17.52

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Es ist unerträglich, unbegreiflich, was viele Frauen und auch Mädchen in unserem Land an Gewalt erleiden müssen. Es lässt mich in jedem einzelnen Fall fassungslos und tief bestürzt zurück. Niemand von uns kann sich vorstellen, was solche Taten mit dem Leben jeder einzelnen betroffenen Frau, jedes einzelnen betroffenen Mädchens machen, und auch mit den Müttern dieser Mädchen, die erkennen müssen, dass sie ihr eigenes Kind nicht vor solchen Verbrechen schützen konnten. Keine Gewaltanwendung, kein Übergriff, keine Vergewaltigung, kein einziger Mord kann auch nur irgendwie gerechtfertigt werden und wir verurteilen jede einzelne Tat. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und Grünen.)

Angesichts des Problems, das wir in Summe, das wir als Gesellschaft in Österreich im Bereich Gewalt an Frauen und Mädchen haben, kann man nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir haben ein großes Problem. Meine Vorrednerin hat gesagt, es wird so viel getan. Tatsache ist aber, dass die Gewalt zunimmt, und das bedeutet auch, dass die gesetzten Maßnahmen offenbar nicht genug oder nicht die richtigen sind. Das muss man sich auch irgendwann eingestehen.

Ich frage mich jedes Mal, wenn wir mit so einem Verbrechen konfrontiert werden – und ich glaube, das müssen wir alle tun –: Wie hätte diese Tat, dieses Verbrechen an dieser Frau, an diesem Mädchen verhindert werden können? Was hätte getan werden müssen, angeboten werden müssen, damit sich dieses Mädchen Hilfe holen hätte können? Wo waren die bestehenden Angebote doch noch zu hochschwellig? Wo war die Lücke im System? Woran hätte man eventuell auch erkennen können, erahnen können, dass die Täter diese Handlungen setzen werden? Hätte vorher eingegriffen werden können? – All das sind die entscheidenden Fragen, die wir uns bei jedem einzelnen Fall stellen müssen.

Aus unserer Sicht sind es genau diese drei Dinge: Wie hätte man das Opfer besser schützen können? Was müsste passieren, um solche Taten zukünftig zu verhindern? Was müssen wir tun, damit so etwas nicht mehr passiert?

Wenn man sich die unterschiedlichen Verbrechen ansieht, sieht man, dass sie zu unterschiedlich sind, als dass eine einzige Lösung alles lösen würde. Wir müssen an mehreren Stellen ansetzen, um die Opfer zu schützen und zu vermeiden, dass so etwas wieder passiert. Da muss es ein ganzes Bündel an wirkungsvollen Maßnahmen geben, die für mehr Schutz für die Opfer sorgen. Natürlich muss es auch Konsequenzen für die Täter geben, natürlich muss denen verständlich, begreiflich, bewusst gemacht werden, dass das nie, nie und nie akzeptabel ist und nie konsequenzlos bleiben wird.

Aber ehrlich: Viel haben diese Regierung und vor allem auch die türkis-blaue Regierung davor nicht getan, um solche Verbrechen tatsächlich zu verhindern. Im Gegenteil! Was wurde eigentlich in den letzten Jahren gemacht? – Ich möchte daran erinnern: Unter der türkis-blauen Bundesregierung wurde ein funktionierendes Modell zum Umgang mit jugendlichen Straftätern abgeschafft. Erinnern Sie sich alle an den Jugendgerichtshof: ein Erfolgsmodell, für das wir internationale Achtung bekommen haben. Viele Staaten haben uns das nachgemacht. Da wurde wirkungsvoll mit den jungen Tätern gearbeitet, damit ihre Tat Konsequenzen hat und damit sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Unter den letzten Regierungen wurde es aber auch massiv verabsäumt, die soziale Arbeit auszubauen, obwohl es so offensichtlich ist, wie viele Stellen in diesem Bereich aktuell nicht besetzt werden können.

Unter den letzten Regierungen wurde außerdem die Kinder- und Jugendhilfe ausgehungert. Bei jeder schrecklichen Tat wird der Ruf nach mehr Ressourcen für die Kinder- und Jugendhilfe laut, leider immer zu spät. Es ist ganz klar, dass angesichts der personellen Ausstattung in diesem Bereich keine lückenlose, wirkungsvolle Betreuung von problematischen Familien und ihren Kindern stattfinden kann. Hat man dagegen etwas getan? – Nein.

Unter den letzten Regierungen wurde außerdem der Hilferuf aus der Psychiatrie ignoriert. Wir alle erinnern uns an die offenen Briefe aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie an die Regierung.

Nicht zuletzt wurde auch die Polizei personell ausgedünnt.

Wie erklärt man der Bevölkerung angesichts all dieser Vorfälle diese Situation? Und was machen jetzt die FPÖ und teilweise auch die schwarze Fraktion, die ÖVP, die dafür mitverantwortlich war? – Sie machen es sich zu leicht, wenn sie die Senkung des Strafalters als die Lösung verkaufen. (Zwischenrufe der Bundesrät:innen Doppler und Pröller.)

Eine Maßnahme allein kann dieses komplexe Problem nicht lösen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie tun so, als wäre das eindimensional und als könnte man das mit einer eindimensionalen Maßnahme lösen. Dabei wissen Sie ganz genau – oder ich hoffe zumindest inständig, dass Sie es eigentlich wissen –, dass die Welt nicht so eindimensional ist und man mit dieser Antwort – Herabsetzung der Strafmündigkeit – nicht alles erledigt. (Bundesrat Himmer: Aber wenn man es nicht macht, ist auch nichts erledigt! Da sind wir uns schon einig, oder?)

Ich möchte es gerne einmal mit Ihnen durchdenken: Was passiert, wenn diese Kinder tatsächlich eingesperrt werden? Wie lange würde man sie denn einsperren? Würde man sie zu den kriminellen Erwachsenen stecken? (Bundesrat Spanring: Das ist ja verboten!) Was wäre, wenn sie wieder herauskommen? Glauben Sie wirklich, dass diese Kinder bessere Menschen werden?

Angenommen, wir ziehen die ganz jungen Straftäter aus dem Verkehr (Bundesrat Spanring: Nicht aufgepasst, setzen, fünf!) – aus den Augen, aus dem Sinn –: Wie genau soll das zukünftige Taten verhindern? Das ist keine wirkliche Lösung, das ist Augenauswischerei. (Beifall bei SPÖ und Grünen.) Was passiert denn mit jungen Straffälligen in Gefängnissen? – Oft werden sie dort erst recht radikalisiert. Und was ist, wenn sie dort wieder rauskommen, ohne umfassendes Resozialisierungsprogramm, ohne Therapie, ohne Behandlung, die der Jugendgerichtshof damals vorgesehen hätte? – Es wird nicht besser sein als vor dem Strafvollzug.

Wir haben mit vielen, vielen Expert:innen gemeinsam umfassende Lösungen und Ansatzpunkte erarbeitet, die wir anbieten können, und wir fordern einen auf höchster Ebene einberufenen Round Table zum Thema Kriminalität von Kindern, um all diese Expertise zu sammeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich sage es noch einmal: Der Fokus muss dabei wie immer sein: Wie können wir die Opfer schützen und wie können wir Straftaten von jungen Menschen verhindern? Wir sagen als SPÖ schon ganz klar: Stellen wir uns dem Problem! Stellen wir uns den Tätern! Dafür braucht es eine ganz enge Kooperation. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Dafür braucht es Fallkonferenzen unter Einbeziehung von Polizei, Psychiatrie, Sozialarbeit, Bildungsinstitutionen (Bundesrat Spanring: Das passiert ja eh alles!) und natürlich den betroffenen Familien und Jugendlichen selbst. (Bundesrätin Doppler: Genau, das erzählst jetzt mal den Eltern ...!)

Die müssen in einer sehr, sehr intensiven Auseinandersetzung mit jedem einzelnen jungen Täter zusammenfinden und Maßnahmen festlegen: Maßnahmen, die verdeutlichen, dass jemand ein Verbrechen begangen (Bundesrat Spanring: ... Praxis ...!) und unglaubliches Leid verursacht hat, dass jemand in seinem Leben tatsächlich etwas ändern muss, um eine Zukunft zu haben, ohne mit dem Gesetz im Konflikt zu stehen. Dafür muss der Bund Ressourcen bei der Polizei, bei der Kinder- und Jugendhilfe und bei der sozialen Arbeit aufstocken – das muss uns auch klar sein. (Präsidentin Göll übernimmt den Vorsitz.)

Wir haben einen umfassenden Antrag vorbereitet, der den bestmöglichen Schutz der Opfer und die sinnvollsten Konsequenzen für die Täter benennt. Ich stelle daher folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Bundesrätinnen Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „jugendliche Straftäter: Gewalt verhindern und Opfer wirksam schützen – Täterkarrieren stoppen!“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat und dem Bundesrat umgehend Vorlagen zuzuleiten, mit denen sie schwarz-blaue Fehler repariert, die Gesellschaft wirksam schützt und mit zukunftsweisenden Maßnahmen für weniger Jugendkriminalität sorgt, statt Verbrecherkarrieren zu fördern. Dazu zählen auf jeden Fall die folgenden Maßnahmen:“

Im ersten Teil geht es darum, Opfer endlich wirksam zu schützen. Es geht um den Ausbau und die Verstärkung der individuellen Opferbetreuung, und zwar juristisch, psychosozial und gesundheitlich.

Es geht zweitens um den Ausbau und die Verstärkung des individuellen Schutzes von Opfern, beispielsweise durch Annäherungs- und Kontaktverbote für Täter.

Es geht drittens um Gewaltambulanzen in jedem Bundesland. In diesen Ambulanzen soll durch Expert:innen für Gewaltdelikte möglichst früh geholfen, richtig versorgt und beraten werden können. Diese Ambulanzen haben die Aufgabe, Beweise zu sichern und damit die Aufklärungs- und Verurteilungsquote zu erhöhen sowie den Opfern durch ordentliche Beweissicherung mehrfache Aussagen zu ersparen.

Viertens: bundesgesetzliche Einführung und Finanzierung von kleinstrukturierten sozialpädagogischen beziehungsweise psychiatrischen Wohngemeinschaften für Zwölf- bis 14-Jährige mit Ausgangsbeschränkungen als Ultima Ratio, in denen eine 24-Stunden-Betreuung zur Verfügung steht, und zwar außerhalb des strafrechtlichen Systems.

Im zweiten Teil geht es für uns um vernünftige Konzepte für die Zukunft. Eine Maßnahme: sofortige Verbesserung von Qualität und finanzieller Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe, um Interventionen in prekäre Familienverhältnisse zu ermöglichen und Eltern von gewaltbereiten Jugendlichen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Weiters geht es um den Ausbau von Resozialisierungsprogrammen für junge Straftäter, den Ausbau und die Finanzierung der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Entwicklung von Diversionsprogrammen unter Wahrung der Menschenrechtsnormen, um mit jugendlichen Straftätern umzugehen, ohne ein Strafverfahren einzuleiten.

Weiters geht es um die Wiedereinrichtung des Jugendgerichtshofes beziehungsweise von Jugendkompetenzzentren auf Ebene der Landesgerichte.

Es geht weiters um die Einrichtung eines permanenten Krisenstabes unter Einbeziehung von Expert:innen der Kinder- und Jugendhilfe, von Polizei und Justiz, Opferschutzeinrichtungen und der sozialen Jugendarbeit; um die Etablierung eines engmaschigen Betreuungsnetzes und Fallkonferenzen unter Einbeziehung von Polizei, Kinder- und Jugendhilfe, Opferschutzeinrichtungen und allfälliger weiterer relevanter Player.

Es geht uns um die Pflichtausbildung und Sensibilisierung in Sachen Kinder- und Jugendschutz für alle betroffenen Berufsgruppen sowie mit entsprechenden Ressourcen ausgestattete Kinderschutzteams in allen pädagogischen Einrichtungen.

Es geht um den Ausbau digitaler Grundbildung beziehungsweise der Medienkompetenz und Maßnahmen gegen Gewalt und sexualisierte Gewalt im Internet.

Es geht weiters um Maßnahmen für mehr Fachpersonal, beispielsweise bei den Sozialarbeiter:innen, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, bei Psycholog:innen, in der Sozialpädagogik und so weiter.

Es geht um eine österreichweite massive Aufstockung und faire Verteilung der Studienplätze in den Fächern Soziale Arbeit und Sozialpädagogik – wir hatten das Thema heute schon –, einen Schwerpunktausbau im Fachbereich Schulsozialarbeit und die Öffnung des Arbeitsfeldes für Quereinsteiger:innen.

Es geht um die Zurverfügungsstellung und bundesweite Finanzierung des Auf- und Ausbaus multiprofessioneller Teams inklusive Schulpsycholog:innen für jeden Schulstandort, analog dem Schulärzt:innensystem, um Schüler:innen regelmäßig betreuen zu können und präventiv tätig zu werden.

Es geht weiters um den Ausbau der Burschenarbeit in Bildungseinrichtungen und in der aufsuchenden Sozialarbeit, um die Einrichtung und finanzielle Ausstattung von Fair-Play-Teams in allen Bezirken unter Berücksichtigung besonderer Formate für Burschen mit Migrationshintergrund.

Es geht auch um ein flächendeckendes Angebot der gewaltpräventiven Zusammenarbeit von Polizei und Sozialarbeit mit allen Bildungseinrichtungen sowie um regelmäßige Schwerpunktaktionen mit Fokus Jugendbanden.

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Es gibt viel zu tun, es gibt viele Ansätze. Wir müssen es nur wollen und tatsächlich tun. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

18.07

Präsidentin Margit Göll: Der von den Bundesräten Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „jugendliche Straftäter: Gewalt verhindern und Opfer wirksam schützen – Täterkarrieren stoppen!“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Elisabeth Kittl. – Bitte.