788/AE XX.GP

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Gredler, Schaffenrath, Motter, Partnerinnen und Partner

betreffend Maßnahmen zugunsten von Mädchen und Frauen, die von den

menschen rechtsverletzenden Praktiken der Verstümmelung der weiblichen

Geschlechtsorgane betroffen sind

Etwa 135 Millionen Frauen und Mädchen sind weltweit von einer besonders

schlimmen, aber immer noch weit verbreiteten Menschenrechtsverletzung betroffen:

der Genitalienverstümmelung. Es handelt sich dabei um eine traditionelle Praktik, die

vor allem in vielen afrikanischen (in Somalia und Dschibouti bei 98 % der weiblichen

Bevölkerung) und arabischen, aber auch in einigen asiatischen und letztlich auch

durch Emigranten in europäischen Ländern bei jungen Mädchen durchgeführt wird

(vgl. ,Al - Infou, April 1998, S.6 - 7). In der vergleichsweise harmlosesten Variante wird

die Klitoris leicht eingekerbt („rituelle Beschneidung“), bei der stärksten Form werden

die Klitoris sowie die inneren und äußeren Schamlippen entfernt, wobei daraufhin die

Wunde seitlich wieder zusammengenäht und nur ein kleines Loch offengelassen wird

(„Infibulation“).

Wie diese Tortur konkret abläuft, ist zum Beispiel der Schilderung eines

Augenzeugen, zitiert aus der Dissertation von Alan David („Infibulation en

République de Djibouti"), zu entnehmen, die in einem Report der Minority Rights

Group („Female Genital Mutilation: Proposals for Change“ von Efua Dorkenoo und

Scilla Elworthy, London, 1992, S.7 - 8) veröffentlicht wurde und eingesehen werden

kann. Darin wird anhand eines Fallbeispieles geschildert, wie an einem kleinen

Mädchen, das extra festgehalten wird, bei vollem Bewußtsein dieser qualvolle Eingriff

von einer medizinisch völlig ungebildeten Person durchgeführt wird.

Die Schilderung, deren Lektüre jedem zu empfehlen ist, läßt einiges von dem

erahnen, was durch Untersuchungen dieses Phänomens der Durchführung von

Genitalienverstümmelungen belegt ist:

- Die Verstümmelungen werden selten von Ärzten, sondern meist von älteren

Frauen eines Dorfes oder Hebammen unter extrem unhygienischen Umständen

durchgeführt.

- Die Mädchen, an denen diese „Operation" durchgeführt wird, sind meist zwischen

3 und 8 Jahren alt. Es gibt aber auch Gegenden (etwa in Kenia), wo bis zur

Hochzeitsnacht gewartet wird.

- Die Folgen für die Betroffenen liegen auf der Hand: Viele Mädchen sterben

bereits kurz nach der Verstümmelung an Blutvergiftung bzw. Hepatitis, andere an

sonstigen Spätfolgen. Auch die Ansteckungsgefahr mit dem HI - Virus steigt um ein

Vielfaches. Jedenfalls sind sie für viele Jahre oder das ganze Leben mit großen

Schmerzen und Menstruationsproblemen belastet. Evident sind auch die

Probleme mit dem Sexualleben und bei späteren Geburten (abgesehen davon,

daß oft danach die Schamlippen wieder „zugenäht“ werden!). Auch

psychologische Konsequenzen sind häufig.

- Oft wird die Durchführung der Verstümmelungen mit religiösen Motiven verbrämt.

Die Verbreitung dieser Praktik zeigt jedoch, daß sowohl moslemische als auch

christliche als auch solche Länder, wo Naturreligionen vorherrschen, betroffen

sind

- Die sonstigen Begründungen sind mannigfaltig, aber natürlich nicht stichhaltig,

sondern auf mangelnde Bildung der betroffenen irregeleiteten Menschen, die in

der Regel meinen, in guter Absicht zu handeln, zurückzuführen: sie reichen von

mythischen Überzeugungen und Traditionen über Fragen der Hygiene und

Ästhetik (die weiblichen Genitalien werden als häßlich oder unsauber empfunden)

bis hin zur sexuellen und sozialen Kontrolle der Frau: die Jungfräulichkeit der

Braut soll garantiert werden, die Klitoris , als Organ, das unkontrolliertes sexuelles

Verlangen hervorrufe, müsse entfernt werden (vgl. Angelika Mimar: „Frauenrechte

als Menschenrechte“, Frankfurt 1997, S. 211 ff).

All dies zeigt, daß es keinen rationalen Grund dafür gibt, dieses gesundheits -

schädliche Ritual aufrechtzuerhalten. Es ist frauenfeindlich und verstößt gegen

grundlegende Menschenrechte, wie sie etwa in der Frauenkonvention (Resolution

der UN  - Generalversammlung 1994), der Wiener Menschenrechtsdeklaration 1993

oder der Pekinger Deklaration 1995 anläßlich der 4. Frauenweltkonferenz (dort wird

die Verstümmelung sogar in drei Punkten namentlich genannt und verurteilt)

formuliert sind.

Allerdings ist es wenig effektiv, wenn westliche Staaten diese Praktiken, vornehmlich

in Afrika, einfach nur verurteilen. Einerseits wird dies dort häufig — auch wenn es

ungerecht sein mag - als neo - kolonialistischer Akt aufgefaßt und ist daher wenig

effektiv; andererseits sind auch europäische Staaten selbst von dem Problem

betroffen, da Emigranten offensichtlich Wege und Mittel finden, „Beschneidungen“

hier oder in ihrem Heimatland durchführen zu lassen. Nach Schätzungen des

Hilfsvereins INTACT leben allein in Deutschland ca. 20.000 „beschnittene“ Frauen.

Die Zahl läßt sich für Österreich leicht hochrechnen. Es geht also darum, behutsam

und vor allem in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen und Menschenrechts -

gruppen vor Ort Überzeugungs - und Bildungsarbeit zu leisten, wofür sich ein

konzertiertes Vorgehen der EU anbietet.

Doch man müßte auch einen Schritt weiter gehen und jenen Frauen, die in

Zusammenhang mit der Gefahr oder den Folgen einer Verstümmelung flüchten, Asyl

gewähren. Kanada ist ein Land, das in dieser Frage eine Vorbildfunktion haben

sollte. Es hat eine langjährige Asyltradition und eine in vielen Bereichen vorbildhafte

Einwanderungs - und Asylgesetzgebung, vor allem auch was die Definition des

Flüchtlingsbegriffs betrifft. Da sich Kanada auf internationaler Ebene auch schon

längere Zeit für Frauenthemen einsetzt, hat es in dieser Frage folgerichtig eine

Vorreiterrolle eingenommen: So hat der kanadische Ausschuß für Einwanderungs -

und Asylfragen gemäß § 65 Abs 3 des Einwanderungsgesetzes Richtlinien für

Asylwerberinnen, die sich auf Furcht vor Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts

berufen, verabschiedet (in Kraft getreten am 25.11.1996). Darin wird von der

Überlegung ausgegangen, daß die Definition des Flüchtlings im Sinne der Genfer

Flüchtlingskonvention richtigerweise dahingehend ausgelegt werden kann, daß sie

Frauen Schutz vor der Verfolgung wegen ihres Geschlechts bieten kann, obwohl das

Geschlecht nicht ausdrücklich als einer der Gründe für die Anerkennung der

Flüchtlingseigenschaft genannt wird. Dies sei etwa dann der Fall, wenn Frauen

Verfolgung durch bestimmte Formen ernsthafter geschlechtlicher Diskriminierung

oder Gewalttätigkeiten fürchten müssen, die entweder von staatlichen Stellen oder

Privatpersonen (z.B. in der Familie) ausgehen, z.B. wenn sie sich nicht nach

bestimmten geschlechtsdiskriminierenden religiösen Gesetzen oder

geschlechtsdiskriminierenden Gewohnheitsrechten und Praktiken in ihrem

Herkunftsland richten. Darunter ist eindeutig die Praktik der Genitalverstümmelung zu

subsummieren. Die Richtlinie wird im Sinne der durch diese Umstände

hervorgerufenen „Zugehörigkeit (der Frauen) zu einer bestimmten sozialen Gruppe“

durch Verweise auf internationale Übereinkommen und Entschließungen des

Exekutivausschusses des UNHCR (z.B. Nr.39, XXXVI, Weibliche Flüchtlinge und

internationaler Schutz von 1985) untermauert. Auch für den schwierigen Nachweis

dieser Art von Verfolgung werden Kriterien entwickelt: so sollte etwa berücksichtigt

werden, daß Antragstellerinnen einen eindeutigen und überzeugenden Beweis für

die Unfähigkeit des Staates, Schutz zu gewähren nicht immer verfügbar haben,

weshalb möglicherweise alternative Nachweisformen herangezogen werden müssen,

etwa Zeugenaussagen von Frauen, die sich in ähnlichen Situationen ohne

staatlichen Schutz befanden.

Die hier angeführten Beispiele zeigen, daß für die EU und für Österreich auf

mehreren Ebenen die Möglichkeit und die Notwendigkeit besteht, entsprechende

Initiativen zum Schutz von betroffenen Frauen und Mädchen zu ergreifen.

Daher stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert,

a) im Rahmen der EU, insbesondere während der Vorsitzführung im EU - Rat eine

Initiative zu setzen, daß die in über 40 Ländern verbreitete menschenrechts -

verletzende Praktik der Genitalienverstümmelungen an Frauen und Mädchen in

kontakten mit den betroffenen Staaten verstärkt thematisiert und deren

Abschaffung sowohl durch gesetzliche Maßnahmen - wo dies noch nicht

geschehen ist - als auch in der Praxis eingefordert wird,

b) verstärkt im Rahmen der EU - Entwicklungszusammenarbeit die Zusammenarbeit

mit Menschenrechts - und Fraueninitiativen in den betroffenen Regionen, die die

Durchführung von Genitalienverstümmelungen bekämpfen, gesucht wird und

entsprechende Aufklärungs - und Bildungsmaßnahmen ideell und finanziell

gefördert werden,

c) alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit innerhalb der EU - Staaten

erstens Aufklärung über die Praktik der Genitalienverstümmelungen betrieben

wird, zweitens diese Form der Menschenrechtsverletzung nicht mehr

durchgeführt werden kann und driffens betroffene Frauen die Möglichkeit

erhalten, sich kostenlos medizinisch versorgen zu lassen,

d> im Rahmen der gemeinsamen Einwanderungs - und Asylpolitik der EU und somit

auch in Österreich Richtlinien zu verabschieden, die aus betroffenen Ländern

geflüchteten Frauen und Mädchen, die sich auf begründete Furcht vor Verfolgung

aufgrund ihres Geschlechts im allgemeinen bzw. auf die drohende Gefahr der

oder die schon erfolgte Verstümmelung ihres weiblichen Geschlechtsorganes

berufen, die Möglichkeit eröffnen, Asyl zu erhalten.“

In formeller Hinsicht wird vorgeschlagen, den Antrag demAußenpolitischen

Ausschuß zuzuweisen.