12.07

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Vizekanzler! Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestern – man sieht es zwar nicht mehr, weil die Maske das ein bisschen drückt – war ich bei meinem Barbier. Er ist ein Flüchtling aus dem Irak und er hat mich gefragt: Marco, du bist doch im Parlament, warum können wir nicht einfach in Frieden leben? Die Pandemie war doch wirklich schon schlimm genug für uns. Warum kann ich mich nicht einfach nur über schlechte Noten meines Kindes und über das Wetter ärgern? – Das ist natürlich ein be­rechtigtes Anliegen.

Es gibt derzeit berechtigterweise eine Sehnsucht nach einer – ich würde es einmal so nennen – langweiligen Zeit, und ich muss gestehen, wahrscheinlich hätten wir in unserer Regierungsarbeit auch lieber eine andere Konzentration auf wichtige Themen und auch hier im Parlament eine andere Form von Debatten, aber man sucht sich das nicht aus, man muss sich diesen Herausforderungen stellen und man muss auch die Verantwor­tung übernehmen, und das ist dringend notwendig.

Einer, der jetzt diese Verantwortung übernimmt, ist unser neuer Sozial- und Gesund­heitsminister Johannes Rauch. – Herzlich willkommen im Bundesrat! – Ich finde das ge­rade hier im Bundesrat oder aus Bundesratsperspektive ja ganz spannend, weil gerade die Gesundheitsthemen, die Sozialthemen ja so oft im Föderalismus in Österreich ver­schränkt sind – manchmal gedeihlich und (erheitert) manchmal auch ein bisschen schwierig. Da ist, glaube ich, gerade die Erfahrung aus dem Bundesland, die aus Vor­arlberg da hineinkommt, enorm wichtig, und ich wünsche natürlich alles erdenklich Gute für diese schwierige Aufgabe.

Als Wiener möchte ich mich aber natürlich auch noch einmal ganz, ganz herzlich bei Wolfgang Mückstein bedanken. Er hat sicher in einer der schwierigsten Phasen, in der man überhaupt Gesundheitsminister sein kann, seine Aufgabe in diesen zehn Monaten in einem Dauerausnahmezustand meistern müssen, und dafür zolle ich ihm ganz, ganz hohen Respekt. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Obrecht.)

Er hat auch die schlimmsten sozialen Auswirkungen der Pandemie meistern müssen. Wir haben das mit Einmalzahlungen, mit Teuerungsausgleichen, mit psychotherapeuti­scher Betreuung für Jugendliche, mit Erhöhungen der Sozialhilfe, mit den neuen, we­sentlichen Schritten in der Pflegereform gemacht. Wir haben schon von den Community­nurses gehört, und vor allem das Gewaltschutzpaket gegen Frauen war sicher ein ganz großes Paket, das er auch mit auf den Weg gebracht hat.

Ich möchte aber doch schon auch – so wie der Vizekanzler – ein paar Worte dazu ver­lieren, warum er aufgehört hat. Er wollte nicht mehr, das hat er auch gesagt. Er wollte nicht mit kugelsicherer Weste leben und er wollte nicht Leib und Leben seiner Familie gefährden. Wir leben in einer Republik. Ich kann mich noch erinnern, als ich in den Acht­zigerjahren nach Wien kam, war man hier wirklich stolz darauf, dass man den Bundes­präsidenten im Kaffeehaus oder auf den Straßen spazierend getroffen hat. Ich habe ein­mal in einem Baumarkt einen Bundeskanzler getroffen und den einfach angesprochen: Ja, wie geht’s? (Heiterkeit des Redners.) – Ich kann mich da wirklich noch gut erinnern, ich war noch ein junger Student. Das ging in Österreich. Und jetzt brauchen wir kugel­sichere Westen? Wie konnte es so weit kommen? – Das ist schon eine wesentliche Frage.

Wenn man sich an die Debatten, auch an die, die wir in den letzten Monaten hier im Bundesrat hatten, zurückerinnert, dann muss man schon sagen, dass wir uns auch selbst fragen müssen: Welchen Beitrag leiste ich als Politiker in diesem Land in meiner Verantwortung, dass es – bei allem notwendigen Parlamentarismus und bei aller not­wendigen Kritik – nicht so persönlich wird, dass ein Minister eine kugelsichere Weste tragen muss, dass man Hass nicht derartig schürt und auch bewusst schürt, dass sich jemand um das Leben seiner Familie sorgen muss? Da würde ich wirklich bitten, alle Abgeordneten, aber vor allem die von der Freiheitlichen Partei, darüber nachzudenken, inwieweit man das auch verantworten möchte.

Wir haben schon öfter darüber gesprochen. Wenn man dann draußen spricht, sagt man: Ja, du weißt eh, wir müssen ja irgendwie mit unseren Reden durchkommen; es ist ja in unserer Zeit eh so schwierig, überhaupt durchzukommen, Aufmerksamkeit zu erregen! – Das verstehe ich, gerade hier im Bundesrat, das wissen Sie alle ohnehin – aber zu wel­chem Preis? Diese Frage muss man sich schon stellen. (Bundesrat Steiner: Wenn’s Scheißpolitik machts ...!) – Ja, es hat niemand etwas gegen Kritik, aber Hass zu schüren ist noch einmal eine andere Kategorie, und persönlich zu werden ist eine andere Kate­gorie. (Bundesrat Steiner: Das machts ihr mit ...!)

Einen Spalt in unsere freie, plurale, vielfältige und demokratische Gesellschaft treiben wollte und will auch ein anderer Politiker in Europa, und dieser Politiker heißt Wladimir Putin. (Bundesrat Steiner: Ja, spinnst du? ... von was redest du? ... Abgeordnete ... auf die gleiche Stufe mit Putin ... !) Er macht dies seit mehreren Jahren systematisch, hat Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit in seinem eigenen Land sukzessive abge­schafft und eine Alleinherrschaft aufgebaut, die erschreckend ist. (Bundesrat Steiner: Frau Präsidentin! Er stellt ... auf die gleiche Stufe mit Putin! Ja, hat der an Huscher?)  Nein, ich habe ein neues Kapitel aufgeschlagen. (Bundesrat Steiner: ... das Stenogra­phische Protokoll ...!) Dann noch einmal gut zuhören, ich habe gesagt: Einen Spalt in unsere freie, plurale Gesellschaft will ein Politiker treiben – er heißt Wladimir Putin. (Bun­desrat Steiner: ... auch!) Ich hatte nie einen Freundschaftsvertrag mit seiner Partei. (Bundesrat Steiner: Ich auch nicht!)

Er hat bereits seit Langem eine blutige Spur gezogen – weil wir so tun, als ob das jetzt alles neu wäre. Er hat in Tschetschenien, in Georgien, in Aleppo und in vielen anderen syrischen Städten, in Libyen bereits Städte vernichtet. Er hat das Völkerrecht nicht erst jetzt mit Füßen getreten, er hat 2014 mit der Invasion der Krim das allererste Mal Völker­recht gebrochen und das Völkerrecht angegriffen. Er hat den Donbass wissentlich und absichtlich destabilisiert und er ist zu einem erheblichen Teil daran beteiligt gewesen, in Europa auch Spaltung hervorzurufen, Fakenews, Lügen und dergleichen zu verbreiten, und genau diese Medien sind es auch, die diesen schrecklichen, sprachlos machenden Überfall auf ein Land jetzt relativieren – nicht einmal Krieg darf man es noch nennen.

Es waren die Ukrainerinnen und die Ukrainer – und das muss man ihnen hoch anrech­nen –, die sich entschieden haben, in einem freien, in einem freundlichen, in einem welt­offenen, in einem friedlichen Europa leben zu wollen, und das ist ihr gutes Recht. Putin hat aber auch etwas unterschätzt. Er hat unterschätzt, dass es sich für diese Ukraine­rinnen und Ukrainer lohnt, für diese Freiheit auch einzutreten. Er hat wahrscheinlich den letzten Rest, der noch gezweifelt hat, ob nicht eine russlandfreundliche Perspektive für die Region klug ist, eigentlich gegen sich aufgebracht.

Es wird wahrscheinlich irgendwann einmal Aufgabe von HistorikerInnen, Politologen und anderen Experten sein, sich die Frage zu stellen, wie es passieren konnte, dass das ab diesem Moment 1989, ab diesem Momentum, als zum Beispiel Helmut Kohl und Gor­batschow noch von einem gemeinsamen Haus Europa und davon, wie man dieses ge­meinsam bauen könnte, gesprochen haben, so in die Brüche gehen konnte. Da sind sicher Fehler von mehreren Seiten gemacht worden, worauf zum Beispiel auch der Ex­perte Gerhard Mangott, den ich sehr schätze, manchmal aufmerksam macht. Gar nichts rechtfertigt aber diesen brutalen Krieg und einen Angriff Putins. Das ist sein Krieg. Nichts rechtfertigt das Bombardement von Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Wohnhäu­sern, Dörfern oder gar Bussen von Flüchtlingen.

Ich möchte mich hier, weil wir auch die Länderkammer sind, schon auch bei all den Menschen in den Gemeinden, in den Ländern, in den Regionen, in den Städten Ös­terreichs bedanken, die jetzt bereit sind, zu helfen, die die Ärmel hockrempeln und die­sen vielen Menschen, die zu uns kommen, helfen wollen. Zwei Millionen Menschen sind derzeit unterwegs – das ist eine ungeheure Anzahl von Menschen, das ist die Einwoh­nerzahl Wiens –, und wir werden helfen. Dieser Zusammenhalt gibt überdies Kraft und Hoffnung und ist vielleicht die beste Antwort auf Putin.

Zur Neutralitätsfrage – weil sie auch hier schon einmal gestellt wurde –: Ich finde, es ist alles gesagt worden, ich möchte aber einen Aspekt noch hinzufügen. Nichts zu tun ist nicht neutral. Nichts zu tun bedeutet, weiterhin Geldflüsse zu ermöglichen, die Kriegsver­brechen finanzieren, die Bomben finanzieren und diesen Völkerrechtsbruch finanzieren. Das ist keine Neutralität, das ist Parteiergreifung.

Russland hat ein großes Problem. Ich kenne es, weil man es in der Volkswirtschaft die Holländische Krankheit nennt: Das ist, wenn ein Land sich von Rohstoffexporten ab­hängig macht und – das wurde schon gesagt – die Erzeugung von industrialisierten Pro­dukten im eigenen Land schrumpft, und Exporte auch teurer werden. Russland hat sich selbst vom Export von Gas und Öl abhängig gemacht. Wir haben uns auch abhängig gemacht, und wir haben sehr oft das „raus aus Öl und Gas“ als eine Klimaschutznot­wendigkeit genannt. Es ist vielmehr auch eine sicherheitspolitische Notwendigkeit – und da würden mir mehr Länder und mehr Diktatoren und Despoten als nur Putin einfallen, von denen ich nicht abhängig sein möchte –, aber „raus aus Öl und Gas“ ist sicher eine der wichtigsten, zentralen Möglichkeiten, um dieser Krise Herr zu werden.

Ich möchte allen Ukrainerinnen und Ukrainern, die jetzt bei uns im Land sind – es fällt einem eh auf, wenn man von der U-Bahn hier herkommt, man sieht auch in der Stadt jetzt sehr, sehr viele ukrainische Autos, wir sind ja wirklich so nah –, einfach auch unser Mitgefühl mitgeben. Ich war ja selbst öfter in der Ukraine – wunderbare Menschen. Ihr seid nicht alleine – ich finde das auch wichtig, dass das hier im Parlament gesagt wird ‑, und wir sind auf eurer Seite. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Bun­desrätin Kahofer.)

12.19

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Kollege Steiner, deinen Zuruf habe ich mitgekriegt. Ich schaue mir das Protokoll an, und dann reden wir weiter.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist unser Kollege Mag. Christian Buchmann. – Bitte schön.