3347/AB XX.GP

 

zur Zahl 3389/J - NR/1997

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Kostelka und Genossen haben an mich

eine schriftliche Anfrage, betreffend die Spruchpraxis bei von alkoholisierten Len -

kern verursachten Verkehrsunfällen, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

„1. Wie beurteilen Sie die Spruchpraxis der österreichischen Gerichte betreffend

§ 81 Z 2 StGB, auch im Zusammenhang mit § 43a Abs. 3 StGB?

2. Entspricht es den Tatsachen, daß andere OLG - Sprengel in Österreich eine

weniger strenge Spruchpraxis verfolgen, als dies korrekterweise im OLG -

Sprengel für Wien, Niederösterreich und Burgenland der Fall ist?

3. Sollten Sie die Frage 2 mit ja beantworten: Wie beurteilen Sie dieses Phäno -

men?

4. Sehen Sie im Rahmen Ihrer Zuständigkeit Möglichkeiten, auf eine einheitliche

Spruchpraxis der verschiedenen OLG-Sprengel in dieser Frage hinzuwirken,

wobei die Spruchpraxis des OLG Wien dafür der Maßstab sein sollte?

5. Welche konkreten Maßnahmen gedenken Sie im gegebenen Zusammenhang

zu setzen?“

Einleitend ist darauf hinzuweisen: daß die Zahl der durch Verkehrsunfälle getöteten

und verletzten Personen in den letzten 25 Jahren kontinuierlich - wenngleich von

Jahr zu Jahr etwas schwankend - gesunken ist, und zwar (seit 1972) die Zahl der

Getöteten um fast 60 %, die Zahl der Verletzten um mehr als 30 %, und dies bei lau -

fend steigendem Verkehrsaufkommen. Zudem ist in den letzen Jahren auch der

Prozentanteil  der „Trunkenheitsunfälle“ an den Straßenverkehrsunfällen mit Perso -

nenschaden nach der vom Österreichischen Statistischen Zentralamt herausgege -

benen Unfallstatistik zurückgegangen, und zwar zwischen 1985 und 1996 von

12,6 % auf 7,9 % (Unfälle mit Getöteten) bzw. von 9,3 % auf 7,1 % (Unfälle mit Ver -

letzten).

Ich beantworte nun die einzelnen Fragen wie folgt:

Zu 1:

Im Jahr 1996 kam es im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen zu insgesamt 27 Ver -

urteilungen wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter Berauschung nach

§ 81 Z 2 StGB. Die von den Gerichten bei weitem am häufigsten angewendete

Strafart war jene der unbedingten Freiheitsstrafe, die in insgesamt 16 Fällen ver -

hängt wurde. Dabei betrug die Strafdauer in einem Fall zwischen einem und drei

Monaten, in sieben Fällen zwischen drei und sechs Monaten und in acht Fällen zwi -

schen sechs und zwölf Monaten. Die Verhängung anderer Strafarten als jener der

unbedingten Freiheitsstrafe erfolgte in weitaus geringerem Ausmaß und ausschließ -

lich bei nicht vorbestraften Tätern. So wurde in drei Fällen auf eine teilbedingte Frei -

heitsstrafe nach § 43a Abs. 3 StGB erkannt. In zwei Fällen wurden Freiheitsstrafen

(zwischen drei und sechs Monaten sowie zwischen sechs und zwölf Monaten) unter

Gewährung der bedingten Strafnachsicht verhängt. In drei Fällen wurde eine Kombi -

nation von unbedingter Geldstrafe und bedingter Freiheitsstrafe (§ 43a Abs. 2 StGB)

gewählt. Schließlich wurde in drei Fällen eine unbedingte Geldstrafe verhängt. Ein

ähnliches Bild dürfte sich - vorbehaltlich einer genaueren Auswertung der Daten -

auch für die vorangegangenen Jahre ergeben. Hinzuweisen ist aber darauf, daß die

oben genannten Zahlen auf einer Arbeitstabelle „Straßenverkehrskriminalität“ der

Gerichtlichen Kriminalstatistik beruhen, bei der angesichts der relativ kleinen Daten -

menge Verzerrungen durch mögliche Fehler bei der Erfassung der Daten nicht aus -

geschlossen werden können.

Zusammenfassend erscheint bei Analyse der gesamtösterreichischen Statistik die

Spruchpraxis der Gerichte zu § 81 Z 2 StGB im Bereich der Straßenverkehrskrimi -

nalität durchaus ausgewogen. Durch den sehr hohen Anteil an empfindlichen, unbe -

dingt ausgesprochenen Freiheitsstrafen, die in 13 Fällen auch über bis dahin unbe -

scholtene Täter verhängt wurden (was sonst bei Delikten mit vergleichbarer Straf -

drohung kaum der Fall ist), wird deutlich gemacht, daß die Verursachung eines Ver -

kehrsunfalls mit tödlichem Ausgang in alkoholisiertem Zustand keineswegs ein „Ka -

valiersdelikt“ darstellt. Zum anderen zeigt aber das Gesamtbild der Statistik für 1996

doch auch, daß die Gerichte verantwortungsvoll auf Umstände des Einzelfalls (bei -

spielsweise auf eine durch den Unfall erlittene eigene schwere Verletzung des

schuldtragenden Lenkers, ein erhebliches Mitverschulden des Getöteten oder eine

bloß geringe Überschreitung des zulässigen Blutalkoholwerts) Bedacht nehmen und

- wenn auch in weitaus geringerem Maß - in kriminalpolitisch sinnvoller Weise von

gelinderen Sanktionen Gebrauch machen.

Zu 2:

Die Aufgliederung der zu Frage 1 dargestellten Zahlen nach Oberlandesge -

richtssprengeln zeigt ein differenziertes Bild. Unbedingte Freiheitsstrafen wurden

nämlich ausschließlich in den OLG - Sprengeln Wien (13 Schuldsprüche) und Graz

(3 Schuldsprüche) verhängt. Demgegenüber wurde auf andere Sanktionsformen

ausschließlich im Sprengel des OLG Linz erkannt. Im Bereich des OLG - Sprengels

Innsbruck kam es 1996 zu keiner einzigen Verurteilung nach § 81 Z 2 StGB. Berück -

sichtigt man auch die Rechtsprechung zu unter Alkoholeinfluß begangenen fahrläs -

sigen leichten und schweren Körperverletzungen (§ 88 Abs. 1 und 3 zweiter Fall

[§ 81 Z 2], § 88 Abs. 1 und 4 zweiter Fall (§ 81 Z 2] StGB) sowie zur Gefährdung der

körperlichen Sicherheit (§ 89 [[§ 81 Z 1 und 2] StGB), so ergibt sich das Bild einer et -

was strengeren Rechtsprechung in den Sprengeln der OLG Wien und Graz und ei-

ner weniger strengen Rechtsprechung im OLG - Sprengel Linz (wenngleich zur Judi -

katur dieses Sprengels darauf hinzuweisen ist, daß in drei Fällen von Gefährdung

der körperlichen Sicherheit unbedingte Freiheitsstrafen verhängt wurden). Die

Spruchpraxis im Bereich des OLG - Sprengels Innsbruck ließe sich als gemäßigt

streng einstufen.

Diese Bewertung beruht auf der Gerichtlichen Kriminalstatistik für 1996 und gibt da -

her nicht den neuesten Stand wieder. Aus aktuelleren Informationen, nämlich aus

den aus Anlaß dieser Anfrage eingeholten Berichten der Staatsanwaltschaften, er -

gibt sich, daß in nahezu sämtlichen Landesgerichtssprengeln die unbedingte Frei -

heitsstrafe im Ausmaß von vier Monaten bis zwei Jahren als übliche Sanktion einer

im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluß begangenen fahrlässigen Tötung angese -

hen wird. Darüber hinaus zeichnen sich gerade im OLG - Sprengel Linz Tendenzen

zu einer vermehrten Verhängung unbedingter Freiheitsstrafen ab. Aus dem als be -

sonders streng geltenden OLG - Sprengel Wien wird andererseits auch über die Ver -

hängung von Freiheitsstrafen unter Gewährung der bedingten Strafnachsicht und

von Geldstrafen in berücksichtigungswürdigen Einzelfällen berichtet.

Zu 3:

Unterschiede in der Spruchpraxis der einzelnen OLG - Sprengel beschränken sich

nicht auf den Bereich der unter Alkoholeinfluß begangenen Verkehrsstraftaten. Auf

ein gewisses „Ost - West - Gefälle“ bei der Strafbemessung und - jedenfalls vor dem

Strafprozeßänderungsgesetz 1993 - auch in der Praxis bei der Verhängung der Un -

tersuchungshaft wurde bereits wiederholt aufmerksam gemacht. Es zeigt sich aber -

und darauf hat das Bundesministerium für Justiz bei diesen Gelegenheiten stets hin -

gewiesen - , daß die in Westösterreich gehandhabte, weniger strenge Praxis nicht

etwa zu einem Ausufern der Kriminalität oder zu einer höheren Rückfallsrate geführt

hat, sondern daß allfällige Unterschiede in der Praxis sowohl general- als auch spe-

zialpräventiv erträglich sind.

Dies läßt sich auch im gegebenen Zusammenhang statistisch belegen: So weist die

Polizeiliche Kriminalstatistik 1996 bei den fahrlässigen Tötungen im Straßenverkehr

für Tirol eine durchschnittliche und für Vorarlberg - abgesehen von Wien, das wegen

der spezifischen Verkehrssituation hier wohl außer Betracht zu bleiben hat - insge -

samt die niedrigste Häufigkeitszahl aus, während das Burgenland eine überdurch -

schnittlich hohe und Niederösterreich die höchste Häufigkeitszahl zu verzeichnen

haben. Es ist wohl - gerade auch für den Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte - davon

auszugehen, daß sich die general - und spezialpräventiv gebotene Wirksamkeit der

Sanktionierung nicht nur durch unbedingte Freiheitsstrafen erreichen läßt. Bei Ver -

kehrsunfällen unter Alkoholeinfluß und mit schweren Folgen kommt hinzu, daß letz -

tere nur in einem sehr geringen Anteil der Fahrten unter Alkoholeinfuß eintreten und

in hohem Maß von zufallsbedingten Begleitumständen abhängen; generalpräventiv

orientierte Maßnahmen müssen daher im wesentlichen auf die Vermeidung von „Al -

koholfahrten“ als solchen ausgerichtet werden.

Aus meiner Sicht besteht sohin kein Einwand dagegen, daß die Gerichte auch für

den Bereich der fahrlässigen Tötung unter Berauschung je nach der Lage des Ein -

zelfalls, insbesondere nach Maßgabe der individuellen Erschwerungs- und Milde-

rungsgründe, unterschiedliche Sanktionsformen zur Anwendung bringen. Dies ent -

spricht den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs zur Strafbemessung

und den von Lehre und Judikatur hiezu entwickelten Grundsätzen. Dessen unge -

achtet ist freilich aus der Überlegung heraus, daß Straftäter unabhängig vom Ort der

Tatbegehung mit einer möglichst vergleichbaren Sanktionierung ihres Verhaltens zu

rechnen haben sollten, eine zu sehr nach OLG - Sprengeln differierende Spruchpra -

xis der Gerichte nicht wünschenswert.

Zu 4:

Auf Grund der verfassungsgesetzlichen Trennung von Justiz und Verwaltung gibt es

keine direkten Einwirkungsmöglichkeiten des Bundesministeriums für Justiz auf die

Spruchpraxis der österreichischen Gerichte. Eine indirekte Möglichkeit des Hinwir -

kens auf eine einheitlichere Spruchpraxis bestünde allenfalls in der Ausübung des

dem Bundesministerium für Justiz gegenüber den Staatsanwaltschaften zustehen -

den Weisungsrechts. Zum einen kann allerdings auch dieses Instrument keine Ge -

währ dafür bieten, daß es tatsächlich zu einer Änderung der Rechtsprechung in dem

gewünschten Sinn kommt, und zum anderen sollte es aus grundsätzlichen Erwä -

gungen zurückhaltend ausgeübt werden.

Zu 5:

Angesichts der im OLG - Sprengel Linz erkennbaren Tendenz zur vermehrten Ver -

hängung unbedingter Freiheitsstrafen in Fällen der fahrlässigen Tötung unter Berau -

schung und der für den OLG - Sprengel Wien ersichtlichen Bereitschaft, in flexibler

Weise auf Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen und dementsprechend

auch andere Sanktionen als unbedingte Freiheitsstrafen zu verhängen, wird das

Bundesministerium für Justiz die weitere Entwicklung der Spruchpraxis in den ein -

zelnen OLG-Sprengeln, insbesondere unter Zuhilfenahme der Gerichtlichen Krimi -

nalstatistik und der jährlichen Wahrnehmungsberichte der Oberstaatsanwaltschaf -

ten, mit Aufmerksamkeit verfolgen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die jüngst be -

schlossenen, begrüßenswerten „Änderungen des Führerscheingesetzes und der

Straßenverkehrsordnung 1960. Darüber hinaus ist mein Ressort bemüht, durch ge -

eignete Maßnahmen, wie etwa die Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen

oder Besprechungen mit Behördenleitern, auf eine österreichweit möglichst einheitli -

che Spruchpraxis der Gerichte hinzuwirken.