2955/AB XX.GP

 

zur Zahl 2942/J-NR/1997

Die Abgeordneten zum Nationalrat Ing. Gartlehner und Genossen haben an mich ei-

ne schriftliche Anfrage, betreffend Neubauten bzw. Umstrukturierungen von Gerich-

ten in Wien, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

„1. Ist es richtig, daß vom Bundesministerium für Justiz der Neubau eines Ge-

richtsgebäudes samt angeschlossener Justizanstalt geplant ist?

2. Ist es richtig, daß in diesem Gebäude ein Gerichtshof mit gemischter Zustän-

digkeit für Zivil - und Strafsachen einziehen soll, obwohl die Tendenzen in ganz

Europa hin zu Spezialgerichten tendieren?

3. Welche Argumente sprechen für die Einrichtung von sog. Mischgerichtshöfen

und warum werden Jugendgerichtshof, Arbeits- und Sozialgericht sowie das

Handelsgericht nicht in die Überlegungen miteingebunden?

4. Ist es richtig, daß sich sowohl die Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssa-

chen wie auch jene des Landesgerichts für Strafsachen gegen dieses Projekt

wehren?

5. Aus welchen Gründen ist trotz eines Unterbelages der 1996 fertiggestellten Ju-

stizanstalt Josefstadt sowie der bald zu beziehenden Justizanstalt Simmering

(mit 450 Haftplätzen) eine weitere Justizanstalt geplant?

6. Ist es richtig, daß die Justizanstalt Schlachthausgasse deswegen gebaut wer-

den soll, um Häftlinge mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr die Möglichkeit

zu geben, ihre Haft in ihrem Heimatort verbüßen zu können?

7. Kann es sein, daß bei der Generalsanierung des Straflandesgerichtes Wien

und beim Ausbau der Justizanstalt Josefstadt um knapp zwei Milliarden Schil-

ling am Bedarf vorbei geplant wurde?

8. Sollte vor allfälligen Baubeschlüssen nicht zuerst geklärt werden, ob „Mischge-

richtshöfe" mit Sicherheit und so wie geplant eingeführt werden?

9. Ist es richtig, daß in den Justizpalast Verwaltungsabteilungen ohne Parteien-

verkehr einziehen werden und die Richterschaft des Landesgerichts für Zivil-

rechtssachen in den Neubau in der Schlachthausgasse umziehen soll?“

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu 1:

Der Nationalrat hat mit Entschließung vom 12. November 1992, E 75-NR XVIII. GP,

den Bundesminister für Justiz ersucht, „unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen

zur Neuunterbringung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien samt einem

Bezirksgericht für den 3. und 11. Wiener Gemeindebezirk auf den bundeseigenen

Schlachthausgründen in Wien 3 und die Neuschaffung von 700 (bis 850) zusätzli-

chen Haftraumplätzen in Wien durch Errichtung eines Gefangenenhauses am vor-

her genannten Standort sowie Errichtung eines Zubaues auf dem Areal der Straf-

vollzugsanstalt Wien-Simmering zu treffen.“

Der Ministerrat hat von dieser Entschließung am 24. November 1992 Kenntnis ge-

nommen.

Nach Einbeziehung der Wiener Stadtplanung hat zu diesem Bauvorhaben ein Archi-

tektenwettbewerb stattgefunden, dessen Ergebnisse 1994 der Öffentlichkeit und

den Vertretern der betroffenen Berufsgruppen vorgestellt und ohne wesentliche Ein-

wände zur Kenntnis genommen wurden. Die nunmehr für die weitere Planung erfor-

derliche Architektenbeauftragung soll in allernächster Zeit durch das Bundesministe-

rium für wirtschaftliche Angelegenheiten erfolgen.

Zu 2 und 8:

Innerhalb der Justiz ist in der fortgesetzten Diskussion - unter anderem auch von

maßgeblicherRichterseite die einleuchtende Frage gestellt worden, ob das räumli-

che Zusammentreffen eines Neubaus für einen Gerichtshof und für eine Justizan-

stalt nicht Anlaß geben sollte, einen für Zivil- und Strafsachen zuständigen Gerichts-

hof, dem die Bezirksgerichte Landstraße, Favoriten, Meldung, Hietzing und Liesing

unterstehen, einzurichten und gleichzeitig das im Grauen Haus untergebrachte Lan-

desgericht ebenfalls für Straf- und Zivilsachen zuständig zu machen. Diese Frage

kann noch zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden, zumal die vorgesehe-

ne Raumaufteilung und auch die Sicherheitsvorkehrungen ohne ins Gewicht fallen-

den Mehraufwand die alternative Unterbringung nach beiden Varianten zulasseh.

Unbestritten ist jedenfalls, daß sich die gemischte Zuständigkeit für Zivil -  und Straf-

sachen bei 14 Landesgerichten in Österreich bestens bewährt hat und daß keine Ef-

fizienzvorteile der nur für Zivil- oder nur für Strafsachen zuständigen Gerichtshöfe in

Wien und Graz erkennbar sind.

Eine europäische Tendenz zur Errichtung von Spezialgerichten ist nicht zu beobach-

ten.

Zu 3:

Wie ich bereits ausgeführt habe, haben sich die 14 bestehenden Vollgerichtshöfe,

die in insgesamt 8 Bundesländern eingerichtet sind, so bewährt, daß keine Effizienz-

vorteile der bestehenden Spezialgerichtshöfe erkennbar sind. Dies spricht dafür, die

in acht Bundesländern bestehende organisationsstruktur auf der Gerichtshofebene

auch auf das Bundesland Wien auszudehnen und damit zu einer bundesweit ein-

heitlichen Gerichtsstruktur zu kommen. Das vom Bundesministerium für Justiz aus-

gearbeitete „Organisationskonzept 1991“ hat dies auch so vorgesehen. Zu diesem

„Organisationskonzept 1991“ haben die damaligen vier Fraktionen des Justizaus-

schusses am 23. Mai 1991 ein „Informationsgespräch“ abgehalten, bei dem die

Stellungnahmen zu dem genannten konzept erörtert und allen Betroffenen und Be-

teiligten Gelegenheit zur Äußerung geboten worden ist. Bei diesem Informationsge-

spräch hat sich gezeigt, daß eine Auflösung des Handelsgerichtes Wien, des Ar-

beits- und Sozialgerichts Wien und des Jugendgerichtshofes Wien realpolitisch bis

auf weiteres nicht durchsetzbar ist. Aus diesem Grund blieben die drei genannten

Spezialgerichtshöfe von den weiteren Reformüberlegungen ausgeklammert.

Zu 4:

Wie ich bereits ausgeführt habe, sind die Ergebnisse des Architektenwettbewerbes

zum Neubau in Wien - Landstraße im Jahr 1994 der Öffentlichkeit und den Vertretern

der betroffenen Berufsgruppen vorgestellt und ohne wesentliche Einwände zur

Kenntnis genommen worden. Die Betriebsausschüsse der Richter des Landesge-

richtes für Zivilrechtssachen Wien und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien

haben sich im Sommer des heurigen Jahres in einem an den Bundesminister für Fi-

nanzen gerichteten Schreiben gegen das Projekt ausgesprochen. Dieses Schreiben

haben die Vorsitzenden der beiden Betriebsausschüsse in Gleichschrift auch dem

Bundesministerium für Justiz samt 50 vorformulierten Erklärungen von Richtern, die

sich gegen die Errichtung von Vollgerichtshöfen ausgesprochen haben, überreicht.

Zur Information füge ich bei, daß bei diesen beiden Gerichtshöfen mehr als 160

Richter tätig sind.

Zu 5 und 6:

Die Justizanstalt Wien - Josefstadt verfügt nach ihrer Generalsanierung über 946

Haftplätze. Zum Stichtag 16. Oktober 1997 haben sich 936 Gefangene in der Anstalt

befunden, sodaß sicherlich von keiner Unterbelegung dieser Anstalt gesprochen

werden kann; erfahrungsgemäß steigt der Insassenstand jeweils im letzten kalen-

derquartal noch weiter an.

Das derzeit in Bau befindliche Gefangenenhaus auf dem Areal der Justizanstalt

Wien - Simmering wird die Haftplätze im Bundesland Wien ab Herbst 1998 um 300

erhöhen. Diese Vermehrung der Haftplätze wird nicht ausreichen, um alle Insassen,

die sich derzeit in Justizanstalten anderer Bundesländer befinden und nach den In-

tentionen des Strafvollzugsgesetzes an sich in ein gerichtliches Gefangenenhaus in

Wien aufzunehmen wären, hier auch tatsächlich unterzubringen. Ab der Fertigstel-

lung des Gefangenenhausneubaus in Simmering im Herbst 1998 werden in Wien

auch bei knapper Berechnung noch immer mehr als 300 Haftplätze fehlen. In Über-

einstimmung mit der bereits zitierten Entschließung des Nationalrates vom 12. No-

vember 1992 werden diese noch zusätzlich benötigten Haftplätze durch das Gefan-

genenhaus Wien - Landstraße zur Verfügung zu stellen sein.

Zu 7:

Die im Mai 1980 begonnene Generalsanierung des Grauen Hauses, in dem das

Landesgericht für Strafsachen Wien, die Staatsanwaltschaft Wien sowie die Justi-

zanstalt Wien - Josefstadt untergebracht sind, war unaufschiebbar und unbedingt er-

forderlich. Das Raumangebot des Grauen Hauses ist den unbedingten Erfordernis-

sen angemessen und für die Justiz sowohl derzeit als auch nach Fertigstellung des

Projektes in Wien - Landstraße unverzichtbar.

Zu 9:

Erst nach Fertigstellung des Projektes in Wien-Landstraße wird der Großteil der

schon dringend notwendigen Sanierungsarbeiten im Justizpalast mit einem weiteren

finanziellen Volumen von rund 350 Millionen S — wirtschaftlich sinnvoll und den Be-

diensteten zumutbar - durchgeführt werden können, weil erst dann die für die Arbei-

ten erforderlichen‘ Freiräume‘ zür Verfügung stehen; Auch wenn diese Sanierungsar-

beiten unter solch günstigen Bedingungen durchgeführt werden, werden sie mehre-

re Jahre in Anspruch nehmen. Erst danach können die derzeit in anderen Objekten

in der Umgebung des Justizpalastes untergebrachten Mitarbeiter des Oberlandes-

gerichtes Wien im Justizpalast zusammengeführt und die bestehenden Dependan-

cen wirtschaftlich verwertet werden. Die der Frage unterstellte Behauptung, daß die

Verwaltungsabteilungen des Präsidenten des Oberlandesgerichtes keinen Parteien -

verkehr haben, ist nicht zutreffend. Die Einbringungsstelle des Oberlandesgerichtes

und auch die Unterhaltsvorschußabteilungen haben einen nicht unbeträchtliohen

Parteienverkehr, ganz abgesehen davon, daß auch die anderen Verwaltungsabtei-

lungen des Präsidenten des Oberlandesgerichtes einen justizinternen Parteienver -

kehr wahrzunehmen haben. Die Zusammenfassung aller Verwaltungsabteilungen

des Oberlandesgerichtes wird den Dienstbetrieb erleichtern und effizienter machen.