10.32

Bundesrat Dr. Johannes Hübner (FPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich glaube, das, was Kollege Schreuder hier gesagt hat, kann so nicht stehen bleiben und soll auch nicht unwidersprochen bleiben.

Zuerst einmal zu den Sanktionen an sich: Sie haben die Sanktionen als einen Teil des europäischen Friedenswerkes dargestellt, also als einen Teil des Kampfes für Menschenrechte, gegen Gewalt, gegen Tötung, gegen Missbrauch, gegen Zer­störung, als ein genuin europäisches Projekt, das uns zeigt, wie die europäi­schen Werte den Putin-Werten gegenüberstehen.

Herr Kollege, haben Sie jemals die Genealogie der Russlandsanktionen verfolgt? Wissen Sie, worauf die zurückgehen? (Bundesrat Schreuder: Auf die Krim-An­nexion!) – Das glauben Sie. Ich werde Ihnen ein bisschen etwas davon erzählen. (Bundesrat Schreuder: Dass Sie im Kreml gut befreundet sind, wissen wir!)

Begonnen hat das Ganze im Juni 2017. Damals wurde im amerikanischen Senat ein Gesetzentwurf der Demokraten eingebracht – im Jahr 2017, da waren kei­ne Kriege, nichts, der Konflikt an der Krim war lang vorbei –, der hat den be­zeichnenden Titel gehabt: Countering Russian Influence in Europe and Eurasia – dem russischen Einfluss in Europa und Eurasien entgegenzutreten. Den ha­ben die Demokraten eingebracht und dem sind dann die Republikaner beigetre­ten. Das Gesetz ist am 2. August 2017 beschlossen und vom amerikanischen Präsidenten unterschrieben worden, damals aber bereits unter dem trüge­rischen, aber doch auch enthüllenden Namen Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act, das heißt: amerikanischen Gegnern durch Sanktionen begegnen.

Dieses Gesetz sieht vor, dass Beschlüsse der USA zur Sanktionierung aller Staaten – man hat es nicht einmal auf Russland beschränkt – internationales Recht darstellen und international durchgesetzt werden können und auch ausländische, insbesondere europäische Firmen, die gegen amerikanische Sank­tionsbestimmungen verstoßen, aus amerikanischer Sicht Unrecht verüben und zivil- und strafrechtlich in den USA verfolgt werden können. – Ich schaue zum Kollegen Schennach, weil er so ruhig vor sich hindöst. (Heiterkeit bei der FPÖ und Beifall bei Bundesrät:innen der FPÖ. – Bundesrat Schennach: Ich höre Ihnen zu!)

Ich schaue hin, weil der damalige Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Kern dazu interessanterweise gesagt hat: Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht. Darüber wurde in den Medien natürlich sehr wenig berich­tet, auch über diese Äußerung von Kern nicht. Das ganze Gesetz wurde eher mit peinlichem Schweigen übergangen, weil es natürlich die Grundsätze einer of­fenen, gerechten und rechtsbasierten Weltordnung auf den Kopf stellt.

Was ist daraufhin passiert? – Da muss ich jetzt einmal nachlesen, wann es genau war. – Am 29.1.2018 ist zu diesem Gesetz der erste sogenannte Report erschienen, und darin wurde vorgeschlagen, 96 Persönlichkeiten russischer Ab­stammung oder mit russischer Staatsbürgerschaft und mehrere Hundert Unternehmen auf die sogenannte Sanktionsliste, auf die Blacklist, zu setzen. Tat­sächlich wurden dann mit Beschluss der amerikanischen Kammern vom April 2018 auch 29 russische Personen oder russischstämmige Leute und 17 Unterneh­men auf diese Liste gesetzt.

Es ist interessant – Sie können es in der Kongressbibliothek einsehen –: Die Klausel – das muss ich jetzt nachlesen, ich glaube, 276 ist es, nein – 257 dieses Acts begründet ihn damit, dass es darum geht – ich zitiere jetzt wörtlich –, für den Export von US-Energieressourcen Vorrang vor anderen Exportströmen zu erwirken und dadurch in den USA Jobs zu schaffen. Das ist der Hinter­grund dieser ganzen Gesetze.

Die erste drastische Auswirkung war dann im Dezember 2017, als gegen europäische Firmen, die an Nord Stream 2 mitgearbeitet haben, Sanktionen er­lassen wurden. Man hat schnell einen eigenen Act gemacht, der skurrilerwei­se Protect European Energy geheißen hat. Protect European Energy hat als Hauptziel gehabt, zu verhindern, dass weitere Gaspipelines auf dem Festland oder unter See errichtet werden können.

Man hat damals auch die Bauarbeiten an Nord Stream 2, einem ja zur Hälfte von Europa – auch von Österreich – finanzierten Projekt, zum Erliegen gebracht, indem man an die Firma Allseas, ein schweizerisch-holländisches Gemeinschaftsunternehmen, das die Verlegungsarbeiten durchgeführt hat, einen Brief gerichtet hat, unterschrieben von den Fraktionsführern beider Parteien, den Republikanern und den Demokraten. Darin wurde dem Vorstand mitgeteilt, dass das Unternehmen, wenn es nicht binnen 48 Stunden die Arbeiten an Nord Stream 2 einstellt, von den USA vernichtet würde. Das hat dazu geführt, dass die Firma die Bauarbeiten unverzüglich abgebrochen hat.

Nicht einmal auf diesen beispiellosen Eingriff in unsere Rechtsordnung hat irgendjemand reagiert oder dagegen protestiert. In Deutschland hat es zwar lah-me Beschlüsse gegeben, trotzdem am Projekt festzuhalten, darauf hinzuwei­sen, dass es zu 95 oder 96 Prozent fertig ist und dass dabei bereits Milliar­den versenkt wurden.

Einziges Ziel ist es gewesen, sicherzustellen, dass keine Pipelines, die Gas aus Russland, Kasachstan oder vielleicht sogar dem Iran oder Aserbaidschan nach Europa bringen, fertiggestellt und in Betrieb gehalten werden können. Es wird Ihnen vielleicht nicht entgangen sein, was mit den beiden Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 etwa vor einer Woche passiert ist.

Jetzt gehen wir einmal weiter zu dieser Sanktionspolitik. Die Sanktionspolitik hat ja auch dazu geführt, dass die Schweiz, die über 200 Jahre neutral war, ihre Neutralität aufgeben musste – aber nicht, weil die Schweizer gesagt haben: Das war eine schlechte Idee, jetzt schließen wir uns im Ukraine-Russland-Krieg den Ukrainern an, sondern weil die USA der Schweizer Bundesregierung und füh­renden Schweizer Unternehmen de facto mit der Vernichtung gedroht haben, wenn die Neutralität nicht aufgegeben wird. Tatsächlich hat die Schweiz nur we­nige Tage standgehalten und sich diesen Sanktionen angeschlossen.

Sanktionen überhaupt, Sanktionen als Mittel der Friedenspolitik? – Da darf ich einmal die Grünen und auch die SPÖ, die ja immer davon reden, dass wir die Migrationsströme, das Elend in der Dritten Welt, in den Herkunftsländern der Migranten dadurch bekämpfen müssen, dass wir vor Ort Hilfe leisten, daran erinnern, dass so ja unsere Entwicklungszusammenarbeit begründet ist, so die Hunderte Millionen, die wir direkt und indirekt jedes Jahr dafür aufwen­den, unter anderem auch begründet sind.

Wie sieht das nunmehr aus? – Nehmen wir uns drei Hauptherkunftsländer der Migrationsströme her, nehmen wir Afghanistan, den Iran und Syrien. Das sind Länder, die seit Jahren, teilweise schon seit Jahrzehnten, mit den schärfsten amerikanischen Sanktionen belegt sind. Syrien hat überhaupt die schärfsten Sanktionen, die es in der Geschichte gegeben hat, denen sich die Europäische Union nolens volens natürlich angeschlossen hat.

Keine europäische Bank, kein Unternehmen kann es sich leisten, gegen den Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act und die beige­schlossene, laufend aktualisierte Schwarze Liste zu verstoßen, weil das dazu führt, dass allen amerikanischen Unternehmen untersagt wird, mit diesen Firmen Geschäfte zu machen. Die Beschlagnahmung des Vermögens in den USA und vor allem die Abkoppelung vom internationalen Dollartransfer – also die Unmög­lichkeit, Geschäfte in Dollar zu machen – droht. Was das bedeutet, brauche ich nicht weiter zu sagen.

Dieses Land ist nicht in der Lage, irgendwelche Geschäfte zu machen, et­was zu finanzieren, Investitionen hereinzuholen, daher kehrt auch niemand nach Syrien zurück – nicht deshalb, weil der Krieg dort tobt, der ist seit zwei, drei Jahren mehr oder minder eingefroren, sondern weil die wirtschaftlichen Grund­lagen systematisch zerstört werden. Das Einzige, was man hier hört, ist: Ach Gott, der Erdoğan, der wird uns jetzt die Flüchtlinge schicken, der wird die nicht behalten. – Ja, die Türken haben drei, vier Millionen, die sich weigern, zurück­zukehren, weil sie dort keine Lebensgrundlage haben. Die Gefahr besteht natür­lich, dass die Türkei die nicht auf ewige Zeiten behalten wird.

Aber glauben Sie, irgendjemand in der Europäischen Union, diesem großen Friedensprojekt, oder in der großen Entwicklungshilfeszenerie kommt auf die Idee, zu sagen: Bitte hören wir mit diesen Sanktionen gegen Syrien auf!? Es gibt so viele Länder, die nicht perfekte Demokratien sind, die wir ja auch nicht in einer Weise strangulieren, dass die Bevölkerung flüchten muss. Nein, das wird nicht gesagt, weil es dem Grundkonsens des amerikanischen Imperiums und den gleichgeschaltet agierenden europäischen Akteuren widerspricht.

Afghanistan, dort ist es ja noch dramatischer: Nachdem die dortige, von den USA – sagen wir es einmal freundlich – eingesetzte Regierung innerhalb von drei Monaten nach Abzug der amerikanischen Besatzungstruppen kollabiert ist, hat man nicht nur aufgehört, Afghanistan irgendeine Unterstützung zu bringen, sondern eine der ersten Taten der USA war es, das gesamte Devisenguthaben der afghanischen Zentralbank zu beschlagnahmen – das waren circa 4,75 Milliar­den Dollar –, sodass die lokale Währung Afghani ungedeckt und praktisch wertlos gewesen ist und Importe für die Afghanen unmöglich geworden sind. Die können also nur Bartergeschäfte mit den Nachbarn machen, bei denen sie Früchte, in kleinen Mengen Mineralien und dergleichen liefern und dafür Le­bensmittel und andere lebensnotwendige Güter erhalten.

Glauben Sie, irgendjemand vom Friedensprojekt hat irgendetwas gesagt, ist in den USA vorstellig geworden und hat gesagt: Bitte, gebt denen doch die Devisen zurück, holt euch die 4,75 Milliarden irgendwoher, aber nicht ausgerechnet von Afghanistan!? – Nein, da wird aber gefordert, egal, ob im Parlament bei uns oder in internationalen Foren oder bei NGOs: Wir müssen die Quellen und die Wurzeln der Probleme in Angriff nehmen.

Der Iran – das brauche ich gar nicht zu sagen – steht seit 40 Jahren unter Sanktionen. Und diese Sanktionen, das weiß ja jeder, treffen nicht die Führungsschicht, die treffen weder Herrn Assad noch die Mullahs dort, sondern die treffen den Durchschnittsbürger, insbesondere die sogenannten verletzlichen unteren Einkommensschichten einer Bevölkerung, die keine Möglichkeit haben, auch nur eine basismedizinische Versorgung zu erlangen.

Mit dem Irak ist es ja ähnlich, der ist dort eingesperrt unter lauter Sanktions­kandidaten. Auch dort ist die Wirtschaft massiv behindert, abgesehen da­von, dass das von den Amerikanern dort installierte System hinten und vorne nicht funktioniert und von der lokalen und dazu noch importierten Kor­ruption und Unfähigkeit der Leute zerfressen wird.

Wir sind also in einer Situation, in der wir wesentlichen Dingen gegenüber die Augen verschließen – mit dem merkwürdigen Argument, das diene ja alles der Vermeidung von Gewalt, von Übergriffen und von sexuellem Missbrauch und so weiter –, Völker strangulieren, unsere eigene Bevölkerung massivst schädigen, das Reallohnniveau senken, die Zukunft weder wirtschaftlich noch energietechnisch noch privathaushaltsmäßig in irgendeiner Weise absichern und zu all dem schweigen.

Jetzt komme ich noch einmal zu Kollegen Schennach, weil er heute zwei Anträge eingebracht hat beziehungsweise einbringen wird. Ich kann nur sagen: Ja, guten Morgen, SPÖ, offensichtlich erwacht nach langem Dauerschlaf! (Ruf bei der ÖVP: Woher weiß er das?) Heute haben wir immerhin, soweit ich mich erinnere, den 4. Oktober, glaube ich, oder den 6. Oktober? – Der 6. Oktober ist es schon. (Bun­desrätin Zwazl: Auch erwacht!) – Ich bin schon angesteckt, ich schaue immer zu Kollegen Schennach hin und das ist ermüdend. (Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Am 6. Oktober kommen Sie auf die Idee, einen Gaspreisdeckel und – skurrilerweise in der Überschrift – die Aufschiebung – Aufschiebung! (Bundes­rätin Grimling: Das fordern wir seit Monaten!); auf die Monate komme ich gleich (Bundesrätin Schumann: ... seit März!) – der CO2-Abgabe zu verlangen.

„Seit Monaten“ – diese Anträge haben wir jedenfalls zweimal eingebracht, ein­mal sogar in einer Sitzung, in der es eine Oppositionsmehrheit gegeben hat oder gegeben hätte. Von wem wurden sie abgelehnt? – Von der SPÖ. (Beifall bei der FPÖ. Bundesrätin Grimling: Wir werden unsere Gründe gehabt haben! Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Liebe Kollegen von der SPÖ, gefordert haben Sie es vielleicht mit dem Mund, aber ich habe keinen einzigen Antrag von Ihnen gesehen, die CO2-Abgabe abzuschaffen, aufzuschieben. Jetzt, da sie bereits in Kraft ist – guten Morgen! –, mit 1. Oktober in Kraft getreten ist, verlangen Sie eine Aufschiebung. (Bun­desrat Schennach: Das stimmt überhaupt nicht!) Wenn, dann verlangen Sie eine Aufhebung oder Aussetzung (Bundesrat Schennach: Habt ihr kein Archiv?), aber in der Überschrift steht „Aufschiebung“.

Das zeigt ungefähr, wie lange Sie den Antrag schon vorbereitet hatten (Beifall bei der FPÖ), aber offenbar haben Sie sich nicht getraut, ihn einzubringen, weil er natürlich zur Politik, die in Wien von der SPÖ-Stadtverwaltung gefahren wird, konträr, also im Gegensatz steht. Da wird ja alles gemacht, um die Preise hochzuhalten, um die möglichen Gewinne, die man trotz der Spekulation viel­leicht noch erzielen könnte, auf dem Rücken der Bürger einzufahren.

Wir werden diesen Anträgen natürlich zustimmen, da die SPÖ erwacht ist und ihr auch klar geworden ist (Bundesrätin Grimling: Erwacht sind Sie!), dass es eine Inflation gibt und es vielleicht ein Problem bei den Gaspreisen gibt und dass es vielleicht nicht so gescheit ist, in einer Zeit der Inflation (Bundesrat Schen­nach: Das war schon seit vorigem Jahr ...!) und der Reallohnschmälerung noch eine Steuer auf Benzin und Co zu geben. Da werden wir natürlich zustimmen.

Wir gratulieren zu diesem Erwachen und freuen uns mit der SPÖ auf eine nun­mehr hoffentlich wirklich bürgernahe und an den Realitäten orientierte Poli­tik. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ. Bundesrat Schennach: Weil Sie ja so bür­gernah sind!)

10.48

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Mag. Christine Schwarz-Fuchs. Ich erteile ihr das Wort.