2602/J-BR/2008

Eingelangt am 18.02.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Bundesrätin Kerschbaum, Freundinnen und Freunde

an Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Atomhaftpflicht: geltende int. Regelungen, Haftpflichtfall mit negativen Auswirkungen auf Österreich.

Am 1. Jänner 1999 trat das Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Radioaktivität (Atomhaftungsgesetz 1999 - AtomHG 1999, BGBl Nr. I 170/1998) in Kraft und ersetzte damit das aus den 60er Jahren stammende Atomhaftpflichtgesetz. Das Gesetz regelt die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die durch ionisierende Strahlung von Kernanlagen, Kernmaterial oder Radionukliden an Menschen oder Sachen verursacht werden.

Das AtomHG 1999 sieht ein unterschiedliches Haftungsregime für Betreiber von Kernanlagen und Beförderer von Kernmaterial einerseits sowie für die Verwendung von Radionukliden andererseits vor. Die einschlägigen Bestimmungen stimmen allerdings nicht mit internationalen Atomhaftungskonventionen überein. Durch diesen nationalen Alleingang ist also, wie auch die Erläuterungen zum Gesetz ausführen, die effektive Erlangung von Entschädigungen mangels Sicherstellung der Durchsetzung nicht gewährleistet.

Gemäß § 30 ATHG 1999 hat die Bundesregierung dem Nationalrat spätestens zum 31. Dezember 2001 und in der Folge alle drei Jahre über die Entwicklung der internationalen Haftungsinstrumente für Atomschäden, insbesondere über das Ausmaß der auf internationaler Ebene zur Verfügung stehenden Entschädigungsbeträge, Bericht zu erstatten.

 

Die Atomhaftungskonventionen[1] gewährleisten zur Zeit weder eine ausreichende Prävention für die durch den Betrieb von Atomanlagen verursachten Umweltrisiken, noch eine angemessene Sanierungsverpflichtung für eingetretene Schäden. Die Herausnahme der Atomanlagen aus einer umfassenden Haftpflichtversicherung stellt daher ein sachlich nicht gerechtfertigtes Privileg dieses Wirtschaftszweiges dar. Dies wurde auch durch eine Präsentation anlässlich der ECOSA-Conference vom 21. April   2005   unterstrichen.   Der   Mitarbeiter  der   Europ.   Kommission,   Christian einzelnen Staaten innerhalb der Europäischen Union sehr unterschiedlichen Haftpflichtregelungen unterworfen sind[2].

Studien im Auftrag der Europäischen Kommission kommen zu der Schlussfolgerung, dass die bislang nicht internalisierten Kosten möglicher schwerer Unfälle, einem Mehrfachen der derzeitigen Erzeugungskosten entsprechen. So muss auf folgende Schlussfolgerungen aus einer einschlägigen Studie aus 2003 hingewiesen werden: To understand these effects, the current price of 2.5 c/kWh nuclear power and the elevated price (including the calculated premiums) of 7.5 c/kWH should be compared by with current prices for electricity generated by other means. The average price of electricity ranges from 4 to 5 c/kWh with new modern coal or gas powered plants in a Iower range of about 3.2 c/kWh to 5.1 c/kWh. Compared to the above-calculated 7,5 c/kWh, nuclear power would become extremely uneconomic and be replaced by any of the aforementioned energy sources.[3]

In Ihren Mitteilungen vom 12.12.2007 hat die Europäische Kommission[4] auf die ungenügenden finanziellen Vorsorgen für die Abwrackung bestehender Kernkraftwerke in Staaten der Europäischen Union hingewiesen. Diese Kostenschätzungen beinhalten zudem nicht die erforderlichen Kosten für die Einrichtung von Endlagern für radioaktive Abfälle. Somit ist auch für diesen Bereich klar dokumentiert, dass die derzeitigen Stromerzeugungskosten aus Kernkraftwerken nur ungenügend die notwendigen Kosten beinhalten und somit eine Marktverzerrung besteht.

Die Europäische Kommission hat im Jänner 2008 ihre Vorschläge zum Klimaschutz unterbreitet, wonach Kohlendioxidemittierende Stromerzeugungsanlagen ab 2013 ihre Verschmutzungsrechte ersteigern sollen. Da Kernkraftanlagen nur geringe Kohlendioxidemissionen aufweisen (die nicht unerheblichen CO2-Emissionen des Uran-Abbaus und der Aufbereitung fallen ja nicht direkt im Kraftwerk an) wird Kernenergie durch die Regelungen zum Klimaschutz noch zusätzlich begünstigt.

Im Interesse der Republik Österreich und auch im Interesse der Österreichischen Stromproduzenten wäre diese vielfache Marktverzerrung im Bereich der Atomenergie unbedingt zu beseitigen.

In periodischen Abständen erfolgen Konferenzen der Signatarstaaten zur Konvention über nukleare Sicherheit und zur Konvention über die Entsorgung radioaktiver

 


Abfälle. Die Delegationsleitung der jeweiligen österreichischen Delegation wird vom BMEIA vorgenommen.

Das  BMEIA stellt  auch  die  Delegationsleitung  zu  den jährlich  stattfindenden bilateralen Sitzungen mit Nachbarsstaaten zu den Nuklearinformationsabkommen.

Die unterfertigten BundesrätInnen stellen daher folgende

ANFRAGE:

1.  Wann hat die Bundesregierung dem Nationalrat einen Bericht gemäß §30 ATHG 1999 vorgelegt?

2.             Für wann ist eine weitere Berichtsübermittlung an den Nationalrat vorgesehen?

3.             Welche Bundesministerien haben an den bislang erstellten Berichten in welcher Form mitgewirkt?

4.             In welchen internationalen, mit Atomhaftpflichfragen befassten, Gremien wurde das Österr. Atomhaftpflichtgesetz 1999 seit seinem Inkrafttreten vorgestellt?

5.             Wurden seit Inkrafttreteten des AtomHG 1999 Verhandlungen mit Nachbarstaaten angestrebt bzw. durchgeführt, die zu einer Anerkennung des österr. AtomHG durch den jeweiligen Nachbarstaat führen sollten. Wenn ja, wann mit welchen Staaten und mit welchem Ergebnis. Wenn nein, warum nicht?

6.             Wurden seit Inkrafttretetens des AtomHG 1999 Verhandlungen auf EU-Ebene angestrebt bzw. durchgeführt, die zu einer Anerkennung des österr. AtomHG durch die EU führen sollten. Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis. Wenn nein, warum nicht?

7.             Wurde seit Inkrafttretens des AtomHG 1999 die Frage der Nuklearhaftung im rahmen der jährlich stattfindenden bilateralen Treffen zu den Nuklearinformationsabkommen explizit zur Sprache gebracht und wenn ja, bei welchen Treffen mit welchen Ländern?

8.             Hat das BMEIA seit Inkrafttretens des ATOMHG 1999 in schriftlicher Form bei einem Nachbarstaat, welcher Kernkraftwerke betreibt bzw. welcher den Bau von selbigen beabsichtigt; auf eine völkerrechtlich verbindliche vertragliche bilaterale Regelung zur Haftungsfrage im Falle eines grenzüberschreitend relevanten radiologischen Ereignisses gedrängt und wenn ja, wann bzw. wenn nein, warum nicht?

9.             Hat das BMEAI speziell bezüglich der offenen sicherheitstechnischen Fragen zum Atomkraftwerk Temelin in diplomatischen Noten, diplomatischem Schriftverkehr bzw. im Rahmen regulärer diplomatischer Kontaktnahmen die Frage der Nuklearhaftung angesprochen und um eine einschlägige bilaterale


Lösung angefragt, respektive einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet? Wenn ja, wann und mit welcher Antwort. Wenn nein, warum nicht?

10.           Wann wurde seit Inkraftretens des AtomHG 1999 versucht, zusammen mit anderen nuklearkritischen Staaten Europas einen gemeinsamen Standpunkt zur Frage der Nuklearhaftung auszuarbeiten und diesen in den einschlägigen Beratungs- und Entscheidungsgremien der EU zur Abstimmung zu bringen? Zu welchen Punkten einer notwendigen Verbesserung des nuklearen Haftpflichtregimes konnte mit welchen Staaten Übereinstimmung erzielt werden?

11.           Sollte ein radiologischer Notfall aufgrund eines Unfalls in einer Kernanlage auf dem Gebiet der Europäischen Union eintreten, welcher zu einer negativen Beeinträchtigung Österreichs führen würde:

a.   Mit welchen Schadenskosten ist, mit besonderer Beachtung auf die seit mehreren Jahren abgegebenen Stellungnahmen zu grenzüberschreitenden UVP-Verfahren zu Kernanlagen, zu rechnen?

b.   Können Sie hier eine Abschätzung gewichtet nach Ausmaß radioaktiver Deposition und Jahreszeit abgeben, sodass Produktionsausfälle in Landwirtschaft, Gewerbe, Industrie abgeschätzt werden können?

c.   Mit welchen kurz- mittel- und langfristigen Kosten muss konservativ abgeschätzt kalkuliert werden?

12.           Vor dem Hintergrund der Bestimmungen des AtomHG 1999 und der aktuellen Eigentümerstruktur, insb. Unternehmen mit Sitz in Österreich betreffend , an denen mittel- und/oder unmittelbar, Unternehmen beteiligt sind, welche lt. AtomHG 1999 haftpflichtig sein könnten: In welcher Höhe belaufen sich die im Haftungsfall lukrierbaren Finanzmittel im Inland bei welchem Unternehmen?

13.           Es ist begrüßenswert, dass Österreich (vor allem auch aufgrund der negativen Erfahrungen infolge des Unfalls im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl) zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung setzt. Neben dem Betrieb eines sehr dichten Strahlenfrühwarnsystems werden Vorkehrungen zum Gesundheitsschutz (insb. Jodidtablettenbevorratung) getroffen. Dazu kommt die Planung und Erprobung von Maßnahmen im Bereich des Strahlenschutzes, welche vorrangig mit einem entsprechenden radiologischen Ernstfall in Zusammenhang zu sehen sind. Die Kosten für diese Maßnahmen zur Risikominimierung werden laufend aus Bundesbudgetmitteln bezahlt.

Wurde jemals versucht, diese Kosten den Gefahrenverursachern in Rechnung zu stellen, bzw. auf bilateraler und/oder EU-Ebene hierfür eine Gegenfinanzierung sicherzustellen? Wenn ja wann und mit welchem Ergebnis. Wenn nein, warum nicht?

14. Die Kernenergieerzeugung wird in der EU aufgrund uneinheitlicher und viel zu geringer Haftpflichten marktverzerrend begünstigt. Sind Ihnen Untersuchungen bekannt, welche das monetäre Ausmaß der Begünstigung


pro erzeugter Kilowattstunde, zum Gegenstand haben. Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

15.          Wurde seitens der österreichischen Delegationen, für welche das BMEIA jeweils die Delegationsleitung stellte, bei den bisherigen Vertragsstaatenkonferenzen zur Konvention über Nukleare Sicherheit und/oder zur Konvention über radioaktive Abfallentsorgung die Thematik der Nuklearhaftung zur Sprache gebracht?

16.          Hat das BMEI anlässlich der Vertragsstaatenkonferenzen zur Konvention über Nukleare Sicherheit und/oder zur Konvention über radioaktive Abfallentsorgung in einem eigenen Dossier auf die für Österreich besonders ungünstigen Reglungen zur Nuklearhaftung von Konventionsmitgliedsstaaten explizit hingewiesen. Wenn ja wann? Wenn nein, warum nicht?

17.          Hat das BMEIA auf die Notwendigkeit der Darstellung der Haftungsproblematik in den nationalen Länderberichten hingewiesen, da bislang diese in nur ungenügender Form auf die grenzüberschreitende Relevanz eingehen. Wenn ja, in welcher Form können entsprechende Initiativen Österreichs dokumentiert werden. Wenn nein, warum nicht?



[1] Pariser Übereinkommen 1982 ("Übereinkommen vom 29.7.1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982" dBGBI 1985 II 964); Brüsseler Zusatzprotokoll 1982 ("Zusatzübereinkommen vom 31.1.1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29.7.1960 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982" dBGBl 1985 II 970); Wiener Übereinkommen 1963 ("Convention on Civil Liability for Nuclear Damage" vom 21.5.1963, IAEA INFCIRC/500); Gemeinsames Protokoll 1988 (Joint Protocol relating to the application of the Vienna Convention and the Paris Convention" vom    21.9.1988,    IAEA   INFCIRC/402);    Entschädigungsmit-telübereinkommen    1997   (Convention   on    Supplementary Compensation   for   Nuclear   Damage"   vom   12.9.1997,   IAEA   INFCIRC/567);   Brüsseler   Seetransport-Übereinkommen (Convention Relating to Civil Liability in the Field of Maritime Carrige of Nuclear Material" vom 17.12.1971, 944 UNTS 255, IAEA, Legal Series No 4 (Revised 1976 Edition) 55 ff), Brüsseler Reaktorschiffs-Übereinkommen 1962 (Convention on the Liability of Operators of Nuclear Ships" vom 25.5.1962, IAEA, Legal Series No 4 (Rev 1976 Ed) 34 ff; Wiener Zusatzprotokoll 1997 (Protocol to amend the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage" vom 12.9.1997, IAEA INFCIRC/566). Änderungsprotokolls zum Pariser Übereinkommen 1982 zur Diskussion (NEA/LEG/CPPC(98)10/FINAL).

[2] Best Practice Risk Assessment in Consumer Safety ECOSA Conference Edinburgh, April 21-22, 2005; Christian Kirchsteiger, European Commission, DG JRC Institute for Energy, Petten, NL christian.kirchsteiger@jrc.nl

[3] Environmental harmful support measures in EU Member States B.A. Leurs, R.C.N. Wit (CE, Delft), G.A. Harder, A. Koomen, F.H.J. Kiliaan (Ernst & Young Rotterdam), G. Schmidt (Öko Institut, Darmstadt) Report for the DG Environment of the European Commission

Delft, January 2003

[4] COM(2007) 794 final COMMUNICATION FROM THE COMMISSION TO THE EUROPEAN PARLIAMENT AND THE
COUNCIL

Second Report on the use of financial resources earmarked for the decommissioning of nuclear installations, spent fuel and radioactive waste

{SEC(2007) 1654}; Brussels, 12.12.2007 SEC(2007) 1654 COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT "EU DECOMMISSIONING FUNDING DATA" Document accompagnying the COMMUNICATION FROM THE COMMISSION TO
THE EUROPEAN PARLIAMENT AND THE COUNCIL Second Report on the use of financial resources earmarked for the decommissioning of nuclear installations, spent fuel and radioactive waste {COM(2007) 794 final}