13.53

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Vizekanzler! Es gibt die sechste Regierungserklärung, aber die Regierung ist nicht da. Vielen Dank, dass sich zumindest Sie (in Richtung Vizekanzler Kogler) zu fortgeschrittener Stunde noch die Zeit nehmen und dem Bundesrat die entsprechende Würdigung und den Respekt verleihen und noch anwesend sind.

Schade, dass die Frau Staatssekretärin und der Herr Gesundheitsminister jetzt draußen sind, denn ich hätte ihnen beiden sehr gerne noch etwas mitgegeben, denn ich muss eines sagen: Ich bin fassungslos. – Da kommt er (in Richtung des auf der Regierungs­bank Platz nehmenden Bundesministers Rauch) wieder, das ist schön.  Ich bin wirklich fassungslos ob der der neuen, aktuellen Infektionszahlen, die es in den letzten 24 Stun­den gegeben hat. Wir haben seit Wochen ein ähnliches Szenario, die Zahlen steigen, mittlerweile gibt es heute erneut einen Höchstwert mit fast 50 000 neuen Infektionen, die wir feststellen müssen.

Man sollte glauben, das wäre jetzt für die Bundesregierung Anlass genug, da auch ir­gendetwas dagegen zu tun. Was aber tut die Bundesregierung? Sie tut in Wahrheit nichts. Man setzt die Impfpflicht aus, eine Impfpflicht, die man vor wenigen Wochen erst beschlossen hat, die immer schon sehr skeptisch und kritisch beäugt wurde, von der sich jetzt herausstellt, dass sie offensichtlich auch rechtlich ein Pfusch war, wie man so schön sagt. Man dreht die Gratistests ab, die in Wien beispielsweise sehr gut funktio­nieren und im Vergleich zu allen anderen Bundesländern auch nur einen Bruchteil kos­ten. Man öffnet alles, in den Schulen und Bildungseinrichtungen schaut es genauso aus, es gibt keine Maskenpflicht mehr. Die Tests, die man uns seit Monaten versprochen hat, funktionieren jetzt mehr oder weniger so halbwegs, was uns aber auch keine sicheren Schulen beschert, sondern einfach nur das Wissen, wie viele positiv und negativ sind. Sicherheit im Schulgeschehen gibt uns das aber gar nicht.

Ich frage mich, was Sie damit eigentlich ganz bewusst in Kauf nehmen, nämlich eine wahnsinnig hohe Durchseuchung, in der wir mittendrinstecken. Dabei muss man ja Fol­gendes bedenken: Sie wissen nicht, wie es bei Kindern und Jugendlichen mit Long Covid ausschaut. Es gibt keinerlei statistische und signifikante Werte, auf die man sich ver­lassen kann.

Sie können nicht sagen, welche Auswirkungen, die unter Umständen nachhaltig sein könnten, eine Covid-Infektion möglicherweise auf das Gehirn haben könnte. Sie tragen in Wahrheit, das muss ich leider als betroffene Lehrerin auch sagen, nichts zur Sicherheit der SchülerInnen, der LehrerInnen, und in den Elementarbildungseinrichtungen der Kinder und der PädagogInnen bei. Es gibt bis heute noch immer keine Luftfilteranlagen oder sonst irgendwelche Einrichtungen, um die Sicherheit aller Beteiligten im Bildungswesen maßgeblich zu fördern, wie gesagt, von den Masken geht man ja gänzlich weg.

Genau das wäre Ihre Aufgabe, geschätzte Mitglieder der Bundesregierung, nämlich in dem Fall auch wirklich die SchülerInnen, die PädagogInnen und alle im Bildungswesen Verantwortlichen zu schützen, aber in Österreich geht wie so oft Wirtschaft offen­sichtlich doch vor Gesundheit. Heute muss ich dazu sagen: Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung hat in Wahrheit ein bisschen aufgegeben, es ist eine Bankrotterklä­rung, was Covid-19 betrifft, aber vielleicht passiert noch ein Wunder. Ich kann vielleicht auch an Minister Polaschek, der heute in der Früh noch da war, appellieren, seiner Ver­antwortung nachzukommen.

Jetzt aber zurück zum eigentlichen Thema meiner Ausführungen, nämlich zur Ukraine­krise und zum Ukrainekrieg. Ich selbst gehöre ja zu einer Generation in unserem Land, die weder den Krieg noch die Nachkriegszeit sozusagen am eigenen Leib miterlebt hat. Ich habe Kriegserfahrungen nur mehr aus Erzählungen, zum Beispiel meiner Großeltern und anderer Zeitzeugen, gehört, nämlich das, was man erzählen wollte und das, was man erzählen konnte.

Meine Generation hat sich eigentlich bisher immer sicher fühlen können und sicher sein können, dass die Zeiten des Krieges, der kriegerischen Konflikte lange, lange hinter uns liegen. Man war sich sicher, Kriege sind ganz, ganz weit weg. Der Krieg in der Ukraine hat dieses Bewusstsein und diese Sicherheit jetzt massiv erschüttert und uns aufgezeigt, wie volatil, wie fragil diese Sicherheit in Wahrheit ist. Wenn man den Atlas aufschlägt, was wir im Schulbetrieb natürlich in den letzten Tagen und Wochen auch immer wieder gemacht haben, merkt man: So weit weg ist das gar nicht.

Man denkt sich, es wäre doch eigentlich so einfach: Stelle dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin! So einfach ist es aber leider nicht, wie wir wissen, denn Krieg entsteht immer durch eine krankhafte Lust an Macht, an Herrschaft, an Größenwahn, ebenso durch ein krankhaftes Streben nach Vermögen. Antidemokratische Tendenzen äußern sich dann sukzessive durch ein Einteilen in wir und die, durch eine Einschüchterung der Bevölke­rung, durch Aufbau von wirtschaftlichem, politischem Druck, durch Einschränkung der Presse, durch Erpressung eines ganzen Landes oder auch der EU und vieles mehr.

Die wirtschaftlichen Folgen werden, wie wir sehen, sukzessive sichtbar und spürbar, und das natürlich nicht nur für die Ukraine und für Russland selbst, sondern für ganz Europa. In Österreich sehen wir bereits an den Zapfsäulen der Tankstellen, dass die Preise in den letzten Tagen ganz eklatant gestiegen sind. Kollege Kovacs hat bereits darauf hin­gewiesen.

Es wird auch auf dem Lebensmittelsektor noch spürbar werden. Wir dürfen nicht ver­gessen, Russland ist einer der weltweit größten Weizenexporteure. Es wird Lieferketten­ausfälle geben, ukrainische Fabriken mussten bereits geschlossen werden, sie stehen still. Denken wir daran, dass Österreich gleich nach Belarus die zweithöchsten Direktin­vestitionen in Russland getätigt hat, es wird also auch hierzulande ganz, ganz massive wirtschaftliche Folgen geben.

Krieg hat aber vor allem auch immer humanitäre Folgen, eine humanitäre Katastrophe, wie wir sie jetzt in diesem Moment in der Ukraine mitverfolgen müssen, zur Folge. Es sind vor allem die Zivilisten, die am meisten darunter leiden müssen, es sind Männer, die im Verteidigungskampf für ihr Land verletzt werden oder unter Umständen auch ihr Leben verlieren, Familien, Frauen und Kinder, Babys, Menschen, die ihr zu Hause ver­lassen müssen, sofern sie das noch können. Inzwischen sind mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht, wir haben es heute schon mehrfach eindrücklich gehört.

Auch nicht vergessen darf man aber in der Debatte die Situation in Russland. Erst vor wenigen Tagen wurde ja das Gesetz erlassen, ich nenne es jetzt einmal Zensurgesetz, das die Propaganda des Kreml aufrechterhalten und gewährleisten soll, bewahren soll. Wenn eine Korrespondentin des ORF während eines Interviews erklären muss, sie müs­se ihre Worte sorgfältig und mit Bedacht wählen und könne sich nicht detaillierter dazu äußern, wenn kremlkritische Medien, egal, ob Zeitungen oder Fernsehsender, der Reihe nach schließen, wenn kritische Journalisten mit Gefängnisstrafen rechnen müssen und wenn inzwischen Zigtausende Demonstranten, die mit dem Putin-Regime nicht einver­standen sind, die den Krieg in der Ukraine eben nicht wollen, inhaftiert werden oder plötzlich verschwinden, wenn die Zahl an gefallenen russischen Soldaten verschwiegen wird, dann wird, glaube ich, deutlich: Es ist ein Propagandakrieg, bei dem es am Ende keinen Gewinner geben wird. Am Ende verlieren beide Seiten dieses Krieges, es verlie­ren die Menschen auf beiden Seiten und es verliert ganz Europa.

Dieser Angriffskrieg kam aber aus meiner Sicht tatsächlich gar nicht so überraschend, wie man zunächst meinen möchte. Der selbsternannte Anspruch Russlands oder viel­mehr Putins auf Donezk und Luhansk und der diesbezügliche bewaffnete Konflikt ziehen sich ja schon über Jahre oder eigentlich schon über Jahrzehnte. Spätestens seit 2014 lebt eine ganze Generation von Kindern in der Ostukraine mit ganz enormen Beein­trächtigungen und emotionalen Traumata. Oftmals leben sie seither völlig ohne sauberes Trinkwasser, ohne Strom, weil eben auch die lebensnotwendige Infrastruktur beschos­sen wurde. Unicef spricht immerhin von etwa vier Millionen betroffenen Menschen, von etwa 430 000 Kindern, für die seither, nämlich seit 2014, bereits eine normale Kindheit und Jugend, so wie wir uns das vorstellen, nicht mehr möglich ist.

Kinder müssen sich oft monatelang in Kellern und Bunkern verstecken, um nicht von Geschossen getroffen zu werden. Dann kam ja auch noch vor zwei Jahren die Pandemie erschwerend hinzu. Allein in den letzten drei Jahren wurden über Hundert Bildungsein­richtungen zerstört und mussten schließen, seit 24. Februar sind nun schließlich und endlich alle Kindergärten und Schulen zu. Die Zerstörung, wie wir alle tagtäglich sehen, geht weiter. Offensichtlich werden zivile Einrichtungen, Wohnhäuser ganz bewusst ge­troffen und vernichtet. Ganz besonders erschütternd war für mich vor wenigen Tagen die Nachricht, dass auch eine Kinderkrebsstation evakuiert werden musste. Ich kann nur hoffen, und kann es den betroffenen Kindern wirklich nur von ganzem Herzen wünschen, dass sie ihre nötigen Therapien und Medikamente auch tatsächlich bekommen können. Man kann sich das gar nicht vorstellen, was da tagtäglich an Leid zu spüren ist und zu spüren sein muss.

Denken wir an dieser Stelle  das ist mir ganz besonders wichtig  an die Kinderrechte der Vereinten Nationen: Kinder haben ein Recht auf ein sicheres Leben, auf Bildung, auf Kindsein, auf Gesundheit, sie haben das Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht. Ich glaube, ich muss es jetzt nicht zitieren, wir kennen alle die Kinderrechte, denn Öster­reich hat sie ja erfreulicherweise auch in den Verfassungsrang gehoben und sich damit noch deutlicher dazu bekannt. In diesem Sinne hoffe ich sehr, dass Österreich seiner europäischen und internationalen friedenspolitischen Rolle auch entsprechend gerecht wird und den betroffenen Kindern, ihren Müttern, Familien die nötige Unterstützung und Hilfe ganz unbürokratisch und rasch zukommen lässt.

Wir sehen alle die Solidarität und Hilfsbereitschaft von ziviler, privater Seite, die gezeigt und gelebt wird  das, glaube ich, zeichnet Österreich aus. Lebensmittel, Medikamente, Kleidung, Decken werden seit Wochen gesammelt und zur Verfügung gestellt, Bürger­meister erklären sich ganz ohne Zögern bereit, Hilfslieferungen mitzuorganisieren, dabei sogar mitzufahren. Vereine und soziale Einrichtungen da gibt es die Volkshilfe, die ich in erster Linie erwähnen darf, die auch erst unlängst nach Czernowitz gefahren ist und ganz viele Hilfslieferungen gebracht hat, die Caritas beispielsweise und viele andere mehr  helfen, jetzt ist aber, glaube ich, auch der Staat, der die rechtlichen Rahmenbe­dingungen gewährleisten muss, ganz, ganz immens gefragt.

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich, die diversen Wortmeldungen etlicher Regierungsmitglie­der waren kein Ruhmesblatt für Österreich. Aussagen, wie 1945 hat auch niemand Ös­terreich geholfen, Österreich war auch ganz allein, waren, glaube ich, unserem Ansehen nach außen hin alles andere als zuträglich. Auch wenn Nationalratspräsident Sobotka den Krieg mit der Befreiung Österreichs vom NS-Regime 1945 vergleicht, so ist das ein eher grenzwertiger Vergleich. Herr Khol hat dann plötzlich die Neutralität Österreichs infrage gestellt und einen Nato-Beitritt in den Raum gestellt (Bundesrat Steiner: Den Khol muss man besachwalten! Der muss besachwaltet werden!), dann ist man aber eh schnell zurückgerudert. Wie dem auch sei, als Lehrerin muss ich dazu sagen, offenbar haben die Herren im Geschichtsunterricht doch noch die eine oder andere Nachhilfe nötig. (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Nichtsdestotrotz war Österreich seit dem Entschluss zur immerwährenden Neutralität, glaube ich, immer Brückenbauer, Vermittler, ein Friedensstifter, das zeigt vor allen Din­gen auch der Sitz der UNO in Wien. Daher braucht es in diesem Fall wirklich ein ganz klares Bekenntnis der Bundesregierung zu dieser Rolle als Friedensstifter, denn ich muss es noch einmal wiederholen, der Krieg, und auch dieser Krieg Putins gegen die Ukraine, kennt keine Gewinner, es verlieren alle. Es verlieren die Menschen, daher darf ich an Sie, geschätzte Mitglieder der Bundesregierung, appellieren: Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach, wenn es zur Verletzung von Völkerrecht, von Menschenrechten, von Kinderrechten kommt und wenn es um die außenpolitische Rolle Österreichs geht!

Wenn ich den Berichten, die gerade in den letzten Stunden hereingekommen sind, Glauben schenken darf, dass jetzt unter Umständen auch Tschernobyl in Gefahr ist und die Stromzufuhr dort gekappt wurde: Also wir alle wissen nicht, was Putin noch plant und vorhat, wir müssen dessen sehr, sehr gewahr und vorsichtig sein, aber nichtsdestotrotz müssen das Menschenrecht, das Kinderrecht und das Völkerrecht für uns an erster Stelle stehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

14.07

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist unser Kollege Josef Ofner. – Bitte. (Vizekanzler Kogler verlässt den Saal.)