1404/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier und Genossen haben an mich eine

schriftliche Anfrage, betreffend Haftentschädigung bei Unschuld, gerichtet und fol-

gende Fragen gestellt.

"1. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 1993, 1994 und 1995 in Un-

tersuchungshaft genommen?

2. Wie teilt sich diese Anzahl auf die einzelnen Gerichtshöfe auf?

3. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 1993, 1994 und 1995 nach

gesetzmäßig angeordneten. Untersuchungshaft in der F0lge entweder außer

Verfolgung gesetzt oder freigesprochen? Die Freisprüche bitte nach "glatten

Freisprüchen,' und ',in dubio Freisprüchen" je nach Gerichtshof auflisten.

4. Wie viele Personen davon stellten jeweils in den Jahren 1993, 1994 und 1995

einen Antrag auf Haftentschädigung?

5. Wie viele Anträge wurden positiv für die "Beschuldigten,' erledigt?

6. Wie hoch waren die Haftentschädigungen jeweils in Summe?

 

7. Es werden nur "vermögensrechtliche Nachteile,' abgegolten. Besteht Tendenz,

von Ihren Seiten auch Schmerzensgeld für erlittene Seelenqualen den un-

schuldigen Häftlingen zu gewähren?

8. Wie hoch wären Ihrer Einschätzung nach die Haftentschädigungen, wenn ein

Anspruch (nur "vermögensrechtlicher Schaden,') bei jedem Freispruch gewährt

würde?

9, Gibt es aus Ihrem Ress0rt Tendenzen, beim Anspruch der Haftentschädigung

die Unterscheidung von ',glatten Freisprüchen,' und ',in dubio Freisprüchen" zu

reformieren?

10. Wenn ja, wie sieht die Reform aus?

11 . Wenn nein, wie begründen Sie diese Ablehnung?

12. Wie ist die Frage der "Haftentschädigung" in Deutschland, Schweiz, Frankreich

und den USA geregelt und wie wird sie gehandhabt?

13. Gibt es in diesen Ländern eine vergleichbare Regelung?

14. Ist unser StEG EU-k0nform?

15. Wenn nein, wann und wie wird EU-Konformität im Bereich des StEG herge-

stellt?"

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

zu 1 bis 3:

In den Jahren 1993, 1994 und 1995 wurden nach der Statistik der Rechtspflege

8.853, 7.487 bzw. 7.488 Personen verhaftet s0wie 1 .41 2, 1 .1 38 und 1 .096 Personen

entweder nicht angeklagt oder freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt.

(Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, daß diese beiden Mengen nicht dek-

kungsgleich sind. Ferner ist die Zahl der tatsächlich in Untersuchungshaft genom-

menen Personen nach den Aufzeichnungen der Strafvollzugsverwaltung jeweils

eine höhere; eine Aufgliederung in der angefragten Richtung enthält jedoch nur die

Rechtspflegestatistik, die auf Registeraufzeichnungen der Gerichte beruht.) Zu den

detaillierten Daten verweise ich auf die vom Österreichischen Statistischen Zentral-

 

amt herausgegebene Statistik der Rechtspflege, deren Punkt 3.4.4. für die erwähn-

ten Jahre in Fotokopie angeschlossen ist.

Eine Unterscheidung nach "glatten Freisprüchen', und "in dubio Freisprüchen" ist

der Strafpr0zeß0rdnung fremd, die gewünschten Vergleichszahlen stehen daher

nicht zur Verfügung. Von zahlenmäßig vernachlässigbaren formalen Erledigungen

abgesehen, ist ein Freispruch s0gleich zu fällen, wenn unter Anwendung des

Grundsatzes ',in dubio pro reo" (',im Zweifel für den Angeklagten") feststeht, daß der

erhobene Vorwurf nicht bewiesen, die Unschuldsvermutung demnach nicht wider-

legt werden kann; ein "Nachweis der Unschuld" ist grundsätzlich nicht Ziel des Straf-

verfahrens. Das entspricht der Verfassungsrechtslage (Art. 6 MRK).

Zu 4 bis 6:

Die angefragten Daten stellen sich wie folgt dar:

---------

                Anträge                 anerkannt              zum Jahresende   ausbezahlte

                gestellt                                  offen                      Beträge

-------

 1993    19                                11                              O                           386.083,35

-------

 1994    26                                14                              6                          1.471.006,24

-------

 1995    30               20                 5            2.888.765,23

 

Konkrete Reformbestrebungen, allen in Untersuchungshaft angehaltenen Personen

eine Haftentschädigung zuzuerkennen, wenn sie nicht verurteilt werden, oder die

Voraussetzungen und den Umfang der Gewährung von Haftentschädigungen ge-

genüber der geltenden Rechtslage s0nst wesentlich zu erweitern 0der zu verändern,

bestehen derzeit nicht, obwohl ein solcher Schritt rechtspolitisch an sich wünschens-

wert wäre. Dies ist einerseits in der besonders angespannten Lage des Bundes-

haushaltes, andererseits in dem Umstand begründet, daß derzeit keine Modelle in

Sicht sind, mit denen die Berechtigung eines Entschädigungsanspruchs auf andere

 

Weise als im geltenden Recht, aber dennoch überzeugend abgegrenzt werden

könnten.

Die Bemühungen meines Ressorts zielen daher - schon aus grundsätzlichen Erwä-

gungen - in erster Linie darauf ab, Anhaltungen in Untersuchungshaft auf jene Fälle

einzuschränken, in denen dies unvermeidbar ist, und ihre Dauer so kurz wie möglich

zu halten. ln diesem Zusammenhang verweise ich auf die mit dem Strafpr0zeßän-

derungsgesetz 1993 v0rgenommene Reform, die seit ihrem Inkrafttreten zu einer

(anhaltenden) Reduktion der Haftzahlen um mehr als 20% geführt hat.

Zu 8:

Nimmt man für die Anzahl der verhafteten und später außer Verfolgung gesetzten

Personen einen Mittelwert der Zahlen für 1993, 1994 und 1995 (nach der Rechts-

pflegestatistik) und geht man von einer durchschnittlichen Haftdauer von 59 Tagen

aus (Morawetz/Stangl, Die Praxis der Untersuchungshaft an den Straflandesgerich-

ten Wien, Linz, Innsbruck, Graz im Jahr 1991 1993 ), so ergeben sich daraus etwa

70.000 Hafttage, die zu entschädigen wären. Nimmt man weiters einen durch-

schnittlichen Verdienstentgang von 400 S täglich an, so ergäbe sich ein Betrag von

28 Millionen Schilling. Würde man auch den immateriellen Schaden berücksichtigen

('Schmerzensgeld für erlittene Haft"), so errechnet sich bei einem - von der Judikatur

derzeit angenommenen - Betrag von 1.000 S täglich ein weiterer Betrag von etwa

70 Millionen Schilling, so daß für die gesamte Entschädigung aller in Untersuchungs-

haft angehaltenen und später nicht verurteilten Personen rund 100 Millionen Schil-

ling aufzuwenden wäre. Berücksichtigt man zusätzlich allfällige weitere Ersatzbeträ-

ge für entgangenen Gewinn und Folgeschäden sowie für Anwalts- und (Privat-)

Sachverständigenkosten, so muß man mit einem noch deutlich höheren Gesamtbe-

trag rechnen.

Zu 12 und 13:

ln einer Reihe von europäischen Ländern bestehen - wie auch Entscheidungen des

Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entnommen werden kann - der

 

österreichischen Rechtslage vergleichbare Entschädigungsregelungen; zumeist wird

eine Entschädigung an eine Entscheidung nach Ermessen des Gerichtes bzw. nach

Billigkeit gebunden 0der auch v0m Verhalten des Verhafteten vor 0der während des

Verfahrens abhängig gemacht (vgl die EGMR-Entscheidungen Sekanina gegen

Österreich, ÖJZ 1993, 817, und Leutscher gegen die Niederlande, ÖJZ 1996, 677).

ln Deutschland sieht das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaß-

nahmen (dStrEG) grundsätzlich eine Entschädigung für alle Untersuchungshaftfälle

vor, die nicht zu einer Verurteilung führen. Neben dem Vermögens- wird auch der

immaterielle Schaden (allerdings mit höchstens 20 DM pro Tag) ersetzt. Billigkeits-

entscheidungen sind dann vorgesehen, wenn das Verfahren aufgrund einer Ermes-

sensentscheidung (Opportunitätsprinzip) eingestellt wurde; in diesem Zusammen-

hang wird - ähnlich unserer Rechtslage - darauf abgestellt, ob der Tatverdacht, der

bei der Einstellung noch besteht, deutlich hinter jenem zurückbleibt, der zur Verfol-

gungsmaßnahme geführt hat (vgl. Kleinknecht/Meyer-Gossner, StPO ' Rz 2 zu § 3

StrEG). § 4 dStrEG sieht zudem auch Billigkeitserwägungen vor, wenn die in der

Verurteilung angeordneten Rechtsfolgen die bereits vollzogenen Strafverfolgungs-

maßnahmen (zB Untersuchungshaft) übersteigen.

Über die diesbezügliche Rechtslage in den USA stehen dem Bundesministerium für

Justiz keine Informationen zur Verfügung.

Zu 14 und 15:

Die Entschädigung für Untersuchungshaft ist kein Gegenstand des EU-Rechts. Die

Frage der ',EU-Konformität', stellt sich daher nicht.

 

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