2071/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde

haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend bedingte Entlassung aus einer

Freiheitsstrafe (§ 46 Abs 1 StGB), gerichtet und folgende Fragen gestellt:

"1 . Wie viele Anträge auf bedingte Entlassung nach Verbüßung der halben Strafe

wurden im Jahre 1995 und 1996 positiv und wie viele davon ablehnend erledigt

(aufgeschlüsselt nach Jahren)?

2. Was wird von Ihrem Ministeriun.1 unter "besonderen Gründen" verstanden, un-

ter denen generalpräventive Überlegungen einer bedingten Entlassung nach

Verbüßung der halben Strafe entgegenstehen?

3. Gibt es bestimmte Straftatbestände, wie zB § 12 Suchtgiftgesetz, die generell

als solche besonderen Gründe im Sinne des § 46 Abs 3 StGB gelten?

4. Wenn ja, um welche handelt es sich?

5. Nach der Judikatur (LSK 1978/20) gibt es kein Delikt und keine Deliktskatego-

rie, bei denen grundsätzlich die bedingte Entlassung ausgeschlossen wäre. Als

besondere Gründe gelten zB ein besonders belastetes Vorleben usw. Derzeit

kommt die Bestimmung des § 46 Abs 1 StGB gegen der Intention des Gesetz-

gebers beim StRÄG 1987 nur in wenigen Fällen zur Anwendung. Was werden

Sie unternehmen, um den Vorstellungen des Gesetzgebers, die zur Einführung

des § 46 Abs 1 StGB im StRÄG 1987 geführt haben, zum Durchbruch zu hel-

fen?

6. Teilen Sie die Auffassung, daß im gegenständlichen Fall (AZ BE 459/1996, LG

Ried im Innkreis) die bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Zeit

grundsätzlich aus generalpräventiven Gründen abzulehnen ist?

7. Wurde im gegenständlichen Fall eine Zukunftsprognose erstellt?

8. Wenn ja, wie lautet diese und sollte diese dann nicht in der Begründung auf-

scheinen?

9. Wenn nein ,ist dies üblich?"

lch beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1:

Eingangs sei darauf hingewiesen, daß die Zahlen über bedingte Entlassungen im

Jahr 1996 noch nicht vorliegen. ln der folgenden Aufstellung werden daher die Zah-

len der Entscheidungen über die bedingte Entlassung nach der Hälfte der Freiheits-

strafe aus den Jahren 1994 und 1995 dargestellt.

1994:

OLG-Sprengel

Wien

Linz

Graz

Innsb.

               Summe

Angefallen

    *)

135

269

224

        628 (ohne Wien)

Noch nicht entschieden oder auf

        andere Art erledigt

    *)

  37

    9

    4

           50(ohne Wien)

       Bewilligt

  149

  42

   50

   74

           315

Nicht bewilligt

     *)

  56

  210

  146

           412 (ohne Wien)

 


 

1995:

OLG -Sprengel

Wien

Linz

Graz

Innsb.

                Summe

Angefallen

    *)

 187

 226

 178

          591( ohne Wien)

Noch nicht entschieden oder auf

       andere Art erledigt

    *)

   14

     0

     5

            19(ohne Wien)

         Bewilligt

  127

  108

    53

    61

           349

 Nicht bewilligt

      *)

    47

   173

  112

           332(ohne Wien)

 

 

Zu den in den Tabellen mit ") markierten Stellen sei erläutert, daß aus dem Oberlan-

desgerichtssprengel Wien nur die Zahlen über bewilligte bedingte Entlassungen

nach § 46 Abs. 1 StGB gesondert vorliegen. Für diesen Oberlandesgerichtssprengel

lassen sich daher nach den im Bundesministerium für Justiz eingelangten Berichten

nur folgende Aussagen treffen:

lm Jahr 1994 fielen in diesem Sprengel insgesamt 3078 Anträge auf bedingte Ent-

lassung aus einer Freiheitsstrafe an. Die Gerichte fällten in 2760 Fällen Entschei-

dungen, wobei in 731 Fällen (26,50%) die Entlassung bewilligt wurde. Von diesen

731 Fällen entfielen 149 (20,40%) auf bedingte Entlassungen gemäß § 46 Abs. 1

StGB.

lm Jahr 1995 fielen in diesem Sprengel insgesamt 3457 Anträge auf bedingte Ent-

lassung aus einer Freiheitsstrafe an. Die Gerichte fällten in 3070 Fällen Entschei-

dungen, wobei in 1405 Fällen (45,80%) die Entlassung bewilligt wurde. Von diesen

1405 Fällen entfielen 127 (9%) auf bedingte Entlassungen gemäß § 46 Abs. 1

StGB.

Zu 2:

Die Generalprävention spielt neben der Spezialprävention bei der Ahndung von

Straftaten als Strafzweck zunächst eine wesentliche Rolle, tritt aber nach der Ergrei-

fung, Überführung und Aburteilung des Täters immer weiter in den Hintergrund und

verliert schließlich mit der Dauer des Strafvollzugs immer mehr ihre Bedeutung.

Wenn Abs. 3 des § 46 StGB ganz generell für jede Art der bedingten Entlassung

"besondere Gründe" fordert, die aus generalpräventiven Erwägungen die bedingte

Entlassung verbieten, so soll damit einem formelhaften Verweis auf

generalpräventive Gründe schlechthin vorgebeugt und die Nennung konkreter Um-

stände in der gerichtlichen Entscheidung verlangt werden. So beurteilte auch der

Oberste Gerichtshof in der Entscheidung EvBl 1988/147 die Ausführungen im un-

terinstanzlichen Beschluß über die bedingte Entlassung, wonach "der Handel mit

harten Drogen ... ein besonderer Grund im Sinne des § 46 Abs. 3 StGB" sei, der es

notwendig mache, die gesamte Strafe zu vollziehen, als eine gesetzwidrige Begrün-

dung. Zugleichzeitig sprach gerade diese Entscheidung aus, daß angesichts der

enormen Gefährlichkeit des immer mehr um sich greifenden Handels mit harten

Drogen strenge Maßstäbe bei der Beurteilung des Kriteriums "besondere Gründe"

gemäß Abs. 3 aus generalpräventiver Sicht anzustellen seien, weil doch allgemein

bekannt sei, daß Entscheidungen in Suchtgiftsachen in der "Szene,' aufmerksam

verfolgt würden. So sind für die Generalprävention besonders das Vorliegen einer

großen Menge harter Drogen und zum Beispiel auch die durch längere Zeit betrie-

bene gewerbsmäßige Verteilung an einen weit gestreuten Personenkreis von Be-

deutung. Nach den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Innsbruck (siehe

Mayerhofer/Rieder 4, E 12a zu § 46 StGB) spielen bei der Frage, ob ein Suchtgift-

dealer schon nach Verbüßung der halben Strafe bedingt zu entlassen ist, Belange

der Generalprävention eine überragende Rolle.

Zu 3 und 4:

Die bedingte Entlassung soll bei keinem Tatbestand und bei keiner Tätergruppe aus

generalpräventiven Erwägungen grundsätzlich ausgeschlossen sein.

Zu 5:

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Jahr 1987 sollte die bedingte Entlas-

sung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe für Erstbestrafte bzw. für den Erstvoll-

zug, die bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe hingegen

für die übrigen Verurteilten zur Regel werden. Der in der Anfrage vertretenen Auf-

fassung, daß § 46 Abs. 1 StGB von der Rechtsprechung nur in wenigen Fällen an-

gewendet werde, kann ich schon angesichts der zu Frage 1 wiedergegebenen Zah-

len nicht ohne weiteres folgen. Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, daß ein er-

heblicher Teil der vom Gesetzgeber des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 ins

Auge gefaßten Fälle durch die gleichzeitig eingeführte teilbedingte Freiheitsstrafe

(§ 43a StGB) erfaßt wird, bei der eine bedingte Entlassung aus dem unbedingten

Strafteil ausgeschlossen ist. Bei (nicht vorbestraften) Ersttätern wurden etwa im Jahr

1995 von 7660 zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Personen 872 zu einer teilbe-

dingten Freiheitsstrafe gemäß § 43a Abs. 3 und 4 StGB, jedoch lediglich 813 Perso-

nen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe (meist zwischen sechs Monaten und drei

Jahren) verurteilt. In allen übrigen Fällen einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe

(5975) wurde diese bei nicht vorbestraften Verurteilten zur Gänze bedingt nachge-

sehen. Wenn dies in Rechnung gestellt und überdies berücksichtigt wird, daß sich

aus den zur Verfügung stehenden, zu Frage 1 dargestellten absoluten Zahlen der

bedingten Entlassungen gemäß § 46 Abs. 1 StGB keine Rückschlüsse auf die im

Einzelfall maßgebende Entscheidungsbegründung ziehen lassen, so kann daraus

nicht gefolgert werden, daß die Praxis den Grundgedanken und -anliegen des Ge-

setzgebers des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 nicht Rechnung tragen würde.

Immerhin hat sich der Anteil der bedingten Entlassungen (nach § 46 Abs. 1, 2 und 5

StGB) an der Gesamtzahl der Entlassungen aus dem Strafvollzug seit der Neurege-

lung etwa verdoppelt.

Zu6:

Der vorliegende Fall ist für die Diskussion über eine vermehrte Anwendung der be-

dingten Entlassung wenig geeignet. Bei einem kolumbianischen Drogenkurier, der

1 kg hochwertiges Kokain verschluckt im Körper nach Österreich schmuggeln wollte

und der damit die Grenzmenge des § 12 Abs. 1 SGG um das 66fache und jene des

Abs. 3 Z 3 um das 4fache überschritten hatte, kommt eine bedingte Entlassung

nach Verbüßung der Hälfte der Strafe nach der Judikatur aller vier Oberlandesge-

richte und des Obersten Gerichtshofs (EvBl 1988/147) keinesfalls in Betracht.

Zu 7 bis 9:

Die Prognosestellung für das zukünftige Verhalten des Verurteilten erübrigt sich bei

eindeutiger generalpräventiver Ablehnung der bedingten Entlassung. Dennoch stell-

te das Oberlandesgericht Linz auch spezialpräventive Erwägungen an und wies dar-

auf hin, daß der Verurteilte aus rein gewinnsüchtigen Motiven gehandelt, die Tat

reiflich überlegt und geplant habe und daß dies die Tatschuld beschwere. Im Tatver-

halten seien schwerwiegende Persönlichkeitsdefizite zutage getreten, die die Erstel-

lung einer günstigen Sozialprognose nicht zuließen.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der vorliegende Fall - jedenfalls nach mei-

ner Meinung - von den Gerichten durchaus zutreffend gelöst wurde. Die grundsätzli-

che Frage der Zurückdrängung der Generalprävention unter den Beurteilungs-

kriterien des § 46 StGB soll aber mit den obigen Ausführungen keineswegs aus der

kriminalpolitischen Diskussion über die bedingte Entlassung verbannt werden.