396/AB
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Vereidigung von Zeugen, gerich-
tet und folgende Fragen gestellt:
"1 . Halten Sie die gesetzliche Möglichkeit, Zeugen zu vereidigen, für erforderlich?
2. Halten Sie es in einem säkularen Verfassungsstaat für zeitgemäß, Zeugen bei
''Gott dem Allmächtigen'' schwören zu lassen?
3. Ist lhrer Meinung nach der (mögliche) Zwang zur Ablegung eines religiösen Ei-
des mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit vereinbar, wonach niemand zu
einer religiösen Handlung gezwungen werden darf?
4. Halten Sie es mit den Grundprinzipien eines demokratischen Rechtsstaates
vereinbar, daß durch den religiösen Eid mit der Strafe Gottes gedroht wird?
5. Falls Sie eine der Fragen 1 bis 5 mit ''nein'' beantwortet haben, beabsichtigen
Sie eine Aufhebung bzw Reformierung des Eidgesetzes?
a) Wenn ja, wann und in welcher Form soll das Eidesgesetz reformiert bzw
aufgehoben werden?
b) Wenn nein, wollen Sie, daß das Eidesgesetz 1868 auch noch zu Beginn
des dritten Jahrtausends in Österreich angewendet wird?
6. Falls Sie eine der Fragen 1 bis 5 mit ''ja'' beantwortet haben, begründen Sie
bitte die Antwort(en).
7. Gibt es Untersuchungen und Statistiken, wie häufig und in welcher Form Verei-
digungen von Zeugen erfolgen?
a) Wenn ja, bitte um Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse.
b) Wenn nein, wäre es nicht sinnvoll, eine derartige Untersuchung anzuord-
nen?''
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 bis 6:
Ohne Zweifel hat sich nicht nur die inhaltliche, sondern auch die praktische Bedeu-
tung des gerichtlichen Eides seit dem lnkrafttreten des Eidesgesetzes von 1868
stark gewandelt. Insbesondere wird bei der Ablegung eines Eides heute kaum mehr
dessen sakraler Charakter empfunden; vielmehr wurde der Eid (nicht zuletzt auch
durch die Möglichkeit, ihn durch eine Beteuerung mittels Handschlages zu ersetzen)
zu einem rein prozessualen Beweismittel, das durch den gerichtlichen Straftatbe-
stand des § 288 Abs. 2 StGB ''abgesichert'' ist. Der in einem Prozeß abgeIegte Eid
ist damit eine Art Wahrheitssiegel, mit dem eine Beweisaussage oder eine Parteien-
aussage bekräftigt wird und dadurch an Gewicht gewinnen soll, zumal das zu ge-
wärtigende Strafmaß gegenüber einer ''einfachen'' Falschaussage deutlich erhöht
ist.
Was die Anwendung des Eidesgesetzes in Österreich betrifft, so ist festzuhalten,
daß die Beeidigung von Zeugen in Strafverfahren mit dem Strafprozeßanpassungs-
gesetz 1974 zur Ausnahme wurde (§ 247 Abs. 2 StPO). Der seinerzeitige Präsident
des Handelsgerichtes Wien und spätere Oberlandesgerichtspräsident Dr. Felix Sin-
zinger hat als namhafter Vertreter der Praxis darüber hinaus bereits im Jahre 1973
in einem Aufsatz in der Österreichischen Juristenzeitung ausgeführt, daß in den
Ietzten Jahrzehnten die Rechtsmittelgerichte kaum mit der Frage der Eidesleistung
vor Gericht befaßt worden seien, was er auf die dem Wandel in den religiösen Auf-
fassungen foIgende Praxis der Gerichte zurückführte - eine Praxis, die mit dem Eid
sparsam umgehe und niemanden zwinge, bei der Eidesleistung Worte und Förm-
lichkeiten zu gebrauchen, die seinen religiösen oder weltanschaulichen Auffassun-
gen widersprächen: Es werde zwar grundsätzlich an der Eidesformel des Eides ge-
setzes und den dort vorgesehenen Förmlichkeiten festgehalten; wenn sich der
Schwörende dagegenstelle, entfielen jedoch die Anrufung Gottes und der Schwur
vor Kreuz und Kerzen bzw. auf die Thora; bei Nichtgläubigen begnüge man sich mit
einem Handschlag und der Schwurformel: ''lch schwöre einen reinen Eid, daß ...''.
Wohl auch im Hinblick auf diese weithin geänderte Praxis hat sich der in den Jahren
1974 bis 1983 im Bundesministerium für Justiz tätige Arbeitskreis für Grundsatzfra-
gen einer Erneuerung des Strafverfahrensrechts in diesem Sinn für eine Abschaf-
fung der Beeidigung als soIcher ausgesprochen.
Mit einer allfälligen Abschaffung der Beeidigung wäre aber die Frage, ob es in ge-
richtlichen Verfahren (weiterhin) unter bestimmten Voraussetzungen eine Form der
feierlichen Bekräftigung von Aussagen - und eine damit verbundene erhöhte Straf-
drohung für unter solchen Umständen abgelegte Falschaussagen - geben soll, noch
nicht beantwortet.
Ein Blick über die Grenzen zur Frage einer besonderen Bekräftigung einer Aussage
zeigt, daß beispielsweise in DeutschIand Zeugen grundsätzlich (mit oder ohne reli-
giöse Beteuerung) vereidigt werden oder eine eidesgleiche Bekräftigung ablegen
müssen, sofern eine Vereidigung nicht unzulässig ist oder von ihr abgesehen wird.
Eine unter Eid bzw. Wahrheitsbekräftigung abgelegte Falschaussage ist auch nach
dem deutschen Strafgesetzbuch mit höherer Strafe bedroht als eine unbeeidete fal-
sche Aussage. Auch im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte ist eine Vereidigung oder feierliche Erklärung vor jeder Zeugenaussage
vorgesehen.
Zur Rechtsentwicklung in Österreich möchte ich ergänzend darauf verweisen, daß
im Jahre 1991 der Offenbarungseid im Exekutionsverfahren und im lnsolvenzverfah-
ren durch ein ohne eidliche Bekräftigung zu unterfertigendes Vermögensverzeichnis
ersetzt wurde. Die Abgabe eines falschen Vermögensverzeichnisses ist danach wei-
terhin gerichtlich strafbar (§ 292a StGB), steht jedoch unter einer erheblich niedrige-
ren Strafdrohung.
Das Bundesministerium für Justiz wird die Frage einer Reform des Eidesrechts un-
ter Berücksichtigung der aufgezeigten Gesichtspunkte in die schrittweise Erneue-
rung zivil- und strafverfahrensrechtlicher Vorschriften einbeziehen.
Zu 7:
Eine Statistik über die Vereidigung von Zeugen liegt nicht vor. Die Durchführung ei-
ner eigenen Untersuchung halte ich angesichts des Mißverhältnisses zwischen dem
Arbeitsaufwand - selbst im Fall einer ''stichprobenartigen'' Untersuchung müßten je-
weils insbesondere die Vernehmungs- und Verhandlungsprotokolle in mehreren
hundert Gerichtsakten durchgesehen werden - und der Aussagekraft einer solchen
Statistik nicht für zweckmäßig.
Wieviele Personen nach dem erhöhten Strafsatz des § 288 Abs. 2 StGB (Falschaus-
sage unter Eid) verurteilt wurden, ist in der Gerichtlichen Kriminalstatistik nicht aus-
gewiesen; diese vom Österreichischen Statistischen Zentralamt jährlich herausge-
gebene Statistik enthält nur die Gesamtzahl der Verurteilungen wegen falscher Be-
weisaussage (§ 288).