5846/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Schuster, Ellmauer und Kollegen haben am
22. April 1999 unter der Nr. 6139/J an mich eine schriftliche parlamentarische
Anfrage betreffend Anti - Atom - Politik Österreichs in Bezug auf Temelin gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, daß ich als Bundesministerin für Frauenange -
legenheiten und Verbraucherschutz für Angelegenheiten des Strahlenschutzes und
der nuklearen Sicherheit verantwortlich bin, die umfassenden Aktivitäten der öster -
reichischen Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Temelin
jedoch die Zuständigkeiten zahlreicher Bundesminister betreffen. Insbesondere ver -
weise ich auf die Zuständigkeiten des Bundesministers für auswärtige Angelegenhei -
ten, des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten und des Bundesmini -
sters für Umwelt, Jugend und Familie. Meine Antworten stützen sich daher auch auf
Informationen, die mir von den im Gegenstand berührten Bundesministerien zur Ver -
fügung gestellt wurden.
Zu Frage 1:
Ohne die einzelnen Aktivitäten jetzt detailliert aufzählen zu wollen, möchte ich hier
nur einige wesentliche herausnehmen. Am 6. April haben der tschechische
Umweltminister KUZVART, der Minister für Umwelt, Jugend und Familie und ich die
Details der österreichischen Unterstützung für die von Minister KUZVART
vorzulegende Analyse der Folgen einer Einstellung des Baus des Kernkraftwerks
Temelin vereinbart.
Trotz der extrem kurzen Bearbeitungszeit ist es uns gelungen, in der Zeit zwischen
dem 19. und 25. April der tschechischen Seite eine ,,Energiewirtschaftliche
Stellungnahme zum möglichen Baustopp von Temelin“, verfaßt von
Universitätsprofessor Dr. M. HEINDLER, Direktor Dr. J. HEIZINGER und anderen,
einschließlich einer Analyse von Kosten verschiedener Energiesysteme, erstellt vom
Umweltbundesamt, ein „Gutachten zur Anerkennung des Kernkraftwerks Temelin als
,,Stranded Costs“, verfaßt von Rechtsanwalt Dr. Christoph HERBST, sowie
„Basisüberlegungen zu einer alternativen Nutzung des Standortes Temelin“, aus -
gearbeitet vom Österreichischen Institut für Raumplanung, zu übermitteln.
Darüber hinaus habe ich mich zwischen dem 9. und dem 13. April schriftlich an die
Landeshauptleute von Wien, Niederösterreich und Oberösterreich sowie an die Bun -
desminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, für auswärtige Angelegenheiten, für
Finanzen, für Wissenschaft und Verkehr und für Arbeit, Gesundheit und Soziales
gewandt und sie gebeten, jeweils in ihrem Kompetenzbereich komplementäre Akti -
vitäten zu setzen bzw. die bereits begonnenen Aktivitäten weiterhin zu unterstützen.
In den folgenden Tagen haben sich die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und
Soziales, der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr sowie der Bundes -
minister für Inneres schriftlich an ihre jeweiligen Ressortkollegen gewandt. Wie mir
berichtet wurde, hat auch der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten
wiederholt interveniert.
Am 6. Mai 1999 habe ich mich erneut - wiederum gemeinsam mit dem Bundesmini -
ster für Umwelt, Jugend und Familie - schriftlich an den Tschechischen Umweltmini -
ster KUZVART gewandt und ihn erneut der weiteren Unterstützung Österreichs ver -
sichert.
Der Herr Bundeskanzler selbst hat sowohl schriftlich als auch persönlich den
Premierminister der Tschechischen Republik darauf hingewiesen, daß die
Argumente für einen sofortigen Baustopp gegenüber jenen für einen Weiterbau bei
weitem überwiegen. Darüber hinaus hat auch der Herr Bundeskanzler Österreichs
Bereitschaft zur Unterstützung für eine zukunftsverträgliche und kernenergiefreie
Energieversorgung der Tschechischen Republik unterstrichen.
Bei all diesen Interventionen standen die ökonomischen Aspekte sowie die positiven
Auswirkungen eines Verzichts auf die Fertigstellung des Kernkraftwerks Temelin im
Vordergrund. Ich betone aber, daß die Regierung der Tschechischen Republik schon
früher - sowohl auf diplomatischem Wege als auch in einem Schreiben des Herrn
Bundeskanzlers an den Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik - auf die
europapolitischen Aspekte der Angelegenheit und mögliche Auswirkungen auf den
Beitrittsprozess aufmerksam gemacht wurde.
Zu den Fragen 2 bis 5:
Zunächst erinnere ich daran, daß auf meine Initiative hin eine tschechisch - österrei -
chische Energiepartnerschaft vereinbart und mit einer Auftaktkonferenz auf Exper -
tenebene am 9. und 10. März 1999 auch ganz konkret gestartet wurde. Auch wenn
diese Energiepartnerschaft langfristig in beiderseitigem Interesse und zum beider -
seitigen Nutzen angelegt ist, ergaben bereits die ersten Kontakte eine Fülle vielver -
sprechender energiewirtschaftlicher Optionen.
Allerdings haben bereits die Beiträge der von der Bundesregierung in die „Temelin
Kommission" der tschechischen Regierung entsandten österreichischen Experten
überzeugend dargelegt, daß unter gesamtenergiewirtschaftlichen Gesichtspunkten in
verschiedenen Szenarien jene Strategie zu überlegen ist, in der eine schrittweise
und an der tatsächlichen Bedarfsentwicklung orientierte Umrüstung bestehender -
und in einem erheblichen Ausmaß ohnedies zu sanierender - Heizwerke in Kraft -
Wärme - Kopplungs - Anlagen (KWK) bzw. der Zubau solcher Anlagen mit einer
Verbesserung der Effizienz der Energienutzung kombiniert wird. Eine solche
Strategie, die wohl den realen Gegebenheiten des europäischen Binnenmarktes,
aber auch den Unsicherheiten in den Prognosen über die zukünftige Entwicklung
des Stromverbrauchs am besten entspricht, ist am ehesten dazu angetan, langfristig
Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung zu sichern. Auf diesen Ansatz wurde in
den vielfältigen österreichischen Interventionen wiederholt verwiesen.
Angesichts der sehr unterschiedlichen Ansichten über die zukünftige Energiepolitik
innerhalb der Regierung der Tschechischen Republik liegt hiezu bis heute keine
offizielle Reaktion der Tschechischen Regierung vor. Das Ergebnis der Abstimmung
am 12. Mai zeigt jedoch, daß sich zahlreiche Mitglieder der Regierung der Tsche -
chischen Republik unserem Standpunkt angeschlossen haben.
Hinsichtlich konkreter Finanzierungsmöglichkeiten weise ich darauf hin, daß die Erar -
beitung von Finanzierungskonzepten konkrete Projekte voraussetzt. Ich betone aber,
daß ich - und soweit mir bekannt, auch alle involvierten Mitglieder der österreichi -
schen Bundesregierung - nie einen Zweifel daran gelassen habe, daß Österreich
bereit ist, eine zukunftsweisende Energiestrategie der Tschechischen Republik mit
allen Kräften - auch mit finanziellen Mitteln, wo dies erforderlich sein sollte - zu
unterstützen. Ich selbst habe diese Bereitschaft durch die Zusage von Startfinan -
zierungen für ausgewählte Projekte anläßlich der Auftaktkonferenz zur Energiepart -
nerschaft unter Beweis gestellt.
Zu Frage 6:
Ohne hier alle Studien der vergangenen Jahre nochmals aufzählen zu wollen, ist in
Ergänzung zu den in der Beantwortung zu Frage 1 angeführten Arbeiten der bereits
kurz erwähnte Beitrag der von Österreich in die „Temelin Kommission“ nominierten
Experten mit dem Titel "Comments for the ‚Team for the Evaluation of the Project of
the Temelin Nudear Power Plant“‘ zu erwähnen, der von Universitätsprofessor
Dr. M. HEINDLER und Direktor Dr. J. HEIZINGER in Zusammenarbeit mit einer
Reihe weiterer namhafter Fachleute erstellt wurde.
Zu Frage 7:
Heute sind - im Gegensatz zur Situation vor etwa einem Jahr - bereits zahlreiche
Regierungsmitglieder sowie weite Kreise der Bevölkerung der Tschechischen Repu -
blik von der Sinnlosigkeit dieses Kernkraftwerks überzeugt. Ich meine, daß diese
Entwicklung ein Verdienst der konsequenten und unermüdlichen Arbeit zahlreicher
Mitglieder der österreichischen Bundesregierung ist. Es ist natürlich auch ein Ver -
dienst anderer Gebietskörperschaften, vor allem aber jener engagierten Bürgerinnen
und Bürger in der Tschechischen Republik wie in Österreich, die - wie ich - in all den
Jahren die Hoffnung nicht aufgegeben haben, doch noch einen Meinungsum -
schwung herbeizuführen. So sind auch die Argumente, die heute gegen die Fertig -
stellung des Kernkraftwerks Temelin und für zukunftsweisende andere Optionen
vorgebracht werden können, nicht zuletzt das Verdienst österreichischer Aktivitäten.
Die knappe Entscheidung der tschechischen Regierung vom 12. Mai 1999 ist für
mich Ansporn, meine Aktivitäten mit großer Entschlossenheit fortzusetzen.
Darüber hinaus plant die österreichische Bundesregierung bis Ende Juni einen
diesbezüglichen Aktionsplan zu verabschieden, der auch Kernkraftwerke in anderen
Staaten umfassen soll.