3422/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Schuster und Kollegen haben am 12.12.1997 an

mich eine schriftliche Anfrage mit der Nr. 3475/J betreffend "Die Europäische Union

und die Familie" gerichtet. Auf die - aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit - in

Kopie beigeschlossene Anfrage beehre ich mich, folgendes mitzuteilen:

ad1

Von den fünfzehn EU—Mitgliedsstaaten haben zwei Länder Minister mit ausschließ-

lich familienpolitischer Verantwortung, nämlich Luxemburg und Schweden. Daneben

tragen vier Ministerien den Familienagenden ausdrücklich im Namen Rechnung: das

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutschlands, das

flämische Ministerium für Familie, Sicherheit und Kultur (Belgien), der Hochkommis-

sar für Gleichbehandlung und Familie Portugals und mein Ressort. In den übrigen

Mitgliedsstaaten der Union liegt die Familienpolitik in den Händen von Sozial-,

Arbeits- oder Gesundheitsministern.

ad 2

Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß die Europäische Union weder für Familien-

recht noch für Familienpolitik im engeren Sinne Kompetenzen besitzt.

Zudem ist fraglich, ob eine Harmonisierung unter den Mitgliedsstaaten der EU auf

dem Gebiet der familienpolitischen Aktivitäten in jedem Fall überhaupt wünschens-

wert wäre: Es handelt sich dabei nicht nur um ein relativ inhomogenes Rechtsgebiet,

sondern auch um eine besonders sensible Materie, die im Regelungsbereich der

einzelnen Mitgliedsstaaten verbleiben soll. Auch innerhalb anderer Staatengebilde —

wie beispielsweise in den USA, Kanada und der Schweiz - gibt es aus ebendiesen

Gründen unterschiedliche Familienrechte.

Ein Forum zur Diskussion und zum Austausch (bzw. zur „Überzeugungsarbeit“) über

familienpolitische Maßnahmen, aber auch zur Erarbeitung von Übereinkommen zum

Schutz des Kindes besteht seit langem auf der Ebene des Europarates, dem alle

EU-Beitrittskandidaten angehören. Ich verweise hier nicht zuletzt auf die Europä-

ische Familienministerkonferenz, die im Juni des Vorjahres in Wien unter der

Federführung meines Ministeriums zum Thema „Elternbildung" veranstaltet wurde,

oder auf eine Empfehlung zur „Familienmediation“, die derzeit vom Europarat vorbe-

reitet wird, etc.

Österreich wird allerdings gut beraten sein - und dafür werde ich mich persönlich

einsetzen - bei anderen Maßnahmen der EU, die sehr wohl in ihre Kompetenz fallen

- wie z. B. im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik - auf die Auswirkungen auf

die Familie zu achten, mit anderen Worten auf deren Familienverträglichkeit hinzu-

wirken.

Familienpolitik geht als gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe weit über Sozi-

alpolitik hinaus. Der Vertrag von Amsterdam eröffnet der Union zwar größere sozial-

politische Aktionsmöglichkeiten durch die Eingliederung der Artikel des Abkommens

zur Sozialpolitik in den Titel „Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung und

Jugend“ des EGV. Doch bleiben die Sozialformulierungen der Union im wesentlichen

Arbeitnehmertexte ohne direkten Bezug zu den Problemen außerhalb des Arbeits-

marktes, wie z.B. die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit.

Diesem Umstand Rechnung tragend habe ich die informelle Konferenz der Fami-

lienminister der Union, die aus Anlaß der österreichischen Präsidentschaft im Sep-

tember 1998 in Wien stattfinden wird, unter das Thema „Familie und Beruf‘ gestellt.

Ziel dieser Konferenz ist, eine Charta „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ zu ver-

abschieden.

ad 3 und 4

Ja, die Vertreterin meines Hauses ist Dr. Sigrid Pilz, der Bundesländervertreter ist

Dkfm. Werner Höffinger.

ad 5 und 6

In Ermangelung einer Koordinationsstruktur auf Basis der EU-Verträge hat die

Gruppe der für Familienfragen verantwortlichen Hohen Beamten eine Informations-

und Koordinationsfunktion übertragen bekommen. Neben dem Austausch über

Informationen zu neuen Entwicklungen in den jeweiligen nationalen Familienpolitiken

stehen derzeit u.a. die Machbarkeit einer Datenbank über die Situation der Familien

in Europa und das Projekt der sozio-ökonomischen Berichterstattung in Europa zur

Diskussion.

Die Erweiterung des Kompetenzbereichs des Europäischen Netzwerks „Familie und

Arbeitswelt“ durch ein neues Gebiet „Solidarität zwischen den Generationen“ wird

von mir sehr begrüßt. Im Zuge der Neustrukturierung meines Ressorts habe ich

durch die Schaffung eines kompetenzzentrums Senioren und Bevölkerungspolitik

dem Alterungsprozeß der Gesellschaft Rechnung getragen und erwarte mir aus

einer Fachkonferenz „Altern in Europa“, die im November 1998 in Wien stattfinden

wird, die Erarbeitung von Lösungsmodellen zur Stärkung der Gene-

rationensolidarität.

ad 7

Wie oben erwähnt, soll Familienpolitik aus meiner Sicht auch weiterhin nationale Zu-

ständigkeit sein. Die Erweiterung der Union nach Osten bietet über die Möglichkeit

der Verbesserung der Umweltsituation hinaus die historische Chance auf Frieden,

Stabilität und die Umsetzung der Menschenrechte. Von großer Bedeutung für die

Akzeptanz der Erweiterung durch die öffentliche Meinung wird sein, diese als Berei-

cherung und nicht als Bedrohung darzustellen.

Im Bereich der Familienpolitik wird sich im Zuge der Osterweiterung ein großer Be—

darf an Vernetzung und Zusammenarbeit ergeben, der von meinem Ressort, nach

Maßgabe der vorhandenen finanziellen und personellen Möglichkeiten mitgetragen

wird.