10.50

Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Herr Vizepräsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Noch einmal: Ein Willkommen an die Besucherinnen und Besucher, die noch da sind, und die Zuseherinnen und Zuseher via Livestream zu Hause!

Ich komme wieder zum eigentlichen Thema dieses Tagesordnungspunktes zurück, nämlich zu dem Paket gegen Kinderarmut. Dass wir Armut und besonders Kinderarmut in Österreich bekämpfen müssen, darin sind wir uns, hoffe ich, alle einig, denn Armut wird vererbt; das wissen wir seit Langem.

Kinder, die in armutsbetroffenen Familien aufwachsen, haben ein großes Risiko, später nur schwer aus eigener Kraft aus dieser Armutsfalle zu entkommen. In einem Land wie Österreich sollte kein Kind auf der Strecke bleiben – das muss unser gemeinsames Ziel sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Unter all den Schwierigkeiten, die Armut mit sich bringt, wiegen die gesundheitlichen Auswirkungen besonders schwer. Dass armutsbetroffene oder armutsgefährdete Erwachsene und Kinder besonders häufig auch gesundheitliche Probleme haben, das ist durch zahlreiche Studien hinlänglich bewiesen. Diesen Zusammenhang kennen wir nicht erst seit zwei Wochen.

Erkrankungen wie Diabetes, chronische Angststörungen, Depressionen, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in einkommensschwachen Familien weitaus stärker verbreitet als in jenen mit höherem Einkommen. Wenn Familien nicht genügend Geld zur Verfügung haben, um sich gesunde Lebensmittel leisten zu können, dann wirkt sich das natürlich auch auf die Gesundheit aus. Wer sich ungesund ernährt, ist oft von Übergewicht betroffen. Bewegungsmangel gesellt sich dann zu den Risikofaktoren für ganz viele weitere Erkrankungen.

Die psychische Belastung, die Armut mit sich bringt, kann jemand, der selbst nie betroffen war, möglicherweise nur schwer nachvollziehen. Betroffene Personen haben auch unterschiedliche Bewältigungsressourcen und Erholungsmöglichkeiten. Sie fahren weniger oft auf Urlaub, können sich zum Beispiel keine Physiotherapie leisten und so weiter.

Diese Ungleichheiten haben auch Auswirkungen bis hin zur Lebenserwartung. Einkommensstärkere Frauen mit einer guten Ausbildung leben 2,8 Jahre länger, solche Männer sogar 6,2 Jahre. Einkommensschwache Personen haben nicht nur eine geringere Lebenserwartung, sie verbringen die letzten Jahre auch oft in einem schlechteren Gesundheitszustand. All das betrifft 200 000 Menschen in Österreich in besonders hohem Maß, weitere 1,5 Millionen Menschen sind armutsgefährdet.

Jetzt kann man es angesichts dieser Fakten und Zahlen so handhaben wie die Sozialdemokratie. Man kann alle Maßnahmen, die die Regierung gegen Kinderarmut in die Wege geleitet hat und in die Wege leitet, zerpflücken, bis aus Sonderzahlungen und Einmalzahlungen Almosen werden, nur wahrer wird es dadurch nicht. Man kann sie in Einzelteile zerlegen und sich über die 2 Euro pro Tag echauffieren, man kann alle möglichen anderen Forderungen, seien sie auch noch so vernünftig, vor sich hertragen und sie quasi als Bedingung oder Voraussetzung für eine Zustimmung zu diesem Paket dranhängen.

Oder man kann die Gesamtheit der Maßnahmen als das anerkennen, was sie sind, nämlich ein wirkungsvoller und treffsicherer Schritt zur Reduzierung von Kinderarmut in Österreich (Bundesrätin Schumann: Und Danke sagen wäre auch noch schön! Sollen wir auch noch Danke sagen?), und sie unterstützen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Das Paket gegen Kinderarmut, dessen zweiten Teil wir heute beschließen, wird von Expertinnen und Experten durchwegs begrüßt. Auch NGOs attestieren eine hohe Treffsicherheit, wie auch der Budgetdienst. Ich habe das in unserer letzten Sitzung bereits ausgeführt, und noch einmal zur Erinnerung – mit weniger Zahlen, vereinfacht –: Die 500 Millionen Euro dieses Pakets gehen zu 30 Prozent an die Personen mit den niedrigsten Einkommen.

Wir nehmen weitere armutsgefährdete Gruppen in den Bezieher:innenkreis auf: Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Mindestpensionist:innen sowie Alleinerziehende und Alleinverdienende mit einem monatlichen Einkommen unter 2 000 Euro.

Da es anscheinend letztes Mal nicht so angekommen ist – Kollege Babler ist jetzt nicht da –, Sie waren in der letzten - - (Bundesrätin Schumann: Doch! Er ist da!  –Bundesrat Babler – im hinteren Teil des Saales stehend –: Ich bin da! ...!) – Sie sind eh da. – Sie waren in der letzten Sitzung vielleicht ein bisschen abgelenkt (Bundesrätin Schumann: Er ist doch da!): Zusammen mit der Indexanpassung der Familienbeihilfe, die wir letzten Herbst beschlossen haben, bekommen betroffene Familien zwischen 2022 und 2024 knapp 90 Euro mehr pro Kind. Das bedeutet zum Beispiel für Familien mit drei Kindern insgesamt an die 270 Euro mehr pro Monat.

Weil hinter Zahlen und Statistiken immer Menschen stehen: Ich kann aus eigener Erfahrung sagen – als fünfköpfige Familie war es vor einigen Jahren bei uns finanziell auch oft eng –, dass diese 270 Euro mehr im Monat uns sehr geholfen hätten. Sie hätten ermöglicht, dass unsere Kinder ohne Unterstützung durch Elternvereine an Sportwochen oder Pfadfinderlagern teilnehmen können. Wir hätten damit unseren Kindern Saisonkarten für den Badeteich kaufen können, da sich selbst Low-Budget-Urlaube nur sehr selten ausgingen. (Bundesrätin Schumann: Da war eine bisschen andere Inflation, oder?)

Die 270 Euro im Monat hätten uns ermöglicht, unseren Kindern jeden Tag, auch am Monatsende, eine gesunde Jause in die Schule mitzugeben, und um die 270 Euro im Monat hätten wir unseren Kindern Weihnachtsgeschenke kaufen können, ohne auf Weihnachtsaktionen unserer Gemeinde angewiesen zu sein.

Schauen wir uns im Vergleich dazu einmal an, was bei dem von der SPÖ vorgeschlagenen Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel bei armutsbetroffenen Familien ankommen und wie viel das kosten würde! Dieses Aussetzen der Mehrwertsteuer würde 600 Millionen Euro kosten. Mieter:innen, Haushalten in der unteren Einkommenshälfte würde das pro Kopf 130 Euro pro Jahr bringen. Unser Paket gegen Kinderarmut bringt bei zwei Kindern in etwa den gleichen Betrag pro Monat. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Bundesrat Kornhäusl: Mit Zahlen haben sie es nicht so!) – Ja, haben sie es nicht so. Zahlen, ich weiß, das ist ein bisschen schwierig, deswegen wiederhole ich es noch einmal. (Bundesrätin Schumann: Aber das ist nicht die Inflation dämpfen, Frau Bundesrätin! Sie haben es leider nicht mitgekriegt! Oh Gott!)

Das hat übrigens das Momentum-Institut ausgerechnet – nur zur Einordnung für euch. Selbst wenn es gelingt, sicherzustellen, dass die Konzerne das Aussetzen der Mehrwertsteuer tatsächlich an die Konsument:innen weitergeben, was ja bereits jetzt gesetzlich vorgesehen ist, so wären Haushalte mit niedrigeren Einkommen zwar etwas stärker entlastet, dennoch wäre es ein Musterbeispiel für das Gießkannenprinzip, weil eben nicht nur armutsbetroffene Personen und Familien begünstigt werden und das eben nicht in erster Linie geeignet ist, um treffsicher gegen Armut vorzugehen.

Dann heißt es immer wieder, das Paket mit den 60 Euro wären Almosen und die Menschen würden zu Bittstellertum genötigt werden. Ich verstehe nicht: Was ist daran nicht zu verstehen, dass der gesetzlich verankerte Anspruch kein Almosen ist? Automatische, antragslose Überweisung, kein Bittstellertum, kein Bitten und Betteln – also bitte verbreitet keine Unwahrheiten! (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Bundesrat Kornhäusl: Bravo!)

Gerade jetzt brauchen wir sozialpolitische Maßnahmen, die akut helfen und bei den Menschen gezielt ankommen, die es brauchen, und langfristige Perspektiven bieten. Diese langfristigen Perspektiven schaffen wir bis Ende 2024.

Wir haben heute von meiner Kollegin Gruber-Pruner gehört, dass es eine Schande sei, dass Österreichs Bildungssystem die Nachhilfeindustrie fördert. Zur Erinnerung: 2007 bis 2016 hat die SPÖ die Bildungsminister gestellt. (Bundesrätin Schumann: Geh bitte!) Grundsätzlich wäre es uns auch am liebsten, wenn Kinder und Jugendliche Nachhilfe überhaupt nicht bräuchten (Bundesrätin Schumann: Genau! Die Elisabeth Gehrer hat ...! – Zwischenruf des Bundesrates Babler), weil Schule gut ist und alle Kinder mitnimmt. Es ist aber Realität, dass Nachhilfestunden gebraucht werden, und wir bauen die kostenlosen Angebote aus. Das ist ganz wichtig für Familien und ein Schritt in Richtung Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen. (Bundesrätin Schumann: Genau!)

Damit wird geholfen, der Betrag für den Gutschein betreffend das Projekt Schulstartklar – haben wir schon gehört – wird verdoppelt. Da ist, finde ich, eine Ausgewogenheit zwischen Geld- und Sachleistungen gelungen. Der Förderbetrag des Projektes Schulstartklar wird zweimal pro Schuljahr ausgegeben; die Gutscheine können auch für Kleidung, Schuhe, Hygieneartikel und Ähnliches verwendet werden.

Also ehrlich gesagt: Ich verstehe nicht, warum die Sozialdemokratie, die sich gerade auf die Fahnen heftet, sich unermüdlich für die Rechte und Anliegen von Kindern einzusetzen, diesem Paket offensichtlich wieder nicht zustimmen wird. Es ist eine Sache, wenn ihr findet, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, dass wir mehr brauchen, dass ihr zusätzliche fordert. Beispielsweise die Kindergrundsicherung: Es wird euch nicht verwundern, wenn ich euch sage, dass wir die auch gut fänden. Ja, aber dafür brauchen wir Mehrheiten, die wir derzeit nicht haben.

Ich lade euch noch einmal dazu ein, zu überdenken, ob ihr diesem gelungenen, treffsicheren Paket wirklich nicht zustimmen wollt, nur weil eure Forderungen keine Mehrheit finden. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.59

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Doppler. – Bitte, Frau Kollegin.