732/AB

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Öllinger, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Maßnahmen der Bundesregierung bezüglich Sekten und destruktiven Kulten, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

 

1.    Weiche rechtlichen Maßnahmen werden zum Schutz potentieller Opfer und zum Schutz der um Aufklärung bemühten Personen ergriffen?

 

2.    Inwiefern wurden die strafrechtlichen Bestimmungen überprüft und was war das Ergebnis dieser Prüfung?"

 

 

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

 

Zu 1 und 2:

 

Sekten und destruktive Kulte stehen seit einiger Zeit im Licht der öffentlichen Auf­merksamkeit, wie nicht zuletzt eine Reihe parlamentarischer Anfragen zu diesem" Thema beweist.  Im Hinblick auf die publik gewordenen Praktiken mancher Sekten und angesichts der negativen Auswirkungen, die daraus für einzelne Sektenmitglieder entstehen, wird vielfach eine stärkere Einflußnahme des Staates verlangt.  Die Forderung nach einem geeigneten Schutz potentieller Sekten-Opfer steht aber in

 

einem latenten Spannungsverhältnis zur verfassungsrechtlich gewährleisteten Reli­gions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit.  Der Staat ist deshalb nicht ohne weiteres berechtigt, in diesem sensiblen und höchstpersönlichen Bereich in die Entschei­dungsfreiheit eines mündigen Bürgers einzugreifen.  Andererseits hat der Staat dar­auf zu achten, daß die Freiheit des einzelnen und seine psychische und physische Integrität nicht durch religiöse Vorschriften in unzulässiger Weise beeinträchtigt bzw. verletzt werden.

 

Mitglieder von Sekten stehen daher - wie jedermann - unter dem Schutz des Straf­rechts, wenn sie Opfer von Handlungen mit erheblichem sozialen Störwert werden.  Dieser strafrechtliche Schutz von Sekten-Opfern wurde im Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag des Nationalrates vom 14.  Juli 1994 überprüft.  Hinsichtlich der dabei als relevant festgestellten Straftatbestände verweise ich auf die Anfrage­beantwortung des Herrn Bundeskanzlers zur Anfrage der Abgeordneten zum Natio­nalrat Dr. Höchtl und Kollegen, ZI. 50/J-NR/1996.

 

Der Intention einer umfassenden Aufklärung - als präventive Schutzmaßnahme - ist der Vorentwurf einer neuen "Sekten-Broschüre" verpflichtet, den das Bundesmini­sterium für Umwelt, Jugend und Familie meinem Ministerium zur juristischen Begut­achtung im Hinblick auf eine allfällige zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit aus der Veröffentlichung einer solchen Broschüre übermittelt hatte.  In der von den zuständigen Fachabteilungen des Bundesministeriums für Justiz zu diesem Entwurf gegenüber dem Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie erstatteten Stellungnahme wurde zusammengefaßt ausgeführt, daß keine Gefahr einer zivil­rechtlichen Haftung bestehen dürfte, soweit wahre Tatsachen verbreitet und dabei die Interessen anderer nicht unnötig verletzt werden sowie ein überwiegendes Infor­mationsbedürfnis der Allgemeinheit oder des Mitteilungsempfängers vorliegt.  Diese zivilrechtlichen (Überlegungen sind auch auf private Vereinigungen und Personen.­übertragbar, die sich um Aufklärung im Zusammenhang mit Sekten bemühen, zumal sich eine solche Aufklärungstätigkeit auf ein Allgemeininteresse an umfassender In­formation zu stützen vermag.

 

Der erwähnte Entwurf einer neuen "Sekten-Broschüre" wurde auch in strafrechtli­cher Hinsicht überprüft und für unbedenklich befunden.  Dies ergibt sich zum einen

 

aus der Anwendbarkeit des Entschuldigungsgrundes nach § 114 Abs. 2 StGB; zum anderen wurde darauf hingewiesen, daß für die betreffenden Gruppierungen ange­sichts ihres Wirkens in der Gesellschaft ein ähnlich weiter Spielraum für zulässige Kritik gelten sollte, wie ihn die Rechtsprechung für Politiker und andere im Blickfeld der Öffentlichkeit stehende Personen und Gruppen entwickelt hat.  Ganz allgemein wird um Aufklärung bemühten Personen bei Abgabe von kritischen Werturteilen kein strafbares Verhalten vorgeworfen werden können, soweit das Werturteil nicht exzes­siv ist und sich auf unbestrittene oder erwiesene, wenigstens aber auf gutgläubig behauptete Tatsachen stützt.  Ein darüber hinausgehender Schutz von um Aufklä­rung bemühten Personen in Richtung einer völligen Freistellung von jeglicher Ver­antwortung bzw. einer Garantie, nicht einmal belangt zu werden, kann naturgemäß nicht gewährt werden.