15.28

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätz­te Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie uns zu Hause via Livestream zuschauen! In beiden Arbeitsprogrammen für 2022, sowohl in jenem der Europäischen Kommission als auch in jenem des Rates, sind aus meiner Sicht zahlreiche ganz wichtige Schritte und Programme skizziert worden, näm­lich, wie Sie es gerade schon ausgeführt haben, in diesen ganz großen Themenberei­chen Frauen, Gleichstellung, Integration und Medien. Das ist ein sehr großer Themen­komplex, bei dem viel passiert.

Im Lichte des Internationalen Frauentags, der gestern am 8. März stattgefunden hat, finde ich aber Ihre Ausführungen, Frau Ministerin, im Bericht doch einigermaßen bemer­kenswert, muss ich sagen. Es zieht sich da ein Programm durch, das ich fast ein 3-D-Pro­gramm nennen möchte, denn es ist aus meiner Sicht ziemlich dünn, dürftig und durch­sichtig.

Einerseits besteht die österreichische – sprich Ihre – Sicht zu den einzelnen Punkten und Projekten zu einem wirklich sehr großen Teil aus exakt einem einzigen Satz, näm­lich dass Sie die Initiativen begrüßen. Das ist schön. Und immer wieder ist zu lesen, die Federführung bei diesem oder jenen Thema hat das Sozialministerium, das Arbeits­ministerium oder das Justizministerium. Ich frage mich da schon, wofür Sie als Ministerin jetzt eigentlich ganz konkret zuständig sind, denn für das alles offensichtlich nicht so wirklich.

Auf der anderen Seite habe ich heute am Vormittag und auch schon gestern im Natio­nalrat Ihren Worten ganz besonders genau gelauscht, und da haben Sie gesagt: „Gleich­stellung [...] ist nicht nur eine ganz zentrale Frage der Fairness, sondern es ist auch eine Frage, in der es darum geht, dass wir Österreich zukunftsfit machen. Ich möchte, dass jede Frau selbstbestimmt leben kann, ich möchte, dass jede Frau finanziell unabhängig ist, und ich möchte selbstverständlich, dass keine Frau Diskriminierungen erfährt, dass gleichwertige Arbeit auch gleich entlohnt wird“, und vieles andere mehr.

Frau Ministerin, ich habe eine Information für Sie, die Sie vielleicht überrascht: Sie sind die dafür zuständige Ministerin. Sie sind die Ministerin für Frauenfragen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Steiner.) – Das heißt also, Sie haben es in der Hand. Sie könnten all das, was Sie gestern aufgezählt haben, quasi in der Sekunde ändern und gesetzlich verankern, festschreiben. Tun Sie das bitte, Frau Ministerin! (Beifall bei der SPÖ.)

Schauen wir uns jetzt aber einmal die einzelnen Bereiche ganz genau und konkret an! Schauen wir uns an, was in Österreich dazu passiert ist! Zunächst einmal zur Geschlech­tergleichstellung und zur Lohntransparenz: Dazu muss man festhalten, dass die Coro­napandemie, die Krise, einen wahren Backlash verursacht hat. Zusätzlich zu der ohnehin vermehrt von Frauen ausgeführten unbezahlten Arbeit kamen dann auch noch das Homeschooling beziehungsweise die Betreuung der Kinder zu Hause hinzu. Die Gen­derforscherin Gundula Ludwig zum Beispiel spricht da ganz klar von einer Retraditiona­lisierung der Geschlechterverhältnisse und kritisiert, welche Summen während der Krise in die Industrie geflossen sind und wie wenig vergleichsweise in die Krankenpflege, in die Kinderbetreuung und in weitere Bereiche.

Geklatscht haben wir für die systemrelevanten Heldinnen der Krise genug. Das war schön, aber den Genderpaygap hat das nicht verringert. Ganz im Gegenteil, dieser liegt nach wie vor mit 19,9 Prozent Lohnunterschied um 13 Prozent über dem EU-Durch­schnitt.

Vielleicht noch eine bemerkenswerte Zahl in diesem Zusammenhang: Österreich ran­giert im internationalen Vergleich von immerhin 153 Ländern auf Platz 108 im Hinblick auf Lohngerechtigkeit, also wirklich im untersten Drittel – nachzulesen übrigens im Glo­bal-Gendergap-Report des Weltwirtschaftsforums.

Das Niederösterreichische Armutsnetzwerk schlägt übrigens in eine ganz ähnliche Ker­be und gibt dazu ganz eindeutig an, dass Frauen einem prozentuell wesentlich höheren Risiko ausgesetzt sind, in die Armut zu rutschen, als Männer, und das eben auch aus den bekannten Gründen: Frauen stehen wesentlich öfter in prekären Beschäftigungsver­hältnissen. Sie arbeiten immer noch überproportional oft in Teilzeit, wie wir es auch ge­rade von meiner Vorrednerin gehört haben, nämlich immerhin fast jede zweite Frau, und sie haben in der Folge auch ein wesentlich geringeres Pensionseinkommen. Von der aktuellen Teuerungswelle rede ich noch gar nicht, die habe ich jetzt gänzlich ausgeklam­mert.

Um dem entgegenzuwirken, wurde jetzt der große Gamechanger, der Lea-Fonds – das steht für: Let’s empower Austria –, gegründet. Es soll Webinare geben, habe ich gehört, es soll weibliche Rolemodels geben. Das ist sehr schön, das ist wichtig, aber welche weiteren Projekte da dazukommen und was dann unterm Strich für die Frauen tatsäch­lich dabei herauskommt, kann uns aus heutiger Sicht noch niemand sagen.

Schauen wir zum nächsten Bereich, zum Bereich Kinderbetreuung! Da gibt es im Bericht sogar eine etwas ausführlichere Stellungnahme zur Position Österreichs. Es heißt näm­lich: „Eine Anhebung der Barcelona-Ziele wird erst dann als zielführend erachtet, wenn alle Mitgliedstaaten die bestehenden Ziele [...] erreicht haben und Evidenzen für einen darüber hinaus gehenden Bedarf vorliegen.“

Das finde ich deswegen besonders spannend, weil bei den unter Dreijährigen Österreich selbst die Barcelonaziele erneut wesentlich verfehlt. Zwar hat die Coronapandemie si­cherlich auch zur Stagnation beigetragen, aber dennoch – und darauf muss man immer wieder hinweisen – fehlt vor allem das flächendeckende Angebot – erst wenn es ein sol­ches gibt, gibt es eine reale Wahlfreiheit –, ganz zu schweigen von den VIF-Kriterien – VIF ist der Vereinbarkeitsindikator für Familie und Beruf –, nämlich dass eine Kinderbe­treuungseinrichtung mindestens 45 Stunden pro Woche geöffnet sein sollte, an mindes­tens vier Tagen pro Woche, mindestens 9,5 Stunden täglich, mit einem Angebot eines gesunden, warmen Mittagessens, maximal fünf Wochen im Jahr geschlossen und vieles andere mehr – all das ist in österreichischen Kinderbetreuungseinrichtungen in dieser Form leider nicht immer gegeben.

Noch dazu sind die Rahmenbedingungen von Bundesland zu Bundesland sehr, sehr unterschiedlich, nämlich was Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel, die Qualifikation der MitarbeiterInnen und vieles andere mehr betrifft.

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Doris Hahn, MEd MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Verbes­serungen im Kindergarten- und Elementarbildungsbereich umsetzen“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integra­tion und Medien im Bundeskanzleramt sowie der Bundesminister für Bildung, Wissen­schaft und Forschung, wird aufgefordert, für eine neue 15a-Vereinbarung zur Elemen­tarpädagogik substantielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um mittelfristig das Ziel von 1% des BIP für die Bildung der Jüngsten zu erreichen, bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Bereich der Elementarpädagogik zu sichern und in den Verhandlun­gen mit den Ländern und Gemeinden die notwendigen Schritte zu setzen, um – im Rah­men eines Stufenplanes – einen Rechtsanspruch auf Kinderbildung ab dem ersten Le­bensjahr sicherzustellen.“

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Die Grünen, glaube ich, sollten da durchaus mitgehen können. Ich glaube, die eine oder andere Zeile aus unserem Antrag sollte euch bekannt vorkommen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Zur FPÖ muss man sagen: Euren Antrag könnte man unter dem Titel Herdprämie zu­sammenfassen. (Bundesrätin Schartel: Ach geh!) Zurück zum Herd: Das hat mit Wahl­freiheit relativ wenig zu tun, aber das wisst ihr selber genauso gut. (Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Geschätzte Damen und Herren, ein gescheites Angebot an Kinderbetreuungsplätzen und vor allem ein Rechtsanspruch auf Kinderbildung ist nicht nur die Grundlage für eine gute Bildung (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser) – du kannst dich gerne noch einmal zu Wort melden –, nämlich unabhängig vom Geldbörsel der Eltern und un­abhängig davon, in welcher Gemeinde ein Kind auf die Welt kommt, sie ist auch die Grundlage für eine echte Wahlfreiheit, denn erst das Angebot schafft die Nachfrage und nicht umgekehrt, wie es ganz gerne von der ÖVP behauptet wird. Wenn eine Familie weiß, dass es in ihrer Gemeinde, in der sie die Betreuung braucht das Angebot gar nicht mehr gibt, dann fragt die Familie im Normalfall gar nicht nach.

Eines dürfen wir nicht vergessen: Der Rechtsanspruch auf Kinderbildung würde es vor allem den Frauen ermöglichen, wesentlich häufiger Vollzeit zu arbeiten oder überhaupt wieder ins Erwerbsleben einzusteigen.

Ich darf an dieser Stelle vielleicht an das Programm der SPÖ Niederösterreich erinnern, das man durchaus als Vorbild bezeichnen kann, nämlich das KinderPROgramm mit den drei G: ganztägig, ganzjährig, gratis. Ich glaube, das wäre ein wichtiger Schritt in der Elementarbildung, nicht nur für die Kinder selbst, sondern eben auch für die Frauen und für die Familien. Das wäre ein wichtiger Ansatz, den man aus meiner Sicht umsetzen müsste.

Schauen wir aber noch zum Themenbereich Integration! Sie betonen ja, dass vor allem die Anstrengungen der Menschen mit Migrationshintergrund, ihre Aufgaben und Leis­tungen, also die Integrationspflichten, ganz besonders nötig seien.

Da frage ich mich allerdings: Wie erklären Sie es dann – und ich würde Sie da wirklich um eine Antwort bitten –, dass Ihr Innenminister, egal, wie er jetzt gerade heißt, immer und immer wieder Minderjährige, die teils bereits hier geboren wurden, die aber zumin­dest den weit überwiegenden Teil ihres Lebens in Österreich verbracht haben, die Ös­terreich als ihre Heimat bezeichnen und betrachten, die Deutsch oftmals besser spre­chen können als ihre Erstsprache, die hier Freunde gefunden haben, die sich in Vereinen engagieren und vieles mehr, in Nacht- und Nebelaktionen abgeschoben werden? Das kann mir keiner erklären! Sie werden in Länder abgeschoben, die oft alles andere als sicher sind, und das obwohl die Kindeswohlkommission deswegen immer wieder Kritik anbringt. Ich bitte um Ihre Erklärung dazu. Vor allen Dingen ein Hinweis noch dazu: Ich darf an die Kinderrechte erinnern, die wir in Österreich im Verfassungsrang haben.

Bleiben wir vielleicht gleich bei den Kindern! Österreich verstößt mit der Indexierung der Familienbeihilfe eindeutig gegen Unionsrecht. Das ist ja bekannt. Dennoch hält die Re­gierung daran fest, eine EU-weit einheitliche Indexierung anzustreben, und stimmt dem europäischen Entwurf nicht zu – na ja.

Betreffend des NAP, des Nationalen Aktionsplanes, zur Kindergarantie wurde uns im Ausschuss nur versichert, dass alle relevanten Stakeholder miteinbezogen wurden. Kon­krete Projekte und Initiativen ist man uns allerdings schuldig geblieben. Wir werden da jedenfalls (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Raab) – das haben Sie wahr­scheinlich vergessen, das stimmt – ganz besonders genau ein Auge darauf haben.

In aller Kürze noch schnell zum Themenkomplex Medien. Da hat sich die Kommission zu einem Aktionsplan bekannt, in dem es darum geht, den BürgerInnen Zugang zu ei­nem pluralistischen, vielfältigen und vor allen Dingen unabhängigen Medienumfeld zu ermöglichen. Die Freiheit der Medien gehört da ebenso dazu wie der Schutz der Bürge­rInnen vor Hatespeech und dergleichen. Das ist also auch ein großer Themenkomplex.

Ich muss gestehen, in bin da schon sehr gespannt darauf, wie Sie das angehen, Frau Ministerin, besonders was die Medienförderung betrifft, die ja in vielen Bereichen ekla­tant zurückgegangen ist – nicht in allen Bereichen, wie wir wissen. Vor allen Dingen was die Inseratenvergabe betrifft, haben Sie ja durchaus Expertise.

Ich darf nur an den gerade begonnenen ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss er­innern. Ich bin schon sehr gespannt, was uns da noch blühen wird.

Dem Themenbereich Gewalt an Frauen wird sich meine Kollegin Nicole Riepl dann noch intensiv widmen, dennoch sage ich einen ganz kurzen Satz dazu: Es wird ja immer wieder – auch von Ihrer Seite – darauf hingewiesen, dass das Frauenbudget in dem Be­reich so dramatisch angehoben wurde, ich glaube aber, es ist sehr wohl entscheidend, was von diesen Summen auch tatsächlich bei den Frauen ankommt. Ganz ehrlich, von Pressekonferenzen, Ankündigungen, Verhaltensratschlägen, wie es sie unlängst erst gegeben hat, und von Webinaren, glaube ich, haben die Frauen in Wahrheit nicht viel. Ich glaube, keine einzige von Gewalt betroffene Frau ist aufgrund einer Pressekonferenz weniger betroffen. Keine einzige Frau verdient durch ein Webinar im Vergleich auch nur um einen Euro mehr – und ein Webinar ersetzt auch keinen fehlenden Kinderbetreu­ungsplatz.

Vizepräsident Günther Novak: Frau Kollegin, 13 Minuten.

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): Ich komme schon zum Schluss, Herr Präsident. Ja, ja. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.) Was gesagt werden muss, muss gesagt werden. So schaut es eben aus, wenn die Frauenministerin von sich selbst sagt, sie sei keine Feministin und sie halte in Wahrheit auch von Feminismus nicht viel. Dabei wird es noch so viel mehr brauchen: Lohndiskriminierung muss bekämpft und Lohntrans­parenz geregelt werden. Wir brauchen ein Programm für Vorsorgeuntersuchungen, Gendermedizin und so weiter, ein echtes Frauenarbeitsmarktpaket, ein Väterkarenzmo­dell und vieles andere mehr, ich kann es jetzt gar nicht alles aufzählen.

Zum Abschluss möchte ich Ihnen aber trotzdem noch ein Zitat von Johanna Dohnal mit­geben, die ja gesagt hat: Die Vision des Feminismus ist keine weibliche Zukunft, es ist eine menschliche Zukunft. Ich glaube, sie hat ganz, ganz, ganz recht damit gehabt. (Bei­fall bei der SPÖ.) Allerdings, Frau Ministerin, sehe ich da noch sehr viele Baustellen – aber Visionen sehe ich in Ihrem Programm leider keine. (Beifall bei der SPÖ.)

15.42

Vizepräsident Günther Novak: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.