1424/AB XX.GP

 

Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 1398/J-NR/1996, betreffend ungerechtfertigte Wett-

bewerbsvorteile für Liechtensteiner Frächter, die die Abgeordneten Mag. Stadler, Rosenstingl und

Kollegen am 30. Oktober 1996 an mich gerichtet haben, beehre ich mich wie folgt zu beantworten:

1 und 3 bis 6, 8 und 12:

lst lhnen bekannt, daß Liechtensteinische Frächter seit geraumer Zeit auftreten, als wären sie den

österreichischen Frächtern hinsichtlich Konzession-, CEMT- und Zollbestimmungen gleich-

gestellt?

Haben Sie für liechtensteinische Frächter eine Ausnahme im Sinne des § 7 Cüterbeförderungs-

gesetz erlassen ?

Wenn ja, wie begründen sie das diesfalls vorgeschriebene österreichische lnteresse ?

Wenn nein, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgen diese Transporte?

Warum wird es den Liechtensteinischen Frächtern - entgegen den einschlägigen CEMT-Be-

stimmungen - nicht verwehrt, Drittlandtransporte ohne Berührung ihres Staatsgebietes durch-

zuführen ?

Mit welcher genauen Begründung und Legitimation erfolgte diese Auskunft ?

ln welcher Form werden die Betroffenen für die erlittenen Nachteile entschädigt ?

Antwort:

Die Sach- und Rechtslage der bilateralen Beziehungen zwischen dem Fürstentum Liechten-

stein und der Republik Österreich im Bereich des Straßengüterverkehrs stellt sich wie folgt

dar:

lm Hinblick auf die generelle Rechtslage ist in diesem Zusammenhang auszuführen, daß der

grenzüberschreitende Straßengüterverkehr in Österreich gemäß den Bestimmungen des öster-

reichischen Güterbeförderungsgesetzes geregelt wird. Diesen Bestimmungen zufolge ist die

gewerbsmäßige Beförderung von Gütern in das, aus dem oder durch das Bundesgebiet Öster-

reichs außer lnhabern von Konzessionen gemäß § 2 österreichischem Güterbeförderungs-

gesetz auch Unternehmern gestattet, die zur Straßengüterbeförderung in einem anderen 9taat

zugelassen sind. Grenzüberschreitende Straßengüterverkehrsbeförderungen aus, nach oder

durch Österreich erfolgen demgemäß entweder

a) auf Basis einer gesonderten Bewilligung des Bundesminister für öffentliche Wirtschaft

und Verkehr ("§7-Genehmigung") oder

b) auf Basis einer ausdrücklichen Anordnung (Verordnung) des Bundesministers für öffentli-

che Wirtschaft und Verkehr, wonach diese Verkehre ohne Bewilligung durchgeführt wer-

den können, Voraussetzung dafür ist das Prinzip der Gegenseitigkeit oder wenn öster--

reichische Wirtschaftsinteressen dies rechtfertigen (§ 7 Abs. 6 GütbefG) oder

c) auf Basis einer bilateralen zwischenstaatlichen Vereinbarung oder

d) auf Basis des Protokolls Nr. 9 des Beitrittsvertrages zur EU.

Bis zum Inkrafttreten der EU-Verordnung 31 18/93/EWG (ab 1. 1. 1997 gemäß Art. 13 Proto-

koll Nr. 9 des Beitrittsvertrages zur EU) besteht ein grundsätzliches Kabotageverbot in Öster-

reich.

Was die spezifische Rechtsgrundlage der konkreten bilateralen Beziehungen mit Liechten-

stein betrifft, so ist hierzu folgendes festzuhalten: Der bilaterale Straßengüterverkehr zwi-

schen Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein erfolgt auf der Grundlage des Noten-

wechsels zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die

Handels- und Verkehrsbeziehungen vom 22. April 1920 (BGBl. Nr. 136/1921) in der Fassung

des Notenwechsels zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein

vom 30. Dezember 1 92 i über die Abänderung des Notenwechsels vom 22. April 1 920

(BGBl. Nr. 17/1922) und der Kundmachung vom 1 7. Mai 1924 über das handelspolitische

Verhältnis zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein (BGBl. Nr.

161/1924) sowie des Handelsvertrages zwischen Österreich/Ungarn und der Schweiz vom 9.

März 1 906 (Reichsgesetzblatt Nr. 1 56/1 906) und des Handelsvertrages zwischen Österreich

und der Schweiz vom 6. Jänner 1926 (BGBl. Nr. 54/1926).

Demgemäß ist der Straßengüterverkehr nach, durch und aus den beiden Staatsgebieten seit

mehr als 70 Jahren liberalisiert. Die Kabotage ist grundsätzlich verboten. Die im genannten

Abkommen von 1922 in der derzeit genannten Fassung getroffene Festlegung (Liberalisie-

rung) dürfte. nicht zuletzt aufgrund der besonderen geographischen Situation und Größe des

Landes sowie Umfanges der Verkehrsbeziehungen erfolgt sein. Daß Liechtenstein in diesem

Sinne eine gewisse "Sonderstellung" einnimmt, kommt auch darin zum Ausdruck, daß jüngst

selbst vom EWR-Rat im Zusammenhang mit dem EWR-Beitritt Liechtensteins (Mai 1995)

mit genau dieser Begründung durch gesonderte Erklärungen in bestimmten Bereichen dieser

besonderen Situation Rechnung getragen wurde.

Ungeachtet der oben genannten zwischenstaatlichen Vereinbarung basieren die derzeitigen

bilateralen Verkehrsbeziehungen zwischen Österreich und Liechtenstein auch aut. einer seit

über 70 Jahren reziproken Praxis, die bis dato von keiner Seite in Frage gestellt wurde. Es ist

daher davon auszugehen, daß die bilateralen Straßengüterverkehrsbeziehungen zwischen

Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein auf der Grundlage einer sowohl schriftlichen

als auch durch konkludentes Verhalten bestätigten Vereinbarung im Sinne des §8 GütbefG.

erfolgen. Diese Auffassung wird auch vom BKA/Verfassungsdienst sowie

BMaA/Völkerrechtsbüro geteilt.

Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen hinsichtlich der Frage einer vertraglichen Grund--

lage, würde selbst unter der hypothetischen Annahme, daß eine deratige vertragliche Verein-

barung nicht bestünde, davon auszugehen sein, daß in Folge der seit nunmehr mehr als

70 Jahren unwidersprochen geübten Praxis eine deartige Vereinbarung völkergewohnheits-

rechtlich entstanden wäre. Hierzu darf folgendes ausgeführt werden:

Zur Frage, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Geltung einer Norm des Völ-

kergewohnheitsrechtes (VGR) feststellen zu können, sind von Wissenschaft und Lehre be-

stimmte Theorien entwickelt worden (zB. Kelsen, Guggenheim, Zemanek, Verdross-Simma

etc.). Nach der Vertragstheorie kann VGR auch durch einen stillschweigenden Vertrag (pac-

tum tacitum) zustande kommen. Nach der Anerkennungstheorie kann VGR auch dadurch

entstehen, daß der geübten Staatenpraxis zunächst eine präexistente Norm zugrunde liegt, die

dann durch die ihr entsprechende Übung - aber ohne opinio iuris sive necessitatis und ohne

Schöpfungswillen - zu einer Gewohnheitsrechtnorm gestaltet wird. In der Literatur wird

festgestellt, daß insbesondere diese beiden genannten Theorien oftmals miteinander verbun-

den werden. Somit entsteht VGR durch einen stillschweigenden Vertrag selbst dann, wenn

Staaten eine Norm in der Überzeugung anwenden, dazu rechtlich verpflichtet zu sein. Dar-

überhinaus kann VGR zufolge der Theorie des diritto spontanio sogar spontan im Rechts-

Bewußt sein der Staaten entstehen und werden durch die Übung lediglich in ihrer Geltung

bestätigt. Nach der von Kelsen - zunehmend h.L. - geprägten Lehre wird VGR in der Regel!

durch eine gleichförmige Übung mit allmählich hinzutretenden Rechtsüberzeugung gebildet.

In jüngerer Zeit wurde die Vertragstheorie m.u. zur Konsenstheorie weiterentwickelt, wo-

nach eine Norm des VGR auch durch eine einseitige Setzung eines bestimmten Verhaltens

eines oder mehrerer Staaten entstehen kann, wenn dieses Verhalten in der Folge entweder

durch ausdrückliche Zustimmung, konkludente Handlungen oder bloße Hinnahme seitens

des/der betroffenen Staates/n, also durch einen schließlichen Konsens, der seinen Ausdruck

in einer allgemeinen Übung findet, zum Inhalt einer vgr. Norm wird.

Vorstehend dargelegte Theorien beziehen sich sowohl auf die Frage des Entstehens von

allgemeinen VGR aber auch von particulärem VGR. So hat der IGH im Fall des Right of

Passage over .. Territory (ICJ .Reports 1960, S 39) festgestellt: "the Court sees no reason why

long continued practice between two States excepted by them as regulating their relations

should not form the basis ofmutual rights and obligations between the two states. ln der

Lehre gibt es zudem auch Meinungen die in derartigen Fällen sogar den Abschluß eines

durch konkludente Handlungen entstandenen völkerrechtlichen Vertrages annehmen.

Aus den vorstehenden Ausführungen ist somit zusammenfassend testzuhalten. dal3 selbst tür

den Fall der Annahme, daß zwischen Österreich und Liechtenstein keine schriftliche ver-

tragliche Regelung (mehr) bestünde, in Folge der seit mehr als 70 Jahren geübten gegenseiti-

gen und unwidersprochenen Praxis jedenfalls eine Norm basierend auf(zumindest particulä-

rem) VGR entstanden wäre und somit die bilateralen Verkehrsbeziehungen ihre "Rechts-

grundlage" jedenfalls im VGR finden würden.

Der Vollständigkeit halber darf im Zusammenhang mit den von Ihnen angeführten CEMT-

Bestimmungen angemerkt werden, daß Liechtenstein kein Mitgliedsland der CEMT ist und

somit CEMT Richtlinien keine Anwendung auf Verkehre mit dem Fürstentum Liechtenstein

finden können.

Somit ist die von Ihnen gemachte Behauptung der "völligen Verkennung der Rechtslage"

entschieden zurückzuweisen. Die vom Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und

Kunst im Bereich des Straßengüterverkehrs Österreich/Liechtenstein geübte Vorgangsweise

beruht auf rechtmäßigen Grundiagen.

2, 9 und 13: Halten Sie es verkehrs- und Wirtschaftspolitisch für tragbar, diesen Zu-

stand zu dulden, zumal die Liechtensteiner in mehrerlei Hinsicht (Um-

weltauflagen, Steuerrecht, ....) Gegenüber den unmittelbar benachbarten

Vorarlbergern bevorzugt sind?

Ist Ihnen bewußt, daß diese Auskunft zu massiven Wettbewerbsnachteilen

für die vorarlberger Frächter führte ?

Sind Sie bereit, unverzüglich dafür zu sorgen, daß die ungerechtfertigte

Bevorzugung der Liechtensteinischen Frächter in Hinkunft unterbunden

wird, wenn nein, warum nicht ?

Antwort:

Die infolge der - wie vorstehend ausführlich dargelegt - gegebenen Rechtsgrundlagen verein-

barte Genehmigungsfreiheit (Liberalisierung) dieser Verkehre basiert zudem auf dem Prinzip

der vollen Gegenseitigkeit. Aufgrund dieser vollen Reziprozität gelten sowohl für Liechten-

steiner wie auch für österreichische Unternehmer dieselben Marktzugangsregelungen bzw.

dieselben Vorteile und Wettbewerbsbedingungen bei der Ausübung dieser Verkehrsdienste.

Darüberhinaus ist an dieser Ste!le besonders zu betonen, daß bis Ende 1 995 die gegenständli-

che Vereinbarung bzw. geübte Praxis von keiner Seite (Staaten, Interessenvertretungen, insb.

jedoch auch nicht von der Vorarlberger Frächterschaft selbst) in Zweifel gezogen, oder ein

Interesse an einer Abänderung bekundet wurde.

ln diesem Zusammenhang darf darüber hinaus auf folgende Sach- und Rechtslage hingewie-

sen werden: Für den Bereich des bilateralen Straßengüterverkehrs (bilaterale Kontingente)

zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestimmt Artikel 12 Abs. 2 des Protokolls Nr.9 eine

schrittweise Liberalisierung dieser bestehenden Kontingente bis zum 1. Jänner 1997. Auch

gegenüber dem Fürstentum Liechtenstein hat Österreich spätestens mit 1.1.1997 dieses Prin-

zip voll zu verwirklichen. Auch muß darauf hingewiesen werden, daß schon derzeit aufgrund

dieser von Österreich mit den EU- Mitgliedstaaten gemäß dem obzitierten Artikel zu setzen-

den Liberalisierungsmaßnahmen de facto keine Engpässe in diesem Bereich des Dienstlei-

stungsverkehrs bestehen. Daher kann auch von einer möglichen Schlechterstellung öster-

reichischer Frächter gegenüber Liechtensteinischen Frächtern (für die gegenüber den Mit-

gliedstaaten der EU ab dem Eintritt Liechtensteins in den EWR am 1.Mai 1995 die relevan-

ten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen gelten) innerhalb der EU/EWR nicht gespro-

chen werden.

Inwieweit EU-rechtlich aufgrund des Inkrafttretens des Protokolls Nr.9 mit 1.1.1995 und der

damit im Zusammenhang stehenden Erklärung Nr. 21 des Beitrittsvertrags zusätzliche oder

die gegenständliche Situation ändernde Regelungen im Verhältnis Österreich/Liechtenstein

erforderlich sind (zB.Ökopunktepflicht für Liechtenstein), wird seitens der Europäischen

Kommission festzulegen sein.

7,10 und 1  : Wie beurteilen sie die Tatsache., daß das Verkehrsministerium über Fr.

Ur. Pösel auf Anfrage der österreichischen Finanzbehörde mitgeteilt hat,

daß die fraglichen Vorgänge rechtens seien, womit sich auch die anson-

sten auftretenden zollrechtlichen Probleme - zu ungunsten der österrei-

chischen Steuerzahler - erledigen ?

Welche Konsequenzen werden Sie aus dieser folgenschweren rechtswidri-

gen Handlung Ihrer Mitarbeiterin Dr. Pösel ziehen ?

Wurde diese rechtswidrige Auskunft von lhrem zuständigen Vorgängern

als Verkehrsminister gedeckt, wenn ja, in welcher Form erfolgte diese

Deckung ?

Antwort:

lhre Behauptung, daß "führende Beamte des Verkehrsministeriums mit Deckung des Mini-

sters halb- oder unwahre Auskünfte erteilen", ist entschieden zurückzuweisen. Der durch

nichts begründete Vorwurf einer rechtswidrigen Handlung von Frau Dr. P.stellt eine Schädi-

gung des Ansehens von Frau Dr. P. in der Öffentlichkeit dar. Ich finde es bedenklich, das

Instrument der parlamentarischen Anfrage dazu zu benützen, um das Ansehen eines unbe-

scholtenen Staatsbürgers in der Öffentlichkeit zu schädigen. Dies umso mehr, als Frau Dr. P.

als einfache Staatsbürgerin den anfragenden Abgeordneten, die diese Anfrage im Rahmen

ihrer parlamentarischen Immunität gestellt haben, nicht auf derselben Ebene entgegnen kann.

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch darauf hinweisen, daß die von Ihnen in Ihrer

Anfrage enwähnte Strafanzeige vom 7.7.1995. gegen Dr. P.,Dipl.Ing. H. und Bundesminister

Mag. K. mit 23.8.1996 von der Staatsanwaltschaft Wien eingestellt wurde, da "kein Grund zu

einer strafgerichtlichen Verfolgung gegeben war".