1219/AB
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossen haben an
mich eine schriftliche Anfrage, betreffend mangelhafte Umsetzung von EU-Richt-
linien, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
"1. Sind Sie auch der Auffassung, daß aus Gründen der Rechtssicherheit das na-
tionaIe Haftungsrecht den gemeinschaftsrechtIichen Vorgaben zur ''Staatshaf-
tung'' angepaßt werden soll?
2. Wenn nein, warum nicht?
3. Wenn ja: Soll das Amtshaftungsverfahren nach dem Amtshaftungsgesetz ge-
meinschaftsrechtskonform ausgestaltet oder der normale Schadenersatzpro-
zeß vor den ordentlichen Zivilgerichten entsprechend den gemeinschaftsrecht-
lichen Vorgaben auch auf gemeinschaftsrechtliche Schadenersatzforderungen
erstreckt werden?
4. Treten Sie dafür ein, überhaupt ein eigenes Verfahren unter Bestimmung eines
ausgewählten zuständigen Gerichtes vorzusehen?
5. Gibt es für die unter Punkt 3 und 4 geschilderten Möglichkeiten bereits in lhrem
Ministerium entsprechende Vorarbeiten?
6. Wenn ja: Wie sehen diese aus und wann werden Sie damit an die Öffentlich-
keit treten bzw. eine Regierungsvorlage einbringen?''
lch beantworte diese Fragen wie folgt: ..
Zu 1 bis 3:
Der Europäische Gerichtshof hat in der Tat in seinem Urteil vom 19. November
1991 , Francovich v. ltalien, Slg. 1991 , I-5357, festgesteIlt, daß die Mitgliedstaaten
nach dem Gemeinschaftsrecht zum Ersatz der Schäden verpflichtet seien, die dem
einzelnen durch soIche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden, die
diesen Staaten zuzurechnen seien. ln mehreren nachfoIgenden Erkenntnissen hat
der Europäische Gerichtshof diese Judikatur vertieft und unter anderem ausgespro-
chen, daß dem einzelnen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht selbst dann
ein Entschädigungsanspruch zustehe, wenn der zur Last gelegte Verstoß dem na-
tionalen Gesetzgeber zuzuschreiben sei (s. beispielsweise das Erkenntnis C-46/93,
C-48/93 vom 5. März 1996 - Brasserie du pecheur SA v. Deutschland und The Que-
en v. Secretary of State for Transport ex parte: Factortame Ltd). Nach den Erkennt-
nissen des Europäischen Gerichtshofs ist ein auf die Verletzung des Gemein-
schaftsrechts zurückzuführender Schaden im Rahmen des nationalen Haftungs-
rechts zu beheben. Dabei dürften die im anwendbaren nationalen Recht festgeleg-
ten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein als bei Geltendmachung entsprechen-
der innerstaatlicher Ansprüche. Auch dürften diese Voraussetzungen nicht so ge-
staltet sein, daß die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich sei oder
übermäßig erschwert werde. Die Haftung des Mitgliedstaats sei davon unabhängig,
ob dessen Amtsträgern ein Verschulden zur Last falle; vielmehr komme es darauf
an, daß der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ''hinreichend qualifiziert'' sei.
Diese vom Europäischen Gerichtshof statuierte Haftung eines Mitgliedstaats für Ver-
stöße gegen das Gemeinschaftsrecht läßt sich mit den das österreichische ''Staats-
haftungsrecht'' regelnden Bestimmungen zwar nicht voll in Einklang bringen: So ha-
ben etwa der Bund und andere Rechtsträger im Bereich der Hoheitsverwaltung in
der Regel nur für ein schuldhaftes Verhalten ihrer Organe einzustehen; eine Haftung
des Bundes oder der Länder für ''legislatives Unrecht'' ist der österreichischen
Rechtsordnung überhaupt fremd.
Dennoch weist der aus dem Europarecht abgeleitete Anspruch des einzelnen ohne
Zweifel große Ähnlichkeiten mit den innerstaatlichen Regelungen über die Haftung
der öffentlichen Hand für hoheitliches Handeln auf. Auf Grund dieser ''Verwandt-
schaft'' der Ansprüche, auf die auch der Europäische Gerichtshof in seinen Erkennt-
nissen hinweist, ist für die Fragen der Haftung der öffentlichen Hand für Iegislatives
Unrecht federführend das Bundeskanzleramt zuständig.
Der Verfassungsdienst hat daher bereits im Juni 1996 interministerielle Beratungen
zur Abklärung der mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verbun-
denen Probleme aufgenommen. An diesen Besprechungen ist auch das Bundesmi-
nisterium für Justiz beteiIigt.
Zu 4:
Die im Amtshaftungsgesetz (§ 9 AHG) und in vergleichbaren Bundesgesetzen vor-
gesehene Eigenzuständigkeit der Landesgerichte hat sich im wesentlichen bewährt.
Sowohl aus der Sicht des einzelnen Anspruchsberechtigten als auch aus der Sicht
des betroffenen Rechtsträgers spricht daher nichts dagegen, wenn le lege ferenda
auch über die Haftung eines Mitgliedstaats die Landesgerichte zur Entscheidung be-
rufen würden.
Zu 5 und 6:
lch verweise auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3, insbesondere auf die Ausfüh-
rungen zur federführenden Zuständigkeit des Bundeskanzleramts.