9.21

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher und auch Gäste hier im Raum! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind mit der heutigen Bundesratssitzung kurz vor Ende eines Schuljahres beziehungsweise kurz vor Beginn der Sommerferien und blicken auf ein Schuljahr zurück, das zum Glück wenig mit Covid beschäftigt war – seien wir froh, dass das vorbei ist –, und dennoch war es von vielen großen Herausforderungen geprägt. Ich würde sagen, das ganze Bildungssystem ist eine große Herausforderung, eine große Baustelle, und leider, leider werden da immer nur klein, klein Löcher zugestopft oder wird an einzelnen Schrauben gedreht, aber die großen, nachhaltigen Lösungen, die wir bräuchten, vermisse ich sehr.

Ich mache es gleich an ein paar Beispielen deutlich, aber ich möchte zu Beginn noch eines zum Thema dieser Aktuellen Stunde sagen, weil der Titel dieser Aktuellen Stunde, Herr Minister, diesen vielen großen Herausforderungen aus meiner Sicht nicht gerecht wird. (Beifall bei der SPÖ.) „Nachhaltig Bauen, energie:bewusst Schule leben“, so ist der Titel – das ist eigentlich mehr ein Thema für die Klimaministerin oder für die Gebäudeverwaltung, würde ich sagen, als für den Bildungsminister und für eine Aktuelle Stunde zum Bereich Bildung.

Es ist natürlich zweifelsfrei zu begrüßen, dass Schulbauten klimafit gemacht werden sollen, dass auch die Schulgebäude und die Schulen einen Beitrag zur Klimaneutralität leisten sollen – ganz selbstverständlich –, aber um nachhaltig zu bauen, um energieeffiziente Maßnahmen umzusetzen, kann und soll man schlicht und ergreifend Firmen, Architekt:innen beauftragen und das einfach tun; das Bildungsproblem im Kern wird damit aber noch nicht gelöst. (Beifall bei SPÖ und FPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Was die Bildung und die vielen Herausforderungen in diesem Bereich betrifft, Herr Minister, brauchen die Kinder und auch die Mitarbeiter:innen in diesen Bildungseinrichtungen jetzt Ihre ganze Energie und Ihre vollste Aufmerksamkeit. Ich würde sagen, es geht um einen nachhaltigen Gesamtumbau des Bildungssystems – das wäre der Titel gewesen, den ich dieser Aktuellen Stunde gegeben hätte.

Ich möchte es wie gesagt an ein paar Beispielen aus dem zu Ende gehenden Schuljahr festmachen. Im vergangenen Schuljahr sind beispielsweise an einer Schule in Niederösterreich Sozialpädagog:innen ausgebildet worden – ich war dort bei der Maturafeier –, und dort waren in einer Schulklasse acht Mädchen, die die Matura wegen Mathematik jetzt nicht geschafft haben. Wir alle kennen dieses leidige Thema.

Da hat sich für mich schon eine Frage gestellt: Diese Sozialpädagoginnen  werden dringend gebraucht, alle Einrichtungen kümmern sich schon und bewerben sich bei diesen Mädchen, aber diese brauchen jetzt noch Zeit, weil ihnen die Mathematikmatura im Weg steht. Die Mathematikmatura ist oft ein Hemmnis, führt zu Nachprüfungen, führt auch zur Wiederholung des ganzen Schuljahres. Ich frage mich: Brauchen alle Schüler:innen, alle Berufsgruppen eine Mathematikmatura auf dem Niveau, auf dem wir sie aktuell verlangen, oder ist das nicht eigentlich Vergeudung von Lebenszeit, auch Vergeudung von Energie dieser jungen Menschen? Müssten wir nicht hinterfragen, wie sinnvoll die Matura in dieser Form und vor allem die Mathematikmatura auf diesem Niveau eigentlich ist?

Ein zweites Beispiel: Im vergangenen Schuljahr waren Tausende Freizeitpädagog:innen mehrfach auf der Straße, weil von Ihnen, Herr Minister, angekündigt wurde, dass sie in der Form, in der sie bisher erfolgreich wertvolle Arbeit geleistet haben, nicht mehr eingesetzt und gebraucht werden und in Zukunft möglicherweise als billigere Ersatzlehrer:innen mit schlechterer Ausbildung an den Schulen quasi alles machen sollen. Das hat zu großer Verunsicherung geführt und löst das Problem auch nicht dauerhaft. Wir brauchen eigentlich eine Attraktivierung des Jobs der Pädagog:innen, nicht nur an den Schulen, auch in der Elementarbildung (Beifall bei der SPÖ), und wir brauchen rund um die Pädagog:innen ganz viel fachlich hochwertigen Support, um alle Herausforderungen meistern zu können. Das wären die Assistenzstunden, die gebraucht würden – fachlich hochwertiger Support für alle in diesem Bereich Tätigen.

Ein weiteres Beispiel: Im vergangenen Schuljahr wurden Tausende ukrainische Kinder, die bei uns eine neue Heimat gefunden haben, in verschiedensten Schulklassen eingeschult, integriert – und dann, jetzt wenige Tage vor Schulschluss, war plötzlich die Frage: Können diese das Schuljahr abschließen, können diese in die weiterführenden Schulen weitergehen, selbst wenn sie erfolgreich waren, selbst wenn sie die deutsche Sprache erlernt haben? Das war bis vor wenigen Stunden, bis vor wenigen Tagen ein offenes Fragezeichen, hat viel Verunsicherung bedeutet, die eigentlich absehbar gewesen wäre. Auch da wäre nachhaltige, vorausschauende Planung erforderlich gewesen – auch für alle anderen außerordentlichen Kinder. Da wird ein Unterschied gemacht, der so für mich nicht verständlich ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein kurzes Wort auch zu den Deutschklassen, die nach wie vor verlangt werden, die sich in der Praxis absolut nicht bewährt haben. Alle, die mit Lehrerinnen und Lehrern reden, wissen, da gibt es die unglaublichsten Formen, wie versucht wird, das zu machen, aber eigentlich sind sich alle Fachleute in der Evaluierung einig: Diese Deutschklassen bringen nicht das Ergebnis, das sie bringen sollten, und sind in der Form nicht brauchbar.

Ein weiteres Beispiel: Im vergangenen Schuljahr konnten ganz viele Kinder mit Behinderung nicht die Förderung bekommen, die sie eigentlich bräuchten. Es gibt – ganz aktuell vom Juni – einen Sonderbericht Inklusive Bildung des Monitoringausschusses für Menschen mit Behinderung, und darin wird ganz klar deponiert: Artikel 24 der Menschenrechtskonvention, in dem es darum geht, Menschen mit Behinderungen alle Möglichkeiten zu eröffnen, das wird aktuell nicht erfüllt.

Ich zitiere jetzt aus diesem Bericht:

„Die Maßnahmen zum flächendeckenden Ausbau Inklusiver Bildung sind ungenügend:

- Das separierende Sonderschulsystem wird aufrecht erhalten und sogar ausgebaut.

- Mangelnde Barrierefreiheit an Schulen

- Chronische Unterfinanzierung inklusiver Bildung

- Menschen mit Behinderungen werden bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen nicht einbezogen.

- Zugang zu Studium und Lehrer*innenausbildung ist für Menschen mit Behinderungen erschwert.“

Und so weiter und so fort. Das sind eigentlich wirklich schwere Vorwürfe. Ich denke, in einem modernen Bildungssystem sollten diese Punkte nicht mehr aufgezählt werden müssen.

Nächster Punkt: Nach den kommenden Sommerferien, nach den nächsten zwei Monaten werden viele Kinder eine Nachprüfung machen müssen – ich habe es vorhin schon erwähnt, ich finde das eigentlich traurig und überflüssig –, aber jene, die Eltern haben, die sich Nachhilfe leisten können, werden das besser machen als jene Kinder, deren Eltern sich diese teure Nachhilfe nicht leisten können, sie werden klar im Vorteil sein. Nachhilfe ist verdammt teuer. Die Arbeiterkammer hat das berechnet und aufgezeigt, wie viele Millionen Euro Haushalte im Jahr in Österreich für Nachhilfe ausgeben müssen. Meiner Meinung ist es ein Armutszeugnis für ein Bildungssystem, dass es solch eine lukrative Nachhilfebranche überhaupt braucht. (Beifall bei der SPÖ.)

Noch etwas, das mir, wenn ich an die kommenden Sommerferien denke, besonders wehtut, ist: Alle Kinder hätten jetzt gerne unbeschwerte, schöne, tolle Ferien, es wird Kinder geben, die einen tollen Urlaub machen werden, in irgendwelchen Clubs, am Meer – es sei ihnen allen vergönnt –, und es wird Kinder geben, die das nicht tun können. In der ersten Schulwoche im September ist es meistens so, dass die Lehrpersonen fragen: Und, wie habt ihr die Ferien verbracht?, und manche Kinder werden erzählen und andere werden dabeisitzen und nichts zu erzählen haben. Wir kennen auch die Beispiele, dass Kinder dermaßen beschämt sind, dass sie Urlaube erfinden, um nicht sagen zu müssen: Ich war daheim.

Das finde ich traurig, und ich bin sehr stolz auf das Bundesland Wien, aus dem ich komme, weil Wien gesagt hat: Wir wollen allen Kindern Ferien ermöglichen. – Wir haben Summer-City-Camps für 30 000 Kinder eingeführt, die leistbar sind, in denen alle Kinder schöne Abenteuer und schöne Ferien haben. Es gibt ein Ferienspiel mit täglich zig Gratisangeboten. (Bundesrat Steiner: Wenn ihr in Wien die Gebühren senkt, erspart ihr euch das! Dann haben die Leute viel mehr davon! Müll, Kanal, Wasser, Parkplätze, Schwimmbäder, ...!) Das brauchen wir alle, für alle Kinder in ganz Österreich.

Das heißt, es gibt Themen über Themen, Herr Minister, die Schüler:innen, deren Eltern und Ihre Mitarbeiter:innen bewegen, die die Beteiligten enorm viel Energie kosten und die Ihre gesamte Energie und Aufmerksamkeit bräuchten, Herr Minister, um nachhaltig ein gutes Bildungssystem zu bauen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

9.31

Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Isabella Theuermann. – Bitte sehr.