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der Abgeordneten Petrovic, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend Abhaltung einer VoIksabstimmung über die "immerwährende Neutralität"

Österreichs

 

 

 

 

 

 

Bundeskanzler Vranitzky hat in der Beantwortung der Dringlichen Anfrage betreffend der

" immerwährenden Neutralität" Österreichs der Abg. Kammerlander, Petrovic, Freundinnen

und Freunde gemeint, daß "die Aufgabe der Neutralität nicht zur Diskussion" stünde. " Es

erübrigt sich daher, Überlegungen in bezug auf die Durchführung einer Volksabstimmung

anzustellen " , antwortete der Bundeskanzler am 10. Juli 1996.

 

Im Gegensatz dazu meinte der SPÖ-Spitzenkandidat für die EuropawahIen noch ein Monat

vorher, am 11.06.1996: " Österreich hat keine Berührungsängste mit sicherheitspolitischen

NATO-Kooperationen. "

 

In der Folge der Dringlichen Anfrage der Grünen wurde während der Sommermonate eine

Diskussion über den Beitritt zu NATO oder WEU geführt. Gegen Ende August hat der

Bundeskanzler gegenüber dem "Standard" (28.08.96) eine Konkretisierung seiner Position

in folgender Weise vorgenommen : " Grundsätzlich müßte eine Volksabstimmung ins Kalkül

gezogen werden, wenn es um ein tragendes Element des politischen Selbstverständnisses

Österreichs und seiner Bürger geht. " Bereits im Juli 1996 trat Nationalratspräsident Fischer

für eine Volksabstimmung im FaIle eines NATO oder WEU-Beitrittes aus

demokratiepolitischen Erwägungen ein. Auch der Vorarlberger Landeshauptmann Purtscher

und der 2. Nationalratspräsident Neisser haben einen Volksentscheid zu dieser wesentlichen

Frage des österreichischen Selbstverständnisses " für vertretbar gehalten " . Diese

Stellungnahmen sehen wir, ebenso wie die zahlreichen positiven Wortmeldungen aus

praktisch aIlen Parlamentsfraktionen , als Schritt in die richtige Richtung zu einer offenen

und demokratischen Diskussion und zu einem Volksentscheid über Neutralität oder

Beistandspflicht.

 

lm Gegensatz zu den positiven Äußerungen hoher politischer Repräsentanten stehen

Aussagen und HandIungen der Regierung und auch die EntwickIungen in der EU seIbst.

 

Im Koalitionsübereinkommen vom 11. März 1996 wurde beispielsweise vermerkt: " In

diesem Sinne und im Interesse einer weiteren Konvergenz von EU und WEU wird

Österreich im Rahmen der Regierungskon ferenz unter anderem dafür eintreten, daß die

 

WEU für die sogenannten " Petersberger Aufgaben " ausdrückliche Richtlinien oder

Instruktionen der Union unterstellt werden. "

 

Diese Petersberger Aufgaben enthalten " Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung,

einschließIich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens (peace making) " . Damit ist eine

Umorientierung, von der ausschließlich defensiven Orientierung des Bundesheeres (die auch

aIs Effekt der Neutralität zu würdigen ist) auf interventionistische Militäroperationen zu

konstatieren. Offenbar ist das individuelle " Partnerschaftsprogramm" Österreichs mit der

NATO (26. März 1996) als Rahmen zur Einübung derartiger internationaler Einsätze

gedacht. So haben im August 1996 39 österreichische Berufssoldaten an einem Manöver

" Cooperative Osprey 96" im Camp Lejeune (North Carolina-USA) mit anderen NATO-

Partnerschaftsmitgliedern unter US-amerikanischem Oberkommando teilgenommen.

Medienberichte erinnern an typisch amerikanische Militärinterventionen in Lateinamerika,

Teheran oder Somalia. " So wurde geübt, wie man Botschaften vor Angreifern schützt oder

wie man in einem Dorf Heckenschützen ausschaltet. " (Die Presse, 29.08.96, S.5)

 

" Die sogenannte " Combat Town" , in der am Wochenende auch die österreichischen

Soldaten im Einsatz waren , gleicht einer lateinamerikanischen Stadt. Dort sorgte eine

Hundertschaft von Statisten für bürgerkriegsähnliche Stimmung. Die Österreicher hatten die

Häuser von Heckenschützen zu säubern und Zivilisten nach Waffen zu durchsuchen - dabei

wurden zwei Verdächtige erschossen. " (Neues Volksblatt, 26.08.96.)

 

Andererseits antwortete Verteidigungsminister Fasslabend (1157/AB, 12.Sept. 1996) auf

eine Anfrage des Abg. Wabl, ob er sich noch an die immerwährende Neutralität gebunden

fühle: "Ja. Die Geltung des Bundeverfassungsgesetzes steht außer Frage. Dies wird

selbstverständlich bei Vollzugsakten in meinem Ressort volI und ganz akzeptiert. "

 

In zahlreichen anderen Stellungnahmen hat der Verteidigungsminister im Gegensatz zu

dieser Anfragebeantwortung die NATO und die Aufgabe der Neutralität als den zukünftigen

Rahmen für die österreichische SicherheitspoIitik vertreten.

 

Auf internationaler Ebene der EU weisen zahlreiche Stellungnahmen in Richtung Aufgabe

der Neutralität zugunsten der NATO oder WEU. So findet sich im Bericht des " Außen- ,

Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Ausschußes" des EU-Parlamentes von Leo

Tindemanns ( 11.Juni 1996; A4-(000/96, DOC-DE/PR/296839) die Entschließung, "daß die

EU ohne eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht in der Lage ist, auf

diplomatischem Wege und zugleich unter Anwendung von militärischem Druck eine

wirksame Außenpolitik zu betreiben " (S.3). Weiters wird darin als Ziel der "Sicherheits-

und Verteidigungspolitik der Schutz der Interessen der Union einschließI ich der

Versorgungssicherheit und der Sicherheit ihrer Bürger" (S.3) definiert. Das bedeutet, daß

die EU "bei Behinderung ihrer Versorgung au f dem Land- , See- oder Luftweg durch

gezieIte Angriffe" reagieren soll und die Union " ihre Bürger weItweit zu schützen " plant

(S 13). Die Umsetzung soII , foIgt man dem Bericht mit den " im Rahmen der NATO

verfügbaren Instrumenten " (S.5) geschehen. Darin wird gefordert, daß sich " sämtliche

Mitglieder der EU mit den ZieIen des WEU-Vertrages einverstanden erklären " (S.5) , womit

eine Beistandspflicht determiniert wäre. Die neutraIen Mitglieder werden im Tindemanns-

Bericht kritisiert, da sie langfristig "eine gemeinsame Verteidigungspolitik" (S.6)

untergraben. Die " größenbedingten Kostenvorteile des Binnenmarktes" (S .8) sollen auch für

die Rüstungsindustrie genützt werden. Die Hoffnung auf einen Umstrukturierungsschub der

 

Rüstungsindustrie durch die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" wird

hervorgestrichen. Schlußendlich wird "die WEU als SchnittstelIe zwischen der EU und der

NATO" (S. l4) gesehen.

 

Die Antwort von Außenminister Dr. Schüssel ( 1109/AB, 10. September 1996) zur Anfrage

betreffend die " immerwährende NeutraIität" der Abg. Pollet-Kammerlander macht die

Widersprüchlichkeit österreichischer Außenpolitik in bezug auf die GASP am deutlichsten.

Einerseits betont Dr. Schüssel: " Die Frage der Neutralität ist nicht aktuell. " Andererseits

argumentiert er, daß "sich Österreich auch zu der im EU-Vertrag verankerten Perspektive

einer gemeinsamen Verteidigungspolitik verpflichtet" hat. Dieser Widerspruch tritt auch

betreffend der österreichischen Haltung in bezug auf die Einstimmigkeit von GASP-

Entscheidungen hervor. So argumentiert Schüssel gegenüber den Grünen in ob.

bezeichneter Anfragebeantwortung , daß Österreich bei der Regierungskonferenz in Turin

die Position vertreten habe, daß " für GASP-Entscheidungen mit miIitärischen Implikationen

auch in Zukun ft die Einstimmig.keitsregel fortbestehen muß " . Aus einem Protokoll des

Außenamtes in Bonn von der 9.Tagung der Regierungskonferenz am 6.6.1996 geht hervor,

daß der österreichische Vertreter Botschafter Scheich eine gegenteilige Haltung zu dieser

Frage eingenommen hatte: "für qualifiziere Mehrheit traten ebenfaIls ein : die Kommission

und Östereich (schrittweiser Übergang) " .

 

Gegenüber der APA hat Außenminister Dr. SchüsseI seine Zielsetzung wesentlich deutlicher

formuliert: "lch bin dafür, daß eine Vollmitgliedschaft bei der WEU notwendig sein wird.

Die NATO kann sich daraus ergeben. " (APA 446/26.02.1995)

 

Die dargestelIten Entwicklungen der HaItung der Bundesregierung zur immerwährenden

Neutralität lassen gewisse Widersprüche nicht verdecken. Unterschiedliche Positionen der

Regierungsfraktionen, aber auch innerhalb der Parteien schränken die außenpolitische

Handlungsfähigkeit der Bundesregierung deutlich ein. Den jüngsten positiven Äußerungen

hochrangiger PoIitiker zur immerwährenden Neutralität - auch gerade jetzt in Zeiten des

EU-Wahlkampfes - stehen konkrete Maßnahmen und Handlungen des strategischen und

diplomatischen Korps gegenüber, die eine mittelfristige endgültige Neutralitätsaufgabe

durch einen Beitritt zu WEU und NATO prognostizieren läßt.

 

Der öffentlichen Meinung wird zwar momentan durch eine positive Neutralitätsrhetorik

entgegengekommen. Gerade angesichts der aktuellen positiven Stellungnahmen zahlreicher

politischer Repräsentanten ist eine poIitische Willenserklärung für die Einbeziehung der

Bevölkerung in diese Entscheidung aus verfassungsrechtlichen und demokratiepolitischen

Gründen notwendig.

 

Eine gemeinsame BeschIußfassung des vorI iegenden DringIichen Antrages dient auch dazu

in der BevöIkerung Klarheit über die Entscheidungsfindung zur Frage der Neutralität

herzusteIlen und auf der GrundIage eines starken Votums eine neue gemeinsame Position in

der Bundesregierung zu erreichen. Ein soIcher Volksentscheid wäre auch als neue Basis für

die internationaIe HandI ungsfähigkeit der Bundesregierung hilfreich.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

DRINGLICHEN ANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, das geltende Bundesverfassungsgesetz über

die immerwährende Neutralität zu beachten und zu vollziehen.

 

2. Der österreichische Vertreter bei der Regierungkonferenz über die Änderung der

Unionsverträge möge keine Positionen einnehmen, die mit der österreichischen

Neutralität unvereinbar sind. Bei neutralitätsrelevanten Entscheidungen im Rahmen

. der " Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" ist einer Änderung des

Einstimmigkeitsprinzipes die Zustimmung zu verweigern.

 

3. Die Aussage von Botschafter Scheich , wonach Österreich für einen schrittweisen

Übergang zu Mehrheitsentscheidungen im Rahmen der GASP eintritt, ist gegenüber

den anderen EU-Mitgliedsstaaten zurückzunehmen.

 

4. Jede Revision des Maastrichter EU-Vertrages, die zu einer weiteren Einbindung der

WEU in die Sicherheitspolitik der EU führt, ist ebenso wie ein österreichischer WEU-

oder NATO-Beitritt, noch vor Aufnahme von Beitrittsverhandlungen einer

Volksabstimmung zu unterziehen.

 

5. Die Bundesregierung wird weiters aufgefordert, die für eine Volksabstimmung über

Staatsverträge notwendigen verfassungsrechtlichen Grundlagen dem Nationalrat in

Form einer RegierungsvorIage zuzuIeiten.

 

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieses Antrages unter Verweis auf

§ 93 Abs 1 verlangt.