2544/AB XX. GP

Eingelangt am 04.08.1997
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(Am 18.06.2012 erfolgte eine datenschutzkonforme Adaptierung)

 

 

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

2544/AB XX.GP

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Helene Partik-Pablé und Dr. Harald Ofner haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend das Verhalten der Generalpro­ kuratur beim Obersten Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Strafverfahren ge­ gen N.N., gerichtet und folgende Fragen gestellt:

„1. Bot die Sachverhaltsdarstellung an die Generalprokuratur unter Beischließung eines Rechtsgutachtens des Ordinarius für Strafrecht Univ. Prof. Dr. Christian Bertel nicht ausreichend Grund, ein Verfahren beim Obersten Gerichtshof zur Wahrung des Gesetzes einzuleiten?

2.      Ist es üblich, daß sich ein Richter, der einen gerichtlich beeideten Sachverstän­ digen regelmäßig mit der Erstellung von Gutachten beauftragt, nicht für befan­ gen erklärt, wenn dieser Sachverständige als Partei in der Abteilung des Rich­ters ein Verfahren anhängig macht?

3.      Aus welchen Gründen setzte sich die Generalprokuratur bei der Überprüfung des Sachverhaltes über den klaren Gesetzeswortlaut des § 111 StGB, über die herrschende Rechtssprechung sowie über das Rechtsgutachten des Herrn Univ.-Prof. Dr. Christian Bertel hinweg?

4.  Halten Sie es persönlich für vertretbar, daß N.N. dafür, daß sie in Aus­übung eines Rechtes eine Aussage getätigt hat, strafrechtlich verurteilt wird,

und zwar gegen den klaren Wortlaut des § 114 StGB?“

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1 und 3:

Bei der Beurteilung der auf Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gerichteten Anregung hatte die Generalprokuratur die vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht als unbedenklich und mit den Beweisergeb­nissen in Einklang stehend übernommenen Sachverhaltsfeststellungen zugrunde zu legen, weil die Beweiswürdigung eines Gerichts einer Prüfung gemäß § 33 Abs. 2 StPO entzogen ist. Dies gilt auch für die Feststellung, die Äußerung der Beschuldig­ten habe nur den Schluß zugelassen, daß damit der Vorwurf der Nichterfüllung der ärztlichen Hilfeleistungspflicht erhoben werden sollte. Angesichts dieser für sie bin­denden Grundlage im tatsächlichen Bereich vermochte die Generalprokuratur bei Prüfung der rechtlichen Subsumtion keinen Fehler zu erkennen und fand daher kei­nen Anlaß für eine Nichtigkeitsbeschwerde.

Zu 2:

Gemäß § 72 Abs. 1 StPO können Richter abgelehnt werden, wenn Gründe dargetan werden, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit des Abgelehnten in Zweifel zu setzen. Gemäß § 72 Abs. 2 StPO hat jeder Richter selbst solche Gründe zu melden. Über die Zulässigkeit der Ablehnung eines Richters entscheidet gemäß § 74 Abs. 1 StPO in der Regel der Vorsteher des Gerichts, dem der Richter angehört. Befangen ist, wer an die Sache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt. Das Wesen der Befangenheit besteht somit in der Hemmung einer unpar­teiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive.

Allein der Umstand, daß eine Partei des Verfahrens aufgrund ihrer Sachkunde in anderen Verfahren durch denselben Richter zum Sachverständigen bestellt wurde, erbringt noch keinen objektiven Grund für die Annahme der Befangenheit des Rich­ters. In der Bestellung zum Sachverständigen kommt lediglich das Vertrauen in die Sachkunde des Betreffenden zum Ausdruck, doch bedeutet dies für sich noch kei­neswegs, daß der Richter nicht in der Lage wäre, unparteilich über einen Sachver­halt zu entscheiden, der mit der Sachverständigentätigkeit dieser Verfahrenspartei keine unmittelbaren Berührungspunkte aufweist.

Die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch oder eine Befangenheitsanzeige ist keine Justizverwaltungssache, sondern eine Angelegenheit der Rechtsprechung (EVBI 198O/16O); gleiches gilt für die Frage, ob sich ein Richter durch bestimmte Umstände zur Anzeige seiner Befangenheit veranlaßt sieht. Aus diesem Grund wer­de ich mich einer Äußerung zur Vorgangsweise der Erstrichterin im konkreten Fall enthalten. Statistische Daten über das Verhalten von Richtern in ähnlich gelagerten Fällen stehen dem Bundesministerium für Justiz nicht zur Verfügung. Hinzuweisen ist aber darauf, daß die Beschuldigte im gegenständlichen Verfahren von der Mög­lichkeit zur Erhebung eines Ablehnungsgesuchs gegen die Erstrichterin keinen Ge­brauch gemacht hatte.


 

Zu 4:

Die Beurteilung gerichtlicher Entscheidungen gehört nicht zum Vollziehungsbereich des Bundesministers für Justiz und ist damit auch nicht Gegenstand der parlamen­tarischen Interpellation. Ich ersuche deshalb um Verständnis dafür, daß diese Frage unbeantwortet bleiben muß.