, ein Angebot von Kinder­bildungseinrichtungen sowie gute und starke Maßnahmen zur Integration.

Für uns ist der wichtigste Punkt, in diesem furchtbaren Krieg die Bedeutung der Neu­tralität für Österreich hervorzuheben. (Beifall bei der SPÖ.) Natürlich hat sich durch den Beitritt zur EU für Österreich in Hinblick auf die Neutralität einiges verändert. Der Grundwert der Neutralität, der für die Menschen unseres Landes einen immens hohen Wert darstellt, muss aber geschützt werden – und man sollte gerade in der derzeitigen Situation nicht sinnlose Diskussionen über die Neutralität entfachen, die ja selbst aus den Reihen der ÖVP kamen, wo man nun halt wieder zurückrudert. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Es ist in Ordnung! Neutralität ist ein hoher Wert – und der muss geschützt werden.

Wir waren immer ein Land des Dialogs. Internationaler Dialog auf dem Boden Öster­reichs hat eine ganz lange Tradition. Leider hat sich unsere internationale Reputation in diesem Dialog in den letzten Jahren in vielen Aspekten verschlechtert.

Ich darf auch darauf hinweisen, dass die Wortmeldungen von Regierungsmitgliedern, sei es des Außenministers oder auch des Nationalratspräsidenten, zu Themen der Ge­schichte schmerzhaft und absolut verzichtbar waren. So ein Geschichtsverständnis ist für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht akzeptabel. (Beifall bei der SPÖ.)

Unsere Rolle ist nun, auf die Diplomatie zu setzen und sowohl für die neu angekom­menen Ukrainerinnen und Ukrainer als auch hinsichtlich der Auswirkungen des Krieges Menschlichkeit zu zeigen.

Herr Vizekanzler, Sie haben völlig richtig gesagt, die Sanktionen, die Europa geschlos­sen gesetzt hat, sind momentan extrem wichtig und unausweichlich. Das ist angesichts dieses Akts kriegerischer Aggression keine Frage. Die Bedeutung einer geeinten euro­päischen Staatengemeinschaft zeigt sich gerade derzeit. Das ist wichtig, richtig und gut. Dieser Krieg wird aber auch auf unsere Wirtschaft, unsere Industrie und unsere Landwirt­schaft immense Auswirkungen haben.

Ich darf nur ein Beispiel nennen: Die Ukraine ist einer der größten Produzenten für Kabel. Die gesamte Kabelproduktion, bis auf einen kleinen Teil, der in Marokko liegt, befindet sich in der Ukraine. Das heißt, das hat extreme Auswirkungen auf die Automobilindustrie. Wir sehen derzeit schon, dass Werke einfach aufgrund von Mangel an Kabeln in Kurzar­beit gehen mussten. Das ist ein Beispiel von vielen Beispielen. Österreichische Unter­nehmen sind in der Ukraine, aber noch mehr in Russland in Handelsbeziehungen ver­strickt; und die Gasknappheit kann ganz, ganz schwere Auswirkungen auf die Privat­haushalte – darauf darf ich dann noch zu sprechen kommen –, aber auch für die In­dustrie haben. Es geht um die Stahlproduktion, um die Aluminiumproduktion, um die Produktion von Beton und Zement und letztlich auch um die Produktion von Düngemit­teln. All das wird Auswirkungen auf unser Land und auf den Arbeitsmarkt haben.

Wir verfügen über eine große Produktion – die Teile in den Lieferketten fehlen. Wir ha­ben Just-in-time-Produktion, das heißt keine Lagerkapazitäten. All das wird Auswirkun­gen haben, und uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es darum: Wie können wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestmöglich vor dieser Situation schützen?

Die Ukraine ist die Kornkammer Europas und besonders für den nordafrikanischen Raum ein ganz, ganz wesentlicher Weizenexporteur. Auch unsere Landwirtschaft ist, was die Futtermittel betrifft, abhängig von der Ukraine.

Da ist also vieles in Bewegung, und wir werden sehen, dass vieles Auswirkungen hat – und die müssen abgefedert werden. Schließlich haben wir derzeit schon, auch das haben Sie völlig richtig gesagt, Herr Vizekanzler, eine seit Oktober andauernde Teuerung, die die Menschen ganz stark trifft – besonders jene, die eh nicht viel im Geldbörsel haben. Da muss gehandelt werden. Und nun geht noch einmal ein Turbo los, ein Turbo bei den Treibstoffkosten. Ich kann nur sagen, die Pendlerinnen und Pendler sind derzeit von diesen hohen Spritpreisen unglaublich stark betroffen – und sie brauchen die Autos, weil der öffentliche Verkehr noch nicht in dem Maß ausgebaut ist, dass sie darauf verzichten könnten. Es gibt Preissteigerungen beim Heizen, bei den Mieten, bei den Lebensmitteln. All das muss abgefedert werden. Bonusgutscheine und Teuerungsausgleiche sind eh gut, keine Frage – aber das wird nicht reichen, das ist zu wenig. Es wird den Menschen nicht helfen, wenn man nicht wirklich ganz starke und ganz drastische Maßnahmen setzt, um sie über den Sommer und natürlich dann auch über den Winter zu bringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir als Sozialdemokratie fordern, dass man befristet die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom aussetzt. Wir wollen besonders für belastete Haushalte eine Einmalzahlung von 300 Euro. Das ist alles ein Gebot der Stunde – auf vielen Ebenen. Natürlich muss man derzeit auch die erneuerbare Energie vorantreiben. Setzen Sie das Erneuerbaren-Aus­bau-Gesetz rasch um! Wir sehen, durch diese Teuerung hat natürlich auch der Finanz­minister Mehreinnahmen – und auch diese Mehreinnahmen müssen bitte wieder der Bevölkerung zur Abfederung zugutekommen. Wir sehen auch, dass die Energieanbieter gegenwärtig sehr, sehr hohe Gewinne haben. Auch diese Gewinne gilt es – zum Schutz der Menschen, die derzeit so schwer von dieser Teuerung belastet sind – umzuverteilen.

Lassen Sie mich noch zur Pandemiebekämpfung sagen: Resümierend kann man fest­halten, die Regierung ist auf sehr vielen Ebenen an der Pandemiebekämpfung ge­scheitert. Das ist eindeutig und ganz klar. Die Werbung mit den drei Musketieren ist als Abgesang einer Pandemiebekämpfung zu verstehen, und ich weiß nicht: Wer wäre denn die Zielgruppe gewesen, die man damit hätte erreichen wollen? Nun wird die Impfpflicht ausgesetzt. Das ist die Entscheidung der Bundesregierung – und die Verantwortung für diese Entscheidung hat die Bundesregierung zu tragen. Wir haben gesehen, was die Kommission in ihrem Bericht geschrieben hat, das ist eine Doppelbotschaft. Das ist auf der einen Seite: Jetzt kann man aussetzen!, aber auf der anderen Seite: Es kommt der Herbst – und das ist mehr als gefährlich. Wir hätten die Impfpflicht zur Vorbereitung ge­braucht, da sind wir uns sicher, aber, wie gesagt, die Bundesregierung trägt diese Ver­antwortung für das Aussetzen der Impfpflicht. Wir bedauern es im höchsten Ausmaß, dass es zu keinen Maßnahmen gekommen ist, die die Umsetzung der Impfpflicht ge­fördert hätten – einen Booster in der Information, einen Booster in der Werbung für die Impfpflicht. Nichts ist passiert, außer drei Musketiere, die aus dem Fernsehen herausla­chen. Das ist eindeutig zu wenig. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich darf noch sagen: Die psychischen Belastungen für die Menschen sind groß. Wir ha­ben lange Zeit die Pandemiebelastungen gehabt. Nun kommt die Belastung durch den Krieg, die Ängste und Sorgen macht – keine Frage –, und darauf ist einzugehen. Ich darf besonders auf die Situation der jungen Menschen hinweisen. Wenn Sie mit jungen Men­schen reden, sagen sie: Wir sind die Krisengeneration. Wir haben so viele Krisen erlebt. Wir haben die Finanzkrise erlebt. Wir haben die Pandemie erlebt. Wir haben die Klima­krise so stark im Raum stehen. Wir haben gegenwärtig einen Krieg. Sie sehen sich als Krisengeneration – und auch diesen jungen Menschen sind Antworten, Perspektiven und Visionen anzubieten.

Ich darf mich auch noch an den neuen Gesundheitsminister wenden. Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion: Herzlich willkommen im Bundesrat! Ihre Aufgabe wird auch aus Sicht der Sozialdemokratie eine der herausforderndsten sein – was den Ge­sundheitsschutz angeht, aber natürlich auch was die Fragen der sozialen Sicherheit an­geht. Das Ressort ist einer der Dreh- und Angelpunkte für die soziale Sicherheit und für den Sozialstaat in Österreich, und jetzt ist es ganz wichtig, dorthin zu schauen.

Die Themen der Pflege sind unbedingt anzugehen, sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch aus Sicht der Beschäftigten, die einfach nicht mehr können. Es ist die Armuts­bekämpfung voranzutreiben. Die Teuerung schafft Armut. In Ihrem Regierungspro­gramm haben Sie versprochen, das Ausmaß der Armutsgefährdung zu halbieren. Das ist nicht passiert, und nun ist es notwendig, an diesen Schrauben zu drehen – und bitte, bitte, denken Sie an die Menschen mit Behinderung! Sie sind kein Thema gewesen und waren dabei so stark von der Pandemie betroffen. Das liegt in Ihrem Haus. Diesbezüg­lich Maßnahmen zu setzen, um diesen Menschen nun auch beim Aussetzen der Impfpflicht und allen anderen Themen Antworten zu geben, das ist Ihre Aufgabe, Herr Bundesminister. Sie springen gerade voll ins kalte Wasser, das ist schon klar, aber trotz­dem sind die Probleme so dringend und so drängend, dass man leider keine Zeit zum Einarbeiten gewähren kann. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass Sie Profi sind. Auch das Thema Pensionen ist ein ganz großes, das dieses Haus betrifft.

Über all diese Themen wird natürlich auch unser Gesundheitssprecher noch reden, weil es für uns ganz, ganz wichtig ist: Wie geht es mit all diesen Themen weiter? Die Bitte an diese Bundesregierung wäre: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsformen und Handlungsweisen der Bundesregierung ist nicht groß – auch das wissen wir aus vielen, vielen Umfragen. Es entsteht eher der Eindruck, dass mehr die Angst vor Neu­wahlen diese Regierung in der Koalition aneinanderfesselt als wirklich der Wunsch, ge­meinsam etwas zu schaffen. Das ist in dieser Krisensituation besonders schwierig.

Bitte schauen Sie, dass Sie nicht in diesen Strudel geraten: Wir wollen jetzt alles zude­cken und mit irgendwelchen Themen überlagern, weil die Situation für uns so schwierig ist, besonders für die ÖVP. Die Menschen brauchen jetzt klare Antworten und Perspek­tiven, und die Menschen haben ein Recht auch darauf, zu erfahren, wie es weitergeht und wie ihre Situation unter diesen großen Belastungen verbessert werden kann. – Vie­len Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

11.42

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Jo­hannes Hübner. Ich erteile ihm das Wort.