5471/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Rauch - Kallat und Kollegen haben am 16. Februar
1999 unter der Nr. 5748/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betref -
fend Atomkraftwerke Mochovce und Temelin gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 4:
Es ist darauf hinzuweisen, daß der Endbericht zur Begehung des Kernkraftwerks
Mochovce durch das internationale Expertenteam ohne Mitwirkung der slowakischen
Seite fertiggestellt werden mußte. Weiters ist zu betonen, daß die Schlußfolgerungen
von diesem internationalen Expertenteam gemeinsam erarbeitet und - entgegen oft -
mals anderslautenden Behauptungen - vom gesamten Team getragen wurden.
Diese Schlußfolgerungen hielten eine Reihe von erheblichen Verbesserungen fest,
wiesen jedoch auch auf bestehende Mängel bzw. noch zu lösende offene Fragen
hin.
Bezüglich der Frage der Sicherheit des Reaktordruckgefäßes haben sich Österreich
und die Slowakei - wie bekannt - darauf verständigt, diese Frage von einer unab -
hängigen, von
der IAEO ausgewählten Expertengruppe prüfen zu lassen. Diese Ex -
perten kamen zu dem Schluß, daß das Reaktordruckgefäß auch für die geplante
Lebensdauer sicher sei, sofern alle angekündigten Sicherheitsmaßnahmen gesetzt
würden. Somit wird seitens der Bundesregierung - insbesondere im Rahmen des
bijateralen "Nuklearinformationsabkommens", für das der Bundesminister für aus -
wärtige Angelegenheiten federführend zuständig ist - in Zukunft darauf zu achten
sein, daß diese Sicherheitsmaßnahmen auch tatsächlich gesetzt werden. Unbe -
schadet dessen bleibt die Tatsache, daß die einschlägigen Unterlagen Österreich
nicht zugänglich gemacht wurden, unbefriedigend, auch wenn hinsichtlich der Fach -
kompetenz der von der IAEO ausgewählten Experten keine Zweifel geltend gemacht
werden.
Darüber hinaus besteht, wie auch im Anfragetext angeführt, eine Reihe weiterer
Sicherheitsbedenken bzw. offener Fragen. Vor einer erneuten Beurteilung sind je -
doch die Ergebnisse der beiden IAEO - Missionen, die im Herbst 1998 das Kern -
kraftwerk Mochovce besucht haben, ebenso abzuwarten wie die Ergebnisse jenes
Konsortiums, das im Auftrag der Europäischen Kommission - finanziert aus Phare -
Mitteln - die slowakische Aufsichtsbehörde beim Genehmigungsverfahren unter -
stützt.
Sobald die genannten Studien und Berichte in ihrer Endfassung vorliegen, wird eine
Neubewertung der Situation vorzunehmen sein. Bis dahin werden jedenfalls seitens
der österreichischen Bundesregierung die bekannten Vorbehalte aufrecht zu halten
sein.
In diesem Zusammenhang haben sowohl der Herr Bundeskanzler, der Bundes -
minister für auswärtige Angelegenheiten als auch ich selbst bei unseren ersten Kon -
takten mit der neuen slowakischen Regierung die Bedeutung von Offenheit und
Transparenz
unterstrichen. So hat auch vor wenigen Tagen ein informelles Treffen
auf Expertenebene zwischen Konsulenten der Bundesregierung, Vertretern des von
der Europäischen Kommission beauftragten Konsortiums sowie Vertretern der Auf -
sichtsbehörde der Slowakischen Republik in Wien stattgefunden , das - wie mir
berichtet wurde - sehr sachlich und konstruktiv verlaufen ist.
Die Erfahrungen des vergangen Jahres haben auch deutlich gemacht, daß zur Wah -
rung der österreichischen Interessen eine Europäisierung des Themas unverzichtbar
ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat Österreich während seiner EU - Präsident -
schaft alle Anstrengungen unternommen, um eine klare Positionierung der Euro -
päischen Union insgesamt zu bewirken. Mit den „Schlußfolgerungen des Rates zu
den Beitrittsstrategien für die Umwelt“ und den „Schlußfolgerungen des Rates zur
nuklearen Sicherheit im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen
Union“ hat die Europäische Union unter der österreichischen Präsidentschaft klar -
gestellt, daß nicht nachrüstbare Kraftwerke - darunter sind die Reaktoren der ersten
Generation in Ignalina, Kosloduj und Bohunice zu verstehen - ehestmöglich stillge -
legt und daß alle anderen Anlagen dem Stand der Technik in der Union angepaßt
werden müssen. Dieser Stand der Technik wird nicht nur hinsichtlich der einge -
setzten Technologie, sondern auch hinsichtlich der Betriebsführung und der Auf -
sichtsbehörden gefordert.
Die Stärkung der nationalen Aufsichtsbehörden wird von Österreich auf Europä -
ischer Ebene bereits seit Jahren als erstrangiges Ziel verfolgt. Anzumerken ist, daß
die Notwendigkeit der Stärkung der Aufsichtsbehörde gerade in der Slowakischen
Republik auch von der Europäischen Kommission wiederholt unterstrichen wurde.
Derzeit ist es vor allem wesentlich, diese Positionen der Europäischen Union in den
vielfältigen Beziehungen mit den beitrittswilligen Ländern zur Sprache zu bringen
und einschlägige Bemühungen dieser Länder einzumahnen, wie dies laufend in
enger Abstimmung zwischen dem Bundesministerium für auswärtige Angelegen -
heiten und dem
Bundeskanzleramt geschieht.
Zu den Fragen 5 und 6:
Im Hinblick auf den extrem knappen Zeitplan der internationalen Expertenkom -
mission, die von der Regierung der Tschechischen Republik zur Evaluierung der
Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelin eingesetzten wurde - die österreichischen
Experten konnten erstmals an der Sitzung am 7. Jänner 1999 teilnehmen, die bei
dieser Sitzung vereinbarten Fachbeiträge waren bis zum 18. Jänner 1999 vorzu -
legen - mußte auf bereits bestehende Studien und Analysen zurückgegriffen werden.
Dennoch gelang es den österreichischen Experten, eigene Fachbeiträge zu erstellen
und fristgerecht zu übermitteln.
Diese österreichischen Beiträge ermöglichten einen Systemvergleich zwischen der
Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelin einerseits und einem sukzessiven Zubau
von GuD - Einheiten (kombinierter Gas - und Dampfturbinenprozeß mit Kraft -Wärme -
Kopplung) in Kombination mit verbraucherseitigen Maßnahmen anderseits. Dieser
umfassende Systemvergleich konnte nur deshalb erstellt werden, weil die beteiligten
lnstitutionen auf umfangreiche Erfahrung mit Least - Cost - Studien im Zusammenhang
mit Mittel- und Osteuropäischen Ländern aufbauen konnten. Dieser Systemvergleich
ergibt eindeutig, daß unter gesamtenergiewirtschaftlichen Gesichtspunkten in
verschiedensten Szenarien jene Strategie zu überlegen ist, in der eine schrittweise
und an der tatsächlichen Bedarfsentwicklung orientierte Umrüstung bestehender -
und zu einem erheblichenTeil ohnedies zu sanierender - Heizwerke in Kraft - Wärme -
Kopplungs - Anlagen - beziehungsweise der Zubau solcher Anlagen - mit einer
Verbesserung der Effizienz der Energienutzung kombiniert wird.
Es ist darauf hinzuweisen, daß die österreichischen Beiträge vollinhaltlich als An -
hang in den Endbericht übernommen und die Kernaussagen auch in den Haupt -
bericht eingearbeitet wurden. Festzuhalten ist auch, daß die von den österreichi -
schen Experten eingebrachten Berechnungen und Standpunkte von einem Großteil
der tschechischen
Experten letztlich geteilt wurden.
Auch die auf meine Initiative hin am 9. und 10. März 1999 in Baden abgehaltene
Auftaktkonferenz zu einer tschechisch - österreichischen Energiepartnerschaft ergab
eine Vielzahl von Ansätzen und Ideen für zukunftsweisende nicht - nukleare Stra -
tegien, zeigte aber auch, daß tragfähige Konzepte nur gemeinsam mit dem be -
troffenen Land entwickelt werden können.
Da jedoch nach wie vor davon auszugehen ist, daß das Ergebnis der Kommissions -
arbeit nicht die für eine Entscheidung derartiger Tragweite nötige Tiefe erreichen
konnte, hat sich der Herr Bundeskanzler bereits am 1. März 1999 in einem Schrei -
ben an den Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik gewandt, in dem auch
auf die europäische Dimension insbesondere der Sicherheitsfrage hingewiesen wird.
Ich selbst habe am 12. März 1999 den Bundesminister für auswärtige Angelegen -
heiten schriftlich gebeten, auf diplomatischem Wege an die Regierung der Tsche -
chischen Republik zu appellieren, eine neue internationale Expertenkommission
einzusetzen, deren Aufgabe darin bestünde, verschiedene - zu einer Fertigstellung
des KKW Temelin alternative - Szenarien bis zur Entscheidungsreife zu entwickeln.
Am 16. März habe ich mich dann direkt an den Umweltminister der Tschechischen
Republik gewandt und ihm nochmals Österreichs Unterstützung für die Konkretisierung
und Präzisierung einer nicht - nuklearen Energiestrategie zugesichert.
Am 22. März 1999 hat die Regierung der Tschechischen Republik die in der
Angelegenheit befassten Minister beauftragt, bis Ende April 1999 Strategien und
Folgenabschätzungen sowohl für die Fertigstellung als auch für die Einstellung des Baus
des KKW Temelin vorzulegen. Dem Umweltminister der Tschechischen Republik, Dr.
Milos Kuzvart, wurde die Federführung hinsichtlich der Option der Baueinstellung
übertragen. Dieser hat umgehend eine ad - hoc Arbeitsgruppe eingesetzt, die sowohl
Fachleute seines
Hauses als auch externe Experten umfaßt.
Am 29. März bin ich mit dem deutschen Umweltminister Jürgen Trittin in Bonn
zusammengetroffen und habe diesen über die Lage in Temelin informiert und ihn erneut
ersucht, gemeinsam mit der gesamten deutschen Bundesregierung eine aktive Rolle - wie
sie auch von Österreich vertreten wird - einzunehmen.
Bei einem Arbeitsgespräch am 6. April mit dem Umweltminister der Tschechischen
Republik in Wien, an dem auch der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie
teilgenommen hat, wurden von unserer Seite folgende Experten der ad hoc Arbeitsgruppe
von Umweltminister Kuzvart beigestellt:
Für den Bereich liberalisierter Strommarkt und Auswirkungen auf den Strommarkt der
Tschechischen Republik Univ. - Prof. Dr. Manfred Heindler, Leiter der
Energieverwertungsagentur sowie Dir. Dr. Josef Heizinger, Linzer Stadtwerke.
Für den Bereich ,,Stranded costs“ RA Dr. Christoph Herbst.
Für den Bereich Nachnutzung des Bauplatzes (Konservierung oder Liquidierung des
Kraftwerkes, Errichtung einer Industriezone, etc.) beabsichtige ich in Zusammenarbeit mit
weiteren fachzuständigen Bundesministerien bis zum 25. April 1999, wie von Minister
Kuzvart erbeten, ein erstes Konzept für eine Standortnutzung und die Verwertung bislang
getätigter Investitionen zu übermitteln.