741/A XX.GP
der Abgeordneten Dr. Khol, Dr. Feurstein, Schwarzenberger, Tichy - Schreder,
Dr. Spindelegger
und Kollegen
betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 29. Juni1989, BGBl.
Nr.368/1989, über die Errichtung eines Rates für Fragen der österreichischen Inte -
grationspolitik geändert wird.
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 29. Juni 1989 über die Errichtung
eines Rates für Fragen der österreichischen Integrationspolitik geändert wird.
Der Nationalrat hat beschlossen:
Das Bundesgesetz vom 29. Juni 1989, BGBl. Nr.368/1989, über die Errichtung ei -
nes Rates für Fragen der österreichischen Integrationspolitik wird wie folgt geändert:
1. § 1 Abs. 1 Z 1 lautet
„1. Der Bundeskanzler, der Vizekanzler und der Bundesminister für auswärtige
Angelegenheiten sowie in Fragen der Sicherheitspolitik auch der Bundesminister
für Landesverteidigung;
2. § 2 lautet wie folgt:
„§ 2. (1) Der Rat dient der Beratung der Bundesregierung in Fragen der österrei -
chischen Integrations - und Sicherheitspolitik, der Erörterung und Koordinierung
integrations - und sicherheitspolitischer Entscheidungen und der gegenseitigen In -
formation auf diesem Gebiet.
(2) Der Rat ist in allen Angelegenheiten der österreichischen Integrations - und
Sicherheitspolitik und ihrer Auswirkungen zu hören, soweit diese von grundsätz -
licher Bedeutung sind.“
3. Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Juli 1998
in Kraft.
Begründung:
Der Nationalrat hat am 29. Juni 1989 das Bundesgesetz über die Errichtung eines
Rates für Fragen der österreichischen Integrationspolitik beschlossen. Das Bundes -
gesetz ist mit 1. Oktober 1989 in Kraft getreten.
Dieser Beirat, dem neben Mitgliedern der Bundesregierung Vertreter aller im Natio -
nalrat vertretenen Parteien, Vertreter der Landeshauptmännerkonferenz, der Sozial -
partner und des Österreichischen Städte - und des Gemeindebundes angehören, diente
der Vorbereitung der österreichischen Bestrebungen für einen Beitritt zu den Euro -
päischen Gemeinschaften. In ihm wurden konsequent alle Schritte der österreichi -
schen Integrationspolitik beraten und dadurch ein breiter Konsens für die österrei -
chischen Schritte hergestellt.
Am 2. April 1998 haben nunmehr der Vizekanzler und Bundesminister für auswärti -
ge Angelegenheiten sowie der Bundesminister für Landesverteidigung einen
„Bericht über alle weiterführenden Optionen Österreichs im Bereich der
Sicherheitspolitik“
vorgestellt, in dem die gegenwärtige Situation der europäischen Sicherheitspolitik
und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen wie folgt dargestellt werden:
1 Auftrag und Zielsetzungen
1.1 Auftrag
In ihrem Koalitionsübereinkommen vom 11. März 1996 haben die Regierungspartei -
en vereinbart:
Im Lichte des Verlaufs der EU - Regierungskonferenz und der Entwicklungen in der
europäischen Sicherheitspolitik wird die Bundesregierung alle weiterführenden si -
cherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft
Österreichs in der WEU einer umfassenden Überprüfung unterziehen und dem Par -
lament hierüber auf einvernehmlichen Antrag des Bundeskanzlers, des Bundesmini -
sters für auswärtige Angelegenheiten und des Bundesministers für Landesverteidi -
gung noch vor Übernahme des EU - Vorsitzes durch Österreich, spätestens jedoch im
Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998, berichten. Nach Maßgabe der Schlußfol -
gerungen dieses Berichtes wird die Bundesregierung dem Parlament Vorschläge für
die erforderlichen Maßnahmen unterbreiten.
Der Nationalrat hat die Bundesregierung in seiner Entschließung 43/F vom 26. Fe -
bruar 1997 gleichermaßen aufgefordert,
,, im Lichte des Verlaufs der EU - Regierungs -
konferenz und der Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik alle weiter -
führenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer Vollmit -
gliedschaft Österreichs in der WEU einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen
und dem Parlament hierüber noch vor Übernahme des EU - Vorsitzes durch Öster -
reich, spätestens jedoch im Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998, zu berichten.“
1.2 Zielsetzungen
Was die grundsätzliche Zielsetzung des Berichts anlangt, steht für die Bundesregie -
rung die Sicherheit des Landes und seiner Bürger im Vordergrund. Konkret heißt es
in bezug auf die künftige Ausrichtung der österreichischen Sicherheitspolitik in der
Koalitionsvereinbarung weiters:
Im Geiste der europäischen Solidarität und zum Zwecke der dauernden Gewährlei -
stung der Sicherheit der Republik Österreich werden sich die Regierungsparteien im
Einklang mit den Zielsetzungen der Europäischen Union für die vollberechtigte Teil -
nahme Österreichs an funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen einset -
zen.“
Diesbezüglich ist auch festzuhalten, daß der Nationalrat die Bundesregierung in der
erwähnten Entschließung seinerseits aufgefordert hat, „sich im Geiste der europäi -
schen Solidarität und zum Zwecke der dauernden Gewährleistung des Friedens in
Europa und der Sicherheit der Republik Österreich im Einklang mit den Zielsetzun -
gen der Europäischen Union für die vollberechtigte Teilnahme Österreichs an funkti -
onsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen einzusetzen.“
Auf dieser Basis befaßt sich der vorliegende Bericht auch mit der Frage, inwieweit
die Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik bereits zu ‚funktionsfähigen
europäischen Sicherheitsstrukturen“ geführt haben und wie in diesem Zusammen -
hang eine ,‚ vollberechtigte Teilnahme Österreichs „ am besten gewährleistet werden
kann.
Des weiteren werden v.a. die weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen Öster -
reichs dargestellt und nach außen - und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten, im
Hinblick auf die Zeitpläne, Verfahren und rechtlichen Implikationen, nach ihren
Auswirkungen auf die militärische Landesverteidigung und in bezug auf ihre budgetä -
ren Aspekte bewertet.
In diesem Kontext waren die folgenden - im Koalitionsübereinkommen im Kapitel
„Österreich als EU - Mitglied“ enthaltenen - Festlegungen zu berücksichtigen:
Österreich wird an der Bewältigung der bevorstehenden konkreten Herausforderun -
gen im Integrationsprozeß aktiv und konstruktiv mitwirken. Die Regierungsparteien
treten entschlossen dafür ein, daß Österreich an allen zentralen Integrationsberei -
chen und der europäischen Zusammenarbeit von Anbeginn an teilnehmen und zu de -
ren Weiterentwicklung beitragen wird."
„Die sicherheitspolitische Landschaft ist in einem dynamischen Veränderungsprozeß
begriffen. Die neuen, einem breiten sicherheitspolitischen Verständnis entsprechen -
den Herausforderungen können nur durch solidarische europäische und internatio -
nale Zusammenarbeit gelöst werden. Zur Verhinderung des Entstehens neuer Trenn -
linien in Europa wird sich Österreich außerdem für einen gesamteuropäischen Si -
cherheitsdialog einsetzen.“
Mit seinem Beitritt zur Europäischen Union aufgrund einer Volksabstimmung hat
sich Österreich zur vollen Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen - und Sicherheits -
politik und auch zu der im EU - Vertrag verankerten Perspektive einer gemeinsamen
Verteidigungspolitik verpflichtet. Österreich wird sich im Sinne der im EU - Vertrag
verankerten Perspektive an diesbezüglichen Bemühungen aktiv beteiligen und die Er -
gebnisse der Regierungskonferenz loyal und in europäischer Gesinnung umsetzen.‘
Österreich wird auch sein Verhältnis zu den anderen Sicherheitsorganisationen, in
deren Rahmen die EU - Mitgliedstaaten ihre Sicherheits - und Verteidigungspolitik ge -
stalten, dynamisch fortentwickeln.“
Darüber hinaus basiert dieser Bericht insbesondere auf:
• den relevanten internationalen Vereinbarungen und Dokumenten (die im Einzelfall
zitiert werden);
• Erfahrungen, die Österreich als Mitglied der Vereinten Nationen (VN), Teilneh -
merstaat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE),
Mitglied der Europäischen Union (u.a. auch im Rahmen der EU - Regierungs -
konferenz), WEU - Beobachter und Teilnehmer an der Partnerschaft für den Frieden
(PfP) erworben hat;
• den konkreten Erkenntnissen, die Österreich darüber hinaus bei internationalen
Friedenseinsätzen (insbesondere im Rahmen der VN, in Bosnien und Herzegowina
sowie in Albanien) gewonnen hat;
• den Ergebnissen von Informationsgesprächen, die im Laufe der letzten 18 Monate
mit Vertretern Deutschlands, Finnlands, Frankreichs, Großbritanniens, Irlands, der
Russischen Föderation, Schwedens, der Vereinigten Staaten und anderer Länder
sowie der NATO und der WEU geführt wurden.
2 Analyse der internationalen Rahmenbedingungen
2.1 Grundlagen europäischer Stabilität
Die sicherheitspolitische Landschaft in Europa wird schon seit acht Jahren durch ei -
nen dynamischen Prozeß tiefgreifender
Veränderungen geprägt.
Vor der historischen Wende des Jahres 1989 war Europas Sicherheit vom Ost -West -
Konflikt bestimmt. Die gesamteuropäische Stabilität beruhte insbesondere auf dem
"Gleichgewicht des Schreckens ", das in der östlichen Hälfte des Kontinents durch
den Fortbestand der kommunistischen Regime gekennzeichnet war.
In Westeuropa wurde dieses Kräftegleichgewicht, das auf westlicher Seite durch die
gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen im Rahmen der Atlantischen Allianz ge -
währleistet wurde, demgegenüber als entscheidender Garant für die Sicherheit und die
Stabilität aller europäischen Demokratien gesehen. Als wesentlicher Faktor der politi -
schen Stabilität und der wirtschaftlichen Prosperität dieser Demokratien erwies sich
zugleich der Prozeß der europäischen Integration.
Seit der - 1990 im Rahmen der damaligen KSZE erfolgten - Unterzeichnung der Pari -
ser ,, Charta für ein neues Europa "‚ bekennen sich alle Staaten und Völker Europas -
zumindest im Grundsatz - zu einer auf den Menschenrechten und Grundfreiheiten be -
ruhenden Demokratie, zu Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Ge -
rechtigkeit und zur gleichen Sicherheit für alle Teilnehmerstaaten. Die Umsetzung
dieser Prinzipien ist in den einzelnen Teilnehmerstaaten allerdings noch immer unter -
schiedlich weit gediehen.
Insgesamt ist aber gerade in der Sicherheitspolitik seit 1990 der Grundsatz der Ko -
operation erkennbar an die Stelle der Ost - West - Konfrontation getreten.
Anläßlich des Golfkonflikts ist es im Rahmen einer solidarischen Aktion der Staaten -
gemeinschaft gegen einen Aggressor erstmals seit Jahrzehnten gelungen, gestützt auf
Kapitel VII der Satzung der VN die Mechanismen des Systems der kollektiven Si -
cherheit wirksam zur Anwendung zu bringen.
Im Gefolge der Wende von 1989 sind in Osteuropa auch der Warschauer Pakt und der
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zerfallen. Demgegenüber hat sich die Europäi -
sche Union, die sich seit 1989 als Kristallisationspunkt eines umfassenden europäi -
schen Integrationsprozesses versteht, in den Verträgen von Maastricht und Amster -
dam zur Schaffung einer Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik (GASP) be -
kannt; desgleichen zur Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, deren
konkrete Umsetzung allerdings noch aussteht. Überdies hat sich die Union das Ziel
der Aufnahme neuer Mitglieder aus Zentral - und Osteuropa gesetzt. Der Beginn der
Erweiterung der Europäischen Union wurde beim Europäischen Rat in Luxemburg im
Dezember 1997 beschlossen.
Nach der Wende von 1989 hat auch in der NATO ein Prozeß der Neuorientierung be -
gonnen. Neben die kollektive Verteidigung, die während des Kalten Krieges im Zen -
trum der NATO - Strategie gestanden war, traten verstärkte Bemühungen um die Ge -
währleistung der gesamteuropäischen Stabilität sowie neue Aufgaben im Bereich des
Krisenmanagements, auf dem Gebiet der Friedenserhaltung und der Friedensschaf -
fung und im humanitären Bereich. Die klassischen Bündnisstrukturen wurden durch
neue Konsultations - und
Kooperationsmechanismen ergänzt.
Der herausragenden Bedeutung Rußlands für die europäische Sicherheit und der be -
sonderen Rolle der Ukraine hat die NATO durch eigene Vereinbarungen Rechnung
getragen. Zugleich hat sich die Allianz für neue Mitglieder geöffnet.
Angesichts der zunehmenden Bemühungen der Reformländer, die politischen Vor -
aussetzungen für eine Aufnahme in die NATO und in die Europäische Union zu er -
füllen, läßt sich im übrigen schon jetzt feststellen, daß diese - nach ihrer jeweiligen
internen Dynamik und nach den jeweiligen internen Verfahren autonom verlaufenden
- Erweiterungsprozesse das Ziel einer Stärkung der europäischen Sicherheit wechsel -
seitig unterstützen. Dies zeigt etwa das Beispiel des - 1996 abgeschlossenen - unga -
risch - rumänischen Grundlagenvertrages, der wesentlich auf die Bemühungen der Eu -
ropäischen Union und die Perspektive eines NATO - Beitritts zurückzuführen ist.
Diesen - für die Zukunft der europäischen Sicherheit sehr positiven - Entwicklungen
ist allerdings die tragische Erfahrung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien
entgegenzuhalten. Diese Tragödie hat deutlich gemacht, daß das neue Europa auch
ein Kontinent ist, auf dem ethnische und nationale Spannungen bewaffnete Konflikte
verursachen können, wie sie Europa seit 1945 nicht mehr erlebt hatte.
Mit dieser massiven sicherheitspolitischen Herausforderung sind die verschiedenen
Organisationen und Foren der globalen und der europäischen Sicherheit unterschied -
lich gut zu Rande gekommen. Am Beispiel des multinationalen Friedenseinsatzes in
Bosnien und Herzegowina hat sich insbesondere gezeigt, daß die transatlantische
Partnerschaft und die Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa für die gesamteuro -
päische Stabilität und ein funktionsfähiges europäisches Krisenmanagement wesent -
lich sind.
Zugleich ist seit 1989 aber klar geworden, daß das neue Europa neuen Gefahren aus -
gesetzt ist. Hier ist etwa an Bedrohungen durch die organisierte Kriminalität, unkon -
trollierbare Massenmigrationen oder durch ökologische Katastrophen zu denken.
Dieses Gefahrenspektrum, das im Anschluß näher dargestellt wird, kann nur von ei -
ner umfassend angelegten Sicherheitspolitik bewältigt werden,
• die auf einer effektiven Arbeitsteilung aller relevanten internationalen Organisatio -
nen und Foren gründet
• und einer politischen, wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und militärischen
Stabilität im eigenen Umfeld eben solche Bedeutung beimißt wie der Aufrechter -
haltung einer umfassenden Landesverteidigung.
Von einem solchen umfassenden Sicherheitsbegriff geht auch das Koalitionsüberein -
kommen vom März 1996 aus. International basieren auf dem Konzept umfassender
Sicherheit u.a. das Schlußdokument der von der Generalversammlung der VN 1987
einberufenen ,, Internationalen Konferenz über die Beziehung zwischen Abrüstung
und Entwicklung", das 1995 angenommene Gemeinsame Konzept der 27 WEU -
Nationen über europäische Sicherheit „die von den OSZE - Staaten 1996 verabschie -
dete „Lissabon - Erklärung
über ein gemeinsames und umfassendes Sicherheitsmodell
für das 21. Jahrhundert“ sowie das Basisdokument des 1997 im Rahmen der NATO
ins Leben gerufenen Euro - Atlantischen Partnerschaftsrates (Euro - Atlantic Partnership
Council/EAPC).
Die neuen, einem umfassenden sicherheitspolitischen Verständnis entsprechenden
Herausforderungen können nur durch solidarische europäische und internationale Zu -
sammenarbeit gelöst werden; eine Forderung, die für den Bereich der Außen - und
Sicherheitspolitik in gleicher Weise gilt wie für die übrigen Elemente eines erweiter -
ten Sicherheitsbegriffs, also etwa für die innere, ökologische, ökonomische oder so -
ziale Sicherheit.
Zum Verständnis des vorliegenden Berichts ist daher festzuhalten, daß er mit der
Konzentration auf die internationalen und europäischen Sicherheitsstrukturen sowie
auf die sicherheitspolitische Situation und die Optionen Österreichs in diesem Bereich
nur einen Teilbereich eines umfassenden Sicherheitskonzeptes behandeln kann, näm -
lich den Bereich der äußeren Sicherheit. Die Bedeutung anderer Faktoren, deren Ein -
fluß auf das öffentliche Sicherheitsempfinden unbestritten ist, wird dadurch nicht ge -
schmälert. Konzeptiven Arbeiten für andere Bestandteile einer umfassenden Sicher -
heitspolitik wird laufend gleichfalls Aufmerksamkeit zu widmen sein.
2.2 Chancen und Risken
Mit dem Wegfall der Blockkonfrontation, dem Ende der jahrzehntelangen Teilung
des Kontinents und der dadurch möglich gewordenen Reduktion von Rüstungspoten -
tialen hat Europa erstmals die Chance, eine dauerhafte gesamteuropäische Ordnung
des Friedens, der Sicherheit und der Stabilität zu schaffen; eine Friedensordnung, die
durch das Prinzip des Miteinander, das gelebte Bekenntnis zu gemeinsamen Grund -
sätzen und Werten sowie das gemeinsame Eintreten für Demokratie, soziale Markt -
wirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Grundfreiheiten gekennzeichnet
ist.
Die Entwicklung einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung, die von dauerhafter
Stabilität geprägt ist und in der sich die europäischen Sicherheitsinstitutionen OSZE,
Europäische Union, WEU und NATO im Rahmen des globalen Sicherheitssystems
der VN wirkungsvoll ergänzen, trägt entscheidend zur dauerhaften Überwindung
überkommener Trennlinien in Europa bei.
Diese Sicherheitsordnung soll überdies auf einem breiten sicherheitspolitischen In -
strumentarium beruhen, bei dem Maßnahmen zur Förderung der Demokratie, Rechts -
staatlichkeit und der Marktwirtschaft, weitere Rüstungskontrolle bzw. Abrüstungs -
schritte, Instrumente des Minderheitenschutzes und der friedlichen Streitbeilegung
sowie Maßnahmen der Konsultation und Kooperation, Frühwarnsysteme, Vermitt -
lungsaktivitäten und das gesamte Spektrum des Krisenmanagements zunehmend ne -
ben klassische Bündnisgarantien treten.
Wesentliches Ziel einer umfassenden europäischen Sicherheitspolitik muß es sein, die
europäische Stabilitätszone auszuweiten, wobei die - in Aussicht genommenen bzw.
schon angelaufenen - autonomen Prozesse zur Erweiterung der Europäischen Union
und der NATO eine zentrale Rolle spielen.
Auf dieser Grundlage hat Europa auch die beste Chance, seine Verantwortung in der
Welt verstärkt wahrzunehmen und zur globalen Friedenssicherung beizutragen.
Die Gefahr einer großräumigen militärischen Auseinandersetzung in Europa ist in
absehbarer Zukunft nach allgemeiner Auffassung nicht gegeben. Zugleich sind das
neue Europa und sein Umfeld aber auch mit neuen Risken konfrontiert, von denen
die folgenden besonders hervorzuheben sind:
• ethnische und nationale Spannungen sowie nationalistische und fundamentalisti -
sche Strömungen, insbesondere auf dem Balkan, auf dem Gebiet der ehemaligen
Sowjetunion und am südlichen Rand des Mittelmeeres;
• ungelöste Minderheitenfragen;
• die Gefahr von Rückschlägen bei der Verwirklichung der Reformprozesse in ein -
zelnen Staaten Zentral - und Osteuropas und im GUS - Bereich;
• das fortbestehende Wohlstandsgefälle sowie sonstige stabilitätsbedrohende Un -
gleichgewichte in und um Europa und im Nord - Süd - Verhältnis;
• die Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln und weitrei -
chender Trägersysteme;
• organisierte Kriminalität, Drogenhandel und terroristische Aktivitäten;
• die mangelhafte Sicherheit zahlreicher Kernkraftwerke sowie sonstige ökologische
Gefahren.
Wenn es dem gemeinsamen Europa nicht gelingt, diese Gefahren rechtzeitig zu mei -
stern, muß es einerseits mit Spannungen in den Beziehungen zu den Staaten seines
östlichen, südöstlichen und südlichen Umfelds rechnen. Andererseits muß aber auch
damit gerechnet werden, daß die Instabilität der genannten Regionen auf den stabilen
Teil Europas ausstrahlt.
Daß es infolge der genannten Risken für das gemeinsame Europa zu einer direkten
oder indirekten militärischen Bedrohung kommt, ist aus heutiger Sicht zwar nur we -
nig wahrscheinlich, kann für die Zukunft aber auch nicht ausgeschlossen werden. Für
Europa bleiben die bestehenden europäischen Mechanismen und Strukturen zur Ge -
währleistung und Verteidigung territorialer Integrität daher ein notwendiges Element
der Stabilität.
Zu berücksichtigen ist weiters, daß viele der genannten Risken Folgewirkungen mili -
tärischer Konflikte sein können. Das hat sich etwa am Beispiel der - durch den Kon -
flikt auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ausgelösten - Flüchtlingsströme ge -
zeigt. Militärische Auseinandersetzungen können sich aber auch auf die Wirtschaft
und die Umwelt der Nachbarstaaten nachteilig
auswirken. So hätten die (während des
Krieges um Slowenien zeitweilig befürchteten) Kampfhandlungen rund um das Kern -
kraftwerk Krsko zu einer ökologischen Katastrophe führen können.
Vor diesem Hintergrund haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in einem
GASP - Grundsatzdokument über „Die Ursachen künftiger Konflikte erst vor kurzem
ausdrücklich festgestellt, daß das Zusammenwirken der europäischen und euro -
atlantischen Sicherheitsorganisationen Europäische Union, NATO, WEU und OSZE
auch notwendig sein kann, um die nicht - militärischen Folgen eines militärischen
Konflikts abzuwenden ".
International unbestritten ist auch, daß dieses Zusammenwirken arbeitsteilig - und auf
eine die einzelnen Organisationen wechselseitig stärkende Weise (,,mutually rein -
forcing) - erfolgen muß. So hat die Erfahrung in Bosnien gezeigt, daß nur die OSZE
in der Lage war, die gesamtbosnischen Wahlen zu organisieren. Diese hätten aber
nicht durchgeführt werden können, wenn nicht der - vom Sicherheitsrat der VN auto -
risierte und unter NATO - Kommando stehende - multinationale Friedenseinsatz zuerst
für die nötige Grundstabilität gesorgt und sodann den eigentlichen Wahlvorgang ab -
gesichert hätte. Unter anderen Gegebenheiten war der - unter italienischem Komman -
do stehende - Friedenseinsatz in Albanien eine wesentliche Vorbedingung für die
dortige Arbeit der OSZE.
In einem solchen - arbeitsteiligen - Zusammenwirken liegt auch der Schlüssel zu
funktionierenden europäischen Sicherheitsstrukturen.
2.3 Neue sicherheitspolitische Aufgabenstellungen
Europa wird die bestehenden Chancen dann wahrnehmen und die vorhandenen Ris -
ken bewältigen können, wenn die grundlegenden Voraussetzungen für eine umfas -
sende europäische Stabilität gegeben sind und wenn die europäischen Sicherheits -
strukturen darüber hinaus den folgenden Voraussetzungen genügen:
• Sie müssen dem Entstehen neuer Konflikte schon im Vorfeld so weit wie möglich
entgegenwirken.
• Sie müssen sicherstellen, daß bereits entstandene Konflikte mit friedlichen Mitteln
ausgetragen bzw. ohne Anwendung von Gewalt beigelegt werden können.
• Falls dies (wie im Konflikt auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien) nicht ge -
lingt, müssen sie ein Krisen - und Konfliktmanagement ermöglichen, mit dem Frie -
densbrecher und Aggressoren im Einklang mit der Satzung der VN wirksam in die
Schranken gewiesen werden.
• Nach Beendigung eines allfälligen Konflikts müssen sie schließlich in der Lage
sein, die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse und den Wiederaufbau dauer -
haft abzusichern bzw. zu unterstützen.
In jeder der beschriebenen Phasen geht es für das gemeinsame Europa insbesondere
um die Fähigkeit, Sicherheit und
Stabilität im Einklang mit der Satzung der VN, not -
falls auch mit militärischen Mitteln, in sein unmittelbares Umfeld zu projizieren, da
es sonst Gefahr läuft, von dort Unsicherheit und Instabilität zu „importieren ".
In den folgenden Abschnitten wird also vor allem geprüft, ob bzw. inwieweit die be -
stehenden europäischen und internationalen Sicherheitsorganisationen für sich alleine
- und im Zusammenwirken miteinander - schon heute in der Lage sind, diesen Erfor -
dernissen zu genügen. Die Erfahrungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien
und in Albanien werden dabei auf besondere Weise berücksichtigt.
Damit von funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen gesprochen werden
kann, muß auch sichergestellt sein,
• daß die vor 1989 in Europa bestandenen Trennlinien überwunden sind und auch
keine neuen Trennlinien entstehen;
• daß insbesondere auch Rußland in diese Strukturen auf eine - seinem Gewicht und
seiner Stellung entsprechenden - Weise eingebunden ist;
• und daß diese Strukturen eine umfassende Sicherheitspolitik ermöglichen.
Die derzeitige sicherheitspolitische Landschaft wird im folgenden auch unter diesem
Gesichtspunkt geprüft.
2.4 Sicherheitspolitische Konsequenzen für Streitkräfte in Europa
Unter den Bedingungen der Ost - West - Konfrontation waren Streitkräfte Instrumente
konfrontativer Politik und der Abschreckung bzw. Mittel der Abhaltung und Vertei -
digung. Ihre Größenordnung, Struktur und Einsatzkonzeptionen orientierten sich am
Ziel der Verhinderung oder schnellen Beendigung eines Krieges zwischen den Bünd -
nissystemen bzw. am Ziel der Heraushaltung aus einem Krieg in Europa. Diese Rah -
menbedingungen führten im Verhältnis zwischen den Blöcken zur Hochrüstung und
zu einer besonderen Abstützung auf Nuklearwaffen sowohl auf der strategischen als
auch der operativen und taktischen Ebene.
Als Konsequenz der Beendigung des Kalten Krieges und der in der Folge entstande -
nen neuen sicherheitspolitischen Problemstellungen wandelt sich auch die Rolle von
Streitkräften. Die sicherheitspolitischen Erfahrungen der letzten Jahre und insbeson -
dere die Herausforderungen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien sowie
in anderen Krisenregionen haben dazu geführt, daß die Streitkräfte der europäischen
Demokratien heute in der Praxis zunehmend für internationale Aufgaben vorbereitet
werden, die außerhalb der klassischen nationalen Verteidigung liegen.
Dazu zählen die Friedenserhaltung und Krisenprävention, das Krisenmanagement
unter Einschluß von Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung und Maßnahmen zur
Herbeiführung des Friedens, die Unterstützung internationaler Bemühungen zum
Schutz der Menschenrechte sowie die Absicherung und Unterstützung ziviler Wie -
deraufbaumaßnahmen und Aufgaben im Bereich der humanitären und Katastrophen -
hilfe.
Aus dieser neuen Aufgabenstellung ergibt sich zunehmend das Erfordernis, Streit -
kräfte - in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Satzung der VN - möglichst
rasch für multinationale Operationen des europäischen Krisenmanagements in Kri -
senregionen entsenden zu können.
Diese müssen unter verschiedenartigen Bedingungen handlungsfähig sein, was eine
Vorbereitung nach einheitlichen Verfahren zweckmäßig macht. Deshalb werden in
den Streitkräften zunehmend bewegliche, flexibel einsetzbare Komponenten aufge -
stellt, welche unterschiedliche Aufgaben erfüllen und grundsätzlich alle Arten von
Friedensoperationen - von der Friedenserhaltung bis zur Friedensdurchsetzung - ab -
decken können.
Darüber hinaus haben Streitkräfte heute eine neue Bedeutung in den Bemühungen um
eine gesamteuropäische Stabilität erlangt. Ihr Umfang und die Bereitschaftsgrade
konnten bereits drastisch vermindert werden. Nuklearwaffen haben dabei nicht nur
quantitativ, sondern auch bezüglich der Streitkräftedoktrinen an Bedeutung verloren.
Wesentliche, allen europäischen Staaten gemeinsame Ziele sind in diesem Zusam -
menhang auch die Vertrauensbildung, die volle Transparenz der jeweiligen Verteidi -
gungspolitik und die demokratische Kontrolle der Streitkräfte.
Grundsätzlich ist ein Trend festzustellen, Streitkräfte nicht als „eigenes“, letztes Mit -
tel, sondern schon als wesentliches Präventionsmittel im Rahmen umfassender si -
cherheitspolitischer Konzeptionen zur Wirkung zu bringen. Damit soll entweder - wie
durch den Prozeß einer erweiterten militärischen Kooperation und Integration - der
Entwicklung von Krisen überhaupt vorgebeugt werden oder in bezug auf schon be -
stehende Krisen - wie im Fall Mazedoniens - zumindest deren gewaltsame Eskalation
und damit letztlich die Notwendigkeit von Kampfeinsätzen verhindert werden.
Wesentliche Voraussetzungen für die Erfüllbarkeit der neuen Streitkräfteaufgaben
sind die Erhaltung einer eigenen Verteidigungsfähigkeit sowie die - bei der überwie -
genden Mehrzahl der europäischen Staaten bereits bestehende - Bereitschaft und Be -
fähigung zum Zusammenwirken mit den Streitkräften anderer Staaten. Je mehr euro -
päische Staaten an diesem Prozeß der Zusammenarbeit bzw. Integration teilnehmen,
desto eher wird es in Hinkunft gelingen, Renationalisierungstendenzen in der europäi-
schen Politik hintanzuhalten.
In diesem Zusammenhang muß zudem berücksichtigt werden, daß eine erfolgreiche
Weiterführung des europäischen Integrationsprozesses auch von der Herausbildung
einer glaubwürdigen gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik der Europäischen
Union abhängt. Hiezu gehört auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen
Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. Daher
kommt der Zusammenarbeit der Streitkräfte auch im Hinblick auf allfällige GASP -
Beschlüsse mit verteidigungspolitischen Bezügen eine wachsende Bedeutung zu.
Auf die Überlegung, daß eine glaubwürdige GASP in der Lage sein muß, auf militäri -
sche Mittel zurückzugreifen, ist die in
Amsterdam getroffene Regelung zurückzufüh -
ren, die es der Europäischen Union im Zusammenhang mit den sogenannten Peters -
berg - Aufgaben erlaubt, bei GASP - Beschlüssen mit verteidigungspolitischen Implika -
tionen die WEU in Anspruch zu nehmen (Art. 17 des EU - Vertrages in der Fassung
von Amsterdam).
Im Interesse der Sicherheit des eigenen Landes müssen - auch unter Berücksichtigung
von dessen geographischer Lage - über Ersuchen der verfassungsmäßig dazu berufe -
nen Organe ausreichende und rasch einsetzbare Kräfte zur Erfüllung kurzfristig auf -
tretender Aufgaben zur Bewältigung krisenhafter Entwicklungen verfügbar sein (in
Österreich in den Fällen des Art. 79 Abs. 2 B - VG, wie z.B. Assistenzleistung an der
Grenze oder zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen).
Für Abwehroperationen zur herkömmlichen Selbstverteidigung können längere Vor -
warnzeiten angenommen werden, sodaß die dafür vorgesehenen und erforderlichen
Kräfte nach Bedarf aufwachsen und in einen entsprechenden Stand der Einsatzbereit -
schaft versetzt werden können.
Im Gegensatz dazu können für Abwehrmaßnahmen im Luftbereich auch sehr kurze
Vorwarnzeiten nicht ausgeschlossen werden. Den Luftstreitkräften kommt daher
weiterhin eine besondere Bedeutung zu. Das betrifft sowohl die aktive als auch die
passive Luftraumüberwachung sowie erforderliche Luftraumverteidigungsmaßnah -
men. In diesem Zusammenhang sind auch die - in den Sicherheitsorganisationen dis -
kutierten - Maßnahmen zur gemeinsamen Bewältigung einer allfälligen Bedrohung
durch weitreichende ballistische Flugkörper zu sehen.
Insgesamt verliert die Aufgabe der Streitkräfte der europäischen Staaten an Bedeu -
tung, auf herkömmliche militärische Bedrohungen, wie sie zur Zeit des Kalten Krie -
ges gegeben waren, zu reagieren. Die Streitkräfte der europäischen Staaten können
vielmehr, wie beschrieben, gemeinsam und solidarisch auf neue Weise wesentlich zur
Verhinderung des Entstehens von neuen Bedrohungen und zur Bewältigung einer
Vielzahl anderer sicherheitspolitischer Herausforderungen beitragen.
3 Grundlagen der internationalen und europäischen Sicherheitsarchitektur
und Darstellung des Zusammenwirkens der Institutionen
3.1 Aufgabe und Rolle der Vereinten Nationen
Als eine auf Universalität angelegte Organisation, der nahezu die gesamte Staatenge -
meinschaft angehört und die mit dem Anspruch gegründet wurde, ,, künftige Ge -
schlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren ", sind die - 1945 gegründeten -
Vereinten Nationen (VN) dazu berufen, ,, den Weltfrieden und die internationale Si -
cherheit zu wahren“. In diesem Sinne bemühen sich die VN insbesondere auch, einen
Beitrag zur Bewältigung der tiefer liegenden Ursachen internationaler Konflikte, wie
soziale Ungerechtigkeit und wirtschaftliche Ungleichheiten, zu leisten und den Schutz
der Menschenrechte zu unterstützen.
Im Mittelpunkt des sicherheitspolitischen Konzepts der VN steht das zwischenstaatli -
che Gewaltverbot (Art. 2 Z 4 der Satzung der VN). Ergänzt wird das Gewaltverbot
durch die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung (Art. 2 Z 3).
Dem Sicherheitsrat, dem gemäß der Satzung der VN die Hauptverantwortung für die
Wahrung des Weltfriedens übertragen ist, kommen im Rahmen der friedlichen Streit -
beilegung nach Kapitel VI der Satzung der VN Untersuchungs - und Empfehlungsbe -
fugnisse zu. Stellt der Sicherheitsrat eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens
oder eine Angriffshandlung fest, steht ihm nach Kapitel VII der Satzung der VN ein
Spektrum von Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens
und der internationalen Sicherheit zur Verfügung, die von der Abgabe von Empfeh -
lungen (Art. 39 der Satzung der VN) bis zur Anordnung militärischer Zwangsmaß -
nahmen (Art. 42) reichen.
Die Befugnisse nach Kapitel VII (und insbesondere nach Art. 42) der Satzung werden
auch als das ,,Gewaltmonopol“ der VN bezeichnet.
In den mehr als 190 bewaffneten Konflikten seit 1945 sind die genannten Mechanis -
men militärischer Zwangsmaßnahmen bis 1989 kein einziges Mal zur vollen Anwen -
dung gekommen. In diesem Zusammenhang hat der frühere Generalsekretär der VN,
Boutros Boutros - Ghali 1992 - in „An Agenda for Peace“- auch bemerkt, daß die VN
den meisten der in der Zeit des Kalten Krieges ausgebrochenen Konflikte, die insge -
samt etwa 20 Millionen Todesopfer gefordert hätten, ,, machtlos gegenüber gestan -
den“ seien; ein Umstand, für den er nicht das Verfahren der friedlichen Streitbeile -
gung an sich, sondern v.a. den Gebrauch des Vetorechtes durch Mitglieder des Si -
cherheitsrates verantwortlich machte.
Vor 1989 haben die VN die Mechanismen des Kapitel VII in Ermangelung eines po -
litischen Konsenses nie angewandt. Mit dem Wegfall des Ost - West - Konflikts haben
sich die Voraussetzungen für ein Tätigwerden des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VI
und VII der Satzung der VN zweifelsohne verbessert. Anläßlich des Golfkonflikts ist
es im Rahmen einer solidarischen Aktion der Staatengemeinschaft gegen einen Ag -
gressor erstmals seit Jahrzehnten gelungen, gestützt auf Kapitel VII der Satzung der
VN die Mechanismen des Systems der kollektiven Sicherheit wirksam zur Anwen -
dung zu bringen.
Auch in weiterer Folge haben die VN in mehreren Fällen gemäß Kapitel VII ein mi -
litärisches Vorgehen beschlossen. Von der in Art. 42 der Satzung der VN vorgesehe -
nen Möglichkeit, diese Maßnahmen selber durchzuführen, hat die Weltorganisation
mangels eigener militärischer Strukturen aber nicht Gebrauch gemacht.
Vor diesem Hintergrund haben sich Staaten und Staatengruppen seit 1945 daher des
öfteren auch auf Art. 51 der Satzung der VN berufen, welcher den Mitgliedern der
VN bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem der Sicherheitsrat die ,, erforderlichen Maßnah -
men“ getroffen hat, das ,, naturgegebene Recht“ auf,, individuelle oder kollektive
Selbstverteidigung" einräumt. Unter Berufung auf diese Bestimmung sind nach 1945
u.a. auch die WEU und die NATO geschaffen
worden.
Unter diesen engen Rahmenbedingungen wurden friedenserhaltende Einsätze daher
zum eigentlichen Schwerpunkt des sicherheitspolitischen Engagements der VN. In
diesem Zusammenhang haben die VN das Konzept des Peacekeeping entwickelt, das
auf Konsens und Kooperation der Streitparteien beruht und entsprechend einem Man -
dat des Sicherheitsrates in der Präsenz der VN vor Ort besteht. (Bis Ende 1996 haben
die VN in insgesamt 42 Fällen solche Einsätze durchgeführt.) Anders als bei Einsät -
zen nach Artikel 42 der Satzung der VN erteilt der Sicherheitsrat auch keinen Auf -
trag, das Mandat erforderlichenfalls mit Waffengewalt durchzusetzen.
Die VN sind zur Zeit bemüht, die Einsatzelemente und Ressourcen, die für friedens -
erhaltende Operationen in Frage kommen, im Wege des „Stand - by - Arrangement -
System“ zu identifizieren und durch verschiedene Maßnahmen die Vorlaufzeit für
friedenserhaltende Einsätze zu verkürzen.
Was ad hoc eingerichtete militärische Kommandostrukturen betrifft, können sich sol -
che als unzulänglich erweisen, sobald ein Konflikt eskaliert. Darüber hinaus hat der
damalige Generalsekretär Boutros - Ghali im Mai 1996 festgestellt, daß die Erfahrun -
gen in Somalia und mit UNPROFPR in Bosnien gezeigt hätten, daß es in solchen
Fällen nicht zielführend sei, „leicht bewaffneten Friedenstruppen ein Mandat zur
Durchsetzung zu geben“. Hiefür bedürfe es „eines fundamental anderen Typus von
Operationen“.
Auf der Grundlage dieser Analyse trat Boutros - Ghali aus der Sicht der VN für den
Fall solcher Friedenseinsätze für das Konzept eines „subcontracting“ ein, das sich in
der internationalen Sicherheitspolitik beginnend mit dem Golfkonflikt immer deutli -
cher herausgebildet hat.
Dabei geht es darum, daß der Sicherheitsrat der VN eine „coalition of the willing",
die unter der Führung einer „lead nation“ oder einer Sicherheitsorganisation tätig
wird, zur Durchführung der Friedensoperation (einschließlich der allenfalls erforder -
lichen militärischen Zwangsmaßnahmen) autorisiert. Das „lead - nation „- Modell kam
insbesondere im Golfkonflikt sowie in Albanien zum Tragen, während für die Groß -
Operation des IFOR/SFOR - Einsatzes die NATO als „subcontractor“ auftrat.
In der jüngeren Vergangenheit legen die VN darüber hinaus das Konzept der regio -
nalen Friedenssicherung (Kapitel VIII der Satzung der VN über „regionale Abma -
chungen oder Einrichtungen“) ganz allgemein weiter aus und fordern ein verstärktes
Engagement regionaler Staatengruppen ein, um eine flexible und raschere Reaktion
auf Friedensbedrohungen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist außerdem
die Tendenz zu beobachten, vom bislang herrschenden Verständnis des Kapitel VIII
der Satzung der VN abzurücken, d.h. die strenge Trennung zwischen Bündnissen
kollektiver Selbstverteidigung und regionalen Organisationen aufzuweichen.
Aufgrund der beschriebenen Erfahrungen sind die meisten Beobachter zum Schluß
gekommen, daß das arbeitsteilige Zusammenwirken zwischen den relevanten Organi -
sationen - unter Beachtung des
grundsätzlichen Gewaltmonopols der VN - gerade
auch in Europa die eigentliche Basis für funktionierende europäische Sicherheits -
strukturen darstellt.
3.2 Aufgaben und Rolle der OSZE
Die beim Budapester Gipfeltreffen vom Dezember 1994 von der Konferenz über Si -
cherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zur Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa entwickelte und in Wien angesiedelte OSZE ist und bleibt
das einzige umfassende Forum kooperativer Sicherheit, das die 54 Staaten zwischen
Vancouver und Wladiwostok gleichberechtigt unter einem Dach vereint.
Die OSZE hat seit 1975 - und insbesondere seit 1990 - zahlreiche politisch verbindli -
che Normen und Prinzipien angenommen, die zur Verwirklichung einer einheitlichen
Wertegemeinschaft im OSZE - Raum beitragen. Die Umsetzung dieser Normen ist al -
lerdings in der Realität unterschiedlich weit gediehen.
Für den Fall von Normenverletzungen hat die OSZE eine Reihe von Instrumenten
und Mechanismen entwickelt, die durch Konsens und Kooperation aller (also auch
des Normenverletzers) die Einhaltung der Normen sicherstellen sollen.
Die OSZE engagiert sich in den Bereichen der Frühwarnung, Konfliktverhütung, des
Krisenmanagements und des Wiederaufbaus ziviler Strukturen nach Krisen. Bei der
Früherkennung bedient sie sich insbesondere des Hochkommissars für Nationale
Minderheiten, des OSZE - Repräsentanten für Medienfreiheit und der mittlerweile in
zwölf Staaten tätigen Langzeitmissionen.
In Zusammenarbeit mit anderen internationalen Institutionen bewährt sich die OSZE
in jüngerer Zeit beim Wiederaufbau demokratischer Institutionen und Strukturen nach
der Beendigung von Krisen und Konflikten, wobei sich auch hier der weite Mitglie -
derkreis der OSZE als vorteilhaft erweist. Beispiele dafür bilden die Durchführung
freier Wahlen sowie die Unterstützung bei Maßnahmen regionaler Rüstungskontrolle
und Abrüstung.
Wichtige sicherheitspolitische Erfolge hat die OSZE auch in den Bereichen der Ver -
trauens - und Sicherheitsbildung, Rüstungskontrolle und konventionellen Abrüstung
erzielt. So wurde im Rahmen der OSZE der 1990 von den Mitgliedstaaten der NATO
und des damaligen Warschauer Paktes geschlossene Vertrag über konventionelle
Streitkräfte in Europa (KSE - Vertrag) implementiert und adaptiert. Die - in der
Gründungsakte für Zusammenarbeit zwischen der NATO und Rußland mit dem
Ziel der weiteren Begrenzung von spezifischen Waffensystemen vereinbarte - Anpas -
sung des KSE - Vertrages wurde von Seiten der OSZE mit einer Einladung an alle
Mitgliedstaaten, die bisher durch den KSE - Vertrag nicht erfaßt waren, verbunden, ihr
militärisches Potential ebenfalls in diesen Abrüstungsvertrag einzubringen.
Mit dem 1994 angenommenen,) Verhaltenskodex zu politisch - militärischen Aspekten
der Sicherheit wurden wichtige
sicherheitspolitische Verhaltensregeln zwischen -
staatlicher Natur bekräftigt und erstmals eine detaillierte Regelung der demokrati -
schen Kontrolle der Streitkräfte festgeschrieben.
Auf der Basis der Beschlüsse des OSZE - Gipfeltreffens in Helsinki 1992 ist vorgese -
hen, daß die OSZE als eine - von der Generalversammlung der VN 1992 ausdrücklich
anerkannte - Regionalorganisation gemäß Kapitel VIII der Satzung der VN interna -
tionale Einsätze zur Erhaltung des Friedens einleitet bzw. durchführt. Das Monopol
für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen zur Friedensdurchsetzung verbleibt aller -
dings beim Sicherheitsrat der VN.
Die Möglichkeit, die OSZE mit der militärischen Durchführung konkreter Friedens -
einsätze zu beauftragen, ist bislang allerdings noch nicht genützt worden. Im Falle
von Nagornij Karabach ist es bisher mangels einer politischen Einigung der Streit -
parteien nicht zur Umsetzung des diesbezüglichen Beschlusses gekommen. Im übri -
gen ist eine Mehrheit der Teilnehmerstaaten zur Ansicht gelangt, daß die vorhande -
nen Strukturen der OSZE zur Durchführung derartiger Einsätze nicht so gut geeignet
sind wie jene anderer Organisationen.
Zur Diskussion steht jedoch der OSZE die Möglichkeit zu geben, Mandate für frie -
denserhaltende Operationen zu beschließen, die durch andere Sicherheitsorganisatio -
nen durchgeführt werden könnten.
Hervorzustreichen ist auch ihr erfolgreiches Engagement in Bosnien, Albanien und
Kroatien. So hat die OSZE z.B. in Bosnien mit Erfolg die Vorbereitung und Durch -
führung der - vom IFOR/SFOR - Friedenseinsatz abgesicherten - Wahlen organisiert
und die im Dayton - Agreement enthaltenen Rüstungskontrollbestimmungen und Ab -
rüstungsschritte überwacht. In Albanien fungierte sie bereits als ,, koordinierender
Rahmen“ für Maßnahmen aller anderen involvierten internationalen Institutionen, u.a.
solche der Europäischen Union, der WEU und des Europarates. In Kroatien hat die
OSZE unter anderem von UNTAES die Aufgaben der Unterstützung und Überwa -
chung der Flüchtlingsrückführung und der Einhaltung der Menschenrechte übernom-
men.
Im Zuge dieser Einsätze ist insbesondere auch das politische Interesse der Vereinigten
Staaten an der OSZE spürbar gewachsen; zugleich bringen die Vereinigten Staaten
ihren Einfluß in dieser Organisation seit Bosnien stärker zur Geltung. (In budgetärer
Hinsicht entfallen auf die Vereinigten Staaten etwa 10 Prozent des OSZE - Haushalts,
während die Mitgliedstaaten der Europäischen Union für bis zu zwei Drittel der Aus -
gaben aufkommen.)
Die im Rahmen der KSZE zeitweilig sehr einflußreiche " N+N - Gruppe "‚ (der Neu -
tralen und Nichtalliierten) besteht seit 1991 de facto nicht mehr, da Finnland, Irland,
Österreich und Schweden, die seinerzeit auch zu dieser Gruppe gehörten, heute ihre
OSZE - Positionen in der Europäischen
Union koordinieren.
Überlegungen, die OSZE mit einem Rechtsstatus zu versehen, einen Exekutivrat zu
schaffen und schrittweise vom Konsensprinzip abzugehen, werden derzeit nicht kon -
kret weiterverfolgt.
Eine im Rahmen des Diskussionsprozesses für ein „gemeinsames und umfassendes
Sicherheitsmodell für Europa im 21. Jahrhundert entwickelte Initiative der Europäi -
schen Union vom November 1996 (" Plattform für kooperative Sicherheit in Euro -
pa ") will die OSZE zu jenem Forum machen, durch welches die Zusammenarbeit
und Komplementarität unter den europäischen und transatlantischen Organisationen
und Institutionen verbessert werden soll, um in Zukunft besser für ein rasches, mehre -
re Organisationen einbindendes, effektives Krisenmanagement gerüstet zu sein.
Anläßlich der letzten Ministertagung in Kopenhagen im Dezember 1997 wurde - auf -
bauend auf diesem Vorschlag der Europäischen Union - ein „Richtlinienbeschluß
über ein OSZE - Dokument/Charta über Europäische Sicherheit“ gefaßt.
3.3 Aufgaben und Rolle der Europäischen Union
Die europäische Integration verstand sich von Beginn an als Friedenswerk (und damit
auch als sicherheitspolitisches Konzept). Nach dem Willen Jean Monnets und Robert
Schumans sollte ein fortschreitender Integrationsprozeß Kriege zwischen den teil -
nehmenden Staaten " nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich‘ machen.
Schon in der Präambel des - 1952 in Kraft getretenen - Gründungsvertrages der Euro -
päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) haben sich deren sechs Grün -
dungsmitglieder dazu bekannt, „an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen
Zusammenschluß ihrer wesentlichen Interessen zu setzen".
Von dieser sicherheitspolitischen „Innenwirkung“ der Integration ist die Frage zu un -
terscheiden, inwieweit die Europäische Gemeinschaft (und nunmehrige Europäische
Union) eine eigene - nach außen gerichtete - Sicherheits - und Verteidigungspolitik
verfolgen soll.
In diesem Bereich hat es nach dem Scheitern der Bemühungen um eine Europäische
Verteidigungsgemeinschaft (1954) und dem Abbruch der Arbeiten an einer Politi -
schen Union („Fouchet - Plan", 1962) erst im Rahmen der - ab 1972 entwickelten -
Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) konkrete Fortschritte gegeben.
In einer ersten Phase ging es dabei insbesondere um die Frage, inwieweit die Euro -
päische Gemeinschaft wirtschaftliche Embargomaßnahmen als sicherheitspolitisches
Instrument einsetzen kann und soll. Als Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch in
Afghanistan (1979) und im Zuge des Falklandkrieges (1982) ist es auch tatsächlich zu
Embargobeschlüssen der Gemeinschaft gekommen.
Auf dieser Erfahrung aufbauend, haben sich die EG - Staaten in der Einheitlichen Eu -
ropäischen Akte von 1987 erstmals zu „einer stärkeren Koordinierung ihrer Stand -
punkte zu den politischen und wirtschaftlichen
Aspekten der Sicherheit bereit erklärt.
Eine wichtige Weiterentwicklung brachte der - am 1. November 1993 in Kraft getre -
tene - Vertrag von Maastricht. In diesem bekannte sich - die aus der Gemeinschaft
hervorgegangene - Europäische Union zu einer Gemeinsamen Außen - und Sicher -
heitspolitik (GASP). Zu deren Zielsetzungen gehören gemäß Art. J. 1 des EU -
Vertrages in der geltenden Fassung u.a. „die Stärkung der Sicherheit der Union und
ihrer Mitgliedstaaten in allen ihren Formen“ und „die Wahrung des Friedens und die
Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend den Grundsätzen der Charta
der Vereinten Nationen sowie den Prinzipien der Schlußakte von Helsinki und den
Zielen der Charta von Paris“.
Gemäß Art. J.4 Abs. 1 des geltenden EU - Vertrages in der Fassung von Maastricht
umfaßt die GASP „sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union
betreffen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidi -
gungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen
könnte“.
Der Vertrag von Maastricht sieht weiters vor, daß die Europäische Union ,, die West -
europäische Union (WEU), die integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäi -
schen Union ist“, ersucht, „die Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidi -
gungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und durchzuführen“ (Art. J.4 Abs. 2
des EU - Vertrages in der geltenden Fassung).
Wie im Art. J.4 Abs. 4 des EU - Vertrages in der geltenden Fassung zugleich festge -
halten ist, berührt die GASP „nicht den besonderen Charakter der Sicherheits - und
Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten; sie achtet die Verpflichtungen eini -
ger Mitgliedstaaten aus dem Nordatlantikvertrag und ist vereinbar mit der in jenem
Rahmen festgelegten gemeinsamen Sicherheits - und Verteidigungspolitik.“
Die weitere Gestaltung der GASP und das künftige Verhältnis der Europäischen Uni -
on und der WEU waren zentrale Themen der EU - Regierungskonferenz. Zum politi -
schen Hintergrund dieser Diskussion ist festzuhalten, daß die Frage der künftigen Be -
ziehungen dieser beiden Organisationen in der Regierungskonferenz gemäß Beschluß
des Europäischen Rates von Florenz vom Juni 1996 im Lichte der Ergebnisse des -
kurz davor abgehaltenen - NATO - Ministertreffens von Berlin zu behandeln war. Bei
dieser Tagung hatten sich alle Mitglieder der Allianz dazu bekannt, daß eine europäi -
sche Sicherheits - und Verteidigungsidentität (ESVI) ,‚ innerhalb der Allianz“ entwik -
kelt werden soll (siehe im einzelnen Abschnitt 3.6).
Als Ergebnis der Regierungskonferenz in diesem Bereich wurde Art. J.4 geändert und
erhält als Art. 17 des neuen (noch nicht in Kraft getretenen) EU - Vertrages von Am -
sterdam die folgende Fassung:
„(1) Die Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik umfaßt sämtliche Fragen, welche
die Sicherheit der Union betreffen, wozu auch die schrittweise Festlegung einer ge -
meinsamen Verteidigungspolitik im Sinne des Unterabsatzes 2 gehört, die zu einer
gemeinsamen Verteidigung führen
könnte, falls der Europäische Rat dies beschließt.
Er empfiehlt in diesem Fall den Mitgliedstaaten, einen solchen Beschluß gemäß ihren
verfassungsrechtlichen Vorschriften anzunehmen.
Die Westeuropäische Union (WEU) ist integraler Bestandteil der Entwicklung der
Union; sie eröffnet der Union den Zugang zu einer operativen Kapazität insbesondere
im Zusammenhang mit Absatz 2. Sie unterstützt die Union bei der Festlegung der
verteidigungspolitischen Aspekte der Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik
gemäß diesem Artikel. Die Union fördert daher engere institutionelle Beziehungen zur
WEU im Hinblick auf die Möglichkeit einer Integration der WEU in die Union, falls
der Europäische Rat dies beschließt. Er empfiehlt in diesem Fall den Mitgliedstaaten,
einen solchen Beschluß gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften anzuneh -
men.
Die Politik der Union nach diesem Artikel berührt nicht den besonderen Charakter
der Sicherheits - und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten; sie achtet die
Verpflichtungen einiger Mitgliedstaaten, die ihre gemeinsame Verteidigung in der
Nordatlantikvertragsorganisation (NATO) verwirklicht sehen, aus dem Nordatlantik -
Vertrag und ist vereinbar mit der in jenem Rahmen festgelegten gemeinsamen Sicher -
heits - und Verteidigungspolitik.
Die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik wird in einer
von den Mitgliedstaaten als angemessen erachteten Weise durch eine rüstungspoliti -
sche Zusammenarbeit zwischen ihnen unterstützt.
(2) Die Fragen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird, schließen humanitä -
re Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze
bei der Krisen bewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen ein.
(3) Die Union wird die WEU in Anspruch nehmen, um die Entscheidungen und Aktio -
nen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und durch -
zu führen.
Die Befugnis des Europäischen Rates zur Festlegung von Leitlinien nach Artikel 13
gilt auch in bezug auf die WEU bei denjenigen Angelegenheiten, für welche die Union
die WEU in Anspruch nimmt.
Nimmt die Union die WEU in Anspruch, um Entscheidungen der Union über die in
Absatz 2 genannten Aufgaben auszuarbeiten und durchzuführen, so können sich alle
Mitgliedstaaten der Union in vollem Umfang an den betreffenden Aufgaben beteili -
gen. Der Rat trifft im Einvernehmen mit den Organen der WEU die erforderlichen
praktischen Regelungen, damit alle Mitgliedstaaten, die sich an den betreffenden
Aufgaben beteiligen, in vollem Umfang und gleichberechtigt an der Planung und Be -
schlußfassung in der WEU teilnehmen können.
Beschlüsse mit verteidigungspolitischen Bezügen nach diesem Absatz werden unbe -
schadet der Politiken und Verpflichtungen im Sinne des Absatzes 1 Unterabsatz 3
gefaßt.
(4) Dieser Artikel steht der Entwicklung einer engeren Zusammenarbeit zwischen
zwei oder, mehr Mitgliedstaaten auf zweiseitiger Ebene sowie im Rahmen der WEU
und der Atlantischen Allianz nicht entgegen, soweit sie der nach diesem Titel vorge -
sehenen Zusammenarbeit nicht zuwiderläuft und diese nicht behindert.
(5) Zur Förderung der Ziele dieses Artikels werden dessen Bestimmungen nach Arti -
kel 48 überprüft.
Wie der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt, ist es im Vertrag von Amsterdam in der
Sicherheitspolitik zu einer graduellen Fortentwicklung gekommen. So wurde die Per -
spektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union insofern präzisiert, als
deren Festlegung nunmehr ,, schrittweise" (alte Textierung: ,, auf längere Sicht") er -
folgen soll.
Wichtigstes konkretes Ergebnis der Regierungskonferenz für den Bereich der Sicher -
heitspolitik ist die Aufnahme der sogenannten ,,Petersberg - Aufgaben" (,, humanitäre
Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze
bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“) in den
EU - Vertrag, wobei die Union die WEU zur Ausarbeitung und Durchführung jener
Entscheidungen und Aktionen, die verteidigungspolitische Bezüge haben, ,, in An -
spruch nehmen“ (alte Textierung: „ersuchen“) wird.
Die Europäische Union erhält damit im Rahmen der GASP erstmals einen konkreten
politischen Zugang zu operativen Kapazitäten für den genannten Bereich. Gemäß Art.
17 des EU - Vertrages in der Fassung von Amsterdam können sich alle Mitgliedstaaten
der Union an diesen Aufgaben beteiligen; praktische Regelungen sollen darüber hin -
aus sicherstellen, daß jene Mitgliedstaaten, die an solchen Aufgaben mitwirken, auch
in die Planung und Beschlußfassung voll und gleichberechtigt eingebunden sind. (Auf
Fragen der praktischen Umsetzung, die sich in diesem Zusammenhang im Verhältnis
zwischen Europäischer Union, WEU und NATO ergeben, wird im Abschnitt 3.7 nä -
her eingegangen.)
In der Frage der - in der Regierungskonferenz diskutierten - ,, Integration der WEU in
die Europäische Union" ist es nicht zur Annahme des - zuletzt von neun der 15 Mit -
gliedstaaten der Union unterstützten - Drei - Stufen - Planes gekommen; die Integration
der WEU in die Union wird im Vertrag von Amsterdam aber erstmals als eine mögli -
che weitere Entwicklung bezeichnet; ihre Realisierung ist aber - ebenso wie die Ver -
wirklichung einer ,, gemeinsamen Verteidigung“ - von einem gesonderten Beschluß
des Europäischen Rates und entsprechenden Ratifikationsverfahren in den einzelnen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union abhängig.
3.4 Aufgaben, Rolle und Möglichkeiten der WEU
Der Grundstein für die Westeuropäische Union (WEU) wurde 1948 (also noch vor
der NATO) mit der Unterzeichnung des
Brüsseler Vertrags, der 1954 modifiziert
wurde, gelegt. Die - in Artikel V des Brüsseler Vertrages festgehaltene - Beistands -
verpflichtung ist wie folgt formuliert:
„Sollte einer der Hohen Vertragsschließenden Teile das Ziel eines bewaffneten An -
griffs in Europa werden, so werden ihm die anderen Hohen Vertragsschließenden
Teile im Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 51 der Satzung der Vereinten
Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstüt -
zung leisten.“
Die konkrete Wahrnehmung der Aufgaben der kollektiven Verteidigung ist - durch
die auf Art. IV desselben Vertrages begründete Praxis und die seit 1949 in Europa
gegebenen sicherheitspolitischen Realitäten - allerdings gänzlich an die NATO dele -
giert, der alle zehn WEU - Mitglieder als Vollmitglieder angehören.
Vor diesem Hintergrund ist der WEU, die auch über keine integrierten militärischen
Strukturen und sehr begrenzte eigene Planungskapazitäten verfügt, durch Jahrzehnte
keine nennenswerte eigenständige Rolle zugekommen.
Seit dem Anfang der achtziger Jahre ist es zu wiederkehrenden — und auch heute noch
aktuellen - Bemühungen um eine Belebung der WEU gekommen. Erster Beweggrund
hierfür war das Bestreben, innerhalb der NATO über ein Mittel zur Stärkung des „eu -
ropäischen Pfeilers“ zu verfügen.
Der Zusammenarbeit auf dem Rüstungssektor dient die - 1992 in die WEU eingeglie -
derte - „Western European Armaments Group (WEAG)“, der die zehn WEU -
Mitglieder sowie Dänemark, Norwegen und die Türkei angehören.
Außerdem fand der Wunsch, der Europäischen Union im Wege der WEU ein Instru -
mentarium für die Wahrnehmung sicherheitspolitischer Aufgaben mit militärischen
Implikationen (insbesondere für solche des Krisenmanagements) an die Hand zu ge -
ben, im Art. 17 des EU - Vertrags in der Fassung von Amsterdam durch die Veranke -
rung der WEU als „integraler Bestandteil der Entwicklung der Union“ einen sichtba -
ren Niederschlag.
Mit der - im Juni 1992 verabschiedeten - ,,Petersberg - Erklärung“ wurde das Krisen -
management auch formell zum eigentlichen Schwerpunkt der WEU - Aktivitäten, in -
dem sich die WEU - Mitgliedstaaten bereit erklärten, „militärische Einheiten des ge -
samten Spektrums ihrer konventionellen Streitkräfte“ auch für folgende Zwecke ein -
zusetzen: „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze; friedenserhaltende Aufgaben;
Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung‘ einschließlich Maßnahmen zur Herbeifüh -
rung des Friedens.“
Aufgrund des Wunsches der Europäischen Union, vermehrte Verantwortung im Be -
reich der europäischen Sicherheit zu übernehmen, wurden diese Aufgaben auch als
Zuständigkeit der Europäischen Union in den Art. 17 des EU - Vertrages in der Fas -
sung von Amsterdam aufgenommen (siehe hiezu auch Abschnitt 3.3).
Die WEU hat nicht nur im Bereich des Krisenmanagements auf die neuen sicher -
heitspolitischen Aufgaben reagiert. Als
konkreter Beitrag zur Überwindung über -
kommener Trennlinien ist die - auf die ,,Kirchberg - Erklärung“ aus 1994 zurückge -
hende - Einladung an die Partner der Europäischen Union in Zentral - und Osteuropa
zu verstehen, mit der WEU als ,, assoziierte Partner" zusammenzuarbeiten.
An Mitgliedstaaten der Europäischen Union, welche der WEU noch nicht angehören,
richtete die WEU außerdem die generelle Einladung, WEU - Mitglieder oder Beob -
achter zu werden. Europäischen NATO - Staaten, welche keine Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sind, wurde der Status " assoziierter WEU - Mitglieder" zuge -
standen.
Auf diese Weise gibt es heute 28 ,, WEU - Nationen mit vier verschiedenen Status -
formen. Dies hat einerseits zur Öffnung der Organisation beigetragen, andererseits
deren - seit jeher komplizierte - Konsultations - und Beschlußfassungsverfahren zu -
gleich aber noch schwieriger gemacht.
Die operationellen Kapazitäten der WEU sind in der Theorie in den vergangenen Jah -
ren durch militärische Kräfte, welche auch der WEU ausdrücklich zugeordnet sind
("Forces Answerable to WEU/FAWEU“), gestärkt worden. Zu diesen Kräften zählt
u.a. auch das - aus deutschen, französischen, belgischen, spanischen und luxemburgi -
schen Einheiten gebildete - Euro - Korps, das für Verteidigungszwecke allerdings voll
der NATO unterstellt wird.
In der Praxis stellt aber die - 1993 bis 1996 durchgeführte - Operation auf der Donau
zur Unterstützung Bulgariens, Rumäniens und Ungarns bei der Überwachung des
VN - Embargos die bis dato einzige - von der WEU ohne logistische Zusammenarbeit
mit der NATO verwirklichte - militärische Operation unter zentraler Führung dar. Zu
erwähnen sind weiters vor allem die WEU - Polizeieinsätze in Mostar und in Albanien.
Zu den wichtigsten (gerade auch für die WEU relevanten) militärischen Erfahrungen
des Konflikts auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gehört die Erkenntnis, daß
größere europäische Friedenseinsätze ohne einen Rückgriff auf NATO - bzw. US -
Ressourcen, insbesondere in den Bereichen der strategischen Aufklärung, der Logi -
stik und der Telekommunikation, nicht durchführbar wären. (So wurden z.B. 20 der
22 im Rahmen des IFOK/SFOR - Einsatz verwendeten satellitengestützten Telekom -
munikationsverbindungen von US - amerikanischer Seite beigestellt.)
Für allfällige Friedenseinsätze der WEU wäre daher ein geregelter Zugriff auf die
Mittel der Allianz erforderlich. Gleichzeitig wäre die WEU bei einem solchen Einsatz
in jedem Falle auf nationale Planungskapazitäten oder jene der NATO angewiesen.
Im Rahmen des - im Juni 1996 in Berlin beschlossenen - "Combined Joint Task
Force - Konzepts“ (siehe dazu auch Abschnitt 3.6) sollen in Zukunft NATO -
Kapazitäten auch für europäische Friedensmissionen unter WEU - Kommando zur
Verfügung gestellt werden. Hiezu bedarf es allerdings in jedem Falle entsprechender
vorangehender Beschlüsse des Nordatlantikrates (North Atlantic Council/NAC), die
von den NATO - Mitgliedern einvernehmlich zu treffen sind. (Auf die - in diesem Zu -
sammenhang erforderliche - Zusammenarbeit
zwischen der WEU und der NATO und
die Querverbindungen zu den Beschlüssen der Europäischen Union im Rahmen der
GASP wird im Abschnitt 3.7 gesondert eingegangen.)
3.5 Bedeutung der NATO und der transatlantischen Partnerschaft für die eu -
ropäische Stabilität; Rückblick
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es in Osteuropa zur kommunistischen
Machtübernahme. 1949 wurde die Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO)
gegründet. Gemäß der Präambel ihres Vertrages versteht sie sich als ein Bündnis,
dessen Mitglieder sich auf der Grundlage von Art. 51 der Satzung der VN zusam -
mengeschlossen haben, um „die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation
ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und
der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten“.
Die NATO beruht auf zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und hat daher keine su -
pranationalen Befugnisse. Ihr politisches Entscheidungsgremium, dem alle anderen
zivilen und militärischen NATO - Stellen untergeordnet sind, ist der - aus Vertretern
aller 16 Mitgliedstaaten gebildete - Nordatlantikrat (North Atlantic Council).
Die NATO wurde mit dem Anspruch gegründet, ein Forum für eine umfassende -
politische und militärische - transatlantische Zusammenarbeit zu bilden. Obzwar sich
der „Harmel - Bericht“ von 1967 erstmals ausdrücklich auch zum Grundsatz der Ent -
spannung bekannte, stand in den ersten vier Jahrzehnten ihres Bestehens die Abwehr
einer Bedrohung durch die Sowjetunion bzw. den Warschauer Pakt im Mittelpunkt
aller NATO - Planungen.
In der NATO erfolgt die Willensbildung nach dem Konsensprinzip. Unter den Bedin -
gungen des Kalten Krieges war es freilich offenkundig, daß der Führungsrolle der
Vereinigten Staaten schon deshalb eine zentrale Bedeutung zukam, weil ein militäri -
sches Vorgehen, in das die USA nicht in jedem Falle politisch und militärisch einge -
bunden waren, ohnehin unrealistisch war.
Die Frage nach eigenständigen (von den Vereinigten Staaten zumindest teilweise un -
abhängigen) europäischen militärischen Kapazitäten stellte sich zwischen 1949 und
1989 nicht (wenn man von den - 1954 am Widerstand der französischen Nationalver -
sammlung gescheiterten - Bemühungen zur Schaffung einer Europäischen Verteidi -
gungsgemeinschafi/EVG absieht).
Wesentliche vertragliche Basis für die wechselseitige Solidarität der Mitglieder im
Verteidigungsfall war und ist Artikel 5 des Washingtoner Vertrages, in dem sich die
Vertragsparteien verpflichten, einander „im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen
eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika“ Beistand zu leisten, „in -
dem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen
Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die
sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wieder -
herzustellen und zu erhalten".
Wirksam wird diese Beistandsverpflichtung gemäß Artikel 6 des Nordatlantikvertra -
ges in geographischer Hinsicht bei einem bewaffneten Angriff auf das Gebiet einer
Vertragspartei ,, in Europa oder Nordamerika“, auf das Gebiet „der Türkei‘ oder auf
die ,‚ der Gebietshoheit einer der Parteien unterliegenden Inseln im nordatlantischen
Gebiet nördlich des Wendekreis des Krebses" bzw.,, auf die Streitkräfte, Schiffe oder
Flugzeuge einer der Parteien, wenn sie sich in oder über diesen Gebieten... oder
wenn sie sich im Mittelmeer oder im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wende -
kreises des Krebses befinden“.
Wenngleich die zitierte Beistandsverpflichtung an sich flexibler formuliert ist als die
entsprechende Bestimmung des WEU - Vertrages (siehe Abschnitt 3.4), stand die
NATO in den Zeiten des Kalten Krieges aus der Sicht aller ihrer Mitglieder für ein
Konzept der Abschreckung.
Die Verteidigungsanstrengungen der NATO haben in der Zeit des Kalten Krieges ent -
scheidend zu jenem strategischen Kräftegleichgewicht beigetragen, das damals eine
grundlegende Voraussetzung für die friedliche Entwicklung ganz Westeuropas dar -
stellte.
Wenngleich die NATO keine formellen Regelungen zur friedlichen Streitbeilegung
im Inneren vorsieht, hat die Einbindung der Streitkräfte der Mitgliedstaaten in die in -
tegrierten militärischen Strukturen mitgeholfen, einen direkten bewaffneten Konflikt
zwischen Bündnispartnern zu verhindern.
Festzuhalten ist auch, daß das spezifische militärische Engagement der einzelnen
NATO - Staaten schon in der Zeit vor 1989 keineswegs durch eine völlige Uniformität
geprägt war.
So blieben Frankreich, Griechenland und Spanien den integrierten Kommandostruk -
turen der NATO zeitweilig bzw. gänzlich fern (Frankreich sogar der gemeinsamen
Verteidigungsplanung); die militärischen Eigenleistungen der einzelnen Mitglieder
divergierten voneinander. Sehr unterschiedlich war auch das Ausmaß, in dem die
Mitglieder nationale Verbände für Bündnisaufgaben "assignierten“; Dänemark und
Norwegen erklärten darüber hinaus ausdrücklich, daß sie auf ihrem eigenen Territori -
um in Friedenszeiten weder Nuklearwaffen noch fremde Truppenverbände aufneh -
men würden.
3.6 Der Prozeß der ,,Schaffung einer neuen NATO“
Seit 1990 durchläuft die NATO einen tiefgreifenden Prozeß der Neuorientierung.
Zum Ziel der ,,Schaffung einer neuen NATO“ bekennen sich die Mitgliedstaaten der
Allianz seit dem NATO - Ministertreffen von Berlin im Juni1996 ausdrücklich. Dabei
geht es insbesondere um
den Wechsel von der Konfrontation zur Kooperation und den Aufbau partner -
schaftlicher Beziehungen zu ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Paktes und
anderen Staaten;
• die Übernahme neuer Aufgaben des internationalen Krisenmanagements;
• die Entwicklung einer Europäischen Sicherheits - und Verteidigungsidentität;
• sowie die Öffnung der NATO für neue Mitglieder.
Schon beim NATO - Außenministertreffen im Juni 1990 in Turnberry hat die Allianz
ihre Entschlossenheit bekundet, ,, die historische Chance, die sich aus den grundle -
genden Veränderungen in Europa ergibt zu ergreifen, um eine neue - auf Freiheit,
Recht und Demokratie gegründete - europäische Friedensordnung zu schaffen“.
In der Folge hat die NATO im November 1991 ein diesem Ziel entsprechendes neues
„Strategisches Konzept“ verabschiedet. Nach diesem Konzept fußt die neue Sicher -
heitspolitik der NATO auf Dialog, Kooperation und Verteidigung sowie den verstärkt
an Bedeutung gewinnenden Elementen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. In
der Berliner Erklärung vom Juni 1996 hat die NATO unterstrichen, daß ihr Haup -
tzweck in der „Gewährleistung von Frieden und Sicherheit im euro - atlantischen
Raum“ liegt.
Als Konsequenz dieses breit angelegten sicherheitspolitischen Ansatzes entwickelt
die NATO seit 1990 immer stärker und dichter werdende gesamteuropäische Koope -
rationsmechanismen; dazu zählen insbesondere die Partnerschaft für den Frieden, die
spezifischen Partnerschaften mit Rußland und der Ukraine sowie die verstärkte Zu -
sammenarbeit der NATO mit den VN (siehe dazu Abschnitt 3.1), der OSZE (siehe
Abschnitt 3.2) und der WEU (siehe Abschnitt 3.4).
Wie die nachfolgend beschriebenen Entwicklungen zeigen, versteht sich die" neue
NATO“ nicht bloß als klassisches Militärbündnis. Den von ihr beschrittenen Weg zu
einer umfassenden Sicherheits - und Stabilitätsgemeinschaft sieht sie als „historische
Chance ‚. Neue Aufgaben der kooperativen Sicherheit, die in weiterer Folge be -
schrieben werden, ergänzen das Bekenntnis zu einer glaubwürdigen kollektiven Ver -
teidigung (auf der Basis der Beistandsverpflichtung nach Art. 5 Nordatlantikvertrag),
die für die Ziele der Allianz auch weiterhin von zentraler Bedeutung bleibt.
Die Partnerschaft für den Frieden
Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer ,‚ neuen NATO“ war die (1991 erfolgte)
Schaffung des Nordatlantischen Kooperationsrates (NAKR), einer - zunächst für die
ehemaligen Warschauer Pakt - Staaten gedachten - kooperativen europäischen Platt -
form u.a. für politische und sicherheitsbezogene multilaterale Konsultation, Förde -
rung der demokratischen Kontrolle der Streitkräfte und der Transparenz nationaler
Verteidigungsplanung.
Ab 1994 wurde diese Kooperationsstruktur durch das Instrument der ,, Partnerschaft
für den Frieden“ (Partnership for Peace/PfP) ergänzt. In deren Rahmen arbeiten zur
Zeit 27 Partnerstaaten aus Europa und Zentralasien mit der NATO und den 16
NATO - Staaten zusammen.
Grundlage für die Zusammenarbeit ist ein - von der NATO und den Partnern als poli -
tische Absichtserklärung verstandenes — „Rahmendokument“, das u.a. die ,,Entwick -
lung kooperativer militärischer Beziehungen zur NATO mit dem Ziel gemeinsamer
Planung, Ausbildung und Übungen" vorsieht, um die Fähigkeiten der Partner "für
Aufgaben auf den Gebieten Friedenswahrung, Such - und Rettungsdienst, humanitäre
Operationen und anderer eventuell noch zu vereinbarender Aufgaben zu stärken
Auf längere Sicht soll zu diesen Zwecken auf die Entwicklung von Streitkräften hin -
gearbeitet werden, ,die mit denen der Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Allianz
besser gemeinsam operieren können ‚. Wesentliches Merkmal der PfP ist das Prinzip
der Selbstdifferenzierung, d.h. daß jeder Partner zu jeder Zeit ausschließlich selbst
das Ausmaß seiner Zusammenarbeit mit der NATO und anderen Partnern bestimmt.
Weiters umfaßt die Zusammenarbeit auch ein weites Spektrum an zivilen Aktivitäten,
die inzwischen zu einem tragenden Bestandteil der PfP geworden sind. Dazu zählen
insbesondere die zivile Notstandsplanung und die internationale humanitäre und Ka -
tastrophenhilfe. Darüber hinaus bietet die PfP gewisse Möglichkeiten für gemeinsame
Arbeiten im Bereich des Umweltschutzes, der Wissenschaft und des wirtschaftlichen
Krisenmanagements.
Die militärischen Reformmaßnahmen
Die NATO hat auch wichtige Merkmale ihrer Militärstrategie geändert. So wurde v.a.
das bisherige Konzept der,, Vorneverteidigung“ aufgegeben; der Grundsatz der ‚fle-
xiblen Reaktion“ wurde so neu gefaßt, daß er eine deutlich verminderte Abstützung
auf Nuklearwaffen widerspiegelt, die gemäß dem Strategischen Konzept der NATO
aus 1991 jedoch weiterhin die ,, oberste Garantie für die Sicherheit der Verbündeten“
darstellen. Diese strategische Neuorientierung hat zu einer tiefgreifenden militäri -
schen Reorganisation der NATO geführt. Infolge der Wende von 1989 war die Alli -
anz in der Lage, ihre Einsatzbereitschaft - sowohl quantitativ als auch zeitlich - deut -
lich zurückzunehmen und ihre Kommandostruktur zu straffen.
Vor 1990 mußten die Landstreitkräfte der NATO innerhalb von 48 Stunden verfügbar
sein. Mittlerweile sind die Bodentruppen um 35 Prozent verkleinert worden - und we -
niger als zehn Prozent des ursprünglichen Bestandes sind innerhalb der ersten 20 Ta -
ge verfügbar, während für den Rest ein Aufstellungszeitraum von drei bis sechs Mo -
naten gilt.
Im Rahmen der Bemühungen des KSE - Vertrages um eine ausgewogene Abrüstung -
und über diesen hinausgehend - hat die NATO seit 1990 in Europa fast die Hälfte ih -
rer Panzer, 40 Prozent ihrer Luftstreitkräfte, 35 Prozent ihrer Bodentruppen und 80
Prozent ihres nuklearen Potentials (einschließlich aller landgestützten Atomraketen)
abgerüstet.
Mit der Schaffung von ,, Krisenreaktionskräften“, der von der NATO im Vergleich zu
den klassischen ,,Hauptverteidigungskräften“ Priorität eingeräumt wird, und dem be -
ginnenden Aufbau verlegungsfähiger Kommanden im Rahmen des Modells der
,,Combined Joint Task Forces/CJTF“ hat
sich die Allianz auch strukturell auf ein si -
cherheitspolitisches Umfeld eingestellt, in dem sie den Aufgaben eines effektiven
Krisenmanagements offenbar die gleiche Bedeutung beimessen will wie der klassi -
schen kollektiven Verteidigung.
Die Friedensmission in Bosnien
Im Rahmen des multinationalen IFOR/SFOR - Friedenseinsatzes in Bosnien und Her -
zegowina haben die neuen NATO - Strukturen und die von der Allianz initiierten ge -
samteuropäischen Kooperationsmechanismen ein erstes positives Beispiel geliefert.
Es hat sich gezeigt, daß es bei einer Friedensoperation dieser Größenordnung und
Aufgabenstellung unter den gegebenen Umständen notwendig ist, auf die - ursprüng -
lich nur für Zwecke der kollektiven Verteidigung geschaffenen - NATO - Kapazitäten
(auch auf die in Europa stationierten US - Verbände) auch im Interesse eines effekti -
ven Krisenmanagements zurückgreifen zu können.
Die - im PfP - Rahmen erworbene - Erfahrung und das dort aufgebaute Vertrauen ha -
ben es möglich gemacht, diesen Einsatz zu einer gemeinsamen Mission der NATO -
Staaten und ihrer Partner zu machen. Truppensteller, die nicht der NATO angehören,
haben zwar die Verfügungsgewalt über ihre eigenen Kräfte behalten, ein Mitentschei -
dungsrecht über die Gestaltung des Operationsplans hatten sie aber nicht. Sie wurden
vielmehr eingeladen, sich auf der Basis bilateraler Vereinbarungen einer - von der
NATO geplanten und geleiteten und von den VN autorisierten - Friedensoperation
anzuschließen.
Es war jedoch auch für den bisherigen militärischen Erfolg dieser Operation entschei -
dend, daß die etablierten operationellen Strukturen inzwischen - im oben beschriebe -
nen Sinne - weiterentwickelt und die transatlantischen und europäischen Kooperati -
onsmechanismen vertieft worden sind.
Dieser Einsatz hat den teilnehmenden Partnern wertvolle praktische Erfahrungen
vermittelt, die über die ursprünglichen PfP - Ziele hinausreichen: wegen der multina -
tionalen Kooperation im Rahmen einer konkreten Operation und auch deshalb, weil
es sich bei dieser Friedensmission um eine Operation mit Elementen der Friedens -
durchsetzung handelt, während sich das bisher gültige PfP - Konzept nur auf die klassi -
sche Friedenserhaltung bezog.
Die „vertiefte Partnerschaft für den Frieden“
Sowohl in diesem als auch in anderen Punkten soll das Modell einer "vertieften Part -
nerschaft für den Frieden“, das weiterhin auf dem oben beschriebenen Prinzip der
Selbstdifferenzierung beruht, eine Weiterentwicklung bringen. Die vertiefte Partner -
schaft sieht u.a. verstärkte politische Konsultationsmöglichkeiten zwischen der
NATO und den Partnern, eine vertiefte regionale Kooperation, eine zunehmende ope -
rative Rolle sowie die stärkere
Einbeziehung der Partner in Planungs - und Entschei -
dungsprozesse vor, soweit letztere gemeinsame Anliegen betreffen. Außerdem er -
möglicht die vertiefte Partnerschaft für den Frieden die Abstellung von Personal der
Partnerstaaten in Kommandostellen der NATO und beinhaltet die Angleichung der
militärischen Planungs - und Überprüfungsprozesse zwischen der NATO und den
Partnern.
Militärischer Schwerpunkt des Übergangs von der bisherigen zur „vertieften Partner -
schaftt für den Frieden ist das Bestreben, die Fähigkeit der Partner zur operationellen
Zusammenarbeit (Interoperabilität) auf das „gesamte Spektrum der Friedensopera -
tionen auszuweiten, worunter von der NATO auch „militärische Kampfeinsätze un -
ter unterschiedlichen topographischen und klimatischen Bedingungen" zur Friedens -
schaffung verstanden werden. Das - von der PfP erfaßte - Spektrum deckt sich damit
in etwa mit jenem der " Petersberg - Aufgaben" der WEU, die seit dem Europäischen
Rat von Amsterdam Bestandteil der GASP sein können (siehe hiezu Abschnitt 3.3).
Auf politischer Ebene ist das - an die PfP - Partner gerichtete - Angebot der NATO zu
einer vertieften militärischen Zusammenarbeit im Mai 1997 von der Schaffung des
„Euro - Atlantischen Partnerschaftsrates“ (EAPC) begleitet worden. Dieser faßt alle
bisherigen PfP - Partner und die Mitglieder des (gleichzeitig aufgelösten) Nordatlanti -
schen Kooperationsrates in einem umfassenden multilateralen Dialogforum zusam -
men.
Außerdem soll er den institutionellen Rahmen für zusätzliche Konsultationsmöglich -
keiten und für ,direkte Beziehungen zwischen der Allianz und einzelnen Partner -
staaten bzw. Partnergruppen bieten; weiters sollen die Partner im Falle eines gemein -
samen Krisenmanagements im Wege des EAPC die jeweils „weitestmöglichen Mit -
entscheidungsgelegenheiten“ erhalten. In die politische Führung von NATO -
geleiteten PfP - Operationen, die beim Nordatlantischen Rat liegt, sollen die truppen -
stellenden Partner „soweit praktisch machbar‘ im Wege des EAPC „verstärkt invol -
viert werden.
Der Euro - Atlantische Partnerschaftrat baut - wie schon bisher die PfP in ihrer ur -
sprünglichen Form - auf dem Grundsatz der "Selbstdifferenzierung " auf. Der EAPC
bemüht sich darüber hinaus um einen ,‚ integrierenden Charakter ", er soll allen Teil -
nehmerstaaten (heute 44) aus Nordamerika, Europa und Zentralasien einen flexiblen
Rahmen für multilaterale, regionale und bilaterale Kooperation bieten und so einen
wertvollen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit in Europa leisten.
Die Partnerschaft mit Rußland und der Ukraine
Spezifische Partnerschaften hat die NATO mit Rußland und der Ukraine abgeschlos -
sen. Mit letzterer wurde im Juli 1997 eine Charta unterzeichnet, die einen eigenstän -
digen - bilateralen - Konsultationsmechanismus vorsieht. Noch weitergehend sind die
mit der Russischen Föderation getroffenen
politischen Vereinbarungen.
Durch die - am 27. Mai 1997 in Paris unterzeichnete - „Gründungsakte über gegen -
seitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit“ wurde ein eigenes (für keinen
anderen PfP - Partner vorgesehenes) - umfassendes - Konsultationsorgan, der „NATO -
Rußland - Rat“, ins Leben gerufen. Dieser soll als Forum für - regelmäßig, insbesonde -
re aber auch in Krisen - oder Notsituationen abzuhaltende - gemeinsame Beratungen
der 16 NATO - Mitglieder und Rußlands dienen, wobei im Falle gemeinsam Verein -
barter Friedensoperationen Rußland sogar das ausdrückliche Recht auf „gemeinsame
Entscheidungen“ eingeräumt wird. (Im letzteren Punkt gehen die Gestaltungsmög -
lichkeiten Rußlands, wie ein Vergleich mit dem weiter oben zitierten EAPC - Text
zeigt, über jene aller anderen PfP - Partner merklich hinaus.)
Außerdem enthält die "Gründungsakte" NATO - Rußland einleitend die grundsätzliche
Feststellung, daß sich " die beiden Seiten nicht mehr als Gegner betrachten ", sondern
vielmehr durch das Bekenntnis zum Aufbau eines „stabilen, friedlichen und unge -
teilten Europa“ verbunden sind. In der Gründungsakte wird weiters das inhärente
Recht eines jeden Staates bekräftigt, die Mittel zur Gewährleistung seiner Sicherheit
selbst zu wählen. Vor diesem Hintergrund kann die Unterzeichnung der ,,Gründungs -
akte“ NATO - Rußland, wie Vizekanzler Dr. Schüssel in der Sitzung des Ministerrates
vom 27. Mai 1997 festgestellt hat, als „Geburtsstunde einer neuen gesamteuropäi -
schen Friedensordnung“ gelten.
Die Europäische Sicherheits - und Verteidigungsidentität
Im Zuge des NATO - Ministertreffens von Berlin im Juni 1996 trug die NATO dem
Wunsch von Partnern der Europäischen Union Rechnung, eine ,Europäische Sicher -
heits - und Verteidigungsidentität“ aufzubauen, die „innerhalb der Allianz“ verwirk -
licht werden soll. Das Schlußdokument des Madrider Gipfeltreffens der NATO ver -
weist in diesem Zusammenhang im übrigen auf die „gemeinsamen strategischen In -
teressen“, die sich „die Allianz und die Europäische Union teilen“.
Inhaltlich reflektiert diese Festlegung die Überzeugung aller NATO - Mitglieder (also
auch jene der 11 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die der Allianz angehören),
daß eine - von der NATO völlig losgelöste - europäische Verteidigungsstruktur in der
absehbaren Zukunft nicht realisiert werden wird.
Über Drängen der europäischen Verbündeten sollte mit dieser Zielsetzung aber auch
klargestellt werden, daß die Bemühungen zur Stärkung des „europäischen Pfeilers“
der NATO fortgesetzt werden. In diesem Zusammenhang hat die NATO in Berlin
ihre grundsätzliche Bereitschaft bekundet, NATO - Ressourcen für europäische Frie -
denseinsätze unter Leitung der WEU auch in jenen Fällen zur Verfügung zu stellen,
in denen sich die nordamerikanischen Verbündeten nicht engagieren wollen. Eine
konkrete Entscheidung wird allerdings in jedem Einzelfall vom Nordatlantikrat zu
treffen sein (siehe hiezu auch die Abschnitte
3.4 und 3.7).
Im Zeichen des Bemühens um eine "Europäische Sicherheits - und Verteidigungsi -
dentität“ steht auch die laufende Debatte um eine weitere Verstärkung der europäi -
schen Präsenz in den Führungsstrukturen der Allianz. (Zwar stellen die Europäer den
NATO - Generalsekretär, dessen Stellvertreter, vier der fünf beigeordneten Generalse -
kretäre, den Vorsitzenden des NATO - Militärausschusses sowie den Direktor des In -
ternationalen Militärstabes; in vielen operationellen Schlüsselfunktionen sind freilich
weiterhin Amerikaner tätig.)
In diesem Zusammenhang haben sich die Vereinigten Staaten bislang insbesondere
geweigert, auf die von Frankreich und einigen anderen europäischen Staaten ver -
langte Übertragung des NATO - Südkommandos an einen Europäer einzugehen.
Frankreich will deshalb mit seiner - schon in Berlin grundsätzlich in Aussicht ge -
stellten - Wiedereingliederung in die integrierten Kommandostrukturen der NATO
vorerst weiter zuwarten. Demgegenüber ist die vollständige militärischen Integration
Spaniens politisch beschlossen.
Aus der Erfahrung der letzten Jahre muß aber der Schluß gezogen werden, daß das
künftige Gewicht der Europäer in der NATO von deren Bereitschaft abhängen wird,
mit einer Stimme aufzutreten; aber auch davon, ob sie angesichts konkreter Heraus -
forderungen (wie sie etwa ein langfristiger Bosnien - Einsatz darstellen könnte) zu ver -
stärkten Eigenleistungen bereit sind.
Die NATO - Erweiterung
Das weitestreichende Projekt der „neuen NATO“ ist die NATO - Erweiterung.
In ihrer Erweiterungsstudie vom September 1995 hat die Allianz hervorgehoben, daß
sich ihre Öffnung für neue Mitglieder gegen niemanden richtet, keine neuen Trennli -
nien schaffen soll, als schrittweiser, überlegter und transparenter Prozeß angelegt ist,
ausführliche Konsultationen mit allen Betroffenen vorsieht und im Gesamtzusam -
menhang mit der Schaffung einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur zu sehen
ist, welche integrativ und kooperativ sein soll und auch Rußland einschließen muß.
Der letztgenannten Forderung sollte insbesondere auch die Unterzeichnung der oben
erwähnten „Gründungsakte“ NATO - Rußland Rechnung tragen. In dieser wiederholt
die NATO u.a., daß „sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlaß habe,
nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren“
Weiters bekräftigt die NATO darin ihre Absicht, die „kollektive Verteidigung und
andere Aufgaben“ nicht durch die dauerhafte Stationierung „zusätzlicher substanti -
eller Kampftruppen“ wahrzunehmen, sondern diese durch die " erforderliche Inter -
operabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung“ zu gewährleisten. Rußland
lehnt den Erweiterungsprozeß zwar weiterhin als politischen Fehler ab, hat ihn aber
mit dem Abschluß der Gründungsakte de facto akzeptiert.
An sich ist die Aufnahme zusätzlicher Mitglieder für die NATO kein neues Phäno -
men. Das diesbezüglich in Artikel 10 des
Nordatlantikvertrages vorgesehene Auf -
nahmeverfahren kam auch vor 1989 zur Anwendung, zuletzt im Jahre 1982 im Falle
Spaniens.
Was die - seit 1994 in Vorbereitung stehende - NATO - Erweiterung von früheren Pro -
zessen dieser Art unterscheidet, ist die Tatsache, daß jetzt Länder in die NATO auf -
genommen werden sollen, die noch vor wenigen Jahren Angehörige eines gegneri -
schen Militärpaktes waren. Aus der Sicht der NATO kann und soll die Erweiterung
dazu beitragen, die historische Wende von 1989 und die Überwindung der Trennlini -
en in Europa unumkehrbar zu machen, die europäische Stabilitätszone auszudehnen
und die Reformprozesse in den Ländern Zentral - und Osteuropas dauerhaft abzusi -
chern.
In dieser Hinsicht verfolgen die - nach den jeweiligen internen Verfahren autonom
und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit verlaufenden - Erweiterungsprozesse der
Europäischen Union und der NATO beide das Ziel, die Reformländer Zentral - und
Osteuropas dauerhaft in gemeinsame Strukturen einzubinden. Damit erfüllt auch die
NATO für diese neuen Demokratien eine wichtige integrierende Funktion.
Gerade auch unter diesem Blickwinkel ist die - vom Madrider NATO - Gipfel im Juli
1997 getroffene - Entscheidung, Polen, die Tschechische Republik und Ungarn zu
Gesprächen über den Beitritt zur Allianz einzuladen (und bis zum NATO - Gipfel von
Washington im April 1999 auch tatsächlich aufzunehmen), ein konkretes Beispiel für
den Prozeß der Schaffung einer neuen NATO.
In Madrid hat die NATO darüber hinaus betont, daß der Erweiterungsprozeß beim
Washingtoner Gipfel einer neuerlichen Überprüfung unterzogen werden wird (wobei
die besondere Qualifikation Rumäniens und Sloweniens schon jetzt ausdrücklich her -
vorgehoben wurde).
Die - von der NATO in Madrid in diesem Zusammenhang gemachte - Feststellung,
daß ihre Türen offen bleiben, ist ein Signal. Sie ist eine an alle europäischen Staaten
gerichtete Einladung, ihre Zusammenarbeit mit der Allianz in dem von ihnen ge -
wünschten Ausmaß weiterzuentwickeln.
3.7 Europäisches Krisenmanagement; Modelle und Gestaltungsmöglichkeiten
Wie aus der bisherigen Darstellung hervorgeht, könnten Friedensmissionen in Europa
derzeit insbesondere gemäß den folgenden Einsatzmodellen realisiert werden:
• im Bereich der klassischen Friedenserhaltung als Einsatz der
- Vereinten Nationen (nach dem Beispiel von UNFICYP);
- OSZE (in Form von Langzeitmissionen wie in Georgien oder als Einsatz, wie er
für Nagornij Karabach in Aussicht genommen, aber bislang nicht realisiert wur -
de);
• im Falle anderer Formen des Krisenmanagements, einschließlich friedensschaffen -
der Maßnahmen:
- Friedensmission unter dem Kommando einer ,, lead nation“ (nach dem Beispiel
des Albanien - Einsatzes);
- Friedensmission unter der Führung einer Sicherheitsorganisation, und zwar ins -
besondere:
* der NATO (alleine oder mit Partnern nach dem Muster von IFOR und
SFOR);
* oder der WEU im Rahmen einer Petersberg - Operation (mit oder ohne
NATO - Unterstützung, wobei die WEU gemäß dem Vertrag von Amsterdam
in Zukunft von der Europäischen Union in Anspruch genommen werden
kann).
Bei Einsätzen, die friedensschaffenden Charakter haben, wird allgemein - und insbe -
sondere auch seitens der NATO und der WEU - davon ausgegangen, daß solche Ope -
rationen „im Einklang mit der Satzung der Vereinten Nationen“ durchgeführt werden
müssen. In der Praxis sind die bisherigen Operationen dieser Art vom Sicherheitsrat
der VN autorisiert worden.
Was die Vorbereitung, Planung und Durchführung von friedenserhaltenden Einsätzen
der VN und der OSZE anlangt, ist festzuhalten, daß diese grundsätzlich für alle Mit -
glieder der jeweiligen Organisation offen sind - und daß die wesentlichen Entschei -
dungen in den zuständigen VN - bzw. OSZE - Gremien fallen, wobei die notwendigen
Kommandostrukturen ad hoc und im Einvernehmen mit allen Truppenstellern ge -
schaffen werden.
Bei Friedensoperationen nach dem "lead nation"- Konzept liegt die Hauptverant -
wortung für die Vorbereitung, Planung und Durchführung des gesamten Einsatzes
logischerweise beim jeweiligen ‚Führungsland, das auch darüber entscheidet, mit
welchen anderen Truppenstellern es zusammenarbeiten will.
Die Vorbereitung, Planung und Durchführung von Operationen, die von der NATO
bzw. der WEU geführt werden, erfolgt grundsätzlich durch die politischen und opera -
tionellen Instanzen dieser beiden Organisationen. Im Rahmen der NATO -
Partnerschaft für den Frieden, im Wege der Zusammenarbeit der WEU mit bestimm -
ten Nicht - Mitgliedern (WEU - Beobachtern, assoziierten Partnern und assoziierten
Mitgliedern) und auf der Basis der „Gründungsakte“ NATO - Rußland wurden und
werden, wie in den Abschnitten 3.4 und 3.6 näher erläutert wird, zwar Mechanismen
für die Kooperation und Konsultation mit Drittstaaten, die sich an gemeinsamen Frie -
densoperationen beteiligen, geschaffen; eine volle Mitentscheidung ist in den ge -
nannten Fällen bisher - eine Einigung über eine gemeinsame Operation vorausgesetzt
- aber nur im Verhältnis NATO - Rußland vorgesehen.
Eine neue Entwicklung hat in diesem Zusammenhang der Vertrag von Amsterdam
gebracht. Wie bereits in Abschnitt 3.3 ausgeführt, sieht Art. 17 des EU - Vertrages in
der Fassung von Amsterdam vor, daß die Europäische Union die WEU für ‚,humani -
täre Aufgaben und Rettungseinsätze,
friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfein -
sätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen im
Rahmen der GASP in Zukunft ,, in Anspruch nehmen " kann, wobei der Europäische
Rat diesfalls auch die Möglichkeit hat, der WEU ,, Leitlinien " vorzugeben.
In einem solchen Falle sind also alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ein -
schließlich jener, die in der WEU nur Beobachterstatus haben) in die politische Vor -
entscheidung über einen europäischen Friedenseinsatz der WEU voll eingebunden.
Darüber hinaus räumt der EU - Vertrag in der Fassung von Amsterdam allen Mitglied -
staaten der Europäischen Union ein Recht auf die Teilnahme an einer derartigen - von
der Europäischen Union initiierten - WEU - Operation ein; außerdem sollen gemäß
Art. 17 des EU - Vertrages in der Fassung von Amsterdam alle Mitgliedstaaten der
Union, die an einer konkreten Mission dieses Typs mitwirken, in die Lage versetzt
werden, sich gleichberechtigt an der Planungsarbeit und am Entscheidungsprozeß in -
nerhalb der WEU zu beteiligen.
Die WEU hat diese Regelung für ihren Bereich anläßlich des WEU - Ministerrates von
Erfurt im November 1997 bereits umgesetzt. Darüber hinaus hat die WEU den Beob -
achtern in Erfurt vergleichbare Möglichkeiten auch für den Fall eingeräumt, daß sich
diese an Petersberg - Operationen, die nicht von der Union initiiert werden, beteiligen;
siehe auch Abschnitt 4.4.4. (In Erfurt ist allen interessierten WEU - Beobachtern im
übrigen auch die Möglichkeit eröffnet worden, künftig an Sitzungen der,, Western
European Armaments Group (WEAG)“ teilzunehmen; zu dieser siehe auch Abschnitt
3.4.)
In bezug auf die erwähnten Regelungen ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß
die realen Möglichkeiten der WEU, konkreten Aufträgen der Europäischen Union im
Bereich der Sicherheitspolitik zu entsprechen, wie schon im Abschnitt 3.4 dargestellt
wurde, soweit absehbar objektiv begrenzt sind. Aus den bisherigen Planungen der
WEU geht insbesondere hervor, daß ein WEU - Einsatz die Größe einer Brigade (ca.
6.000 Soldaten) in aller Regel nicht übersteigen dürfte - und daß die WEU auch bei
einer solchen Operation normalerweise auf Planungskapazitäten der NATO und auf
Ressourcen der Allianz im Bereich der Logistik, des Transports und der strategischen
Aufklärung zurückgreifen müßte.
Dies ist seit den Beschlüssen des NATO - Ministertreffens von Berlin im Juni 1996
(siehe hiezu Abschnitt 3.6) zwar grundsätzlich möglich, setzt aber jeweils eine aus -
drückliche Entscheidung des Nordatlantikrates voraus.
Angesichts des Umstandes, daß die WEU - Mitglieder durchwegs auch Mitglieder der
Europäischen Union und der NATO sind, nehmen die meisten Experten an, daß diese
Staaten in der künftigen Praxis einer (einstimmig zu treffenden) Entscheidung der
Union, die WEU ,, in Anspruch zu nehmen ", in den Instanzen der Union wohl nur
dann zustimmen würden, wenn vorweg geklärt ist, daß die WEU die in Aussicht ge -
nommene Aufgabe auch tatsächlich übernehmen kann (und vor allem auch die hiefür
in der Regel notwendige NATO -
Unterstützung gesichert ist).
Dies würde aber den erfolgreichen Abschluß eines allfälligen WEU - Entscheidungs -
vorlaufes und informelle Konsultationen zwischen der WEU und der NATO voraus -
setzen, deren Ergebnis von internen Entscheidungen dieser Organisationen abhängt.
Das - den WEU - Beobachtern im EU - Vertrag in der Fassung von Amsterdam zuge -
sagte - Recht auf volle Einbindung in die WEU - internen Entscheidungs - und Pla -
nungsprozesse wird erst dann wirksam, wenn diese einen eigenen Beitrag zu einem
(von der Europäischen Union beschlossenen und der WEU formell akzeptierten) Ein -
satz konkret in Aussicht gestellt haben.
Im Lichte der beschriebenen Zusammenhänge ist insgesamt jedenfalls davon auszu -
gehen, daß ein gemäß Art. 17 des EU - Vertrages in der Fassung von Amsterdam zu
treffender Beschluß der Europäischen Union " mit Verteidigungsimplikationen“ im
Regelfall zu einem Entscheidungsprozeß führen dürfte, in welchen die Europäische
Union, die WEU und die NATO eingebunden sind.
4 Die sicherheitspolitische Situation Österreichs
4.1 Die geostrategische Lage Österreichs; Chancen und Risken
Gerade auch für Österreich, das im Zentrum des neuen Europa liegt, hat die - im Ab -
schnitt 2.2 vorgenommene - Analyse der Chancen und Risken im Bereich der euro -
päischen Sicherheit grundsätzliche Bedeutung.
Die Entwicklung der militärischen Potentiale in der Nachbarschaft Österreichs, die
absehbare internationale Entwicklung und der Beitritt von österreichischen Nachbar -
staaten zur NATO und zur Europäischen Union lassen eine existentielle militärische
Bedrohung Österreichs auf absehbare Zeit als unrealistisch erscheinen. In einer Kri -
sensituation wäre diesfalls im übrigen mit längeren Vorwarnzeiten zu rechnen.
Militärische Bedrohungen geringerer Intensität sind aber nicht gänzlich auszuschlie -
ßen. Diese könnten dann ausbrechen, wenn es nicht gelingt, die unkontrollierte Eska -
lation einer politischen Krise rechtzeitig durch präventive Maßnahmen einzudämmen.
In diesem Zusammenhang sind vergleichsweise kürzere Vorwarnzeiten zu erwarten.
Zu neuen Bedrohungen, die auch Österreich betreffen könnten, gehören z.B. die Pro -
liferation von ABC - Waffen und von deren Trägersystemen, der internationale Terro -
rismus, die organisierte Kriminalität sowie andere - im Kapitel 2.2 beschriebene -
Risken.
Die Konsequenzen, welche sich durch das geänderte sicherheitspolitische Umfeld für
die österreichische Landesverteidigung ergeben, wurden im Rahmen der kürzlich be -
schlossenen Anpassung der Heeresgliederung berücksichtigt (s. auch Abschnitt 4.3).
In der Mitte Europas gelegen, ist Österreich heute ausschließlich von befreundeten
Nachbarstaaten umgeben und unterhält zu allen entsprechend intensive Beziehungen,
doch bilden wesentliche Teile der Staatsgrenze bis auf weiteres eine Außengrenze der
Europäischen Union. Durch seine
geographische Lage ist Österreich aber auch mit
den möglichen Instabilitäten und Risken im neuen Europa direkter konfrontiert als
viele andere europäische Staaten. Im Falle von nationalen Konflikten sowie Wirt -
schaftlichen und sozialen Instabilitäten könnten sich für Österreich also auch beson -
dere sicherheitspolitische Auswirkungen ergeben. Vor diesem Hintergrund hat sich
die stabilisierende Wirkung des IFOR/SFOR - Einsatzes in Bosnien auf Österreichs
Sicherheit unmittelbarer ausgewirkt als auf jene anderer Teilnehmerstaaten aus dem
Kreise der NATO bzw. der Partnerschaft für den Frieden.
Vollfunktionsfähige europäische Sicherheitsstrukturen liegen demzufolge im beson -
deren Interesse Österreichs. Die bereits bestehenden europäischen Mechanismen und
Strukturen zur Gewährleistung und Verteidigung territorialer Integrität bleiben dabei
auch aus österreichischer Sicht ein förderliches Element für die europäische Stabilität.
Die seit 1989 eingetretenen weltpolitischen Veränderungen eröffnen Österreich -
dank seiner historisch gewachsenen Beziehungen zu den Reformländern Zentral - und
Osteuropas - gleichzeitig die Chance, sich an der weiteren Entwicklung der europäi -
schen Sicherheitsarchitektur erheblich aktiver und gestalterischer zu beteiligen, als
dies unter den Bedingungen des Kalten Krieges möglich war.
Österreich kann diese Periode einer zunehmenden europäischen Stabilität nützen, um
seinen künftigen Platz in den europäischen Sicherheitsstrukturen zu bestimmen, zu
deren Funktionieren und Entwicklung solidarisch beizutragen und so auch gemeinsam
mit anderen das Entstehen neuer Bedrohungen zeitgerecht zu verhindern. Daraus er-
geben sich im Sinne eines umfassenden Sicherheitsverständnisses Chancen einer po -
sitiven Fortentwicklung nicht nur in friedenspolitischer, sondern auch in wirtschaftli -
cher, sozialer und ökologischer Hinsicht.
In der Zeit der Ost - West - Konfrontation stieß die österreichische Gestaltungsfreiheit
auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik all Grenzen, die durch die politischen Verhält -
nisse in Europa vorgegeben waren. In der ,,Charta von Paris für ein neues Europa“
von 1990 haben sich die Teilnehmerstaaten der KSZE „zum Recht der Staaten, ihre
sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“ bekannt. Dieses Recht kann
Österreich heute unbestreitbar in Anspruch nehmen.
Als Mitglied der Europäischen Union kann Österreich darüber hinaus aktiv mithelfen,
die friedensstiftende und stabilisierende Kraft des europäischen Integrationsgesche -
hens auf das größere Europa zu erstrecken - und so auch dem Entstehen künftiger
Konflikte vorzubeugen. Als Mitglied der Europäischen Union hat Österreich außer -
dem die Chance, bei der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspo -
litik, zu der gemäß dem EU - Vertrag in der Fassung von Amsterdam „auch die
schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik“ gehört, aktiv und
solidarisch mitzuwirken.
Durch die solidarische Einbindung in die verschiedenen - in Europa gegebenen -
Formen der sicherheitspolitischen Kooperation eröffnet sich Österreich außerdem die
Chance, als vollberechtigter Partner an der
weiteren Entwicklung einer umfassenden
europäischen Sicherheitsarchitektur teilzuhaben, die allen Europäern Sicherheit bringt
und Trennlinien auf Dauer überwindet.
4.2 Entwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik seit 1955; außenpoliti -
sche, völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte
Eine wesentliche Voraussetzung für eine eigenständige österreichische Sicherheits -
politik bildete der Abschluß des Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 betreffend die
Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, mit dessen
Zustandekommen der Status Österreichs als dauernd Neutraler in engem politischen
Zusammenhang steht (siehe hiezu das Moskauer Memorandum vom 15. April 1955).
Nach Unterzeichnung und noch vor dem Inkrafttreten des Staatsvertrages faßte der
Nationalrat am 7. Juni 1955 eine Entschließung, in der Österreichs immerwährende
Neutralität bekundet und die Bundesregierung aufgefordert wurde, dem Nationalrat
den Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes hierüber vorzulegen.
Das dem Nationalrat vorgelegte und von ihm am 26. Oktober 1955 beschlossene
ßundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, BGBl. Nr.211, hat in sei -
nem Art. 1 folgenden Wortlaut:
(1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen
und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien
Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Ge -
bote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.
(2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militäri -
schen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder
Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.
Entsprechend der Verwendungszusage des Moskauer Memorandums wurde dieses
Bundesverfassungsgesetz am 14. November 1955 allen 65 Staaten, mit denen Öster -
reich damals diplomatische Beziehungen unterhielt, mit dem Ersuchen um Anerken -
nung notifiziert und seitens dieser Staaten teils förmlich anerkannt, teils stillschwei -
gend zur Kenntnis genommen.
Die dauernde Neutralität Österreichs wurde zwar de iure „aus freien Stücken“ erklärt,
politisch war sie jedoch wesentlich bedingt durch das Streben nach Wiedererlangung
der staatlichen Souveränität und durch die damalige internationale Lage (insbeson -
dere das Besatzungsstatut), die für Österreich mit mangelnder sicherheitspolitischer
Wahlfreiheit und einem eingeengten außenpolitischen Handlungsspielraum verbun -
den war.
Österreichs dauernde („immerwährende“) Neutralität ist ein Rechtsstatus, der nicht
für einen konkreten Anlaßfall erklärt ist, sondern zur Neutralität in allen künftigen
(zum Zeitpunkt der Erklärung noch nicht vorhersehbaren) Kriegen verpflichtet.
„Dauernde“ Neutralität ist
nicht im Sinne von „unabänderlich“ zu verstehen.
Ein dauernd Neutraler darf schon in Friedenszeiten keine Bindungen eingehen, die
ihn in einem Krieg zwischen dritten Staaten hindern würden, die Normen des Neutra -
litätsrechts zu beachten. Daraus ergab sich für Österreich das Bedürfnis, nach freiem
Ermessen eine Neutralitätspolitik zu entwickeln, die das Verhalten eines dauernd
Neutralen in Angelegenheiten bestimmt, die zwar nicht durch das Neutralitätsrecht
geregelt sind, auf die aber die Neutralität einen indirekten Einfluß ausübt.
Da die dauernde Neutralität Österreichs keine Pflicht zu einer „ideologischen Neutra -
lität“ umfaßt (wie dies schon Bundeskanzler Julius Raab in der Regierungserklärung
vom 26. Oktober 1955 ausdrücklich festgestellt hat), hat sich Österreich immer zur
pluralistisch - demokratischen Staatenwelt und als Mitglied der VN zum Völkerrecht
als Friedensordnung bekannt und eine Verletzung pluralistisch - demokratischer Prin -
zipien, der Satzung der VN und des Völkerrechts stets verurteilt. Der dauernd Neu -
trale ist zur militärischen Landesverteidigung verpflichtet (siehe hiezu Abschnitt 4.3).
In der österreichischen Staatspraxis hat sich das Verständnis von den Pflichten eines
dauernd Neutralen, das ursprünglich auf Basis der Doktrin von J.L. Kunz und A. Ver -
dross entwickelt wurde, deutlich gewandelt. Es steht außer Zweifel, daß Österreich
über seinen sicherheitspolitischen Status selbst entscheiden kann.
Ursprünglich herrschte ein extensives Neutralitätsverständnis vor, das seit dem Be -
ginn der neunziger Jahre einem Verständnis gewichen ist, welches den Status der
dauernden Neutralität im wesentlichen auf den sogenannten ,, Kernbestand der Neu -
tralität“ (Nichtteilnahme an Kriegen, Bündnisfreiheit, Nichtzulassung fremder militä -
rischer Stützpunkte) reduziert sieht.
Der Wandel des Neutralitätsverständnisses wird am Verhältnis Österreichs zu den VN
einerseits und zum europäischen Integrationsprozeß andererseits deutlich:
Im Verhältnis zu den VN ging Österreich, das am 14. Dezember 1955 ohne Vorbehalt
Mitglied der VN geworden ist, bis 1990 davon aus, daß die VN verpflichtet seien, die
dauernde Neutralität Österreichs zu respektieren, und mithin Österreich niemals zu
Zwangsmaßnahmen in einem Krieg zwischen dritten Staaten herangezogen werden
dürfe, die Österreich in Widerspruch zu den Pflichten aus der dauernden Neutralität
brächten.
in der Praxis hat diese Auffassung Österreich dazu veranlaßt, in den Berichten an den
VN - Generalsekretär über die Durchführung der vorn Sicherheitsrat gegenüber
Südrhodesien 1966 und 1968, der Republik Südafrika 1977 und dem Irak 1990 be -
schlossenen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen auf die allfällige neutralitätsrechtli -
che Problematik der automatischen Bindung an Beschlüsse des Sicherheitsrates hin -
zuweisen.
Unter dem Eindruck des Wegfalls bisheriger struktureller Uneinigkeit im Sicherheits -
rat anläßlich des Irak/Kuwait - Konflikts, der damals bewiesenen Handlungsfähigkeit
des Systems der kollektiven Sicherheit und im Hinblick darauf, daß der UN - Sicher -
heitsrat unter Bezugnahme auf Kapitel VII der
Satzung zur Anwendung von militän -
sehen Zwangsmaßnahmen gegen den Irak ermächtigt hat, hat sich in Österreich die
Rechtsauffassung durchgesetzt, daß die Verpflichtungen aus der Satzung der VN ge -
mäß ihrem Art. 103 gegenüber widersprechenden Verpflichtungen aus der dauernden
Neutralität übergeordnet sind.
Österreich ist in diesem Zusammenhang auch davon ausgegangen, daß es sich bei
Maßnahmen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Satzung der VN um Aktionen
der VN handelt und nicht um Krieg im völkerrechtlichen Sinn, sodaß schon aus die -
sem Grund das Neutralitätsrecht nicht aktualisiert wird. In diesem Lichte hat Öster -
reich im Irak/Kuwait - Konflikt im Rahmen der maßgeblichen Sicherheitsratsresolution
fremden Streitkräften erstmals Überflugs - und Durchfuhrbewilligungen erteilt.
Überdies hat der einfache Bundesgesetzgeber im Hinblick auf die internationalen So -
lidaritätspflichten in der österreichischen Rechtsordnung verschiedene Klarstellungen
vorgenommen. § 320 des Strafgesetzbuchs („Neutralitätsgefährdung“) wurde dahin -
gehend abgeändert, daß diese Strafbestimmung in solchen Fällen nicht anwendbar ist,
in denen der Sicherheitsrat als Organ der kollektiven Sicherheit das Vorliegen einer
Bedrohung des Friedens, eines Friedensbruches oder einer Angriffshandlung feststellt
und militärische Maßnahmen nach Kapitel VII der Satzung der VN zur Aufrechter -
haltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
beschließt.
Auch die Voraussetzungen für die Bewilligung der Ein -, Aus - und Durchfuhr von
Kriegsmaterial wurden dahingehend novelliert, daß eine Bewilligung dann zulässig
ist, wenn diese eine Maßnahme zur Durchführung eines Beschlusses des Sicherheits -
rates nach Kapitel VII der Satzung der VN darstellt.
Was die Stellung Österreichs im europäischen Integrationsprozeß anlangt, bestand im
Lichte des am Beginn vorherrschenden Neutralitätsverständnisses, das insbesondere
auch die wirtschaftspolitischen Vorwirkungen der dauernden Neutralität (vor allem
im Sinne der Wahrung eines handelspolitischen Aktionsspielraumes) betonte, und der
darauf fußenden Neutralitätspolitik weitgehende Übereinstimmung darüber, daß eine
Vollmitgliedschaft in der EWG mit der dauernden Neutralität Österreichs unvereinbar
sei.
Deshalb strebte Österreich 1962 bloß ein sogenanntes „Arrangement“ mit der EWG
an, zumal der Plan einer Assoziation Österreichs aus der Sicht der EWG - Staaten nur
als Vorstufe zur Vollmitgliedschaft in Betracht kam. Diese Bestrebungen mündeten
1972 in die Unterzeichnung der Freihandelsverträge mit der EWG sowie der EGKS
und deren Mitgliedstaaten.
Auf der Grundlage einer Neubewertung des europäischen Einigungsprozesses und im
Lichte eines redimensionierten Neutralitätsverständnisses wurde nach 1989 die Auf -
fassung vertreten, daß ein Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften
den „Kernbestand der Neutralität nicht berühre. Mit dem Beitritt Österreichs zur
Europäischen Union am 1. Jänner 1995 erfolgte auch die vorbehaltslose Einbindung
in deren Gemeinsame Außen - und
Sicherheitspolitik (GASP).
Mit Blick auf die zum Zeitpunkt seiner Entstehung geltende Rechtslage und Ent -
wicklungsstufe der GASP ermächtigt in diesem Zusammenhang Art. 23f Abs. 1 B -
VG den österreichischen Vertreter im Rahmen der GASP, aufgrund des Titels V des
Vertrages über die Europäische Union an der GASP mitzuwirken; dies schließt die
Mitwirkung an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder
mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt wer -
den.
Im Sinne der parlamentarischen Materialien zu dieser Bestimmung ist „davon auszu -
gehen, daß zwischen den Verpflichtungen eines EU - Mitgliedstaates auf der Basis des
Titels V des Vertrages über die Europäische Union und den Kernelementen der Neu -
tralität kein Widerspruch besteht. Durch seinen Beitritt zur Europäischen Union wird
Osterreich weder zur Teilnahme an Kriegen verpflichtet, noch muß es Militärbünd -
nissen beitreten oder der Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf
seinem Gebiet zustimmen, daher bleibt dieser Kernbestand der Neutralität Öster -
reichs unberührt.
Mit dem sicherheitspolitischen Status Österreichs stehen insbesondere die folgenden
innerstaatlichen Maßnahmen in Zusammenhang:
• der Straftatbestand der ,,Neutralitätsgefährdung“ nach § 320 StGB;
• die Deklarierung des Staatsziels der umfassenden - d.h. der militärischen, geistigen,
zivilen und wirtschaftlichen - Landesverteidigung mit dem im Jahr 1975 einge -
führten Art. 9a B -VG;
• die am 10. Juni 1975 im Wege einer Entschließung an die Bundesregierung be -
schlossene ,‚ Verteidigungsdoktrin", die die Grundsätze der umfassenden Landes -
verteidigung darstellt (1643 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des
Nationalrates XIII. GP);
• das Bundesgesetz vom 18. Oktober 1977 über die Ein -, Aus - und Durchfuhr von
Kriegsmaterial, BGBl. Nr.540/1977, in der Fassung der Novellen BGBl. Nr.
358/1982 und BGBl. Nr. 30a/1991;
• der im Jahr 1983 vorgelegte Landesverteidigungsplan“, der ein offizielles Doku -
ment zur österreichischen Sicherheitspolitik darstellt und Ausdruck der Überein -
stimmung der drei damals im Parlament vertretenen politischen Parteien ist;
• das Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung
von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE - BVG), BGBl. I Nr.
38/1997 in der Fassung BGBl. I Nr.30/1998, mit dessen Inkrafttreten am 22. April
1997 das Bundesverfassungsgesetz vom 30. Juni 1965 über die Entsendung öster -
reichischer Einheiten zur Hilfeleistung in das Ausland auf Ersuchen internationaler
Organisationen, BGBl. Nr.173, außer Kraft getreten ist.
Zu bemerken ist, daß insbesondere der Untersagungstatbestand des § 3 Abs. 1 Z 1 des
Bundesgesetzes über die Ein -, Aus - und
Durchfuhr von Kriegsmaterial sowie der
strafrechtliche Tatbestand der ‚,Neutralitätsgefährdung“ des § 320 StGB über die
Verpflichtungen aus dem völkerrechtlichen Neutralitätsrecht hinausgehen.
Während der Zeit des Ost - West - Konflikts hat Österreich eine ,‚ aktive Neutralitätspo -
litik betrieben. Österreichs aktive Rolle in internationalen Organisationen, insbeson -
dere in den VN, seine Initiativen zum Abbau von internationalen Spannungen, sein
Einsatz für das Völkerrecht sowie sein Bestreben, als Stätte der Begegnungen und als
Sitz internationaler Organisationen zu dienen, haben sich insbesondere auch vor die -
sem Hintergrund entwickelt. Soweit dies der Neutralitätsstatus zuläßt, wurde die
österreichische Außenpolitik auch seither stets im Sinne einer praktizierten interna -
tionalen Solidarität gestaltet.
In der Zeit zwischen den späten sechziger Jahren und den frühen achtziger Jahren
wurde die österreichische Außenpolitik im wesentlichen mit der Neutralitätspolitik
gleichgesetzt. In der Folgezeit wurde die von den EG - Staaten praktizierte Europäi -
sche Politische Zusammenarbeit und später die GASP der Europäischen Union im
Rahmen der Möglichkeiten immer stärker zum Bezugsrahmen der österreichischen
Außenpolitik.
In die GASP ist Österreich seit 1. Jänner 1995 voll eingebunden, jedoch waren bereits
vor seinem Beitritt die wesentlichen außenpolitischen Positionen mit der Europäi -
schen Union harmonisiert. Nach der - in der der Schlußakte zum Beitrittsvertrag bei -
gefügten - Gemeinsamen Erklärung zur GASP hat auch Österreich seine Bereitschaft
und Fähigkeit zum Ausdruck gebracht, „sich in vollem Umfang und aktiv an der Ge -
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, so wie sie im Vertrag über die Europäisch -
Union definiert ist, zu beteiligen
Die Veränderungen, die Europa seit 1989 durchlebt, haben in allen europäischen
Staaten zu Diskussionen über die eigene Sicherheitspolitik und die Zukunft der euro -
päischen Sicherheitsstrukturen geführt.
So ist in einigen zentral - und osteuropäischen Ländern nach der Wende über eine
mögliche Neutralität dieser Staaten diskutiert worden. Heute streben diese Länder
durchwegs in die NATO (Arpad Göncz, Staatspräsident Ungarns: Die Neutralität sei
nur im Verhältnis „zu zwei potentiellen Feinden“ möglich; der zu ihrer Wahrung nö -
tige Verteidigungsaufwand könne nur von „wohlhabenden“ Staaten erbracht wer -
den) .
Demgegenüber vertritt Irland in seinem „Weißbuch“(1996) zur Außen - und Sicher -
heitspolitik den Standpunkt, daß es neutral bleiben wolle, weil ihm dieser Status die
Möglichkeit gebe, „eine bedeutende Rolle bei der Erhaltung des Weltfriedens zu
spielen
Der ehemalige französische Außenminister Hervé de Charette hat 1996 andererseits
festgestellt, daß die Neutralität „heute keinen Sinn mehr“ mache, nachdem „die Ost -
West - Konfrontation verschwunden „ sei.
Schweden und Finnland betonen, daß ihre Politik der ‚Nichtteilnahme an Militär -
bündnissen unverändert bleibt“(Lena Hjelm Wallen, Außenministerin Schwedens:
Es gebe keine „direkte militärische Bedrohung“; ein NATO - Beitritt würde „Schwe -
dens Sicheiheit nicht erhöhen“; überdies hätten Schweden und andere bündnisfreie
Staaten ,, die Möglichkeit, eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Sicherheit in
Europa zu spielen“; Martti Ahtisaari, Präsident Finnlands: „Durch eine Mitglied -
schaft Finnlands in der Allianz würde die Sicherheit des Landes und ganz Europas
nicht verbessert“). Nach schwedischer und finnischer Auffassung biete die Bündnis -
freiheit den zwei Ländern auch die ,‚ beste Möglichkeit, die Souveränität der balti -
schen Staaten in ihrem Umfeld zu unterstützen“. Für die Zukunft lassen sich beide
Staaten die sicherheitspolitischen Optionen offen.
In den europäischen Institutionen und aus den Reihen jener Mitgliedstaaten der Uni -
on, die der WEU und der NATO angehören, wird seit 1989 andererseits immer wie -
der die Frage nach der konkreten Funktion der Neutralität in einer europäischen Soli -
dargemeinschaft gestellt (z.B. Jacques Santer, Präsident der Europäischen Kommissi -
on: ,, Wenn man einer Gemeinschaft angehört, muß man sich legitimerweise fragen,
welchen Inhalt die Neutralität für die Zukunft hat.“; Wim Kok, Premierminister der
Niederlande: ,, Wir wollen im offenen Dialog klären, was Neutralität bedeutet, nach -
dem sich die Verhältnisse in Europa und in der Welt wesentlich geändert haben.“).
Auch wenn sich die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen seit der Geburtsstun -
de der österreichischen Neutralität - insbesondere ab dem Jahre 1989 - grundlegend
verändert haben, ist das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs
Teil der österreichischen Verfassungsordnung und daher für die Gestaltung der ge -
genwärtigen österreichischen Sicherheitspolitik relevant.
Für Österreich ist weiters festzustellen, daß es bis heute problemlos aktiv und solida -
risch an der GASP teilnehmen konnte. Zu berücksichtigen ist aber, daß Abschnitt V
des EU - Vertrages in der Fassung von Amsterdam eine Fortentwicklung der GASP
vorsieht, die auch Rückwirkungen auf den spezifischen österreichischen Status haben
könnte.
Eine rechtliche Weiterentwicklung ergibt sich insbesondere auch dadurch, daß der
Vertrag von Amsterdam die sogenannten Petersberg - Aufgaben in den EU - Vertrag
aufgenommen hat, wodurch die Union die Möglichkeit erhalten hat, die WEU über
einstimmigen Beschluß der Union auch für die Durchführung von ,, Kampfeinsätzen
bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen „ in An -
spruch zu nehmen.
Daher wird die Bundesregierung dem Parlament begleitend zur Vorlage des Vertrages
von Amsterdam Novellierungsvorschläge zuleiten, die darauf abzielen, Art. 23 f
B -VG neu zu fassen und die Ausnahmetatbestände des § 3 Abs. 1 a des Bundesgeset -
zes über die Ein -, Aus - und Durchfuhr von Kriegsmaterial und des § 320 Abs. 2 StGB
zu erweitern (siehe auch unten Abschnitt 5.2.2.). Damit soll sichergestellt werden, daß
Österreich weiterhin an der
Beschlußfassung der GASP mitwirken, die gefaßten Be -
schlüsse durchführen und am gesamten Spektrum der in den neuen EU - Vertrag einge -
führten Petersberg - Aufgaben solidarisch teilnehmen kann.
4.3 Entwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik seit 1955; verteidi -
gungspolitische Aspekte
1955 - 1962:
In dieser ersten Phase war die strategische Lage Österreichs durch die zunehmende
Verschärfung des Ost - West - Konflikts geprägt. Nach 1955 war Österreich bemüht,
sich im Sinne des Moskauer Memorandums auch in verteidigungspolitischer Hinsicht
am Muster der Schweiz zu orientieren. Die österreichischen Verteidigungsausgaben
lagen jedoch deutlich unter jenen der Schweiz anders als die Schweiz hatte Öster -
reich im Bereich der Landesverteidigung außerdem das - in Art. 13 des Staatsvertra -
ges verankerte - Verbot von Lenkwaffen zur Panzer - und Fliegerabwehr zu beachten.
Aufgebaut wurde das Bundesheer vor allem mit Ausrüstungsmaterial, das Österreich
von den vier Besatzungsmächten überlassen worden war. Für die im Oktober 1956
erstmals einrückenden Soldaten wurde eine Grundwehrdienstdauer von neun Mona-
ten festgelegt.
Schon im November 1956 überwachte das - noch im Aufbau befindliche - Bun -
desheer nach der gewaltsamen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes
durch sowjetische Truppen die Staatsgrenze zu Ungarn, was nur mit größter Improvi -
sation bewältigt wurde. Aufgrund dieser Erfahrungen wurden erhebliche Anstrengun -
gen unternommen, dem Bundesheer österreichische Ausrüstungsgüter zur Verfügung
zu stellen und die materielle Situation der Luftstreitkräfte zu verbessern. Gleichzeitig
wurden die ersten Vorarbeiten für einen Landesverteidigungsplan aufgenommen; auf
dieser Grundlage wurden später die umfassende Landesverteidigung und die Miliz -
komponente entwickelt.
Im Zeitraum 1955 bis 1962 stieg der Anteil der österreichischen Verteidigungsausga -
ben am Bruttoinlandsprodukt von 0,6 Prozent auf 1‚19 Prozent und pendelte sich dann
bei 0,98 Prozent ein.
Mit der Entsendung eines Sanitätskontingentes in den Kongo begann 1960 auch das
österreichische Engagement im Rahmen von Friedensoperationen der VN, wobei für
derartige Einsätze von Anbeginn das Prinzip der Freiwilligkeit galt.
1962 - 1970:
Im Interesse einer Verbesserung der militärischen Effizienz kam es 1962/63 zu einer
Umgliederung des Bundesheeres und zur Aufstellung von Militärkommanden als
bundesländerbezogene Territorialführung. Der Präsenzdienst wurde in eine dreimo -
natige Grundausbildung in einem Ausbildungsverband und eine sechsmonatige
Dienstleistung in einem Einsatzverband
unterteilt.
Erste Schritte zum Aufbau milizartiger Strukturen wurden durch die Einführung der
Inspektionen und Instruktionen und die Formierungen Grenzschutzeinheiten ge -
setzt. Die Bemühungen zum Aufbau einer umfassenden Landesverteidigung, die ne -
ben dem militärischen auch den zivilen, wirtschaftlichen und geistigen Bereich er -
faßte, wurden intensiviert.
Vor allem wegen ungelöster personeller Engpässe und angesichts des schon erwähn -
ten Lenkwaffenverbots konnten die operativen Möglichkeiten des Bundesheeres
durch die Umgliederung von 1962/63 aber nicht nennenswert verbessert werden, so -
daß es in weiterer Folge zu einer ersten umfassenden Diskussion über die militärstra -
tegischen Ziele, die Dauer des Wehrdienstes und die Zukunft des österreichischen
Bundesheeres kam.
Das Verteidigungsbudget erreichte 1964 mit 1,41 Prozent vom Brutto inlandsprodukt
einen Spitzenwert; in den Folgejahren lagen die Vergleichswerte im Durchschnitt
aber nur mehr bei 1,2 Prozent. Auf dieser Basis konnten u.a. bei der Ausrüstung und
beim Fahrzeugbestand Modernisierungsmaßnahmen getroffen werden. Insgesamt
konnte der Standard vergleichbarer Staaten nicht erreicht werden.
1967 absolvierten Kräfte des Bundesheeres einen erfolgreichen Einsatz im alpinen
Gelände zum Zwecke der Verhinderung des illegalen Grenzübertrittes von Terroristen
in Richtung Italien.
Im August 1968 kam es im Gefolge des Einmarsches von Truppen des Warschauer
Paktes in die CSSR nur zu einer Verstärkung der nördlich der Donau gelegenen Gar -
nisonen und zu einer begrenzten Sicherung der innerösterreichischen Flugplätze. Auf
die Mobilmachung der Grenzschutzeinheiten wurde verzichtet; die Kräfte des Bun -
desheeres hatten auftragsgemäß einen Abstand von 30 Kilometer zur Staatsgrenze zu
wahren. Diese Vorgangsweise führte zu einer öffentlichen Diskussion über das Kon -
zept der Landesverteidigung und die tatsächlich gegebene Verteidigungsfähigkeit.
In diesem Zeitraum wurden wesentliche Grundlagen für Österreichs intensives inter -
nationales Engagement im Rahmen friedenserhaltender Einsätze der VN gelegt (u.a.
durch die - seit 1964 bis heute fortgesetzte - Mitwirkung am Friedenseinsatz in Zy -
pern/UNFICYP).
1971 - 1989:
Am Beginn dieser Phase stand der politische Entschluß zur Verkürzung des Grund -
wehrdienstes auf sechs Monate (mit zusätzlichen Waffenübungen) und zur nach -
drücklichen Stärkung des milizartigen Charakters des Bundesheeres. Auf der Grund -
lage von Empfehlungen einer Bundesheer - Reformkommission wurde eine neue Hee -
resgliederung eingenommen. Diese sah im Frieden - neben einer rund 15.000 Mann
starken Bereitschaftstruppe - auch eine umfangreiche Landwehrausbildungsorganisa -
tion vor.
Die (ab 1961 entwickelte) Konzeption der umfassenden Landesverteidigung (ULV)
wurde 1975 in die Verfassung aufgenommen. Gemäß Art. 9a B -VG ist es die Aufga -
be der umfassenden Landesverteidigung, ,, die Unabhängigkeit nach außen sowie die
Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Auf -
rechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität
Gleichzeitig mit dieser Verfassungsnovelle nahm der Nationalrat 1975 auch eine Ent -
schließung ,‚ über die grundsätzliche Gestaltung der umfassenden Landesverteidigung
in Österreich (Verteidigungsdoktrin)“ einstimmig an.
Als grundlegendes Ziel der österreichischen Sicherheitspolitik sieht der - von der
Bundesregierung 1983 beschlossene - ,, Landesverteidigungsplan“ den „Schutz der
Bevölkerung und der Grundwerte dieses Staates gegenüber allen Bedrohungen an.
Die operative Folge dieser Entscheidungen war die Entwicklung einer ,,Abhaltestra -
tegie und des Konzepts der ,, Raumverteidigung“. Die - auf der Basis der Verteidi -
gungsdoktrin definierten und am Vorbild Schwedens und der Schweiz orientierten -
Zielsetzungen der umfassenden Landesverteidigung sind darüber hinaus im „Landes -
verteidigungsplan ‚ näher dargelegt.
So wurde einerseits der - durch den Verbleib sowjetischer Truppen in der CSSR ver -
änderten - militärstrategischen Lage Rechnung getragen; mit dem Aufbau von
Schlüssel- und Raumsicherungszonen“ wurde andererseits ein - an den Zielsetzun -
gen der Abhaltung orientiertes - militärisch zweckmäßiges Verteidigungskonzept
entwickelt, das den Milizcharakter und Ausrüstungsstand des Bundesheeres berück -
sichtigte und in der Bevölkerung auf größere Glaubwürdigkeit und Akzeptanz stieß.
Zur Umsetzung des Raumverteidigungskonzepts waren raumgebundene und mobile
Truppen vorgesehen. (Nach den ursprünglichen Plänen sollte bis 1994 ein Mobilrna -
chungsstand von 300.000 Mann erreicht werden.) Weiters wurde das Konzept der
umfassenden Landesverteidigung u.a. durch Maßnahmen der zivilen und wirtschaftli -
chen Krisenvorsorge konkretisiert.
Im beschriebenen Zeitabschnitt wurde auch das Luftraumüberwachungssystem
GOLDHAUBE"‚ eingerichtet. Ab 1988 verfügte das Bundesheer außerdem über 24
Luftraumüberwachungsflugzeuge des Typs „Draken“. Die österreichischen Verteidi -
gunsausgaben erreichten zwischen 1973 und 1988 einen durchschnittlichen BIP -
Anteil von 1,2 Prozent (Höchstwert 1984:1,34 Prozent).
Die - in diesem Zeitraum erbrachten - Anstrengungen zur Realisierung der Raumver -
teidigung haben die österreichische Verteidigungsbereitschaft auch international de -
monstriert, ohne aber Österreich - wie aus aktuellen Darlegungen ersichtlich wird -
aus den militärischen Planungen der Zeit der Ost - West - Konfrontation heraushalten zu
können.
Seit der ersten Hälfte der achtziger Jahre sind allerdings auch für Österreich die si -
cherheitspolitischen Effekte des europäischen Entspannungsprozesses zunehmend
spürbar geworden: Nachdem es - im Zeichen
einer wachsenden Verhandlungsbereit -
schaft der Sowjetunion - auf gesamteuropäischer Ebene zu wechselseitigen Ab -
rüstungsschritten, zu Vereinbarungen über das militärische Kräftegleichgewicht so -
wie über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen gekommen war, sah sich
Österreich in der Lage, den Mobilmachungsstand des Bundesheeres - anstelle der ur -
sprünglich geplanten 300.000 - auf 186.000 Mann festzusetzen.
Im gesamten Zeitraum zwischen 1955 und 1989 ist das Bundesheer davor bewahrt
worden, seine militärische Effizienz für den Verteidigungsfall konkret nachweisen zu
müssen: Während des Kalten Krieges wurde Österreichs Sicherheit insbesondere auch
durch das strategische Kräftegleichgewicht gewährleistet. Ab der ersten Hälfte der
achtziger Jahre konnte Österreich zudem von den beschriebenen positiven Auswir -
kungen des schrittweisen Übergangs von der Ost- West - Konfrontation zur gesamteu -
ropäischen Kooperation profitieren.
International wurde auch im Zeitraum von 1971 bis 1989 das österreichische Enga -
gement im Rahmen friedenserhaltender Operationen der VN fortgesetzt (neben dem
Zypern - Einsatz insbesondere auch auf den Golanhöhen/UNDOF).
1989 - 1997:
Zu einer grundlegenden Änderung des militärstrategischen Umfelds Österreichs kam
es ab dem Sommer 1989. Innerhalb von zwei Jahren zerfielen der Warschauer Pakt
und die Sowjetunion; in Österreichs Nachbarschaft entstanden neue Staaten, und die
sowjetischen Truppen zogen aus der früheren Tschechoslowakei und aus Ungarn ab.
Gleichzeitig begannen die - im KSE - Vertrag und anderen internationalen Vereinba -
rungen enthaltenen - Festlegungen über die Begrenzung der militärischen Hauptwaf -
fensysteme und Personalstärken wirksam zu werden. Durch alle diese Entwicklungen
kam es insgesamt zu einer deutlichen Reduktion und Umformung der Streitkräfte in
der Nachbarschaft Österreichs.
Die klassischen Bedrohungsbilder aus der Zeit des Kalten Krieges sind für Österreich
nach 1989 also weggefallen. Mit neuen Unsicherheiten wurde Österreich allerdings
durch den Konflikt auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien konfrontiert. Im Juli
1991 wurde das Bundesheer - im Zuge der Kampfhandlungen in Slowenien - zur Si -
cherung der Staatsgrenze eingesetzt. Im Zuge dieses Einsatzes bestanden auch das
System ,, GOLDHA UBE“ und die „Draken“ ihre Bewährungsprobe.
Außenpolitische Überlegungen und die kurze Dauer dieses Konflikts führten dazu,
daß es damals zu keiner Mobilmachung kam. Eine solche Vorgangsweise ließ sich bei
diesem - letztlich problemlos verlaufenen - Sicherungseinsatz rechtfertigen, entsprach
aber nicht den Grundsätzen der damaligen österreichischen Verteidigungskonzeption.
Als Folge der veränderten militärischen Kräfteverhältnisse und aufgrund der Erfah -
rungen des Einsatzes von 1991 wurde die Raumverteidigung durch ein „flexibles Ein -
satzkonzept für die grenznahe Sicherung und Abwehr“ ersetzt und die Gesamtstärke
der Einsatzorganisation auf 120.000 Mann
weiter reduziert.
Die Ausrüstung des Bundesheeres wurde in letzter Zeit vor allem durch die (nach der
Obsoleterklärung der entsprechenden Verbotsbestimmungen des Staatsvertrages
möglich gewordenen) Einführung moderner Panzer - und Fliegerabwehrwaffen, die
laufende Beschaffung im Rahmen des mechPakets" und durch Investitionen im Be -
reich der Führungsmittel deutlich verbessert.
Dennoch hat das - vor dem Hintergrund der budgetären Konsolidierungsmaßnahmen
der Bundesregierung - beschlossene Budget für das Bundesministerium für Landes -
verteidigung mit derzeit rund 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts keine Beschleu -
nigung wichtiger zusätzlicher Beschaffungsvorhaben ermöglicht. Mit dem erwähnten
BIP - Anteil liegt Österreich bei seinen Verteidigungsausgaben unter den höheren An -
sätzen von NATO - Staaten, aber auch weiterhin unter den Ansätzen vergleichbarer
nicht alliierter Staaten.
Auf internationaler Ebene haben sich die vom Bundesheer wahrgenommenen Aufga -
ben im hier beschriebenen Zeitabschnitt sehr verdichtet: Seit 1960 haben etwa 35.000
Österreicher an friedenserhaltenden Operationen der VN (insgesamt 21) mitgewirkt;
neben die Teilnahme an solchen Aufgaben ist mittlerweile auch die Beteiligung an
zwei Friedenseinsätzen eines neuen Typs getreten: an der IFORISFOR - Mission in
Bosnien und an der Friedensoperation ALBA in Albanien.
Damit hat das Bundesheer erstmals an Missionen teilgenommen, die von der NATO
(JFOR/SFOR) bzw. einer ,, lead nation (Italien/ALBA) geleitet und vom Sicherheits -
rat gemäß Kapitel VII der Satzung der VN autorisiert wurden, wobei sich die Mitwir -
kung der österreichischen Kontingente auch in diesen Fällen auf Maßnahmen der
Friedenserhaltung beschränkte.
Im Zeichen seines zunehmenden internationalen Engagements im Bereich der Sicher -
heitspolitik hat das Bundesheer auch die bilaterale Zusammenarbeit mit den Streit -
kräften seiner zentral - und osteuropäischen Nachbarn - und ab 1995 ganz allgemein
mit jenen der PfP - Partner - intensiviert.
Im Mai 1993 hat die Bundesregierung den Aufbau vorbereiteter Einheiten (VOREIN)
für die Mitwirkung an multinationalen Operationen beschlossen. Diese werden nach
dem Prinzip der Freiwilligkeit formiert; ihre Normausrüstung entstammt dem Bestand
des Bundesheeres. Die VOREIN wurden den VN im Wege des ,, Stand - by -
Arrangement - Systems“ der NATO im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden und
der WEU zum Zwecke der Zusammenarbeit im Rahmen der Petersberg - Aufgaben als
geeignete Kräfte genannt.
Für Zwecke der Katastrophenhilfe verfügen die VOREIN über sofort bzw. innerhalb
von zwei Wochen formierbare Kräfte; für den Bereich der Friedenserhaltung bestehen
sie aus zwei ,,High-Readiness - Einheiten (einer Jägerkompanie mit Mannschafts -
transportpanzern und einer Transportkompanie) sowie aus zwei - innerhalb von zwei
Monaten aufstellbaren - Jägerbataillonen. Insgesamt umfassen die VOREIN 2.500
Mann, von denen maximal etwa 1.500 gleichzeitig für Maßnahmen der Friedenser -
haltung eingesetzt werden können.
Da die VOREIN gemäß den Erfordernissen des ,, Stand - by - Arrangement - Systems“
der VN geschaffen wurden, sind sie von ihrer derzeitigen Struktur und Ausrüstung
nur für Einsätze der Friedenserhaltung und der humanitären Hilfe, nicht jedoch für
Aufgaben der Friedensschaffung geeignet. Die praktischen Erfahrungen der letzten
beiden Jahre haben weiters gezeigt, daß das VOREIN - Konzept, auch was die perso -
nelle Verfügbarkeit anlangt, an die Grenzen seiner Belastbarkeit stößt: Bei Operatio -
nen in einem gefährlicheren Umfeld wird die Rekrutierung einer genügenden Anzahl
von Personen in Schlüsselfunktionen durch den Umstand sehr erschwert, daß die -
beim Bundesheer als Freiwillige erfaßten - Personen die Einberufung nach der gel -
tenden Regelung im konkreten Einzelfall ablehnen können.
Die - infolge des EU - Ratsbeschlusses vom Juni1996 über allfällige Operationen zur
Evakuierung von Unionsbürgern aus Drittstaaten (siehe hiezu Abschnitt 4.4.3) aktuell
gewordene - Frage nach einer Vorbereitung österreichischer Einheiten, die für inter -
nationale Evakuierungseinsätze geeignet sind, wird innerösterreichisch derzeit noch
geprüft.
Was die weitere Entwicklung des Bundesheeres betrifft, haben der National - und
Bundesrat 1997 den - vom Bundesminister für Landesverteidigung vorgelegten -
Situationsbericht 96“ angenommen. Dieser enthält grundlegende Aussagen für eine
Modifikation der ,, Heeresgliederung NEU“. Auf der Basis dieses Berichts wird der -
zeit an konkreten Strukturplanungen gearbeitet.
4.4 Entwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik; institutionelle Aspekte
4.4.1 Österreich als Mitglied der Vereinten Nationen
Als Mitglied der VN hat Österreich den Bemühungen der Weltorganisation, ,, den
Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“, stets zentrale Bedeutung
beigemessen. In diesem Sinne hat sich Österreich insbesondere auch bemüht, nach
besten Kräften zum Funktionieren des in der Satzung der VN begründeten Systems
der kollektiven Sicherheit beizutragen.
Hinsichtlich der Rolle, die Österreich in diesem Zusammenhang spielen kann und
soll, hat sich die österreichische außenpolitische Praxis seit 1955 allerdings erheblich
weiterentwickelt. Im Lichte der Erfahrungen des Golfkonflikts hat sich insbesondere
die Rechtsauffassung durchgesetzt, daß die Verpflichtungen aus der Satzung der VN
gemäß ihrem Art. 103 widersprechenden Verpflichtungen aus der dauernden Neutra -
lität übergeordnet sind (siehe hiezu im einzelnen Abschnitt 49)
Eine qualifizierte Mitverantwortung für das Funktionieren des Systems der kollekti -
ven Sicherheit der VN hat Österreich als nicht - ständiges Mitglied des Sicherheitsrates
in den Jahren 1973 - 1974 und 1991 - 1992 übernommen. Während der zweitgenannten
Funktionsperiode führte Österreich
auch den Vorsitz im Irak - Sanktionenkomitee.
Österreich mißt der Funktionsfähigkeit und politischen Legitimität des Sicherheitsra -
tes größte Bedeutung bei und beteiligt sich daher sehr aktiv an den in New York statt -
findenden Verhandlungen über dessen Reform.
Die Mitwirkung an friedenserhaltenden Operationen der VN gehört seit der Kongo -
Mission im Jahre 1960 zu den Schwerpunkten des österreichischen Engagements in
der Weltorganisation (siehe Abschnitt 4.3).
Derzeit sind österreichische Soldaten und Exekutivbeamte an elf friedenserhalten -
den Einsätzen der VN (u.a. in Zypern, am Golan, im Irak, in Kuwait, in der Westsa -
hara, in Tadschikistan‘ in Georgien und in Ostslawonien) beteiligt. In der Statistik
der Truppensteller für friedenserhaltende Einsätze der VN rangiert Österreich in der
Spitzengruppe.
Neben den - von den VN selbst durchgeführten - friedenserhaltenden Einsätzen hat
Österreich als Mitglied der VN in den vergangenen Jahren auch eine Reihe von ande -
ren - vom Sicherheitsrat der VN autorisierten - multinationalen Operationen unter -
stützt: im Falle des Golfkonflikts durch die Gewährung von Durchfuhr- und Über -
flugsgenehmigungen; in Bosnien und Herzegowina sowie in Albanien durch die Ent -
sendung eines eigenen Kontingents (s. Abschnitt 4.3).
Weiters gehört Österreich dem - 1994 auf Initiative des Generalsekretärs der VN zur
Erleichterung der Planung für friedenserhaltende Operationen und der Erfassung der
benötigten Ressourcen ins Leben gerufenen - " Stand - by - Arrangement - System an
und hat als fünfter Staat mit dem Generalsekretär der VN ein Memorandum of Un -
derstanding über die österreichische Mitwirkung abgeschlossen.
In diesem Kontext beteiligt sich Österreich - gemeinsam mit Dänemark, Kanada, den
Niederlanden, Norwegen, Polen, Schweden und der Tschechischen Republik - auch
an den Vorbereitungen zur Aufstellung einer multinationalen Brigade, der ,, UN
Stand - by Forces High Readiness Brigade“ (SHIRBRIG); diese soll im Bedarfsfallinnerhalb
von 30 Tagen für friedenserhaltende Einsätze (aber nicht für Einsätze nach
Kapitel VII der Satzung der VN) für eine Einsatzdauer von bis zu sechs Monaten zur
Verfügung stehen. Österreich wird sich an dieser Brigade - auf Basis einer im Einzel -
fall zu treffenden Entscheidung - mit einer Transport - und einer Jägerkompanie von
insgesamt ca. 400 Mann beteiligen, welche aus den „Vorbereiteten Einheiten“ des
Bundesheeres zu bilden wären.
Darüber hinaus ist Österreich in andere Bemühungen der VN, Beiträge im Dienste
eines umfassenden Sicherheitsbegriffs zu leisten, aktiv eingebunden; u.a. als langjäh -
riges Mitglied der Menschenrechtskommission der VN, durch seine Mitarbeit in der
Völkerrechtskommission der VN sowie mit vielen eigenständigen Initiativen (z.B.
hinsichtlich der Rechte intern vertriebener Personen und der Weiterentwicklung des
internationalen Minderheitenschutzes).
Auch im UN - Rahmen tritt Österreich für weitere Abrüstungs - und Rüstungskontroll -
maßnahmen ein. Mit der Ausarbeitung des
Entwurfes der Internationalen Landmi -
nenkonvention, die von über 100 Staaten bei einer Konferenz in Ottawa Anfang De -
zember 1997 verabschiedet wurde, konnte Österreich einen wichtigen und internatio -
nal anerkannten sicherheitspolitischen Beitrag leisten. Österreich hat schließlich
durch viele Jahre den Vorsitzenden der Weltraumkommission gestellt und so zur
Entwicklung der friedlichen Nutzung des Weltraumes und der Ausarbeitung entspre -
chender rechtlicher Instrumente beigetragen.
4.4.2 Österreich als Teilnehmerstaat der OSZE
Österreich mißt der Arbeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) im Hinblick darauf, daß sie die einzige europäische Sicherheitsorga -
nisation ist, in der alle 54 europäischen, nordamerikanischen und zentralasiatischen
Teilnehmerstaaten gleichberechtigt vertreten sind, wesentliche Bedeutung bei. Au -
ßerdem ist Wien Hauptsitz dieses wichtigen gesamteuropäischen Forums.
Österreich hat großes sicherheitspolitisches Interesse an weiteren erfolgreichen
Schritten der Vertrauens - und Sicherheitsbildung, der Rüstungskontrolle und Abrü -
stung im Rahmen der OSZE, um das Rüstungsniveau in Europa auf niedrigerem Ni -
veau zu stabilisieren; weiters strebt Österreich an, daß die Normen und Prinzipien der
OSZE zusammengefaßt, übersichtlich gestaltet und gegebenenfalls vertieft werden.
Österreich tritt dafür ein, daß der von der Europäischen Union unterstützte Vorschlag,
ein substantielles Dokument zur Schaffung einer ,, OSZE - Charta über Europäische
Sicherheit“ realisiert wird, welche die Rolle der OSZE und ihre künftige Entwicklung
im gesamteuropäischen Sicherheitskontext präzisiert. Für Österreich soll dabei auch
im Rahmen der OSZE klar zum Ausdruck gebracht werden, daß sich Europa nach
dem Ende des Kalten Krieges zu einem gemeinsamen Sicherheitsraum ohne Trennli -
nien entwickelt.
Insbesondere die im Rahmen einer künftigen Sicherheitscharta zu verwirklichende
Plattform für kooperative Sicherheit kann nach österreichischer Ansicht ermögli -
chen, den Koordinierungsbedarf zwischen verschiedenen Organisationen, der bisher
ad hoc bewältigt werden mußte, effektiver und auf nicht - hierarchische Weise zu
struktunieren.
Österreich hat sich darüber hinaus stets dafür eingesetzt, den umfassenden Sicher -
heitsdialog in der OSZE zu vertiefen. Heute sieht es Österreich als eine Priorität an,
die Kapazitäten der OSZE in den Bereichen Frühwarnung, Konfliktverhütung, Kri -
senmanagement und Wiederaufbau ziviler Strukturen nach Konflikten auszubauen.
Deshalb hat sich Österreich dafür eingesetzt, daß die OSZE im Rahmen der interna -
tionalen Bemühungen zur Bewältigung der Krise in Albanien 1997 erstmals als ,, ko -
ordinierender Rahmen“ für Maßnahmen anderer internationaler Institutionen (vor
allem für die Europäische Union, den Polizeieinsatz der WEU und den Europarat)
tätig werden konnte.
An dieser erfolgreichen Initiative der OSZE (die durch den unter italienischer Füh -
rung stehenden multinationalen Friedenseinsatz ALBA begleitet wurde) war Öster -
reich durch Altbundeskanzler Dr. Franz Vranitzky, der als Persönlicher Vertreter des
OSZE - Vorsitzenden tätig wurde, an herausragender Stelle vertreten.
Desgleichen ist Österreich an den friedensbildenden Bemühungen der OSZE in Bos -
nien und Kroatien, aber auch in anderen Teilnehmerstaaten (etwa durch die Entsen -
dung von Wahlbeobachtern und durch die Teilnahme an Langzeitmissionen) aktiv
beteiligt. Österreich hat sich schon 1994 bereit erklärt, an dem - damals in Aussicht
genommenen, bisher aber nicht realisierten - (von der OSZE selbst zu leitenden) frie-
denserhaltenden Einsatz in Nagornij Karabach mitzuwirken.
Österreich neigt in der Zwischenzeit - wie die meisten anderen Teilnehmerstaaten der
OSZE - der Auffassung zu, daß in der Regel friedenserhaltende Operationen nicht
von der OSZE, sondern von anderen Organisationen durchgeführt werden sollten.
Österreich ist allerdings der Auffassung, daß die OSZE gegebenenfalls als mandats -
gebende Organisation für friedenserhaltende Operationen im Sinne von autorisieren -
den Beschlüssen fungieren sollte.
Als Ausdruck seines besonderen sicherheitspolitischen Engagements in der OSZE hat
Österreich darüber hinaus seine Kandidatur für den OSZE - Vorsitz im Jahre 2000 an -
gemeldet.
4.4.3 Österreich als Mitglied der Europäischen Union
Österreich hat schon vor seinem Beitritt zur Europäischen Union die Bedeutung der
sicherheitspolitischen Dimension des europäischen Integrationsprozesses erkannt. So
hat die österreichische Seite in einem - allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft im
November 1991 übermittelten - Aide - Memoire u.a. festgestellt;
Zwischen dem fundamentalen Interesse Österreichs an Stabilität und Sicherheit in
Europa und dem Streben der Gemeinschaft, die europäische Einigung voranzutreiben
und sich geeignete Strukturen und Instrumente für die Erfüllung ihrer sicherheits - und
friedenspolitischen Aufgaben in Europa zu schaffen, besteht Übereinstimmung. Öster -
re ich ist sich bewußt, daß die Sicherheit Europas auch die seine ist...
In den Beitrittsverhandlungen zum Kapitel ., Gemeinsame Außen - und Sicherheitspo -
litik (GASP)“ am 9. November 1993 hat die österreichische Delegation betont, daß
Österreich an der Außen - und Sicherheitspolitik der Union und an ihrer dynami -
schen Weiterentwicklung aktiv teilnehmen (wird) und die Bestimmungen des Titel V
sowie die relevanten dem Vertrag über die Europäische Union angeschlossenen De -
klarationen akzeptiert.
Im Bericht der Bundesregierung über diese Beitrittsverhandlungen wurden darüber
hinaus u.a. folgende Punkte der
österreichischen Position dargelegt:
Österreich geht davon aus, daß die Mitwirkung an der GASP mit seinen verfas -
sungsrechtlichen Regelungen vereinbar sein wird Entsprechende innerstaatliche
rechtliche Anpassungen werden im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs
zur Europäischen Union erfolgen.
Aufgrund der weitreichenden Übereinstimmung in den außenpolitischen Positio -
nen zwischen Österreich und der Europäischen Union sowie des gemeinsamen Be -
kenntnisses zu den demokratischen Grundwerten ist Österreich zuversichtlich, daß
seine Einbeziehung in die GÄSP die außen - und sicherheitspolitische Handlungsfä -
higkeit der Union erhöhen wird“
Österreich unterstützt die Bestrebungen zur Schaffung einer europäischen Sicher -
heitsordnung. Die Entwicklung wirksamer europäischer Instrumentarien für die
Abhaltung und Bestrafung von Aggressionen und Rechtsverletzungen liegt auch im
Sicherheitsinteresse Österreichs.“
Österreich beabsichtigt, nach seinem Beitritt zur Europäischen Union den Status
eines Beobachters bei der Westeuropäischen Union zu beantragen.“
Aus Anlaß der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages haben sich die Union, Öster -
reich und die anderen neuen Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Erklärung zur
GASP verständigt, die Teil der Schlußakte zum Beitrittsvertrag ist (siehe hiezu Ab -
schnitt 4.2). Zeitgleich mit seinem Beitritt zur Europäischen Union ist Österreich
WEU - Beobachter geworden (siehe im einzelnen Unterabschnitt 4.4.4).
in der Praxis hat sich gezeigt, daß Österreich seit Anfang 1995 an der GASP ohne
Einschränkung aktiv mitgewirkt hat. Zu GASP - Entscheidungen, die insbesondere auf
Artikel J.4 Abs. 2 des EU - Vertrages in der geltenden Fassung abgestützt waren, ist es
seit Österreichs Beitritt zur Europäischen Union bislang allerdings nur in zwei Fällen
gekommen. Es handelte sich um
• einen Ratsbeschluß vom Juni 1996, der praktische Regelungen für allfällige Ope -
rationen zur Evakuierung von Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten der Union
aus Drittstaaten vorsieht;
• und einen weiteren Ratsbeschluß vom November 1996, mit dem die WEU ersucht
wurde, die Frage zu prüfen, wie sie im Rahmen einer Gemeinsamen Aktion der
Union in der Region der Großen Seen „zur optimalen Nutzung der zur Verfügung
stehenden operativen Mittel beitragen“ könne.
Dieses letztgenannte Ersuchen brachte allerdings keine konkreten Ergebnisse; des -
gleichen hat es bislang keinen konkreten Fall gegeben, in dem das erwähnte Verfah -
ren für Evakuierungsoperationen zur Anwendung gekommen ist. Die während der
albanischen Krise notwendigen Evakuierungsmaßnahmen wurden durch nationale
militärische Kräfte durchgeführt; zu einer Einschaltung von Unions - und/oder WEU -
Instanzen kam es nicht. Es gibt somit bis dato auch keine konkreten Erfahrungen mit
den Mechanismen, die der Artikel J.4 Abs. 2 des EU - Vertrages in der geltenden Fas -
sung für den Bereich des
Krisenmanagements geschaffen hatte.
Seit März 1995 nimmt Österreich an der 1991 im Rahmen der damaligen Europäi -
schen Politischen Zusammenarbeit gegründeten ,,European Community Monitoring
Mission/ECMM" teil, deren Ziel es ist, durch Beobachtung, Berichterstattung, Ver -
mittlung und Förderung vertrauensbildender Maßnahmen zur Konfliktlösung auf dem
Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und Albaniens beizutragen.
Um die Fähigkeit der Union auf dem Gebiet des Krisenmanagements zu stärken, hat
Österreich im Rahmen der EU - Regierungskonferenz zu jenen Staaten gehört, die sich
nachdrücklich für die Aufnahme der Petersberg - Aufgaben in den EU - Vertrag einge -
setzt haben. Österreich wäre an sich bereit gewesen, die WEU für Petersberg - Auf -
gaben ausdrücklichen Richtlinien oder Instruktionen der Europäischen Union zu un -
terstellen, während man sich zuletzt auf die - weniger verbindliche - Formel einer
"Inanspruchnahme" der WEU und auf die Möglichkeit - politisch zu vereinbarender
- ,, Leitlinien“ des Europäischen Rates geeinigt hat. Diese Vertragsänderung stellt das
wesentlichste Ergebnis von Amsterdam im Bereich der Sicherheitspolitik dar (siehe
Abschnitt 3.3).
Auf den Gesamtrahmen, in den sich das in Amsterdam vereinbarte Konzept eines eu -
ropäischen Krisenmanagements - insbesondere auch, was das Verhältnis zur NATO
betrifft - einordnen dürfte, ist schon im Abschnitt 3.7 eingegangen worden.
4.4.4 Österreich als WEU - Beobachter
Die dem EU - Vertrag in der Fassung von Maastricht angeschlossene „Erklärung zur
Westeuropäischen Union“ enthält u.a. die Einladung der Mitgliedstaaten der WEU an
alle anderen Mitgliedstaaten der Union, der WEU ,, beizutreten oder, falls sie dies
wünschen, Beobachter zu werden“ (s. auch Abschnitt 3.4). Auf dieser Grundlage ist
Österreich am 1. Jänner 1995 zeitgleich mit seinem Beitritt zur Europäischen Union
WEU - Beobachter geworden.
Osterreich teilt diesen Status mit den EU - Mitgliedstaaten Irland, Schweden, Finnland
und Dänemark.
Für Österreich ist es - wie auch für Schweden, Finnland und Irland - von Beginn an
ein Anliegen gewesen, diesen Beobachterstatus so aktiv wie möglich zu gestalten und
sein Potential insbesondere auch im Hinblick auf die Rolle der WEU als "integraler
Bestandteil der Entwicklung der Union“ und als Faktor im europäischen Krisenma -
nagement bestmöglich zu nützen. (Für Dänemark als NATO - Mitglied stellt sich diese
Frage nicht in der gleichen Weise.)
Für Österreich und die anderen nicht alliierten Beobachter galt und gilt in diesem Zu -
sammenhang vor allem auch das Argument, daß alle Mitgliedstaaten der Europäi -
schen Union hinsichtlich der Planung und Durchführung von EU - initiierten Maßnah -
men des internationalen Krisenmanagements gleichgestellt sein müssen.
Vor diesem Hintergrund hat Österreich der WEU die ,, Vorbereiteten Einheiten des
österreichischen Bundesheeres“ (s.
Abschnitt 4.3) als Kräfte genannt, die für eine
Teilnahme an Petersberg - Operationen grundsätzlich geeignet sind. Weiters hat Öster -
reich mit der WEU ein Sicherheitsabkommen über den Austausch von Dokumenten
unterzeichnet, dessen Ratifikation zur Zeit vorbereitet wird. Seine Bereitschaft, die
WEU bei konkreten Friedensoperationen zu unterstützen, hat Österreich 1995/96
durch die Beistellung von Exekutivbeamen zur multinationalen - von der WEU ge -
führten - Polizeimission in Mostar demonstriert.
Als WEU - Beobachter kann sich Österreich an den Sitzungen des WEU - Ministerrates
und seiner Arbeitsgruppen beteiligen, soweit diese im ,, Format 18“ (Mitglieder, as -
soziierte Mitglieder, Beobachter) tagen, was mittlerweile die Regel ist. Dabei bleibt
das Entscheidungsrecht grundsätzlich den Vollmitgliedern vorbehalten.
Der revidierte EU - Vertrag (Art. 17 des EU - Vertrages in der Fassung von Amsterdam)
eröffnet allerdings allen Mitgliedstaaten der Union, die sich an einer konkreten Pe -
tersberg - Aufgabe beteiligen, die Möglichkeit, in diesem Falle gleichberechtigt am
Planungs - und Entscheidungsprozeß der WEU teilzunehmen (s. dazu auch Abschnitte
3.3 und 3.7). Die WEU hat diese Regelung für ihren Bereich anläßlich des WEU -
Ministerrates von Erfurt im November 1997 bereits umgesetzt. Darüber hinaus hat die
WEU den Beobachtern in Erfurt vergleichbare Rechte auch für den Fall eingeräumt,
daß sich diese an Petersberg - Operationen, die nicht von der Union initiiert werden,
beteiligen (siehe auch Abschnitt 4.4.4).
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber auch, daß dem soeben be -
schriebenen Entscheidungsprozeß - angesichts der bestehenden operationellen Ver -
flechtungen - normalerweise informelle Konsultationen zwischen der WEU und der
NATO vorangehen dürften, deren Ergebnis von internen Entscheidungen dieser bei -
den Organisationen abhängt (s. Abschnitt 3.7).
Die beschriebenen Verflechtungen wirken sich auch auf den militärischen Planungs -
bereich aus: So bleibt die gleichberechtigte Mitwirkung an Arbeiten der WEU -
Planungszelle, soweit sie die Zusammenarbeit mit der NATO betrifft, weiterhin den
zehn WEU - Mitgliedern und den drei ‚assoziierten“ WEU - Mitgliedern Türkei, Nor -
wegen und Island vorbehalten.
Das gemeinsame Anliegen der vier nichtalliierten WEU - Beobachter, für Zwecke ihrer
möglichen Mitwirkung an Petersberg - Operationen im Wege der WEU in die Streit -
kräftestrukturplanung der NATO eingebunden zu werden, konnte bisher nicht erfüllt
werden. Aus österreichischer Sicht erschiene eine solche Kooperation schon deshalb
sinnvoll, um die VOREIN entsprechend den internationalen Erfordernissen weiter -
entwickeln zu können. Bislang ist allerdings ungeklärt, inwieweit sich die Streitkräf -
testruktuiplanung für Petersberg - Operationen überhaupt von der allgemeinen Vertei -
digungsplanung der NATO abkoppeln läßt. Eine - ansatzweise - Lösung zeichnet sich
am ehesten im Rahmen des Planungs - und Überprüfungsprozesses (PARP) der
NATO - Partnerschaft für den Frieden (s. Abschnitt 4.4.5) ab.
Da die - von der WEU in Erfurt beschlossene - Harmonisierung der Präsidentschaften
von Europäischer Union und WEU im Falle
eines EU - Vorsitzes durch ein Land, das
in der WEU nur Beobachter ist, nicht vorgesehen ist, wird Österreich als EU - Vorsitz -
land im zweiten Halbjahr 1998 mit der italienischen WEU - Präsidentschaft bestmög -
lich kooperieren. Als WEU - Beobachter wird Österreich im übrigen auch die für 1998
aus Anlaß des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des WEU - Vertrages in Aussicht
genommene - Grundsatzdiskussion über die Zukunft dieser Organisation verfolgen
können.
4.4.5 Österreich als Teilnehmer an der NATO - Partnerschaft für den Frieden
Mit der Unterzeichnung des Rahmendokuments am 10. Februar 1995 hat Österreich
seine politische Absicht bekundet, gemeinsam mit den anderen Partnern auf die - der
Partnerschaft für den Frieden (PfP) - zugrundeliegenden Ziele hinzuarbeiten.
Diese betreffen aus österreichischer Sicht insbesondere die „Aufrechterhaltung der
Fähigkeit und Bereitschaft, zu Einsätzen unter Autorität der VN und/oder Verant -
wortung der KSZE beizutragen, vorbehaltlich verfassungs rechtlicher Erwägungen
sowie die ,‚Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen zur NATO mit dem
Ziel gemeinsamer Planung Ausbildung und Übungen um die Fähigkeit der Partner
für Aufgaben auf den Gebieten Friedens wahrung, Such - und Rettungsdienst, huma -
nitäre Operationen und anderer eventuell noch zu vereinbarender Aufgaben zu stör -
ken".
Der Partnerschaftsmechanismus sieht vor, daß jeder Teilnehmer in einem Einfüh -
rungsdokument die Schritte aufzeigt, die er " zum Erreichen der politischen Ziele der
Partnerschaft ergreifen“ wird. Gemäß dem derzeitigen - von der Bundesregierung am
23 Mai 1995 beschlossenen - „Österreichischen Einführungsdokument“ erstreckt
sich die Kooperation mit der NATO, ihren Mitgliedern und anderen (v.a. zentral - und
osteuropäischen) PfP - Teilnehmern insbesondere auf die prioritären Zusammenar -
beitsbereiche friedenserhaltende Operationen, humanitäre und Katastrophenhilfe so -
wie Such - und Rettungsdienste.
Die konkrete Auswahl jener Aktivitäten, an denen Österreich teilnehmen möchte
bzw. die Österreich selbst in das Partnerschaftsprogramm einbringt, erfolgt im Wege
der Vereinbarung eines individuellen Partnerschaftsprogramms (IPP); hiebei handelt
es sich nach Auffassung beider Seiten um eine politische Absichtserklärung (,,politi -
cal undertaking“), die jährlich fortgeschrieben wird.
Ein Schwerpunkt des österreichischen IPP für die Jahre 1997 bis 1999, das insgesamt
etwa 300 Einzelvorhaben umfaßt, betrifft die Standardisierung der für Zwecke der
PfP vorgesehenen Streitkräfte und zivilen Einheiten sowie die Teilnahme an den hie -
für erforderlichen gemeinsamen Übungen. Dem Ziel einer erhöhten Interoperabilität
des Bundesheeres mit den Streitkräften der NATO - Staaten und anderer Teilnehmer
dient auch die - von Österreich seit Mai 1996 wahrgenommene - Teilnahme am PfP -
Planungs - und Überprüfungsprozeß (PARP); in dessen Rahmen hat Österreich mit der
NATO konkrete,, Interoperabilitätsziele
vereinbart, die von der Sprachausbildung
über die Kartographie bis zu den militärischen Anforderungsprofilen in den prioritä -
ren Kooperationsbereichen (friedenserhaltende Operationen, humanitäre und Kata -
strophenhilfe sowie Such - und Rettungsdienste) reichen.
Ein anderer wichtiger Schwerpunkt der österreichischen PfP - Mitarbeit ist die zivile
Notstandsplanung, wobei 30 Prozent der gesamten PfP - Aktivitäten in diesem Bereich
von Österreich bestritten werden. Hier geht es um einen umfassenden Erfahrungs -
austausch bzw. gemeinsame Übungen (etwa auf dem Gebiet des Strahlenschutzes);
zugleich wird eine multilaterale Vereinbarung über die grenzüberschreitende zivile
Zusammenarbeit bzw. den zivilen Transit angestrebt. Die Pilotfunktion Österreichs
auf diesem Gebiet resultiert einerseits aus unserer geopolitischen Lage, andererseits
aus dem Umstand, daß Österreich der aktivste Partner der NATO im Sektor , "Zivile
Notstandsplanung ist.
In seinem Einführungsdokument hat Österreich der NATO darüber hinaus mitgeteilt,
daß "die Realisierung einiger (..) Vorhaben die Schaffung entsprechender rechtlicher
Grundlagen oder Begleitregelungen einschließlich der budgetären Vorsorge“ voraus -
setzt. Hiebei war insbesondere an die erforderlichen rechtlichen Regelungen für die
Entsendung österreichischer Soldaten zu PfP - Übungen ins Ausland bzw. für die Teil -
nahme ausländischer Soldaten oder Zivilpersonen an PfP - Übungen im Inland ge -
dacht.
Die erste Frage wurden inzwischen im Rahmen des Bundesverfassungsgesetzes über
Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in
das Ausland, BGBl. I Nr. 38/1997 in der Fassung BGB1. 1 Nr.30/1998, gelöst. Um
den Status von Personen zu regeln, die sich im Rahmen von PfP - Aktivitäten vorüber -
gehend in anderen Teilnehmerstaaten aufhalten, wurde den PfP - Partnern von der
NATO der Abschluß eines "PfP - Truppenstatuts" („PfP Status of Forces Agree -
ment „/PfP - SOFA) vorgeschlagen. Osterreich hat dieses am 16. Jänner 1997 unter -
zeichnet; gegenwärtig steht es in parlamentarischer Behandlung.
In seiner Eigenschaft als PfP - Partner ist Österreich von der NATO eingeladen wor -
den, an dem - von ihr geleiteten - multinationalen Friedenseinsatz in Bosnien
(IFOR/SFOR) teilzunehmen (s. hiezu auch Abschnitt 4.3).
Anläßlich seiner Teilnahme an der multinationalen Friedensmission in Bosnien
(IFOR/SFOR) hat Österreich mit der NATO am 20. Dezember 1995 ein Regierungs -
übereinkommen zum Schutz von Informationen abgeschlossen, welches nunmehr
auch auf den Austausch von Dokumenten im Rahmen der Partnerschaft für den Frie -
den Anwendung findet (BGBl. Nr.18/1996).
Gerade auch die im Rahmen dieses Einsatzes von der NATO und den PfP - Partnern
gewonnenen - über die ursprünglichen PfP - Ziele hinausgehenden - Erfahrungen ha -
ben die NATO bewogen, das PfP - Konzept weiterzuentwickeln (s. Abschnitt 3.6). Im
Rahmen der ,, vertieften PfP“ besteht auf militärischem Gebiet nunmehr für alle Part -
ner die Möglichkeit, die
Interoperabilität für das gesamte Spektrum friedensunterstüt -
zender Maßnahmen (also auch für den Bereich friedensdurchsetzender Operationen)
herzustellen.
Österreich ist diese Möglichkeit von der NATO erstmals im Rahmen der gemeinsa -
men Festlegung der lnteroperabilitätsziele für den PARP - Zyklus 1997 - 1999 angebo -
teil worden. Österreich hat damals betont, daß sich der NATO - Vorschlag, die Inter -
operabilität der VOREIN auch für „militärische Kampfeinsätze unter unterschiedli -
chen topographischen und klimatischen Bedingungen“ zur Friedensdurchsetzung 51 -
cherzustellen, in Prüfung befinde und die Annahme dieses Zieles von einer „politi -
schen Entscheidung der österreichischen Bundesregierung abhängig sei, die im Lau -
fe des jetzigen PARP - Zyklus getroffen werden könnte.
Die NATO hat also zur Kenntnis genommen, daß sich die österreichische militärische
Zusammenarbeit bis auf weiteres auf die im österreichischen Einführungsdokument
ausdrücklich genannten Bereiche (Friedenserhaltung, humanitäre und Katastrophen -
hilfe sowie Such - und Rettungsdienste) konzentriert.
In politischer und institutioneller Hinsicht ist die weitere Entwicklung der Partner -
schaft für den Frieden v.a. auch durch die Schaffung des Euro - Atlantischen Partner -
schaftsrates gekennzeichnet. An diesem multilateralen Forum wirkt Österreich seit
dessen Gründung im Mai 1997 mit - und kann somit auch an den konkreten Arbeiten
dieses (im Abschnitt 3.6 näher beschriebenen) Konsultationsforums voll teilnehmen.
Seit November 997 hat Österreich bei der NATO einen Ständigen Vertreter akkredi -
tiert und unterhält mit der Allianz also volle diplomatische Beziehungen. Ebenso wie
im Falle Schwedens und Finnlands wird diese Aufgabe derzeit durch den - bei der
NATO mitakkreditierten - Botschafter in Belgien wahrgenommen.
5 Weiterführende Optionen Österreichs im Rahmen der europäischen Sicher -
heitsstrukturen
5.1 Überblick
Wie im Abschnitt 1.2 ausgeführt, setzt sich die Bundesregierung gemäß der Koali -
tionsvereinbarung der Regierungsparteien „im Geiste der europäischen Solidarität
und zum Zwecke der dauernden Gewährleistung der Sicherheit der Republik Öster -
reich im Einklang mit den Zielsetzungen der EU für eine vollberechtigte Teilnahme
Österreichs an funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen“ ein
Vorweg war in diesem Zusammenhang, wie schon im Abschnitt 1.2 festgestellt, daher
die Frage zu klären, inwieweit die Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspo -
litik bereits zu ‚,funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen“ geführt haben.
Die Merkmale, über welche funktionsfähige europäische Sicherheitsstrukturen zu
Zwecken der Konfliktprävention, des Krisenmanagements und der Abwehr von Frie -
densbrechern und Aggressoren verfügen müssen, sind im Abschnitt 2.3 näher darge -
stellt worden. Die - in den Kapiteln 2 bis 4
dieses Berichts vorgenommene - Gesamt -
analyse der gegenwärtigen europäischen Sicherheitsarchitektur läßt den Schluß zu,
daß die wesentlichen sicherheitspolitischen Grundstrukturen in Europa im Rahmen
der verschiedenen bestehenden Sicherheitsorganisationen heute bereits gegeben sind.
Damit von funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen gesprochen werden
kann, muß allerdings, wie im Abschnitt 2.2 weiters betont wird, auch sichergestellt
sein, daß die vor 1989 in Europa bestandenen Trennlinien überwunden sind und auch
keine neuen Trennlinien entstehen, daß insbesondere auch Rußland in diese Struktu -
ren auf eine - seinem Gewicht und seiner Stellung entsprechende - Weise eingebun -
den ist und daß diese Strukturen eine umfassende Sicherheitspolitik ermöglichen.
Obzwar es sich diesbezüglich um einen fortschreitenden Prozeß handelt, der einer
laufenden Gestaltung unterliegt, läßt sich, wie die Analyse der Kapitel 2 und 3 zeigt,
schon jetzt feststellen, daß die gesamteuropäische Entwicklung im Grundsatz bereits
die erwähnten Merkmale aufweist.
Klar ist aufgrund der in den vorangegangenen Teilen dieses Berichts getroffenen
Feststellungen, daß in Europa derzeit kein Bedarf gesehen wird, ein völlig neues ,,eu -
ropäisches Sicherheitssystem zu schaffen. Die politischen Bemühungen kon -
zentrieren sich vielmehr darauf das Zusammenwirken zwischen den vorhandenen
Sicherheitsorganisationen - und hier insbesondere zwischen der Europäischen Union,
der WEU, der NATO und der OSZE - auszubauen und zu vertiefen.
Im Lichte der vorangegangenen Zusammenfassung ist festzustellen, daß das - von der
Bundesregierung angestrebte - Ziel einer vollberechtigien“ Mitwirkung Österreichs
an funktionierenden europäischen Sicherheitsstrukturen die Frage nach dem künftigen
Verhältnis Österreichs zu allen vorgenannten Organisationen und Foren aufwirft.
Die gegenwärtige Sicherheitspolitik Österreichs wurde bereits im Kapitel 4 dieses
Berichts dargestellt. In diesem Kapitel wäre allerdings noch zu bewerten, welche si -
cherheitspolitischen Konsequenzen sich für Österreich für den Fall einer Fort - setzung
seiner bisherigen sicherheitspolitischen Linie ergeben würden.
Über den Ist - Zustand hinausgehend wäre weiters zu klären, welche Möglichkeiten
sich für Österreich durch das - den Partnerstaaten von seiten der NATO bereits ge -
machte - Angebot einer vertieften Partnerschaft für den Frieden eröffnen.
Für Österreich ist auf sicherheitspolitischem Gebiet weiters die Frage zu beantworten,
welche Position Österreich in Bezug auf die weitere Entwicklung der Gemeinsamen
Außen - und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) beziehen soll.
Klar ist, daß es sich dabei um Festlegungen im Rahmen einer mittel - und länger -
fristigen Debatte geht. Österreichs Haltung zu einer gemeinsamen europäischen Ver -
teidigung wird daher auch nicht als eine isolierte Sonderfrage, sondern als zentrales
Element einer sicherheitspolitischen Gesamtposition erörtert.
Gemäß Koalitionsübereinkommen ist insbesondere auch die Frage der Vollmitglied -
schaft Österreichs in der WEU zu untersuchen. Rechtlich ist zwar nirgends verbind -
lich festgeschrieben, daß die WEU -
Mitgliedschaft nur jenen EU - Staaten offensteht,
die auch der NATO beitreten wollen (bzw. bereits angehören); auch die - im Ab -
schnitt 3.4 erwähnte - Maastrichter Einladung der WEU - Staaten an die anderen EU -
Partner enthält keinen diesbezüglichen Hinweis. In der Praxis wird dieser Standpunkt
- angesichts der beschriebenen Verflechtungen zwischen der WEU und der NATO -
spätestens seit dem Berliner NATO - Ministertreffen vom Juni 1996 aber allgemein
vertreten.
Im Hinblick darauf, daß die WEU integraler Bestandteil der Entwicklung der Euro -
päischen Union“ ist, hat die Option einer WEU - Mitgliedschaft für Österreich europä -
politische Relevanz. Die konkreten sicherheitspolitischen, rechtlichen und operatio -
nellen Konsequenzen eines derartigen Schrittes werden im Lichte der gegebenen Ver -
flechtungen in weiterer Folge vorwiegend im Zusammenhang mit der Option einer
Mitgliedschaft in der NATO geprüft.
Der Prüfung der Option eines NATO - Beitritts kommt im Lichte ihres laufenden Er -
weiterungsprozesses und der Bestrebungen zur „Schaffung einer neuen NATO“ aber
auch eine eigenständige sicherheitspolitische Bedeutung zu.
Diese Optionen werden im weiteren nach den folgenden Gesichtspunkten geprüft:
• außen - und sicherheitspolitische Bewertung;
• Zeitpläne, Verfahren und rechtliche Implikationen;
• Auswirkungen auf die Strukturen der militärischen Landesverteidigung;
• budgetäre und volkswirtschaftliche Konsequenzen.
5.2 Weiterführende Optionen
5.2.1 Außen - und sicherheitspolitische Bewertung
Zu den zentralen Aufgaben der österreichischen Außenpolitik gehört es, im Zusam -
menwirken mit einer funktionsfähigen Landesverteidigung bestmöglich zur Gewähr -
leistung der Sicherheit Österreichs beizutragen.
Dabei geht es nicht bloß darum, wie sich Österreich vor allfälligen Bedrohungen sei -
ner äußeren Sicherheit schützen kann. Es geht auch um die Frage, wie Österreich am
wirkungsvollsten an gemeinsamen europäischen Strukturen, die das Entstehen äuße -
rer Bedrohungen verhindern sollen, mitwirken kann. Außenpolitisch ist darüber hin -
aus zu klären, wie Österreich jene sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesse, die
seine eigenen Interessen sowie gemeinsame europäische Interessen von unmittelbarer
Rückwirkung auf Österreich betreffen, am ehesten vollberechtigt mitgestalten kann.
Schließlich ist auch die Frage zu beantworten, wie Österreich unter besonderer Be -
rücksichtigung seiner Stellung als Mitglied der Europäischen Union auf dem Gebiet
der Sicherheitspolitik europäische Solidarität bekunden soll.
Im Falle einer unveränderten Fortsetzung seiner gegenwärtigen Sicherheitspolitik
müßte Österreich darauf
vorbereitet sein, einer direkten militärischen Bedrohung sei -
nes Territoriums ausschließlich mit nationalen Kräften zu begegnen. Österreich könn -
te sich für einen solchen Konfliktfall auf keine Beistandszusage berufen; es müßte
umgekehrt aber auch keine Beistandszusage gegenüber anderen Staaten abgeben.
Im direkten Bedrohungsfall könnte Österreich gemäß den Bestimmungen des Kapitels
VII der Satzung der Vereinten Nationen den Sicherheitsrat befassen. Es könnte auch
die im Rahmen der Europäischen Union, der OSZE, der NATO - Partnerschaft für den
Frieden und jetzt auch des Euro - Atlantischen Partnerschaftsrates gegebenen politi -
schen Mechanismen nützen; konkrete militärische Verpflichtungen würden aus einer
solchen Vorgangsweise aber weder für die jeweiligen Partner noch für Österreich er -
wachsen.
Wie bereits im Abschnitt 4.1 festgestellt wurde, kann eine existentielle militärische
Bedrohung Österreichs auf absehbare Zeit als unrealistisch angesehen werden. Militä -
rische Bedrohungen geringerer Intensität sind jedoch nicht gänzlich auszuschließen.
Solchen Bedrohungen wäre österreichischerseits mit rein nationalen Mitteln zu be -
gegnen. Auf die hiefür gegebenenfalls erforderlichen militärischen Kapazitäten wird
im Unterabschnitt 5.2.3 näher eingegangen.
Des weiteren sind aber auch die im Abschnitt 2.2 beschriebenen neuen Bedrohungen
denkbar, die nur im Rahmen internationaler Mechanismen bewältigt werden können.
Österreich ist durch seinen Beitritt zur Europäischen Union zum Partner in einer Sta -
bilitätsgemeinschaft geworden, die sich in einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit mit
anderen Organisationen wie der OSZE, der WEU und der NATO vermehrt um die
Bewältigung der im Abschnitt 4.1 beschriebenen möglichen Instabilitäten und Risken
bemüht. Dies ist um so wichtiger, als Österreich durch seine geographische Lage mit
diesen Instabilitäten und Risken direkter konfrontiert ist als viele Mitgliedsländer der
NATO und der WEU.
Wie in den vorangegangenen Kapiteln näher ausgeführt, dürfte es im Rahmen des
europäischen Krisenmanagements im Regel falle zu Entscheidungsprozessen kom-
men, in die neben der Europäischen Union und der WEU vor allem auch die NATO
maßgeblich eingebunden ist. In diese - vernetzten - Bestrebungen der europäischen
Sicherheitsorganisationen wäre Österreich - bei unveränderter Fortführung seiner bis-
herigen Sicherheitspolitik - insoweit vollberechtigt eingebunden, als sie in der OSZE
und der Europäischen Union sowie im Zusammenwirken zwischen letzterer und der
WEU gemäß den Regelungen des Vertrages von Amsterdam verfolgt werden; in Ent-
scheidungsprozesse der NATO ist Österreich aber nicht eingebunden.
Die bisherigen österreichischen Solidaritätsbeiträge zur Gewährleistung des Friedens
und der internationalen Sicherheit könnten auch weiterhin fortgeführt werden. Auf
der Grundlage des „status quo“ wäre es für Österreich allerdings nicht möglich, vol-
linhaltlich an gemeinsamen europäischen Strukturen mitzuwirken, die das Entstehen
äußerer Bedrohungen verhindern sollen. Weiters könnte sich Österreich gegebenen-
falls auch nicht über den Bereich der
klassischen Friedenserhaltung hinaus an dem -
im Vertrag von Amsterdam und in der „vertieften Partnerschaft für den Frieden" an -
gesprochenen - vollen Spektrum friedensunterstützender Operationen, also auch an
Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maß -
nahmen, zu beteiligen.
Eine - über das derzeitige Ausmaß hinausgehende - internationale Solidarität könnte
Österreich u.a. durch seine volle Mitwirkung an der „vertieften NATO - Partnerschaft
für den Frieden“ („enhanced PfP“) - und durch die mit diesem Schritt einhergehen -
de Kooperation im gesamten Spektrum friedensunterstützender Operationen - doku -
mentieren. In der Praxis könnte ein solcher Schritt auch dazu führen, daß Österreich
an Operationen in einem riskanteren Umfeld als jenem der klassischen Friedenser -
haltung teilnimmt, soweit es sich im Einzelfall zur Beteiligung an solchen Einsätzen
entschließt.
Durch die Teilnahme an der „vertieften Partnerschaft für den Frieden“ würden sich
für Österreich auch Möglichkeiten einer regionalen Kooperation ergeben und in jenen
Fällen, in denen Österreich an NATO - geleiteten Operationen mit eigenen Kräften
teilnimmt, „soweit praktisch machbar“ auch Möglichkeiten für eine größere operati -
ve Rolle und eine stärkere Einbeziehung in Planungs - und Entscheidungsprozesse der
NATO eröffnen. Ebenso wie im Rahmen des sicherheitspolitischen „status quo“ wäre
Österreich auch in der „vertieften NATO - Partnerschaft für den Frieden“ an NATO -
Beschlußfassungsstrukturen und - abläufen aber nicht beteiligt.
Weiters enthält die "vertiefte Partnerschaft“ das - an die Partner gerichtete - Angebot
der NATO, die Planungs - und Überprüfungsprozesse zwischen der NATO und den
Partnern verstärkt anzugleichen und Personal der Partnerstaaten in NATO - Stäbe ab -
zustellen. Im militärischen Bereich ginge es - auf der Grundlage der praktischen Er -
fahrungen aus der Teilnahme an IFOR und SFOR - insbesondere darum, die Fähig -
keit der Partner zur operationellen Zusammenarbeit (Interoperabilität) auf das „ge -
samte Spektrum der Friedensoperationen" auszuweiten, worunter von der NATO
auch „militärische Kampfeinsätze unter unterschiedlichen topographischen und kli -
matischen Bedingungen“ zur Friedensschaffung verstanden werden. Dies wäre eben -
so für die faktische Fähigkeit Österreichs, an Petersberg - Operationen der WEU teil -
zunehmen, von Vorteil.
Durch die volle Mitwirkung an der „vertieften PfP“ erhielte Österreich keine Bei -
standszusage und würde keine Beistandsverpflichtung eingehen.
In bezug auf die Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik der Europäischen
Union (GASP) ist es im Vertrag von Amsterdam u.a. zu den im Abschnitt 3.3 be -
schriebenen Entwicklungen im Bereich des Krisenmanagements - und insbesondere
zur Aufnahme der ,,Petersberg Aufgaben“ der WEU in den EU - Vertrag - gekommen.
(Zum Ratifikationsverfahren siehe Abschnitt 5.2.2.)
Im Rahmen des vorliegenden Berichts sind darüber hinaus aber auch die sicherheits -
politischen Konsequenzen eines verstärkten österreichischen Eintretens für die Reali -
sierung der (im Vertrag von Amsterdam
gleichfalls festgeschriebenen) Zielsetzungen
einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, einer gemeinsamen Verteidigung und einer
vollen Integration der Westeuropäischen Union in die Union zu bewerten.
Da es sich hiebei um mittel - bzw. längerfristige Perspektiven handelt, läge die we -
sentliche Bedeutung einer Entscheidung Österreichs, die Integration der WEU in die
Europäische Union mitzutragen und alle - aus einem solchen Integrationsprozeß er-
wachsenden - Rechte und Pflichten auch seinerseits im vollen Umfang solidarisch mit
zu übernehmen, in der europapolitischen Signalwirkung eines solchen Schrittes. Er
würde aufzeigen, daß sich Österreich zu einer Union bekennt, die sich auch für den
Bereich der Sicherheit als Solidargemeinschaft versteht.
So käme auch klar zum Ausdruck, daß Österreich die - in der Regierungsvereinba
rung festgehaltene - Zielsetzung, an allen zentralen Integrationsbereichen und der eu -
ropäischen Zusammenarbeit von Anbeginn teilzunehmen und zu deren Weiterent -
wicklung beizutragen, auch in bezug auf eine gemeinsame Verteidigungspolitik und
eine gemeinsame Verteidigung verwirklichen will.
Die Option einer Vollmitgliedschaft Österreichs in der Westeuropäischen Union ist,
was ihre außen- und sicherheitspolitischen Aspekte anlangt, im Lichte der im Ab -
schnitt 5.1 gemachten Anmerkungen grundsätzlich in Verbindung mit der Frage einer
NATO - Mitgliedschaft zu prüfen.
Im Falle eines Beitritts Österreichs zur NATO und zur WEU würde sich die sicher -
heitspolitische Stellung Österreichs in Europa grundlegend ändern. Österreich würde
durch einen solchen Schritt in die Bündnisstrukturen und Beistandsregeln dieser bei -
den Sicherheitsorganisationen eintreten.
Was die österreichischen Sicherheitsinteressen anlangt, läge die Bedeutung eines sol -
chen Schritts nicht so sehr im Schutz vor unmittelbaren äußeren Bedrohungen als in
den - im Rahmen der NATO gegebenen - zusätzlichen Möglichkeiten, am Aufbau
stabilitätsorientierter europäischer Sicherheitsstrukturen mitzuarbeiten, und in dem -
auf diese Weise langfristig erwerbbaren - ,,Versicherungsschutz“. Eine Mitgliedschaft
in der NATO dürfte im übrigen unter Bedingungen relativer europäischer Stabilität
viel eher zu erlangen sein, als in Zeiten internationaler Spannungen.
Zu berücksichtigen ist hier allerdings auch die Frage, inwieweit ein NATO - Mitglied
zusätzliche Risken auf sich nimmt. In der bisherigen Geschichte der NATO hat es
einen „Art. 5-Fall“ - auch wegen des Abschreckungspotentials der NATO - noch nie
gegeben. Ein kontinentaler Verteidigungsfall scheint auch für die absehbare Zukunft
höchst unwahrscheinlich. Was aber hypothetische Konflikte in einer ferneren Zukunft
anlangt, sind - insbesondere in bezug auf NATO - Partner, die auch der Europäischen
Union angehören - kaum Szenarien vorstellbar, in denen die NATO bedroht sein
könnte, ohne daß auch Österreichs Sicherheit gefährdet wäre.
Was die nukleare Komponente der Bündnisverteidigung anlangt, ist zuerst auf das
Strategische Konzept der NATO aus dem Jahr 1991 zu verweisen, welches im Falle
eines NATO - Beitritts für
Österreich politische Geltung hätte. Gemäß diesem Doku -
ment ist deren grundlegende Zweck politischer Art, nämlich „Wahrung des Friedens
und Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg.“ Die nuklearen Kapazitäten
der Allianz bilden daher weiterhin ,, die oberste Garantie für die Sicherheit der
NA TO - Mitglieder dar. Im Rahmen der NATO würde Österreich auch in deren nu -
kleare Verteidigungsplanung und in die entsprechenden Führungs-, Überwachungs -
und Konsultationsvorkehrungen einbezogen werden.
Im genannten Strategischen Konzept ist weiters vom Erfordernis einer breiten Teilha -
be ,, involvierter europäischer Bündnispartner" an der Stationierung von Nuklear-
streitkräften auf ihrem Hoheitsgebiet im Frieden die Rede, wobei über Entscheidung
der NATO seither aber sämtliche in Europa stationierten bodengestützten US -
Nuklearwaffen eliminiert wurden. (Zur veränderten Rolle der nuklearen Abschrek -
kung siehe auch Abschnitt 3.6.). Im Zuge ihres laufenden Erweiterungsprozesses ha -
ben die NATO - Mitglieder überdies festgestellt, daß sie keine Absicht, keine Pläne
und keinen Anlaß habe, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu sta -
tionieren und daß sie hiefür auch für die Zukunft keinerlei Notwendigkeit sehe. Wei -
ters hat die NATO auch betont, daß sie auf dem Gebiet neuer Mitgliedsländer auch
keine substantiellen Kampftruppen dauerhaft stationieren wolle.
Gemäß dem Wortlaut der NATO - Erweiterungsstudie vom September 1995 hätte ein
neues NATO—Mitglied an sich auch die Möglichkeit, den integrierten Kommando -
strukturen der NATO gemäß dem französischen (und dem nunmehr allerdings aus -
laufenden spanischen) Modell fernzubleiben.
Von einer überwiegenden Mehrzahl der NATO - Mitglieder wird allerdings signali -
siert, daß politisch für die Zukunft de facto nur das Modell einer militärischen inte -
gration in Frage kommt. (Dieses wird auch von allen Beitrittskandidaten angestrebt.)
Aus verteidigungspolitischer Sicht stellt sich darüber hinaus die Frage, ob das - von
Frankreich gewählte - Mitgliedschaftsmodell auf ein Land mit der Heeresstruktur
Österreichs zweckmäßigerweise überhaupt übertragbar ist.
Im Falle eines Beitritts zur WEU und zur NATO würde Österreich alle Rechte und
Pflichten, die mit der Mitgliedschaft in diesen Organisationen verbunden sind, voll -
umfänglich übernehmen.
Die wichtigste Verpflichtung eines Mitglieds ist die Beistandspflicht gemäß Art. V
des Brüsseler Vertrages und Art. 5 des Washingtoner Vertrages. Von Österreich wür -
de weiters erwartet werden, daß es den sonstigen rechtlichen und politischen Besitz -
stand“ des Bündnisses übernimmt (s. Unterabschnitt 5.2.2) und daß es zu den Krisen -
reaktions- und Hauptverteidigungskräften der Allianz einen angemessenen militäri -
schen Beitrag leistet. Die betroffenen militärischen Strukturen müßten die Interopera -
bilitätsstandards der Allianz erfüllen. Weiters würde erwartet werden, daß Österreich
- nach Maßgabe seiner Fähigkeiten und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß
auch die Teilnahme an jeder Nicht - Artikel 5 - Operation einer nationalen Entscheidung
unterliegt - am vollen Spektrum der Bündnisaufgaben mitwirkt. Zu diesem Zwecke
hätten die betroffenen
österreichischen Kräfte an NATO - Übungen teilzunehmen.
Übungen sollen regelmäßig auch auf dem Territorium der neuen Mitglieder stattfin -
den. Als WEU - und NATO - Mitglied hätte Österreich auch zu den Budgets und ge -
meinsamen Programmen dieser Organisationen beizutragen. (Zu sonstigen budgetä -
ren Implikationen eines WEU - und NATO - Beitritts 5. Unterabschnitt 5.2.4.)
Wichtigstes Recht eines Bündnismitgliedes ist das Recht auf Beistand. Als Mitglied
der WEU und der NATO wäre Österreich weiters in all jene internen Entscheidungs -
prozesse dieser beiden Organisationen eingebunden, die den Mitgliedern vorbehalten
sind. Dabei ginge es unter anderem um die Mitentscheidung bei künftigen Erweite -
rungsverfahren und Vertragsrevisionen, die Teilnahme am NATO - Rußland - Rat, die
Einbindung in die NATO - Kommandostrukturen, die Mitwirkung an der Streitkräfte -
und Einsatzplanung, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Infrastruktur, der Rü -
stung und der Logistik, die Festlegung von gemeinsamen Positionen zur Abrüstung
sowie um die Beiträge der WEU und der NATO zur Entwicklung einer europäischen
Sicherheits - und Verteidigungsidentität.
Konkret ginge es also um Entscheidungen, welche die praktische Arbeit der beiden
Organisationen betreffen; es ginge aber auch um die Teilnahme an wesentlichen Wei -
chenstellungen in der europäischen Sicherheitsarchitektur.
Diese Entscheidungen werden in den beiden genannten Organisationen im Konsens -
wege getroffen. Rechtlich sind alle WEU - und NATO-Mitglieder somit -
tigt. In der Praxis ist freilich unbestreitbar, daß den USA in allen Fragen der transat -
lantischen Sicherheit eine politische und militärische Schlüsselrolle zukommt. Dies
hat sich etwa auch bei den Beschlüssen des Madrider NATO - Gipfels vom Juli 1997
zur Erweiterung der Allianz gezeigt. Zugleich ist es aber auch ein Faktum, daß die
gesamte Frage der NATO - Osterweiterung ursprünglich von den europäischen Ver -
bündeten thematisiert und vorangetrieben worden ist.
Die - der NATO schon heute angehörenden - kleineren und mittleren Staaten sind
sich der Grenzen ihrer Einflußmöglichkeiten durchaus bewußt, vertreten aber zu -
gleich die Auffassung, daß sie als Mitglieder der Allianz wesentlich größere Mög -
lichkeiten haben, wichtige sicherheitspolitische Entscheidungen, die sie unmittelbar
betreffen, mitzugestalten, als wenn sie dieser Organisation ferngeblieben wären.
Insgesamt muß aus der Erfahrung der letzten Jahre allerdings der Schluß gezogen
werden, daß das Gewicht Europas in der NATO ganz entscheidend von der gemein -
samen Bereitschaft aller Europäer abhängt, dort auch tatsächlich mit einer Stimme
aufzutreten; aber auch davon, ob die europäischen Mitgliedstaaten angesichts kon -
kreter Herausforderungen zu verstärkten Eigenleistungen bereit sind (s. hiezu auch
Abschnitt 3.6).
Auch außerhalb einer Mitgliedschaft in NATO und WEU könnte Österreich in Zu -
kunft Solidaritätsbeiträge im Rahmen von Einsätzen der Vereinten Nationen oder in
multinationalen Friedenseinsätzen wie in Bosnien und Albanien erbringen. Allerdings
wird die (bereits erwähnte) Beistandsgarantie des NATO - und WEU -Vertrages von
den Mitgliedern dieser beiden Organisationen
als ein entscheidender Ausdruck wech -
selseitiger Solidarität - und insbesondere als Zeichen der Bereitschaft, an der Ge -
währleistung von Strukturen mitzuwirken, die das Entstehen von äußeren Bedrohun -
gen verhindern sollen, bzw. den Partnern in einer echten Notlage beizustehen - ver -
standen.
Ein allfälliger österreichischer Beitrittswunsch würde von den Staaten, welche diesen
zwei Sicherheitsorganisationen bereits angehören, also als wichtiges zusätzliches Si -
gnal gesehen werden, daß Österreich an der Realisierung einer umfassenden europäi -
schen Sicherheits - und Verteidigungsidentität solidarisch mitwirken will.
5.2.2 Zeitpläne, Verfahren und rechtliche Implikationen
Österreich ist heute Mitglied der VN, Teilnehmerstaat der OSZE, Mitglied der Euro -
päischen Union, WEU - Beobachter, Teilnehmer an der NATO - Initiative PfP und seit
kurzem auch am Euro - Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC). Bei einer Fortführung
der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Linie bliebe Österreich als dauernd Neu -
traler in die genannten internationale Institutionen und Foren der sicherheitspoliti -
schen Kooperation eingebunden. Im Rahmen der geltenden Verfassungsrechtslage
könnte es auch weiterhin die bisherigen Beiträge zur internationalen Solidarität lei -
sten.
Als innerstaatliche rechtliche Grundlagen seiner derzeitigen Sicherheitspolitik wären
insbesondere zu nennen: das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Öster -
reichs; Art. 23f und Art. 79 B - VG; das Bundesverfassungsgesetz über Kooperation
und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland
(KSE - BVG); der Straftatbestand der ,,Neutralitätsgefährdung“ nach § 320 StGB; das
Bundesgesetz über die Ein - , Aus - und Durchfuhr von Kriegsmaterial; die Grenzüber -
flugsverordnung. Das für die Regelung der Rechtsstellung von Truppen im Rahmen
der PfP erforderliche ,,PfP -Truppenstatut“ (siehe dazu unter Abschnitt 4.4.5), steht
zur Zeit in parlamentarischer Behandlung.
Die rechtlichen und rechtspolitischen Konsequenzen und Entwicklungsmöglichkeiten
des Vertrages von Amsterdam sind unten im Zusammenhang mit der Fortentwicklung
der GASP der Europäischen Union beschrieben.
Eine Fortentwicklung der bisherigen sicherheitspolitischen Linie Österreichs könnte
mit der vollen Annahme des Kooperationsangebots der „vertieften Partnerschaft
für den Frieden“ (,,enhanced PfP“) erreicht werden. Anläßlich der Tagung des Nord -
atlantikrates in Madrid am 8. Juli1997 wurden alle Partnerstaaten von den NATO -
Mitgliedstaaten eingeladen, nach dein Prinzip der ,,Selbstdifferenzierung“ die neuen
Möglichkeiten einer „vertieften PfP“ voll zu nutzen. Die konkreten Inhalte der ,ver -
tieften PfP“ sind im Abschnitt 5.2.1. dargestellt.
In dem am 3 1. Mai 1995 präsentieren österreichischen Einführungsdokument für die
Partnerschaft für den Frieden und dem
jeweils auf seiner Grundlage erarbeiteten Indi -
viduellen Partnerschaftsprogramm (IPP) hat Österreich seine Bereitschaft bekundet,
mit der NATO und anderen PfP - Partnern insbesondere in den Bereichen friedenser-
haltende Operationen, humanitäre und Katastrophenhilfe sowie Such - und Rettungs -
dienste zusammenzuarbeiten.
Für den Fall, daß Österreich nach dem Prinzip der ,,Selbstdifferenzierung“ von er -
weiterten Kooperationsmöglichkeiten der „vertieften PfP“ Gebrauch machen und da -
mit (nach dem Muster der IFOR - bzw. SFOR - Operation) verstärkt zur internationalen
Friedenssicherung beitragen will, müßten die im Einführungsdokument genannten
prioritären Zusammenarbeitsbereiche von der Bundesregierung entsprechend ergänzt
werden. Die österreichische Mitwirkung an der „vertieften PfP“ würde dann auf der
Basis und im Rahmen des so ergänzten Einführungsdokuments erfolgen. Das IPP wä -
re in analoger Weise in Abstimmung zwischen dem BMaA, dem BMLV und dem
BKA zu ergänzen.
Sieht man von der periodischen Erneuerung des Individuellen Partnerschaftspro -
gramms und des Planungs - und Analyseprozesses (PARP) ab, bestehen innerhalb der
„vertieften PfP"“ keine zeitlichen Vorgaben. Bezüglich der Aufhebung der im Rahmen
des laufenden PARP (siehe unter Abschnitt 4.4.5) bestehenden österreichischen Ver -
wahrungen (Beschränkung auf die im geltenden Österreichischen Einführungsdoku -
ment genannten Bereiche der Zusammenarbeit; insbes. Erwägungsklausel hinsichtlich
des Zieles „Land Operations“) wäre von der Bundesregierung während des laufenden
PARP - Zyklus eine Entscheidung zu treffen.
Die Mitwirkung an Maßnahmen der „vertieften PfP“ wäre im Rahmen der geltenden
Rechtslage, einschließlich des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität Öster -
reichs und des KSE - BVG sowie des noch zu ratifizierenden PfP - SOFA‘ möglich.
Dies würde grundsätzlich auch für die Gewährung von Transit - und Überflugsrechten
zugunsten von PfP - Teilnehmern gelten.
Eine Fortentwicklung der sicherheitspolitischen Linie Österreichs ergibt sich auch im
Bereich der Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik der Europäischen Uni -
on (GASP). Der am 2. Oktober 1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam, der
unter anderem die Vorschriften über die Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik
(GASP) der Europäischen Union neu faßt, wird dem Parlament so übermittelt wer -
den, daß er von Österreich noch vor der Sommerpause ratifiziert werden kann.
Der Vertrag von Amsterdam enthält verfahrensmäßige und institutionelle Neuerun -
gen, die auf eine Stärkung der GASP abzielen und in dieser Hinsicht ein nicht zu un -
terschätzendes Entwicklungspotential beinhalten. Auch das Verhältnis zwischen Eu -
ropäischer Union und WEU ist neu geordnet worden (siehe insbesondere Abschnitt
3.3). In diesem Zusammenhang wurde in einem Protokoll zu Art. 17 des Vertrags
über die Europäische Union in der Fassung von Amsterdam Einvernehmen darüber
erzielt, daß die Union binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrags von Am -
sterdam zusammen mit der WEU Regelungen für eine verstärkte Zusammenarbeit
zwischen der Union und der WEU erarbeiten soll.
In der von der Regierungskonfe -
renz zur Kenntnis genommenen Erklärung des Ministerrates der WEU vom 22. Juli
1997 werden dazu eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die mit der EU noch
verhandelt werden müssen.
Vom WEU - Ministerrat von Erfurt am 18. November 1997 wurden die praktischen
Regelungen für die Teilnahme von Beobachterstaaten an EU - initiierten WEU -
Operationen angenommen; sie sollen bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Amster -
dam bereits auf provisorischer Basis angewendet werden. Auf ihrer Grundlage kön -
nen sich alle Mitgliedstaaten der Union, die an einer konkreten Operation mitwirken,
gleichberechtigt an der Planungsarbeit und am Entscheidungsprozeß innerhalb der
WEU beteiligen. Vergleichbare Regelungen wurden von der WEU auch für Operatio -
nen verabschiedet, die von der WEU autonom durchgeführt werden.
Unter Bedachtnahme auf die geschilderte Fortentwicklung der GASP und die Auf -
nahme der ,,Petersberg - Aufgaben“ in den EU - Vertrag wären - in Weiterführung der
bisherigen sicherheitspolitischen Linie - Art. 23f Abs. 1 B -VG sowie das KSE - BVG
begleitend zu novellieren und der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 1a des Bundesge -
setzes über die Ein -, Aus - und Durchfuhr von Kriegsmaterial sowie jener des § 320
Abs. 2 StGB entsprechend zu erweitern.
Darüber hinausgehend sieht der Vertrag von Amsterdam die Möglichkeit einer Inte -
gration der WEU in die Union sowie für die schrittweise Festlegung einer gemein -
samen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte,
vor. Nach Art. 17 Abs. 1 des EU - Vertrags in der Fassung von Amsterdam gibt es hie -
für keine zeitlichen Vorgaben; es kann jedoch angenommen werden, daß diese The -
men im Rahmen der nächsten Regierungskonferenz zu primär institutionellen Fragen,
die der Erweiterung der Union vorangehen muß, erneut behandelt werden.
Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Perspektiven ist jeweils ein Beschluß
des Europäischen Rates, der in diesem Fall den Mitgliedstaaten empfiehlt, diesen ge -
mäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften anzunehmen. Für Österreich würde
dies eine parlamentarische Genehmigung implizieren.
Die Integration der WEU in die EU wäre jedoch für Österreich, wenn es sich an die -
ser Entwicklung vollumfänglich, d.h. unter Eintritt in Beistandssregelungen, beteili -
gen will, mit dem geltenden Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs
nicht vereinbar. Entsprechende verfassungsgesetzliche Maßnahmen wären diesfalls
also erforderlich.
Auch unabhängig von der erwähnten Perspektive einer Integration der WEU in die
EU stünde für Österreich die Möglichkeit offen, sich um die Vollmitgliedschaft in der
WEU zu bewerben.
Nach Art. XI des Brüsseler Vertrags in seiner geänderten Fassung kann jeder andere
Staat eingeladen werden, Mitglied der WEU zu werden, wobei die genauen Bedin -
gungen, unter denen ein Beitritt erfolgen kann, in jedem Beitrittsverfahren festzule -
gen sind. Anläßlich der
Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht 1992 wurden
alle Staaten, die Mitglieder der Union sind, von den Mitgliedstaaten der WEU einge -
laden, der WEU nach zu vereinbarenden Bedingungen beizutreten.
Aus rechtlicher Sicht setzt die WEU - Mitgliedschaft eine NATO - Mitgliedschaft nicht
voraus (zu den politischen Zusammenhängen zwischen einer WEU - und einer
NATO - Mitgliedschaft siehe 5.2.1.). In diesem Lichte werden die rechtlichen Impli -
kationen eines Beitritts zur WEU im Zusammenhang mit den Ausführungen zur
NATO behandelt.
Im Gesamtkontext des Erweiterungsprozesses der NATO und im Lichte der Tatsache,
daß elf der 14 EU - Partner Österreichs eine europäische Sicherheits - und Verteidi -
gungsidentität innerhalb der Allianz entwickeln wollen, böte sich für Österreich auch
die Möglichkeit an, mit der NATO in einen sogenannten „intensivierten Dialog“ zu
treten. Der „intensivierte Dialog“ wurde beim NATO - Ministerrat in Brüssel im De -
zember 1995 ins Leben gerufen. Auf dieser Basis haben elf NATO - Beitrittskan -
didaten sowie Finnland und die Ukraine einen intensivierten Dialog geführt.
Anläßlich des NATO - Gipfels in Madrid im Juli 1997 wurde weiter präzisiert, daß die
Allianz die Absicht hat, den intensivierten Dialog mit jenen Staaten fortzusetzen,
"welche die Mitgliedschaft anstreben“ oder ,, sonst einen Dialog mit der NATO über
Mitgliedschaftsfragen führen wollen ". Dieser Dialog würde Österreich die Gelegen -
heit bieten, „das volle Spektrum politischer, militärischer, finanzieller und sicher -
heitspolitischer Fragen, die sich in bezug auf eine mögliche NATO - Mitgliedschaft
stellen“, zu erörtern. Österreich könnte demnach mit einem solchen intensivierten
Dialog die Gelegenheit wahrnehmen, um generell Fragen der europäischen Sicherheit
mit der NATO zu diskutieren und andererseits zusätzliche Informationen hinsichtlich
Kosten, Heeresstruktur, etc. für einen allfälligen Beitritt zu erhalten, ohne daß hie -
durch endgültigen österreichischen Entscheidungen vorgegriffen würde.
Im Rahmen einer Fortentwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik stünde
Österreich außerdem die Möglichkeit offen, seinen Wunsch um eine Mitgliedschaft in
der NATO zu signalisieren. Nach Art. 10 des Nordatlantikvertrages kann jeder andere
europäische Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und
zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen, zum Beitritt eingeladen wer -
den.
Was die zeitlichen Aspekte eines allfälligen NATO - Beitritts anlangt, haben die
Staats - und Regierungschefs der NATO - Staaten bei ihrem Gipfeltreffen in Madrid im
Juli 1997 ausdrücklich betont, daß die NATO für neue Mitglieder offen bleibt und
auch die Absicht hat, in den kommenden Jahren weitere Einladungen an Länder aus -
zusprechen, die willens und fähig sind, die Verantwortung und die Verpflichtungen
der Mitgliedschaft zu übernehmen. Die Außenminister der NATO - Staaten sind be -
auftragt, den Erweiterungsprozeß einer laufenden Überprüfung zu unterziehen. Die
Staats - und Regierungschefs wollen den Erweiterungsprozeß aus Anlaß des - für
April 1999 in Aussicht genommenen - NATO - Gipfels in Washington auch ihrerseits
ein nächstes Mal überprüfen. In
diesem Zusammenhang haben sie schon in Madrid
insbesondere auf die positiven Erfolge des politischen Reformprozesses in den Kan -
didatenländern Rumänien und Slowenien hingewiesen.
Wie die jüngste Aufnahmepraxis der NATO zeigt, würde von einem Beitrittswerber
erwartet werden, daß der bisherige rechtliche und politische „Besitzstand“ der NATO
übernommen wird.
In rechtlicher Hinsicht zählen dazu insbesondere der Nordatlantikvertrag samt späte -
ren Beitrittsprotokollen. Kern dieser Verpflichtungen ist dabei die Beistandsklausel
des Art. 5 des Nordatlantikvertrags, wonach ein bewaffneter Angriff auf eine Ver -
tragspartei als Angriff auf alle Parteien betrachtet wird und deshalb in einem solchen
Fall jede von ihnen, alleine oder gemeinsam mit den anderen, solche Handlungen,
einschließlich Waffengewalt, setzen wird, die sie zur Wiederherstellung und Erhal -
tung des Friedens und der Sicherheit im Vertragsgebiet für erforderlich erachtet. Dar -
über hinaus zählen zu diesen Verpflichtungen das Abkommen zwischen den Parteien
des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO - SOFA), das
Abkommen über den Status der Nordatlantischen Vertragsorganisation, nationaler
Vertreter und internationalen Personals, das Protokoll über den Status von gemäß
dem Nordatlantikvertrag aufgestellten internationalen militärischen Hauptquartieren,
das Abkommen über den Status von Botschaften und Vertretern dritter Staaten bei der
Nordatlantischen Vertragsorganisation, das Übereinkommen zwischen den Vertrags -
staaten des Nordatlantikvertrags und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden
teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen sowie seine Zusatzpro -
tokolle. Grundlegende Bündnisverpflichtungen werden durch Art. 3 und Art. 5 in
Verbindung mit Art. 6 des Nordatlantikvertrags begründet: Art. 3 bestimmt, daß die
Parteien zur besseren Verwirklichung der Ziele des Vertrags einzeln und gemeinsam
durch ständige und wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die eigene
und die gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe erhalten und fort -
entwickeln.
In politischer Hinsicht wäre im Fall eines NATO - Beitritts unter anderem das von den
Staats - und Regierungschefs auf der Tagung des Nordatlantikrates 1991 vereinbarte -
derzeit allerdings wiederum in Anpassung befindliche - "Strategische Konzept des
Bündnisses“ zu übernehmen (siehe dazu im einzelnen Kap. 5.2.1.).
Die Übernahme der Verpflichtung zur kollektiven Selbstverteidigung wäre mit dem
Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs nicht vereinbar. Es müßten
daher entsprechende verfassungsgesetzliche Maßnahmen gesetzt werden. Es würde
sich dabei nicht um eine Gesamtänderung der Bundesverfassung handeln. Eine Ge -
samtänderung der Bundesverfassung wäre hiedurch nicht gegeben. Ob nach der par -
lamentarischen Genehmigung einer solchen Verfassungsänderung hierüber trotzdem
eine (fakultative) Volksabstimmung stattzufinden hätte, obläge der Entscheidung des
Nationalrates bzw. des Bundesrates gemäß Art. 44 (3) BVG.
Für den genannten Fall wären begleitend insbesondere das KSE - BVG (hinsichtlich
der Entsendung zu Zwecken der kollektiven
Selbstverteidigung), Art. 9a Abs. 1
B - VG (hinsichtlich der Aufgaben der umfassenden Landesverteidigung), Art. 79
B - VG sowie § 2 des Wehrgesetzes 1990 (hinsichtlich der Aufgaben des Bundeshee -
res) und das Bundesgesetz über die Ein -, Aus - und Durchfuhr von Kriegsmaterial
(hinsichtlich der Bündnisverpflichtung) zu novellieren und § 320 StGB aufzuheben.
Allfällige Auswirkungen auf das österreichische Wehrsystem wären zu überprüfen
(Art. 9a Abs. 3 B -VG).
Im Licht der österreichischen Verfassungslage hätte Art. VII des NATO - SOFA
grundsätzlich verfassungsändernden Charakter, weil Militärbehörden des Entsende -
staates über Personen, die seinem Militärrecht unterstehen und diesem Recht zuwi -
derhandeln, innerhalb des Aufnahmestaates Strafjurisdiktion ausüben dürfen; ande -
rerseits wären nach Art. VII Abs. 5 lit. a des NATO - SOFA Personen vom Aufnah -
mestaat auch an einen Entsendestaat zu überstellen, der die Todesstrafe als Strafmittel
einsetzt. Zu klären wäre allerdings, ob ein der geltenden Verfassungslage Rechnung
tragender völkerrechtlicher Vorbehalt, wie er von Österreich hinsichtlich des "PfP -
Truppenstatuts“ (siehe dazu unter Abschnitt 4.4.5) in Aussicht genommen wurde,
auch im Zusammenhang mit dem NATO - SOFA angebracht werden kann bzw. ob
diesbezüglich zusätzliche völkerrechtliche Regelungen getroffen werden können.
5.2.3 Auswirkungen auf die militärische Landesverteidigung
Wenn sich Österreich für eine Fortführung seiner gegenwärtigen Sicherheitspolitik
entschiede, bleibt die Notwendigkeit aufrecht, über Heeresstrukturen zu verfügen, die
es ihm ermöglichen, die - durch den Neutralitätsstatus und das geltende Verfassungs -
recht auferlegten - Aufgaben der militärischen Landesverteidigung ausschließlich mit
eigenen Kräften zu erfüllen.
Da ein direkter - nur gegen Österreich gerichteter - Angriff für die absehbare Zukunft
nicht zu erwarten ist, ginge es für die österreichische Landesverteidigung aus heutiger
Sicht zum einen darum, auch ihrerseits einen angemessenen Beitrag zur Gewährlei -
stung der europäischen Stabilität zu leisten; andererseits ginge es auch darum zu ver -
hindern, daß ein Konflikt in der Nachbarschaft auf österreichisches Territorium über -
greift bzw. daß österreichisches Staatsgebiet von Kampfparteien als Zufluchtsstätte,
für Transitbewegungen, als Ausweich - und Aufmarschraum oder als logistische Basis
genützt wird.
Im Lichte der aktuellen und absehbaren Umfeldsituation und den - auch für den Be -
reich der militärischen Landesverteidigung zu berücksichtigenden - budgetären Ge -
gebenheiten wird in der adaptierten ,,Heeresgliederung neu“ davon ausgegangen, daß
das Bundesheer einen solchen Neutralitäts - bzw. Verteidigungsfall vorerst mit 5 teil -
präsenten und kadermäßig verdichteten Brigaden (2 mechanisierten und 3 Jägerbriga -
den) zu bewältigen hätte. Erforderlichenfalls wären diese im Wege einer Mobilma -
chung durch Unterstützungskräfte im Umfang von 2 Brigadeäquivalenten sowie
durch Kräfte der Territorialverteidigung
im Umfang von 6 bis 8 Brigadeäquivalenten
zu verstärken. Die maximale Gesamtstärke des Bundesheeres wird sich gemäß der
nunmehr adaptierten „Heeresgliederung neu“ auf 13 bis 15 Brigadeäquivalente belau -
fen. Die Mobilmachungsstärke beliefe sich insgesamt auf ca. 110.000 Mann, also et -
wa 1,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang freilich, daß andere neutrale und
bündnisfreie Staaten, deren sicherheitspolitisches Umfeld keinesfalls als bedrohlicher
eingeschätzt werden kann als das österreichische, auch weiterhin von einem Mobil -
machungsstand ausgehen, der - gemessen an der jeweiligen Bevölkerungsgröße -
deutlich über dem österreichischen liegt. So können im Neutralitäts - bzw. Verteidi -
gungsfall 9,7 Prozent der finnischen, 8,9 Prozent der schwedischen und 5,6 Prozent
der Schweizer Bevölkerung mobilisiert werden.
Hiezu kommt, daß auch die waffenmäßige Ausstattung der Heere der genannten Län -
der weiterhin durchwegs über dem österreichischen Niveau liegt. Besonders auffal -
lend ist dies für den Bereich der Luftwaffe (Zahl der Kampfflugzeuge: in Österreich
24, in Finnland 98, in Schweden 387, in der Schweiz 161).
Sicherlich sind die verschiedenen Größenordnungen auch auf die - im Laufe der ver -
gangenen Jahrzehnte eingetretenen - unterschiedlichen Entwicklungen in der natio -
nalen Verteidigungspolitik zurückzuführen. Außerdem ist es eine Tatsache, daß die
genannten neutralen und bündnisfreien Länder heute auch ihrerseits im Begriffe ste -
hen, ihre - unter den Bedingungen des Kalten Krieges aufgebauten - Streitkräfte zu
verkleinern, wobei deren Gesamtumfang aber auch dann noch jeweils ein Vielfaches
der österreichischen Zahlen ausmachen würde.
Für den Fall, daß sich Österreich dazu entschlösse, seine gegenwärtige Sicherheitspo -
litik fortzusetzen, wäre davon auszugehen, daß die genannten Staaten Modelle sein
müßten, an denen sich Österreich hinsichtlich der Gestaltung seiner Landesverteidi -
gung unter Berücksichtigung der spezifischen sicherheitspolitischen Rahmenbedin -
gungen zu orientieren hätte.
Insbesondere wäre Österreich in diesem Falle (entsprechend dem Beispiel der ge -
nannten Staaten) auch weiterhin angehalten, für eine - den Erfordernissen eines bünd -
nisfreien Staates entsprechende - dauerhafte Krisenvorsorge und adäquate Vorsorge -
maßnahmen im Rüstungsbereich zu sorgen. Weiters wäre eine glaubwürdige eigen -
ständige Luftraumüberwachung zu gewährleisten.
Außerdem würde sich bei dieser und allen folgenden Optionen die Frage eines geeig -
neten Lufttransportsystems stellen.
Die allgemeine Wehrpflicht bliebe bei einer Entscheidung für die - hier bewertete -
Option auch auf längere Sicht in ihrer heutigen Form (einschließlich der Übungsver -
pflichtung für die Miliz) unverändert.
Die vom Bundesheer - im Rahmen allfälliger friedenserhaltender Einsätze außerhalb
Österreichs wahrzunehmenden - internationalen Aufgaben ließen sich in diesem Falle
mit den vorhandenen Strukturen, d.h. mit den
(im Abschnitt 4.3 näher beschriebenen)
„Vorbereiteten Einheiten“ (VOREIN) mit einem Gesamtrahmen von ca. 2.500 Mann,
von denen maximal etwa 1.500 gleichzeitig für Maßnahmen der Friedenserhaltung
eingesetzt werden können, bewerkstelligen.
Insbesondere in diesem letztgenannten Punkt müßte es allerdings strukturelle Ent -
wicklungen geben, wenn sich Österreich für eine Teilnahme an der ,, vertieften Part -
nerschaft für den Frieden“ entschiede.
Da dies unter anderem die grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an Kampfein -
sätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen ein -
schließen würde, wäre eine entsprechende Weiterentwicklung der nach den VOREIN -
Grundsätzen vorgesehenen Kräfte erforderlich. Entsprechend den Interoperabilitäts -
zielen der „vertieften PfP“ müßte das Bundesheer über Kräfte verfügen, die befähigt
sind, gegebenenfalls an friedensunterstützenden militärischen Kampfeinsätzen unter
unterschiedlichen topographischen und klimatischen Bedingungen teilzunehmen, und
die mit der notwendigen modernen Technologie und entsprechender Unterstützung
versehen wären. Die für internationale Einsätze innerhalb des Bundesheeres vorbe -
reiteten Kräfte könnten hiedurch auf die Größenordnung eines Brigadeäquivalents
anwachsen.
Auch im Rahmen der „vertieften Partnerschaft für den Frieden“ würden die für inter -
nationale Einsätze vorgesehenen Kräfte nach dem Freiwilligkeitsprinzip gebildet
werden. Im Hinblick auf die - schon beim derzeitigen Rekrutierungssystem gerade
auch bei gefährlicheren Einsätzen mit mehrfacher Personalrotation gegebenen -
Schwierigkeiten (s. Abschnitt 4.3) erschienen die - bereits in der Koalitionsvereinba -
rung vom 11. März 1996 in Aussicht genommenen - Maßnahmen zur Erhöhung der
Verfügbarkeit (unter Beibehaltung des Freiwilligkeitsprinzips) vordringlich.
Eine mögliche Lösung könnte sich am "Stand - by - Kontraktsystem“ der "Danish Re -
action Brigade“ orientieren. (Im Rahmen dieses Systems, das sich in Dänemark aller -
dings nicht auf Berufssoldaten erstreckt, verpflichten sich interessierte Militärperso -
nen auf freiwilliger Basis, während einer Bereitschaftsperiode von drei Jahren auf
Abruf für internationale Einsätze von bis zu sechsmonatiger Dauer zur Verfügung zu
stehen. Dabei sind während der im Inland verbrachten Bereitschaftszeiträume gewisse
,,Ausbildungsblöcke“ zu absolvieren, für die eine Grundbesoldung vorgesehen ist.)
Für den engeren Bereich der militärischen Landesverteidigung ergäben sich bei einer
Teilnahme an der "vertieften Partnerschaft" gegenüber den - bei einer Fortsetzung
der bisherigen sicherheitspolitischen Linie zu berücksichtigenden - Erfordernissen
keine Unterschiede.
Die Auswirkungen, die eine substantiell weiterentwickelte Gemeinsame Außen - und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) auf die österreichischen Hee -
resstrukturen haben könnte, sind schwer abzuschätzen, solange die konkreten Para -
meter einer gemeinsamen europäischen Verteidigung nicht näher definiert sind. Im
Falle einer Integration der WEU in die Europäische Union muß Österreich, wenn es
diesen Integrationsprozeß unter Eintritt
in Beitrittsregelungen mittragen will, aller -
dings davon ausgehen, daß die Anforderungen, mit denen das Bundesheer in einem
solchen Falle konfrontiert wäre, mit jenen einer Mitgliedschaft in den bestehenen
Verteidigungsorganisationen vergleichbar sein würden.
Angesichts des Umstandes, daß die Europäische Union die WEU gemäß dem Vertrag
von Amsterdam in Zukunft auch für Operationen der Friedensdurchsetzung in An -
spruch nehmen kann, wäre der - bei einer Teilnahme an der ,, vertieften PfP“ erfor -
derliche - Ausbau der VOREIN im übrigen auch für Petersberg - Aufgaben erforder -
lich.
Die Anforderungen, denen die österreichischen Streitkräfte im Falle einer Vollmit -
gliedschaft in der Westeuropäischen Union genügen müßten, entsprächen denen ei -
ner NATO - Mitgliedschaft, da die beiden Organisationen gerade in ihrer operationel -
len Dimension - und insbesondere auch in ihrer Verteidigungs - und Streitkräftepla -
nung - engstens miteinander verflochten und außerdem bestrebt sind, eine Duplizie -
rung militärischer Strukturen zu vermeiden.
Bei einem Beitritt zur NATO und zur WEU müßten die Strukturen und der Umfang
des Bundesheeres so gestaltet sein, daß Österreich einen angemessenen Beitrag zur
kollektiven Verteidigung und zu allfälligen Maßnahmen der Konfliktverhinderung
und Krisenbewältigung leisten kann. Die betroffenen militärischen Strukturen im Be -
reich des Führungssystems, seiner Führungsstrukturen und - verfahren müßten inter -
operabel sein.
Wie ein solcher Beitrag aussehen kann, ließe sich wohl nur in konkreten exploratori -
schen Gesprächen, wie sie etwa im Rahmen eines „intensivierten Dialogs“ mit der
NATO (s. Unterabschnitt 5.2.2) möglich wären, genauer klären. Unter Berücksichti -
gung des Beitrags derzeitiger NATO - Mitglieder vergleichbarer Größe und der Bünd -
nisbeiträge, die von den drei neu beitretenden Staaten auf Grund der vorangegange -
nen Beitrittsgespräche in Aussicht genommen werden, kann von folgenden präliminä -
ren Annahmen ausgegangen werden:
Als NATO - Mitglied sollte Österreich in der Lage sein, einen angemessen militäri -
schen Beitrag zu den Krisenreaktions - und den Hauptverteidigungskräften der Allianz
zu leisten. Im Bereich der Krisenreaktionskräfte, die sowohl für Artikel - 5 - als auch
für Nicht - Artikel - 5 - Aufgaben zum Einsatz kommen können, dürften von Österreich
realistischerweise Kräfte im Umfang einer (im wesentlichen stehenden) Brigade er -
wartet werden. Bei den Hauptverteidigungskräften würde sich ein österreichischer
Beitrag an den Leistungen vergleichbarer Staaten orientieren und könnte demnach
etwa 4 bis 5 Brigaden (die in Friedenszeiten nur teilpräsent sein müßten) umfassen.
Hiezu kämen schließlich noch angemessene Kräfte der österreichischen Territorial -
verteidigung.
Deren Größenordnung ist derzeit schwer abzuschätzen. Anzunehmen ist aber, daß die
Territorialverteidigung bei einer NATO - Mitgliedschaft deutlich kleiner sein dürfte,
als dies bei einer Fortführung der bisherigen Sicherheitspolitik der Fall wäre; auch
deshalb, weil die NATO von neu beitretenden
Mitgliedern vorerst nur eine „initial
self defence capability“ erwartet, also die Fähigkeit, einen Angreifer solange abzu -
wehren, bis zusätzliche NATO - Kräfte zugeführt worden sind. Das betroffene NATO -
Mitglied muß aber über die personellen und infrastrukturellen Ressourcen zur Auf -
nahme der erwähnten Verstärkungen verfügen. Da Österreich als NATO - Staat mehr -
heitlich Bündnispartner zu Nachbarn hätte, wären bei dieser Option (anders als im
Neutralitätsfalle) in aller Regel auch keine Vorkehrungen zu treffen, um die Benüt -
zung des österreichischen Territoriums für Transitbewegungen zu unterbinden.
Im Rahmen eines „intensivierten Dialogs“ mit der NATO könnte auch geklärt wer -
den, inwieweit sich für das Bundesheer durch die Einbindung in integrierte Verteidi -
gungsstrukturen (z.B. im Bereich der Luftverteidigung) Synergieeffekte und Mög -
lichkeiten einer „Arbeitsteilung“ mit anderen Partnern ergeben könnten.
Hinsichtlich der Luftverteidigung ist in der Erweiterungsstudie der US - Administra -
tion die Feststellung getroffen worden, daß sich die Verbündeten von einem neuen
Mitglied ein Geschwader kompatibler Kampfflugzeuge erwarten würden, also Luft -
streitkräfte, deren Umfang der bisherigen österreichischen Größenordnung entspre -
chen, aber unter den vorerwähnten finnischen, schwedischen und schweizerischen
Vergleichszahlen liegen würde.
Was die Auswirkungen einer Mitgliedschaft in der NATO und der WEU auf das
Wehrsystem anlangt, ist (zusätzlich zu den rechtlichen Erwägungen im Unterab -
schnitt 5.2.2) zu bemerken, daß es unter den Mitgliedern dieser beiden Organisatio -
nen in dieser Frage kein einheitliches Modell gibt. Reinen Berufsheeren (z.B. Groß -
britannien) stehen Systeme der allgemeinen Wehrpflicht (Deutschland) und diverse
Mischsysteme gegenüber.
Gleichzeitig ist es aber ein Faktum, daß sich in der NATO in den letzten Jahren eine
zunehmende Tendenz in Richtung Berufsheer erkennen läßt, wofür es auch bei klei -
neren und mittleren NATO - Staaten wie Belgien und den Niederlanden konkrete Bei -
spiele gibt. Auch im österreichischen Falle wäre wohl davon auszugehen, daß die als
Krisenreaktionskräfte allenfalls im Ausland eingesetzten Soldaten ausschließlich Ka -
dersoldaten oder Freiwillige wären. Welches System der Rekrutierung für österreichi -
sche Hauptverteidigungskräfte gewählt wird, hängt insbesondere von deren Aufga -
benstellung, Struktur und letztlich gewähltem Umfang ab. Für die Kräfte der österrei -
chischen Territorialverteidigung könnte sich ein umfassendes System der Rekrutie -
rung aus Kostengründen auch mittelfristig als zweckmäßig erweisen, wobei dieses
System allerdings flexibler gestaltet werden könnte als das derzeitige Wehrsystem.
5.2.4 Budgetäre Aspekte
Die Aufwendungen Österreichs für die militärische Landesverteidigung liegen im lau -
fenden Jahr gemäß dem aktuellen Bundeshaushaltsgesetz bei öS 22 Milliarden, das
sind etwas über 0,9 Prozent des
österreichischen Bruttoinlandsprodukts.
Mit diesem BIP - Anteil liegt Österreich unter den Ansätzen fast aller europäischen
NATO - Länder im Jahre 1997 (z.B. Belgien 1,6 Prozent, Dänemark 1,7 Prozent,
Deutschland 1,6 Prozent, Niederlande 1,9 Prozent), aber auch unter jenen vergleich -
barer nicht - alliierter Staaten (z.B. Finnland 1,7 Prozent, Schweiz 1,3 Prozent, Schwe -
den 2,8 Prozent) sowie unter den BIP - Anteilen der drei (im Rahmen der ersten
NATO - Erweiterungsrunde berücksichtigten) NATO - Beitrittswerber (Polen 2,3 Pro -
zent, Tschechische Republik 2,0 Prozent, Ungarn 1,3 Prozent).
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang allerdings auch, daß sich die erwähnten
BIP - Anteile nur bedingt zu Vergleichszwecken heranziehen lassen; insbesondere
auch deshalb, weil in jedem Falle die Größe, die Struktur, und die spezifische Aufga -
benstellung der einzelnen Streitkräfte sowie das Wehrsystem des betreffenden Landes
zu berücksichtigen sind.
Weiters umfaßt das Verteidigungsbudget mancher Staaten Posten, die von der Mehr -
zahl der europäischen Länder in der Regel nicht in diesem Bereich budgetiert werden.
(So sind in zentral - und osteuropäischen Verteidigungsbudgets oft auch Pensionslei -
stungen und Ausgaben im Rüstungsbereich und in der militärischen Forschung einge -
schlossen; in Schweden werden beispielsweise auch der Zivilschutz und die Katastro -
phenvorsorge im Verteidigungshaushalt budgetiert.)
Anzumerken ist weiters, daß die BIP - Anteile der NATO - Länder in den vergangenen
Jahren rückläufig waren (der Durchschnittswert der europäischen NATO - Staaten lag
1989 bei 3,3 Prozent und 1997 bei 2,2 Prozent), während die BIP - Anteile Österreichs
und der anderen neutralen bzw. bündnisfreien Staaten im wesentlichen konstant blie -
ben oder nur geringfügig sanken und die BIP - Anteile der zentral - und osteuropäi -
schen NATO - Beitrittswerber in den letzten Jahren sanken und jetzt wieder auf den
Stand Anfang der Neunziger Jahre ansteigen.
Angesichts der - in Europa noch immer gegebenen - großen Unterschiede in der Wirt -
schaftsleistung ist allerdings auch ein Vergleich der Verteidigungsausgaben in abso -
luten Zahlen pro Kopf der Bevölkerung illustrativ. (So betrugen die Verteidigungs -
ausgaben pro Kopf der Bevölkerung 1997 in Dänemark öS 7500.--, in Schweden
öS 7000.--, in der Schweiz öS 6600.--, in den Niederlanden öS 5700.--, in Finnland
öS 4900.--, in Deutschland öS 4200.--, in Belgien öS 3500.--, in Österreich öS 2600.--
in der Tschechischen Republik öS 1000.--, in Polen öS 950.-- und in Ungarn
öS 600.--).
Im Lichte des bisher Gesagten können die erwähnten BIP - Anteile also als generelle
Richtwerte angesehen werden; des weiteren lassen sie Trends erkennen; unmittelbare
Konklusionen sind auf der Grundlage dieser Zahlen für die nachfolgend evaluierten
Optionen nicht zielführend.
Unter Berücksichtigung der spezifischen österreichischen Ausgangslage müßte eine
umfassende Analyse die Frage beantworten, welche Modernisierungs - und Erneue -
rungserfördernisse auf das
Österreichische Bundesheer in den kommenden Jahren in
jedem Falle zukommen - und welche spezifische Aufwendungen bei einzelnen Optio -
nen hinzukämen bzw. allenfalls auch entfallen könnten.
Bei einer Fortführung seiner gegenwärtigen Sicherheitspolitik müßte sich Öster -
reich auch hinsichtlich seiner Verteidigungsausgaben an der allgemeinen sicherheits -
politischen Lage und am Rüstungsniveau seines Umfelds orientieren. In der unmittel -
baren Zukunft werden jene Modernisierungs - und Erneuerungsmaßnahmen zu treffen
sein, welche sich aus der Umsetzung der adaptierten ,,Heeresgliederung neu" ergeben.
Aus derzeitiger Sicht dürften sich die hiefür erforderlichen Aufwendungen in etwa im
bisherigen budgetären Rahmen bewegen; einige größere Beschaffungsvorhaben
könnten aber eine temporäre Mittelzuführung erforderlich machen.
Im Falle einer Mitwirkung an der ,, vertieften Partnerschaft für den Frieden" in der
im Unterabschnitt 5.2.3 beschriebenen Form wären die volle NATO - Interoperabilität
und - Kompatibilität der - für die zusätzlichen Aufgaben im Bereich der Friedens -
durchsetzung vorgesehenen - Kräfte sicherzustellen. Wesentliche Mehraufwendungen
dürften hiedurch aber nicht entstehen, da weitgehend bereits vorhandenes oder in Be -
schaffung befindliches - Material zum Einsatz käme. Zusätzliche Kosten würden al -
lerdings durch die (in diesem Falle wahrscheinlich vermehrte) Teilnahme an an -
spruchsvolleren internationalen Einsätzen entstehen. (Zum Vergleich: Der Einsatz des
österreichischen IFOR/SFOR - Kontingents im Ausmaß einer verstärkten Kompanie
kosten jährlich ca. öS 300 Millionen). Die - durch ein allfälliges ,,Anreizsystem“ zur
Sicherstellung einer ausreichenden Anzahl von Freiwilligen (siehe Unterabschnitt
5.2.3) entstehenden - zusätzlichen Personalkosten müßten gesondert ermittelt werden.
Die Auswirkungen, die eine substantiell weiterentwickelte Gemeinsame Außen - und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) auf die österreichischen Ver -
teidigungsausgaben haben könnte, sind schwer abzuschätzen, solange die konkreten
Parameter einer gemeinsamen europäischen Verteidigung nicht näher definiert sind.
Im Falle einer Integration der WEU in die Europäische Union muß Österreich, wenn
es diesen Integrationsprozeß mit allen Rechten und Pflichten mittragen will, aller -
dings davon ausgehen, daß die budgetären Anforderungen, mit denen es konfrontiert
wäre, die auch sonst bei einer vollen Mitwirkung an einer kollektiven Verteidigung
anfallen würden.
Die bei einer Vollmitgliedschaft in der Westeuropäischen Union anfallenden Mo -
dernisierungs - und Erneuerungskosten sind angesichts der Tatsache, daß die Verteidi -
gungsplanung der WEU mit jener der NATO engstens verknüpft ist, mit den entspre -
chenden Erfordernissen im Falle einer NATO - Mitgliedschaft vergleichbar. Der - auf
Österreich im Rahmen einer WEU - Mitgliedschaft entfallende - Anteil am Budget und
au den Organisationskosten der WEU würde sich nach ersten Schätzungen - unter
Zugrundelegung der derzeitigen Beiträge vergleichbarer Staaten - auf öS 15 - 25 Mil -
lionen jährlich belaufen. In diesem Betrag sind Kosten, die durch eine allfällige Inan -
spruchnahme des WEU - Satellitenprogramms noch
nicht berücksichtigt.
Im Falle eines Beitritts zur NATO und zur WEU hätte Österreich für die im Unterab -
schnitt 5.2.3 genannten Krisenreaktions - und Hauptverteidigungskräfte die volle
NATO - Kompatibilität und - Interoperabilität zu gewährleisten. Für wesentliche Berei -
che des Österreichischen Bundesheeres würde sich dieses Niveau auf der Basis des
Ist - Zustandes bzw. im Rahmen jener Modernisierungs - und Erneuerungsmaßnahmen
erreichen lassen, die Österreich auch bei der Umsetzung der adaptierten "Heeresglie -
derung neu“ treffen dürfte. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß sich die diesbezüg -
lichen Entscheidungen Österreichs im Falle einer NATO - Mitgliedschaft an den - im
Rahmen des NATO - ,,defence planning“ gemeinsam festgelegten - ,,force goals" ori -
entieren würden (wobei es sich hiebei um politische Richtwerte, aber nicht um ver -
bindlich eingegangene Verpflichtungen handelt).
Modernisierungs - und Erneuerungsaufwendungen, die aus derzeitiger Sicht nur im
Falle einer NATO - Mitgliedschaft zu tätigen wären, beträfen u.a. die folgenden Berei -
che: die Einbindung in NATO - Fernmelde - und Dateninformationssysteme bei gleich -
zeitiger Herstellung der Kompatibilität; Einbindung des bestehenden Systems
,,GOLDHAUBE“ in die NATO - Luftraumüberwachung, Schaffung eines entspre -
chenden NATO - kompatiblen Fliegerleitsystems. Diesbezüglich wird von Experten
für die Anfangsphase einer NATO - Mitgliedschaft mit jährlichen Aufwendungen in
einer Größenordnung von mehreren hundert Millionen Schilling gerechnet.
Im Falle einer NATO - Mitgliedschaft wäre außerdem für die Möglichkeit einer - über
das bisherige Ausmaß quantitativ und qualitativ hinausgehenden - Teilnahme an in -
ternationalen Friedenseinsätzen vorzusorgen. Es ist aber anzunehmen, daß die in die -
sem Zusammenhang erforderlichen Investitionen teilweise allerdings schon im Rah -
men der "vertieften Partnerschaft für den Frieden“ vorweggenommen würden. (s.o.).
Der - auf Österreich im Rahmen einer NATO - Mitgliedschaft entfallende - Anteil am
Gemeinschaftsbudget und an den Organisationskosten der Allianz würde nach ersten
Expertenberechnungen - unter Zugrundelegung der derzeitigen Beiträge vergleichba -
rer Staaten - zwischen öS 450 Millionen und öS 750 Millionen liegen. In diesem Be -
trag sind Kosten, die durch eine Mitwirkung an den laufenden NATO - Programmen
(z.B. AWACS - Modernisierung und diverse Satellitenprogramme) und durch die Ab -
stellung österreichischer Offiziere in NATO - Kommanden entstehen, noch nicht be -
rücksichtigt. Die Höhe der letztgenannten Personalkosten hinge insbesondere davon
ab, wie intensiv Österreich in den verschiedenen NATO - Komitees und - Stäben mitar -
beiten würde. (Pro Person und Jahr ist nach bisherigen Erfahrungen mit öS 1 Million
zu rechnen.)
Schließlich könnten bei einem NATO - Beitritt auch gewisse zusätzlichen Investitions -
kosten im Infrastrukturbereich anfallen (Schaffung von Aufnahmekapazitäten für
NATO - Verstärkungen im Verteidigungsfall, Adaptierung bestehender Militärflughä -
fen), wobei es in diesem Kontext auch zu österreichischen Beiträgen für militärische
Infrastrukturen in anderen neuen Mitgliedstaaten, aber auch zu allfälligen Rückflüs -
sen aus dem NATO - Haushalt kommen
könnte.
Insgesamt ist zur Frage der Kosten eines allfälligen NATO - Beitritts festzustellen, daß
eine umfassende Berechnung von zahlreichen Variablen abhängig ist, die zum gegen -
wärtigen Zeitpunkt nicht ohne weiteres definiert werden können (Größe des Bun -
desheeres im Falle einer NATO - Mitgliedschaft, sicherheitspolitische Zielsetzungen
bzw. Aufgabenstellung innerhalb des Bündnisses, Intensität unserer militärischen Mit -
wirkung, Wehrsystem, weitere Entwicklung der NATO, verstärktes ,‚burden sharing“
durch die europäischen Verbündeten im Rahmen des Aufbaus einer funktionsfähigen
„europäischen Sicherheits - und Verteidigungsidentität“). Ebenso ist derzeit nicht ab -
sehbar, in welchem Umfang Österreich bei einem NATO - Beitritt von den Möglich -
keiten einer bündnisinternen Arbeitsteilung, dem damit verbundenen Verzicht auf ge -
wisse Rüstungskomponenten und den entsprechenden kostenmindernden Syner -
gieeffekten Nutzen ziehen könnte.
All dies sind Fragen, die im Rahmen eines „intensivierten Dialogs“ mit der NATO und
in bilateralen Sondierungsgesprächen mit einzelnen NATO - Staaten vertieft werden
könnten. Wie die Erfahrungen der Polens, der Tschechischen Republik und Ungarns
dürften manche Antworten aber überhaupt erst im Rahmen konkreter Beitrittsver -
handlungen erhältlich sein.“
Zum Zwecke der weiterführenden Beratungen der österreichischen Sicherheitspolitik
in dem im Bericht vom 2. April dargestellten komplexen Umfeld soll das bewährte In -
strument des Integrationsbeirates entsprechend ausgebaut werden. Der Beirat soll nicht
nur Fragen der Integrations -, sondern auch der Sicherheitspolitik beraten. Sofern es um
solche sicherheitspolitischen Fragen geht, soll auch der Bundesminister für Landes -
verteidigung dem Rat angehören.
In formeller Hinsicht wird beantragt, diesen Antrag nach Durchführung einer Ersten
Lesung innerhalb von drei Monaten (§69 Abs. 4 GOG) dem außenpolitischen Aus -
schuß zuzuweisen.