102 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Ausgedruckt am 8. 5. 1996

Regierungsvorlage


Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten

1. TEIL

Allgemeine Bestimmungen

Internationales Gericht

§ 1. Der Begriff „Internationales Gericht“ im Sinne dieses Bundesgesetzes bezeichnet

        1.   das durch die Resolution 827 (1993) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. Mai 1993, BGBl. Nr. 37/1995, errichtete Internationale Gericht für das ehemalige Jugoslawien und

        2.   das durch die Resolution 955 (1994) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. November 1994 errichtete Internationale Gericht für Ruanda,

einschließlich der jeweils nach dem Statut eingerichteten Kammern und Anklagebehörden und der Mitglieder dieser Kammern und Anklagebehörden.

Allgemeiner Grundsatz

§ 2. (1) Die österreichischen Behörden, insbesondere die Gerichte, Staatsanwaltschaften, Strafvollstreckungsbehörden und Sicherheitsbehörden, sind verpflichtet, mit dem Internationalen Gericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und nach Maßgabe der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Statuts und der Verfahrensordnung des Internationalen Gerichtes umfassend zusammenzuarbeiten. Diese Verpflichtung zur Zusammenarbeit besteht insbesondere darin, dem Internationalen Gericht in Österreich vorhandene Informationen und Unterlagen über den Verdacht von Verstößen, die in seine Zuständigkeit fallen, zugänglich zu machen, ihm Rechtshilfe zu leisten sowie Beschuldigte zu überstellen und Verurteilte zum Strafvollzug zu übernehmen.

(2) Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt, finden das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) und die Strafprozeßordnung 1975 (StPO) sinngemäß Anwendung.

Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes

§ 3. (1) Das Internationale Gericht nach § 1 Z 1 ist für die Verfolgung und Bestrafung von Personen zuständig, denen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zur Last liegen, die seit dem 1. Jänner 1991 im Hoheitsgebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, einschließlich ihres Luftraums und ihres Küstenmeers, begangen wurden.

(2) Das Internationale Gericht nach § 1 Z 2 ist für die Verfolgung und Bestrafung von Personen zuständig, denen im Hoheitsgebiet von Ruanda einschließlich des Luftraums begangene Akte des Völkermords und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zur Last liegen, sowie für die Verfolgung und Bestrafung von ruandischen Staatsangehörigen, denen solche im Hoheitsgebiet der Nachbarstaaten Ruandas begangene Akte und Verstöße zur Last liegen. Die Zuständigkeit besteht für Handlungen, die zwischen dem 1. Jänner 1994 und dem 31. Dezember 1994 begangen wurden.

(3) Als schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die vom Internationalen Gericht nach § 1 Z 1 zu verfolgen sind, gelten die in den Artikeln 2 bis 5 des Statuts dieses Gerichtes umschriebenen schweren Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949, BGBl. Nr. 155/1953, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

(4) Als schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die vom Internationalen Gericht nach § 1 Z 2 zu verfolgen sind, gelten die in den Artikeln 3 und 4 des Statuts dieses Gerichtes umschriebenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verletzungen nach Artikel 3 des Genfer Abkommens vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer des Krieges, BGBl. Nr. 155/1953, in der Fassung des Zusatzprotokolls II vom 8. Juni 1977, BGBl. Nr. 527/1982.

Österreichische Gerichtsbarkeit

§ 4. (1) Die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte wird durch die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes nicht ausgeschlossen.

(2) Die österreichische Gerichtsbarkeit entfällt jedoch für Handlungen, derentwegen der Verdächtige vom Internationalen Gericht rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde.

(3) Liegt ein förmliches Ersuchen des Internationalen Gerichtes um Überlassung der Strafverfolgung wegen strafbarer Handlungen vor, die in seine Zuständigkeit fallen, so hat das österreichische Gericht alle zur Sicherung der Person und der Beweise erforderlichen Veranlassungen zu treffen und sodann das Verfahren vorläufig einzustellen und dem Bundesministerium für Justiz eine vollständige Aktenablichtung zum Zweck der Weiterleitung an das Internationale Gericht vorzulegen. Werden Beweisgegenstände angeschlossen, so ist anzuführen, ob auf deren Rückgabe verzichtet wird.

(4) Das österreichische Strafverfahren ist nach endgültiger Entscheidung durch das Internationale Gericht einzustellen. Das Verfahren ist jedoch auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluß fortzusetzen, wenn

        1.   der Ankläger beim Internationalen Gericht beschließt, keine Anklage zu erheben, oder von der Anklage zurücktritt,

        2.   das Internationale Gericht die Anklage nach Prüfung zurückweist oder

        3.   das Internationale Gericht seine Unzuständigkeit feststellt.

Überstellung österreichischer Staatsbürger

§ 5. (Verfassungsbestimmung) Die österreichische Staatsbürgerschaft steht einer Überstellung an das Internationale Gericht nach § 16 oder einer Durchbeförderung nach § 18 nicht entgegen. Dies gilt auch für die Überstellung an einen anderen Staat zur Vollstreckung einer vom Internationalen Gericht verhängten Strafe.

Verkehr mit dem Internationalen Gericht

§ 6. (1) Der Verkehr mit dem Internationalen Gericht findet grundsätzlich unter Vermittlung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten statt. Erledigungsakte sind auch dann unter Vermittlung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten dem Internationalen Gericht zu übermitteln, wenn die Ersuchschreiben des Internationalen Gerichtes den österreichischen Gerichts- oder Verwaltungsbehörden auf anderem Weg zugekommen sind.

(2) Die Gerichte und Staatsanwaltschaften haben an das Internationale Gericht gerichtete Ersuchschreiben und Mitteilungen sowie die Erledigungsakten dem Bundesministerium für Justiz zur Weiterleitung zu übermitteln.

(3) In dringenden Fällen und im Rahmen kriminalpolizeilicher Amtshilfe ist der unmittelbare Verkehr der österreichischen Behörden mit dem Internationalen Gericht oder der Verkehr im Weg der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL zulässig.

(4) Den Ersuchschreiben und Beilagen sind Übersetzungen in die englische oder französische Sprache anzuschließen. Erledigungen von Ersuchen und Sachverhaltsdarstellungen zum Anbot der Überstellung sind nur auf Ersuchen des Internationalen Gerichtes zu übersetzen.

Vorrechte und Immunitäten

§ 7. (1) Den Richtern, dem Leiter der Anklagebehörde und dem Kanzler des Internationalen Gerichtes stehen jene Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen zu, die Diplomaten nach dem Völkerrecht eingeräumt sind.

(2) Das Personal des Anklägers und des Kanzlers genießt die Vorrechte und Immunitäten, die den Bediensteten der Vereinten Nationen nach den Artikeln V und VII des Übereinkommens vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen, BGBl. Nr. 126/1957, eingeräumt werden.

Freies Geleit

§ 8. (1) Personen, die vom Internationalen Gericht aus dem Ausland geladen worden sind, um vor diesem Gericht zu erscheinen, oder deren Anwesenheit am Sitz des Internationalen Gerichtes erforderlich ist, haben zu diesem Zweck das Recht auf freie Durchreise durch das Gebiet der Republik Österreich. Sie dürfen im Inland wegen einer vor ihrer Einreise begangenen Handlung nicht verfolgt, bestraft oder in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt werden.

(2) Die Verfolgung, Bestrafung oder Beschränkung der persönlichen Freiheit wegen einer vor ihrer Einreise begangen Handlung ist aber zulässig, wenn die geladene Person die für die Durchreise angemessene Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet überschreitet, obwohl sie das Gebiet der Republik Österreich tatsächlich verlassen hätte können.

(3) Das freie Geleit entfällt, wenn das Internationale Gericht um die Festnahme der geladenen Person nach §§ 15 oder 16 ersucht.

2. TEIL

Besondere Bestimmungen

ERSTER ABSCHNITT

Ermittlungen und Verhandlungen des Internationalen Gerichtes in Österreich

§ 9. (1) Das Internationale Gericht ist befugt, selbständig Zeugen und Beschuldigte in Österreich zu vernehmen sowie einen Augenschein und andere Beweisaufnahmen durchzuführen, wenn dies dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten unter Angabe der Zeit und des Gegenstandes der Ermittlungen im voraus mitgeteilt wurde und bei der Durchführung der Ermittlungen vom Internationalen Gericht Zwangsmaßnahmen weder angewendet noch angedroht werden. Einer besonderen Zustimmung zur Dienstverrichtung der Mitglieder und Erhebungsbeamten des Internationalen Gerichtes in Österreich bedarf es in diesen Fällen nicht.

(2) Das Internationale Gericht ist befugt, Verhandlungen in Österreich durchzuführen, es sei denn, daß der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten dem wegen schwerwiegender, die Sicherheit der Republik Österreich oder des Internationalen Gerichtes betreffender Bedenken widerspricht.

(3) Die österreichischen Behörden haben die Mitglieder und Erhebungsbeamten des Internationalen Gerichtes bei ihren selbständigen Tätigkeiten in Österreich zu unterstützen. Sie dürfen hiebei Zwangsmaßnahmen nur ergreifen, wenn ein schriftliches Rechtshilfeersuchen vorliegt und die begehrte Rechtshilfe vom österreichischen Gericht angeordnet wurde. Zulässigkeit und Durchsetzung solcher Zwangsmaßnahmen richten sich nach österreichischem Recht.

ZWEITER ABSCHNITT

Rechtshilfe

Verfahrensvorschriften bei der Erledigung von Rechtshilfeersuchen

§ 10. (1) Die Rechtshilfe für das Internationale Gericht ist nach den in Österreich geltenden Vorschriften über die Rechtshilfe in Strafsachen durchzuführen.

(2) Einem Ersuchen des Internationalen Gerichtes um Einhaltung bestimmter Formvorschriften ist dann zu entsprechen, wenn dies mit den Grundsätzen des österreichischen Strafverfahrensrechts vereinbar ist. Die Teilnahme des Verteidigers an allen Rechtshilfehandlungen sowie die Ton- oder Bildaufzeichnung derselben sind immer zu gestatten, wenn dies vom Internationalen Gericht begehrt wird.

(3) Die Mitglieder und Erhebungsbeamten des Internationalen Gerichtes sind auf ihr Ersuchen von Ort und Zeitpunkt der Rechtshilfehandlungen zu verständigen. Sie können auch ohne besondere Bewilligung an der Erledigung des Rechtshilfeersuchens teilnehmen und mitwirken.

(4) Die Erledigung eines Ersuchens des Internationalen Gerichtes um kriminalpolizeiliche Erhebungen oder Auskünfte kann auch ohne Befassung des Gerichtes durch das Bundesministerium für Inneres nach österreichischem Recht vorgenommen werden.

Ladung von Personen

§ 11. (1) Das Internationale Gericht ist befugt, Personen in Österreich Ladungen und andere Aktenstücke unmittelbar im Weg der Post zuzustellen.

(2) Auf Ersuchen des Internationalen Gerichtes hat das österreichische Gericht Zeugen und Sachverständigen, die vor das Internationale Gericht geladen wurden, auf Antrag einen angemessenen Vorschuß auf die Reisekosten anzuweisen. Dieser Vorschuß ist zurückzufordern, wenn der Zeuge oder Sachverständige der Verhandlung vor dem Internationalen Gericht fernbleibt oder seinen Pflichten, die durch die Ladung begründet werden, auf andere Weise nicht nachkommt.

Akteneinsicht und Übermittlung von Aktenabschriften

§ 12. (1) (Verfassungsbestimmung) Auf Ersuchen des Internationalen Gerichtes ist Rechtshilfe durch Übermittlung von Gegenständen, Akten oder Aktenabschriften (Ablichtungen) sowie durch Gewährung von Akteneinsicht zu leisten.

(2) Unterliegen die Akten besonderen Geheimhaltungsvorschriften oder betreffen sie die Sicherheit des Staates, insbesondere im Zusammenhang mit militärischen Erkenntnissen, so hat der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten im Einvernehmen mit der sachlich in Betracht kommenden obersten Verwaltungsbehörde vor der Akteneinsicht oder der Übermittlung der Aktenabschriften zu prüfen, ob die Geheimhaltungsinteressen die Interessen an der Übersendung von Beweismitteln für die internationale Strafverfolgung beträchtlich überwiegen. Ist dies der Fall, so ist das Internationale Gericht um Zusicherung der Geheimhaltung und um Bekanntgabe zu ersuchen, in welcher Weise die Geheimhaltung gewahrt werden wird.

(3) Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten hat im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde zu prüfen, ob die gegebene Zusicherung für die Wahrung der Geheimhaltungsinteressen als ausreichend zu betrachten ist. Die Akteneinsicht oder die Übermittlung von Aktenabschriften ist abzulehnen, wenn die Geheimhaltung nicht gewährleistet werden kann und für den Fall der Offenbarung zu besorgen ist, daß die Sicherheit des Staates oder andere durch besondere Geheimhaltungsvorschriften geschützte Interessen verletzt werden könnten.

DRITTER ABSCHNITT

Fahndung

§ 13. (1) Ersucht das Internationale Gericht um Fahndung zur Festnahme oder erlangen die österreichischen Behörden sonst Kenntnis von einer Haftanordnung dieses Gerichtes, so hat das Bundesministerium für Inneres die gesuchte Person zur Verhaftung im Inland zum Zweck der Überstellung an das Internationale Gericht auszuschreiben, wenn das Ersuchen oder die Haftanordnung die notwendigen Angaben über die gesuchte Person und die ihr zur Last gelegte Tat enthält. Eine Befassung des nach § 26 Abs. 1 ARHG zuständigen Gerichtes kann unterbleiben, wenn die gesuchte Person weder österreichischer Staatsbürger ist noch Grund zur Annahme besteht, daß sie sich in Österreich aufhält.

(2) Wird eine vom Internationalen Gericht gesuchte Person in Österreich ausgeforscht oder festgenommen, so hat das Bundesministerium für Inneres dies im Weg der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL dem Internationalen Gericht mitzuteilen.

VIERTER ABSCHNITT

Überstellungshaft, Überstellung und Durchbeförderung

Anbot der Überstellung

§ 14. (1) Liegen hinreichende Gründe für die Annahme vor, daß eine im Inland betretene Person eine in die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes fallende strafbare Handlung begangen habe, so hat die Staatsanwaltschaft nach Vernehmung der Person durch den Untersuchungsrichter bei diesem die Vorlage einer Sachverhaltsdarstellung an das Bundesministerium für Justiz zu beantragen.

(2) Der Bundesminister für Justiz hat das Internationale Gericht zu befragen, ob die Übertragung der Strafverfolgung und die Überstellung begehrt werden.

(3) Die Vorschriften über das Anbot der Auslieferung nach § 28 Abs. 1 ARHG an den Staat, in dem die strafbare Handlung begangen worden ist, bleiben unberührt.

Vorläufige Überstellungshaft

§ 15. (1) Liegt ein Ersuchen des Internationalen Gerichtes um vorläufige Festnahme vor, so hat der Untersuchungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft die vorläufige Überstellungshaft zu verhängen, wenn auf Grund der vom Internationalen Gericht mitgeteilten Tatsachen hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, daß eine im Inland betretene Person eine in die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes fallende strafbare Handlung begangen habe, welche die Verhängung der Untersuchungshaft (§ 180 StPO) rechtfertigen würde, wenn die strafbare Handlung im Inland begangen worden wäre.

(2) Die vorläufige Überstellungshaft darf nicht verhängt oder aufrechterhalten werden, wenn die Haftzwecke durch eine gleichzeitige Strafhaft, Untersuchungshaft oder Auslieferungshaft erreicht werden können. In diesem Fall hat der Untersuchungsrichter die Abweichungen vom Haftvollzug zu verfügen, die für die Zwecke der vorläufigen Überstellungshaft für das Internationale Gericht unentbehrlich sind. Im übrigen sind auf die vorläufige Überstellungshaft die Bestimmungen der StPO über die Untersuchungshaft anzuwenden.

(3) Der Untersuchungsrichter hat der Sicherheitsbehörde zum Zweck der Unterrichtung des Internationalen Gerichtes im Weg der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL und dem Bundesminister für Justiz unverzüglich Ausfertigungen der Beschlüsse über die Verhängung, Fortsetzung oder Aufhebung der vorläufigen Überstellungshaft zu übersenden.

Überstellungshaft und Anordnung der Überstellung

§ 16.  (1) Liegt eine Haftanordnung des Internationalen Gerichtes auf Grund einer bereits erhobenen Anklage oder ein Ersuchen dieses Gerichtes um Festnahme und Überstellung des Beschuldigten vor, so hat der Untersuchungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Überstellungsverfahren einzuleiten sowie, wenn sich die gesuchte Person noch nicht in Haft befindet, deren Festnahme zu veranlassen, über sie die Überstellungshaft zu verhängen und ihre Überstellung anzuordnen. Im übrigen sind auf die Überstellungshaft von den Bestimmungen der StPO über die Untersuchungshaft die §§ 176, 178, 179 Abs. 1 bis 4 und 183 bis 189 sinngemäß anzuwenden.

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(2) Vor der Entscheidung hat der Untersuchungsrichter die festgenommene Person unverzüglich von der vor dem Internationalen Gericht erhobenen Anklage oder den erhobenen Anschuldigungen zu unterrichten. Ergeben sich erhebliche Zweifel an der Identität der festgenommenen mit der gesuchten Person, so sind geeignete Erhebungen zu veranlassen oder ist das Internationale Gericht um die Vorlage zusätzlicher Unterlagen zu ersuchen.

(3) Gegen Beschlüsse auf Verhängung der Überstellungshaft und auf Anordnung der Überstellung steht nur die Beschwerde nach § 1 Abs. 1 des Grundrechtsbeschwerdegesetzes, BGBl. Nr. 864/1992, zu. Gegen den Beschluß, mit dem die Einleitung des Überstellungsverfahrens oder die Verhängung der Überstellungshaft und die Überstellung abgelehnt werden, steht der Staatsanwaltschaft die binnen drei Tagen einzubringende Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu.

(4) Die Übergabe der festgenommenen Person an das Internationale Gericht hat innerhalb von 14 Tagen ab Verhängung der Überstellungshaft zu erfolgen. Ein inländisches Straf- oder Auslieferungsverfahren steht der Übergabe nicht entgegen. Die Vorlage urschriftlicher Überstellungsunterlagen durch das Internationale Gericht ist nicht erforderlich.

(5) Der Untersuchungsrichter hat unverzüglich die Überstellungshaft aufzuheben und die Anordnung der Überstellung zu widerrufen,

        1.   wenn das Internationale Gericht darum ersucht oder sein Ersuchen sonst widerruft,

        2.   wenn festgestellt wird, daß die festgenommene Person allem Anschein nach mit der gesuchten Person nicht ident ist, oder

        3.   nach Ablauf von 14 Tagen ab Verhängung der Überstellungshaft, wenn innerhalb dieser Frist keine Übergabe der festgenommenen Person an das Internationale Gericht erfolgt.

Übergabe an das Internationale Gericht

§ 17. (1) Der Untersuchungsrichter hat die Sicherheitsbehörde zu beauftragen, die zu überstellende Person unverzüglich dem Internationalen Gericht zu übergeben. Sofern keine schwerwiegenden Sicherheitsbedenken entgegenstehen oder das Internationale Gericht nicht eine andere Art der Übergabe begehrt, ist die zu überstellende Person im Luftweg unter Eskorte österreichischer Beamter zu befördern.

(2) Den Zeitpunkt der Überstellung hat die Sicherheitsbehörde unter Hinweis auf die Haftfrist nach § 16 Abs. 4 dem Internationalen Gericht und den niederländischen Behörden rechtzeitig anzukündigen.

(3) Der Untersuchungsrichter hat eine Ausfertigung des Beschlusses, mit dem die Überstellung angeordnet wird, dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen und diesem auch den Zeitpunkt der Übergabe mitzuteilen.

(4) Der Bundesminister für Justiz teilt die Entscheidung des Untersuchungsrichters auf Überstellung dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten zur Unterrichtung des Internationalen Gerichtes mit.

Durchbeförderung

§ 18. (1) Auf Ersuchen des Internationalen Gerichtes oder eines Staates, der die Vollstreckung einer von diesem Gericht verhängten Strafe übernommen hat, werden Personen durch Österreich durchbefördert und zur Sicherung der Durchbeförderung in Haft gehalten.

(2) Über die Durchbeförderung hat der Bundesminister für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres zu entscheiden. Gegen die Bewilligung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

FÜNFTER ABSCHNITT

Übernahme der Strafvollstreckung

Allgemeine Bestimmungen

§ 19. (1) Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten kann im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz durch eine an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gerichtete Erklärung die Bereitschaft der Republik Österreich bekunden, Personen zur Vollstreckung der vom Internationalen Gericht verhängten Freiheitsstrafen zu übernehmen. Die Erklärung kann hinsichtlich des Zeitraumes der Übernahme zur Vollstreckung befristet und hinsichtlich der Anzahl und der Art der zu übernehmenden Personen beschränkt werden.

(2) Die vom Internationalen Gericht verhängten Freiheitsstrafen werden unmittelbar vollzogen. Auf den Vollzug sind nach Maßgabe der Anordnungen des Internationalen Gerichtes die für den Strafvollzug geltenden Bestimmungen des österreichischen Rechts anzuwenden.

Verfahren zur Übernahme der Strafvollstreckung

§ 20. (1) Hat das Internationale Gericht bestimmt, daß ein Verurteilter die über ihn verhängte Freiheitsstrafe in Österreich zu verbüßen hat, und ersucht es, den Verurteilten zum Strafvollzug zu übernehmen, so ist diese Mitteilung dem Bundesminister für Justiz zuzuleiten.

(2) Der Bundesminister für Justiz darf die Übernahme einer Vollstreckung, die der Erklärung nach § 19 Abs. 1 entspricht, nur ablehnen, wenn sie unvertretbare Nachteile für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung der Republik Österreich nach sich ziehen würde. Bei österreichischen Staatsbürgern darf die Übernahme der Vollstreckung nicht abgelehnt werden. Gegen die Entscheidung des Bundesministers für Justiz ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

(3) Die Entscheidung des Bundesministers für Justiz ist dem Internationalen Gericht mit dem Ersuchen zu übermitteln, Ort und Zeitpunkt der Übergabe des Verurteilten den österreichischen Behörden vorzuschlagen. Die mit der Durchführung der Übernahme des Verurteilten befaßten österreichischen Behörden haben das Einvernehmen mit den Organen des Internationalen Gerichtes und den ausländischen Behörden zu pflegen.

(4) Flieht die verurteilte Person vor Abschluß der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus der Haft, so hat das Vollzugsgericht (§ 16 des Strafvollzugsgesetzes) einen Haftbefehl zu erlassen und die Fahndung einzuleiten. Wird die gesuchte Person in der Folge im Ausland festgenommen, so hat das Gericht auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft die Verhängung der Auslieferungshaft nach § 69 ARHG zu erwirken und dem Bundesminister für Justiz die nach § 68 ARHG erforderlichen Unterlagen zu übermitteln. Der Bundesminister für Justiz hat die Auslieferung zu erwirken, sofern das Internationale Gericht keine andere Entscheidung trifft.

(5) Werden in Österreich Personen festgenommen, die aus dem Vollzug einer vom Internationalen Gericht verhängten Freiheitsstrafe geflohen sind, so ist bei der Überstellung dieser Personen in den Staat, der die Vollstreckung übernommen hat, nach den Bestimmungen über die Überstellung von Personen an das Internationale Gericht vorzugehen.

Spezialität der Vollstreckung

§ 21. (1) Eine zur Vollstreckung einer vom Internationalen Gericht verhängten Freiheitsstrafe übernommene Person darf in Österreich ohne Zustimmung des Internationalen Gerichtes wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen Handlung, auf die sich das Urteil des Internationalen Gerichtes nicht bezieht, weder verfolgt oder bestraft noch in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt oder an einen dritten Staat ausgeliefert werden.

(2) Die Spezialität der Vollstreckung steht einer solchen Maßnahme nicht entgegen, wenn

        1.   sich die Person nach ihrer Entlassung länger als 45 Tage auf dem Gebiet der Republik Österreich aufhält, obwohl sie es verlassen konnte und durfte,

        2.   die Person das Gebiet der Republik Österreich auf welche Weise auch immer verläßt und freiwillig zurückkehrt oder rechtmäßig aus einem dritten Staat zurückgebracht wird oder

        3.   das Internationale Gericht auf die Einhaltung der Spezialität verzichtet.

Berichte über den Strafvollzug

§ 22. Die Justizanstalt, in der der Strafgefangene die vom Internationalen Gericht verhängte Freiheitsstrafe verbüßt, hat dem Bundesminister für Justiz zumindest einmal jährlich und nach Abschluß der Vollstreckung einen Führungs- und Gesundheitsbericht vorzulegen. Dem Bundesminister für Justiz ist umgehend zu berichten, wenn der Strafgefangene vor Abschluß der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus der Haft geflohen ist oder wenn die Vollstreckung aus sonstigen Gründen nicht mehr möglich ist.

Bedingte Entlassung und Begnadigung

§ 23. (1) (Verfassungsbestimmung) Über die bedingte Entlassung oder Begnadigung oder eine Abänderung der Strafe eines vom Internationalen Gericht Verurteilten entscheidet der Präsident des Internationalen Gerichtes.

(2) Alle Anträge auf bedingte Entlassung, Begnadigung oder Abänderung der Strafe sind vom Bundesministerium für Justiz mit einer Mitteilung über die zeitlichen Voraussetzungen nach § 46 des Strafgesetzbuches an das Internationale Gericht weiterzuleiten.

(3) Umstände, die für eine bedingte Entlassung oder Begnadigung sprechen, sind dem Internationalen Gericht von Amts wegen mitzuteilen.

Übertragung der Strafvollstreckung an einen anderen Staat

§ 24. (1) Die übernommene Strafvollstreckung kann mit Zustimmung des Internationalen Gerichtes auf Ersuchen eines dritten Staates diesem übertragen werden.

(2) Einem Ersuchen des Internationalen Gerichtes auf Überstellung eines Strafgefangenen in einen anderen Staat ist umgehend zu entsprechen.

(3) Ersucht ein Strafgefangener um Vollstreckung der über ihn vom Internationalen Gericht verhängten Freiheitsstrafe in einem anderen Staat, so ist sein Ansuchen dem Internationalen Gericht zuzuleiten.

Beendung des Strafvollzuges

§ 25. (1) Teilt das Internationale Gericht mit, daß die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu beenden ist, so ist der Strafgefangene umgehend freizulassen oder der für die Vollziehung fremdenpolizeilicher Vorschriften zuständigen Behörde zu übergeben, sofern nicht ein inländisches Strafverfahren oder ein Auslieferungsverfahren anhängig ist oder Anlaß besteht, ein solches Verfahren einzuleiten.

(2) Die Verfolgung, Bestrafung oder Auslieferung wegen einer vor der Übernahme der Strafvollstreckung begangenen Handlung ist nur nach Maßgabe des § 21 zulässig.

SECHSTER ABSCHNITT

Zivilrechtliche Bestimmungen

Bindung an Entscheidungen des Internationalen Gerichtes

§ 26. (Verfassungsbestimmung) Hat das Internationale Gericht mit rechtskräftigem Urteil den Angeklagten eines Verbrechens schuldig erkannt, durch das ein Opfer Schäden oder Verletzungen erlitten hat, so sind die österreichischen Gerichte bei Klagen des Opfers gegen den Verurteilten insoweit an dieses Urteil gebunden, als es die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Schäden oder Verletzungen feststellt.


Vollstreckung von Rückstellungsentscheidungen


§ 27. Rechtskräftige Entscheidungen des Internationalen Gerichtes auf Rückstellung von Eigentum oder Erträgen aus strafbaren Handlungen gelten als Erkenntnisse auswärtiger Gerichte, die die Bedingung des § 79 Abs. 2 der Exekutionsordnung erfüllen.

Inkrafttreten und Schlußbestimmungen

§ 28. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Juni 1996 in Kraft.

(2) Verweisungen in diesem Bundesgesetz auf andere Rechtsvorschriften des Bundes sind als Verweisung auf die jeweils geltende Fassung zu verstehen.

(3) Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes sind die Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, für Justiz und für Inneres je nach ihrem Wirkungsbereich betraut.

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Probleme und Ziele der Gesetzesinitiative:

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat als Maßnahme bei Bedrohung oder Bruch des Friedens nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen mit seinen Resolutionen 827 (1993) und 955 (1994) Internationale Gerichte für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda geschaffen. Diese Maßnahmen sind für alle Staaten verbindlich und verpflichten sie, mit den Internationalen Gerichten zusammenzuarbeiten. Um den allgemeinen und besonderen Zusammenarbeitsverpflichtungen vollumfänglich nachkommen zu können, ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich.

Grundzüge der Problemlösung:

Zur Erfüllung der Verpflichtungen der Republik Österreich aus den oben angeführten Resolutionen wird die Einführung eines Bundesgesetzes über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten vorgeschlagen. Der allgemeine Teil enthält Regelungen über das grundsätzliche Verhältnis zwischen den österreichischen Gerichten und Behörden einerseits und den Internationalen Gerichten andererseits sowie Bestimmungen über die Grundzüge des anzuwendenden Verfahrensrechtes.

Im besonderen Teil werden Rechtshilfe, Fahndung, Überstellung an das Internationale Gericht und Übernahme der Strafvollstreckung geregelt. Ergänzend dazu werden zivilrechtliche Bestimmungen sowie Vorschriften über selbständige Ermittlungstätigkeiten des Internationalen Gerichtes in Österreich vorgeschlagen.

Alternativen:

Keine.

Kosten:

Die Anwendung der Bestimmungen zur Erfüllung der Österreich treffenden völkerrechtlichen Verpflichtungen wird zu (sehr begrenzten) Mehrausgaben des Bundes führen. Solche Mehrausgaben werden hauptsächlich durch die Bereitschaft zur Übernahme der Strafvollstreckung verursacht. Wenngleich nicht absehbar ist, wie viele Personen von den Internationalen Gerichten zu Freiheitsstrafen verurteilt werden und welche von ihnen die Freiheitsstrafen in Österreich verbüßen werden, so kann davon ausgegangen werden, daß jährlich Kosten für höchstens fünf Strafgefangene zusätzlich anfallen werden. Die Mehrkosten werden demnach 1,5 Millionen Schilling nicht übersteigen.

Die Überstellung von Personen an das Internationale Gericht wird zu keiner Kostensteigerung führen, da ohne Überstellung an das Internationale Gericht nach den geltenden Vorschriften ein Auslieferungsverfahren oder sogar ein inländisches Strafverfahren auf Grund stellvertretender österreichischer Strafgerichtsbarkeit zu führen wäre.

EU-Konformität:

Durch die Vorschläge dieses Gesetzesentwurfes wird EU-Recht nicht berührt, doch hat die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. April 1994, ABl. Nr. C 128/343, zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes die Union und alle Mitgliedstaaten aufgefordert, die Tätigkeit des Gerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien juristisch, politisch, finanziell und praktisch zu unterstützen und zwar insbesondere durch Rechtssetzungsakte, die den Vorkehrungen des Gerichtshofes Wirkungen verleihen, sowie durch Bereitstellung von Infrastrukturen (Haftanstalten).

Erläuterungen


Allgemeiner Teil


1. Der Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien im Jahre 1991 hat zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in den Nachfolgestaaten geführt. Im Zuge dieser Kampfhandlungen sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden, die wegen ihrer Grausamkeit und Unmenschlichkeit weltweite Empörung in der Völkergemeinschaft hervorgerufen haben. Das Krisengebiet am Balkan wurde zunehmend als Bedrohung für den Frieden Europas und den Weltfrieden empfunden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 6. Oktober 1992 mit der Resolution 780 (1992) eine Expertenkommission eingesetzt und diese mit der Untersuchung der Verletzungen des humanitären Völkerrechtes im ehemaligen Jugoslawien beauftragt. Auf Grund der Ergebnisse dieser Kommission entstand die Notwendigkeit, die für die Kriegsverbrechen verantwortlichen Personen durch ein internationales ad-hoc-Gericht aburteilen zu lassen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner 3217. Sitzung am 25. Mai 1993 die Resolution 827 (1993) – kundgemacht im BGBl. Nr. 33/1995 – angenommen und damit nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen die Schaffung eines Internationalen Gerichtes zur Verfolgung von Personen beschlossen, die für schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich sind, welche seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen worden sind.

2. Den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen der Hutu und der Tutsi im Frühjahr 1994 in Ruanda sind nach vorsichtigen Schätzungen mehrere hunderttausend Personen zum Opfer gefallen. Die mit Resolution 935 (1994) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen eingesetzte Expertenkommission zur Untersuchung der Vorfälle hat eine Vielzahl von schwerwiegenden und systematischen Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Rahmen dieses Konfliktes festgestellt. Die besonderen Grausamkeiten der Tötungen sowie die Vertreibung und die Flucht Hunderttausender Menschen in die Nachbarstaaten Ruandas hat auch zu einer Bedrohung des Weltfriedens geführt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit Resolution 955 (1994) am 8. November 1994 gleichfalls als Maßnahme nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen die Errichtung eines Internationalen Gerichtes für Ruanda zur Verfolgung von Personen beschlossen, die für Akte des Völkermords oder andere schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind, die im Hoheitsgebiet von Ruanda begangen wurden, sowie zur Verfolgung von ruandischen Staatsangehörigen, die für solche Akte und Verstöße im Hoheitsgebiet der Nachbarstaaten verantwortlich sind, wobei die Zuständigkeit auf Handlungen beschränkt ist, die zwischen dem 1. Jänner 1994 und dem 31. Dezember 1994 begangen wurden.

3. Als Maßnahme nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen kann der Sicherheitsrat zur Wahrung und Wiederherstellung des internationalen Friedens Zwangsmaßnahmen ergreifen, an die sich alle Staaten zu halten haben. Die Republik Österreich trifft daher die völkerrechtliche Verpflichtung, jene Pflichten, die sich aus den Resolutionen 827 (1993) und 955 (1994) sowie aus den Statuten der Internationalen Gerichte und deren Verfahrensordnungen ergeben, zu erfüllen. Darunter fällt insbesondere die Verpflichtung zur Rechtshilfeleistung und zur Überstellung von Beschuldigten an das Internationale Gericht. Darüber hinaus kann auch die Bereitschaft erklärt werden, verurteilte Personen zum Strafvollzug zu übernehmen. Die Resolutionen 827 (1993) und 955 (1994) sowie die Statute der Internationalen Gerichte und deren Verfahrensordnungen sind jedoch nicht unmittelbar anwendbar und bedürfen daher der Umsetzung durch ein eigenes Bundesgesetz.

4. Mit dem vorgeschlagenen Bundesgesetz sollen aktuelle völkerrechtliche Verpflichtungen umgesetzt werden. Die Errichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes, wie sie im Rahmen der Vereinten Nationen seit langem angestrebt wird, wird auch die Schaffung dauerhafter und umfassender innerstaatlicher Rechtsgrundlagen auf diesem Gebiet erforderlich machen.

Besonderer Teil

Zu § 1:

Die im Gesetz verwendete Bezeichnung „Internationales Gericht“ wurde deshalb gewählt, um dieses Gericht von dem im Rahmen der Vereinten Nationen geplanten „Internationalen Strafgerichtshof“ zu unterscheiden. Die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Artikel VII der Satzung der Vereinten Nationen geschaffenen Gerichte werden nach dem derzeitigen Stand der Entwicklung ad-hoc-Gerichte bleiben.

Das Gesetz geht bei seiner Begriffsbestimmung in § 1 von den beiden bestehenden Internationalen Gerichten aus und regelt nur deren Verhältnis zu den Behörden der Republik Österreich. Künftige ad-hoc-Gerichte sowie der geplante Internationale Strafgerichtshof fallen daher nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes.

Nach der Begriffsbestimmung umfassen die beiden Internationalen Gerichte neben dem Gerichtshof auch die Kammern und die Anklagebehörde sowie die Angehörigen dieser Einrichtungen. Damit folgt die Begriffsbestimmung der in Artikel 11 des Statuts des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien und der in Artikel 10 des Statuts des Internationalen Gerichtes für Ruanda festgelegten Organisationsstruktur.

Zu § 2:

Absatz 1 umschreibt die umfassende Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gericht, wie sie im Statut festgelegt wird. Die einzelnen Möglichkeiten der Zusammenarbeit werden dabei nur demonstrativ aufgezählt.

Die Zusammenarbeit soll auch nach Maßgabe der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, des Statuts des Internationalen Gerichtes und dessen Verfahrensordnung stattfinden. Insbesondere bei der Verfahrensordnung, aber auch beim Statut des Internationalen Gerichtes sind Änderungen durch Beschlüsse des Internationalen Gerichtes bzw. weitere Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nicht ausgeschlossen. Soweit die bestehenden Vorschriften ergänzt oder eingeschränkt werden, soll bei der Anwendung und Auslegung dieses Bundesgesetzes auf die geänderte Rechtslage Rücksicht genommen werden.

Bewußt läßt Absatz 1 die Frage offen, ob und inwieweit Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen unmittelbare Anwendbarkeit im österreichischen Recht beanspruchen können. Von der Begriffsbestimmung des § 1 ausgehend, können aber nur jene Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Betracht kommen, die sich auf das (jeweilige) Internationale Gericht und dessen Statut beziehen.

Die Weitergabe von Informationen, also die Übermittlung und Überlassung von Daten jeder Art, an das Internationale Gericht wird im Hinblick auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes ausdrücklich erwähnt. Da die Republik Österreich zur unbedingten Weitergabe solcher Informationen völkerrechtlich verpflichtet ist, kommt jedenfalls § 32 Abs. 2 Z 1 Datenschutzgesetz zur Anwendung, wonach ein genehmigungsfreier Datenverkehr vorliegt. Die Verfahrensordnung des Internationalen Gerichtes sieht im übrigen Bestimmungen zum Schutz der Opfer und Zeugen vor, wodurch schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen nach Abwägung mit den Rechten des Beschuldigten gewahrt werden können.

Schließlich wird durch Absatz 2 die subsidiäre Geltung des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes (ARHG) und der Strafprozeßordnung 1975 (StPO) angeordnet.

Zu § 3:

Die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes ist für die österreichischen Behörden insbesondere deshalb von Bedeutung, weil in den Fällen des § 14 dem Internationalen Gericht die Strafverfolgung und Überstellung anzubieten ist. Sonst geht das Gesetz davon aus, daß das Internationale Gericht, wenn es an die Republik Österreich herantritt, seine Zuständigkeit geprüft und bejaht hat. Eine Nachprüfung durch die österreichischen Organe findet daher in der Regel nicht statt. Die Zuständigkeit der ersuchenden Behörde ist selbstverständliche Voraussetzung im Internationalen Rechtsverkehr. Ein ausdrücklicher Ablehnungsgrund wegen Unzuständigkeit des Internationalen Gerichtes besteht nicht, doch wird in Fällen der offensichtlichen Unzuständigkeit diese vom Gericht in analoger Anwendung des § 20 ARHV dem Bundesministerium für Justiz mitzuteilen sein, damit die Frage mit dem Internationalen Gericht geklärt werden kann.

Die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 827 (1993) samt dem Statut des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien, das als Anlage zu der Resolution verabschiedet wurde, ist bereits im BGBl. Nr. 37/1995 veröffentlicht worden. Die Veröffentlichung der Sicherheitsratsresolution 955 (1994) betreffend das Internationale Gericht für Ruanda wird demnächst erfolgen. Deshalb wurde auf die besondere Beschreibung der sachlichen Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes verzichtet und auf die entsprechenden Bestimmungen des Statuts verwiesen.

Nach den Bestimmungen des Statuts führt auch jede Planung, Vorbereitung, Anstiftung und Beihilfe zur persönlichen Verantwortlichkeit des Täters im Rahmen der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes. Die so beschriebenen Vorbereitungs-, Bestimmungs- und Beitragshandlungen können auch außerhalb der Hoheitsgebiete des ehemaligen Jugoslawien, Ruandas und der Nachbarstaaten Ruandas begangen worden sein.

Zu § 4:

Grundsätzlich kann eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen dem Internationalen Gericht und den österreichischen Gerichten bestehen. Dieser Grundsatz ergibt sich aus dem Wortlaut des Statuts. Die Geltung der österreichischen Strafgesetze nach den §§ 62 ff. des Strafgesetzbuches wird daher durch die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes nicht berührt. Das Internationale Gericht hat jedoch Vorrang vor den nationalen Gerichten. Solange das Internationale Gericht nicht förmlich um „Überlassung der Strafverfolgung“ ersucht hat, ist das österreichische Strafverfahren fortzuführen.

Nach den Bestimmungen des Statuts kann das Internationale Gericht in jeder Phase des Verfahrens die österreichischen Gerichte ersuchen, das Strafverfahren zugunsten des Internationalen Gerichtes zurückzustellen. Auch ohne besonderes Ersuchen sind in diesem Fall alle in Österreich gewonnenen Ermittlungsergebnisse an das Internationale Gericht weiterzuleiten. Zu diesem Zweck hat das Gericht eine vollständige Aktenablichtung unter Anschluß allfälliger Beweismittel dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen, das die Weiterleitung an das Internationale Gericht zu besorgen hat. Das österreichische Strafverfahren ist zunächst vorläufig einzustellen.

Das Internationale Gericht kann auch um die Überlassung der Strafverfolgung eines in Österreich in Haft befindlichen Verdächtigen ersuchen, ohne dessen Überstellung zu begehren. In diesem Fall hat das Gericht alle zur Sicherung der Person erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Für die Verhängung der vorläufigen Überstellungshaft nach § 15 bedarf es aber eines entsprechenden Ersuchens des Internationalen Gerichtes.

Aus den „ne bis in idem“-Bestimmungen des Statuts ergibt sich, daß niemand vor ein nationales Gericht gestellt werden darf, gegen den wegen derselben Handlung bereits vor dem Internationalen Gericht verhandelt wurde. Eine solche Bindungswirkung tritt nach Absatz 2 bei rechtskräftiger Verfahrensbeendigung durch das Internationale Gericht ein. Erst dann ist das Verfahren endgültig einzustellen. Wird die Strafverfolgung dem Internationalen Gericht überlassen und kommt es dann zu einer anderen verfahrensbeendenden Entscheidung als einem Schuld- oder Freispruch, so ist das österreichische Strafverfahren nach Absatz 4 beschlußmäßig fortzusetzen. Diese Bestimmung ist deshalb erforderlich, um es dem Internationalen Gericht in bestimmten, meist minderschweren Fällen nach Prüfung der Vorwürfe zu ermöglichen, das Strafverfahren an die österreichischen Gerichte rückabzutreten. Die wenigen bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß das Internationale Gericht im wesentlichen an der Verfolgung der führenden Verantwortlichen und Haupttäter interessiert ist und daher die Strafverfolgung von Einzeltätern durch nationale Gerichte zu seiner Entlastung begrüßt, sofern gegen deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit keine Bedenken bestehen.

Zu § 5:

Die Entstehungsgeschichte der Resolutionen und der Wortlaut der Statute lassen keinen Zweifel darüber offen, daß alle Staaten verpflichtet sind, gegebenenfalls auch eigene Staatsangehörige an das Internationale Gericht zu überstellen.

Die im Verfassungsrang stehenden Bestimmungen der §§ 12 Abs. 1 und 44 ARHG verbieten die Auslieferung und Durchlieferung eigener Staatsbürger. Auf Grund der Vergleichbarkeit der Maßnahmen der Überstellung und der Auslieferung nach dem ARHG muß klargestellt werden, daß auch österreichische Staatsbürger an das Internationale Gericht überstellt werden können. Ähnliches muß auch für den Vollzug der vom Internationalen Gericht allenfalls über österreichische Staatsbürger verhängten Freiheitsstrafen gelten. Flieht daher ein österreichischer Staatsbürger aus der zur Vollstreckung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe nach Österreich, so kann er auch trotz österreichischer Staatsbürgerschaft wiederum an jenen Staat übergeben werden, der die Vollstreckung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe übernommen hat. Dies gilt auch für die allfällige Durchbeförderung österreichischer Staatsbürger durch Österreich zum Zweck der Überstellung an das Internationale Gericht oder an einen Staat, der die Strafvollstreckung übernommen hat.

Zu § 6:

Es entspricht einem Wunsch des Internationalen Gerichtes, daß in jedem Staat eine zentrale Ansprechstelle eingerichtet wird, mit der der Rechts- und Überstellungsverkehr abgewickelt werden kann. Dazu wurde vom Internationalen Gericht vorgeschlagen, das Völkerrechtsbüro des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten als Verbindungsstelle zwischen dem Internationalen Gericht und den österreichischen Behörden vorzusehen. Absatz 1 greift diese Vorstellungen auf und bestimmt, daß der gesamte Geschäftsverkehr grundsätzlich im Weg des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten stattzufinden hat. Auch wenn sich in dringenden Fällen das Internationale Gericht unmittelbar an die zuständigen österreichischen Behörden gewandt hat, sind die Erhebungsakten im Weg des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten zurückzustellen. Dadurch wird sowohl eine allfällige Zweigleisigkeit verhindert, als auch eine Koordination des Verkehrs mit dem Internationalen Gericht ermöglicht.

In dringenden Fällen ist der unmittelbare Verkehr der österreichischen Behörden mit dem Internationalen Gericht im Weg der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL möglich. Ebenso findet die gesamte kriminalpolizeiliche Amtshilfe für das Internationale Gericht auf diesem Weg statt, sofern nicht das Internationale Gericht das diesbezügliche Ersuchen auf dem normalen Geschäftsweg an die österreichischen Behörden gerichtet hat.

Die Amtssprachen des Internationalen Gerichtes sind englisch und französisch. Eine Übersetzung der österreichischen Erledigungsakten sowie der Sachverhaltsdarstellungen zum Anbot der Auslieferung ist nur dann erforderlich, wenn der Gerichtshof ausdrücklich darum ersucht.

Zu § 7:

Nach Artikel 30 des Statuts des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien und nach Artikel 29 des Statuts des Internationalen Gerichtes für Ruanda findet das Übereinkommen vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen auch auf das Internationale Gericht, die Richter, den Ankläger und sein Personal sowie auf den Kanzler und dessen Personal Anwendung. Darüber hinaus genießen die Richter, der Ankläger und der Kanzler jene Vorrechte und Immunitäten, wie sie das Völkerrecht den diplomatischen Vertretern einräumt.

Sonstigen Personen einschließlich des Angeklagten, deren Anwesenheit am Sitz des Internationalen Gerichtes erforderlich ist, ist nach den Bestimmungen der Statute die für die reibungslose Arbeit des Internationalen Gerichtes notwendige Behandlung zu gewähren. Das Gesetz sieht für diese Fälle das freie Geleit nach § 8 vor.

Auf Sachverständige, die nicht Angehörige des Internationalen Gerichtes sind, findet Artikel VI Abschnitt 22 des Übereinkommens vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen, BGBl. Nr. 126/1957, entsprechende Anwendung, da das Internationale Gericht als Organ der Vereinten Nationen geschaffen worden ist.

Zu § 8:

Die Nähe Österreichs zum Kriegsschauplatz am Balkan macht es erforderlich, besondere Vorkehrungen für ein freies Geleit zu treffen. Personen, die vom Internationalen Gericht geladen worden sind, soll daher die freie Durchreise durch Österreich auch ohne weitere Auflagen ermöglicht werden. Das freie Geleit gilt nur soweit, als es zur Durchreise durch die Republik Österreich erforderlich ist.

Die Einführung besonderer fremdenpolizeilicher Bestimmungen erscheint nicht erforderlich. Auch bei bestehenden Aufenthaltsverboten wird diesen Personen die Wiedereinreise in das Bundesgebiet gemäß § 23 Abs. 2 Fremdengesetz zum Zweck der Durchreise nach Den Haag zu ermöglichen sein. Im übrigen werden Sichtvermerk-Versagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z 2 bis 7 Fremdengesetz mit Rücksicht auf die Verpflichtung der Republik Österreich zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gericht nicht vorliegen, weshalb es auch im öffentlichen Interesse steht, geladenen Personen einen Sichtvermerk zur Durchreise durch die Republik Österreich zu erteilen.

Ein Mißbrauch des freien Geleites soll durch seine strenge zeitliche Begrenzung ausgeschlossen werden. Das freie Geleit gilt für alle Personen, die vom Internationalen Gericht geladen worden sind, daher auch für den Beschuldigten. Ersucht aber das Internationale Gericht um die Verhaftung eines geladenen Beschuldigten, so entfällt das freie Geleit.

Zu § 9:

Die bisherigen Erfahrungen über die Arbeitsweise des Internationalen Gerichts haben ergeben, daß der Ankläger beim Internationalen Gericht die selbständige Vernehmung von Zeugen anstrebt, um deren Glaubwürdigkeit selbst beurteilen zu können. Die allgemeine Zusammenarbeitsverpflichtung mit dem Internationalen Gericht macht es daher erforderlich, dem Internationalen Gericht diese Rechte bereits auf Grund des Gesetzes einzuräumen. Einer besonderen Bewilligung der Dienstverrichtung der Mitglieder und Beamten des Internationalen Gerichtes (des Anklägers) in Österreich bedarf es daher nicht. Solche Ermittlungstätigkeiten sind aber den österreichischen Behörden im voraus zu notifizieren. Die Mitglieder des Gerichtes sind zwar berechtigt, bei ihren Tätigkeiten die Hilfe österreichischer Behörden in Anspruch zu nehmen, doch ist es ihnen untersagt, Zwangsmaßnahmen in Österreich selbst anzuwenden oder anzudrohen. In diesem Fall bedarf es eines Rechtshilfeersuchens an die österreichischen Behörden, das bei Zulässigkeit der Rechtshilfe ausschließlich von den österreichischen Behörden durchgeführt werden wird. Das selbständige Tätigwerden der Mitglieder und Beamten des Internationalen Gerichtes in Österreich geschieht daher auf Basis der freiwilligen Zusammenarbeit mit den in Österreich aufhältigen Zeugen oder Verdächtigen.

Dem Internationalen Gericht muß auch die Möglichkeit eingeräumt werden, in Österreich Verhandlungen durchzuführen oder Beweise aufzunehmen. Diesem Ersuchen kann von österreichischer Seite dann widersprochen werden, wenn schwere Bedenken im Hinblick auf die Sicherheit der Republik Österreich oder des Internationalen Gerichtes bestehen. Hierüber hat der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten zu entscheiden.

Zu § 10:

Artikel 29 Absatz 2 des Statuts des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien und Artikel 28 Absatz 2 des Statuts des Internationalen Gerichtes für Ruanda bestimmen, daß die Staaten allen Rechtshilfeersuchen und allen von den Strafkammern erlassenen Anordnungen unverzüglich nachzukommen haben. Diese Pflicht umfaßt unter anderem die Ermittlung von Personen und ihren Aufenthalt, die Vernehmung von Zeugen und die Vorlage von Beweismitteln sowie die Zustellung von Schriftstücken.

Absatz 1 stellt in gleicher Weise wie § 58 ARHG klar, daß die Rechtshilfe nach den in Österreich geltenden Vorschriften durchzuführen ist. Es handelt sich dabei um jene Rechtshilfe, die unter Leitung der österreichischen Behörden stattfindet. Im Falle der selbständigen Erhebungstätigkeiten durch Organe des Internationalen Gerichtes nach dem § 9 Absatz 1 kommt nämlich den österreichischen Behörden nur eine unterstützende Tätigkeit zu, wobei weder deren Umfang noch die einzuhaltenden Verfahrensvorschriften geregelt werden müssen.

Ersucht das Internationale Gericht um die Einhaltung bestimmter, vom österreichischen Verfahren abweichender Formvorschriften, so ist diesen Ersuchen zu entsprechen, wenn diese Vorgänge mit den Grundsätzen des österreichischen Strafverfahrens nicht unvereinbar sind.

Nach § 55 Absatz 1 ARHG sind für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen die Gerichte zuständig. Eine Befassung des Rechtshilfegerichtes kann jedoch unterbleiben, wenn das Internationale Gericht um kriminalpolizeiliche Erhebungen oder Auskünfte ersucht. Darunter fällt insbesondere die Ermittlung von Personen und ihres Aufenthalts.

Die Teilnahme von Erhebungsbeamten des Internationalen Gerichtes an den von den österreichischen Behörden durchgeführten Rechtshilfehandlungen ist zulässig. Auf ihr Ersuchen hin sind die Erhebungsbeamten von Ort und Zeitpunkt der Rechtshilfehandlungen zu unterrichten, damit sie teilnehmen und an der Erledigung der Rechtshilfeersuchen mitwirken können.

Zu § 11:

Alle Personen, die vom Internationalen Gericht geladen worden sind, trifft die Pflicht dort zu erscheinen. Weder die Resolutionen des Sicherheitsrates noch die Statute verpflichten die Staaten, auf freiem Fuß befindliche Zeugen festzunehmen und dem Internationalen Gericht zwangsweise vorzuführen. Aus diesem Grund wird auch auf die Einführung von Strafbestimmungen für das Nichterscheinen von Zeugen verzichtet. Weder im Rahmen des Europarates noch im Rahmen der Europäischen Union konnte bislang eine Einigung über die zwangsweise Vorführung von Zeugen in andere Staaten erzielt werden. Da das System des Internationalen Gerichtes weitgehend vom anglo-amerikanischen Rechtskreis beeinflußt ist, kommt der Frage aber auch keine entscheidende Bedeutung zu. Der Ankläger sucht sich nämlich jene Zeugen aus, die bereit sind, freiwillig für ihn vor dem Gericht auszusagen. Er benötigt daher die zwangsweise Vorführung seiner Zeugen nicht. Er wird nur jene Zeugen dem Gericht präsentieren, die den Standpunkt der Anklage gut unterstützen können. Entsprechendes gilt für die Zeugen, die von der Verteidigung namhaft gemacht werden.

Die zwangsweise Vorführung von Zeugen innerhalb Österreichs auf Grund eines Rechtshilfeersuchens des Internationalen Gerichtes wird durch die vorstehenden Überlegungen nicht ausgeschlossen.

Ladungen an in Österreich befindliche Zeugen kann das Internationale Gericht im Weg der Post unmittelbar zustellen. Um den Zeugen die Anreise zum Internationalen Gericht zu ermöglichen, sind ihnen vom österreichischen Gericht Vorschüsse auf die Reisekosten anzuweisen, sofern das Internationale Gericht darum ersucht.

Befindet sich ein Zeuge in Österreich in Haft, so kommen die Bestimmungen des § 54 ARHG sinngemäß zur Anwendung. Die Überstellung eines verhafteten Zeugen kommt daher unter anderem nur in Betracht, wenn der Zeuge der Überstellung zustimmt.

Zu § 12:

Den Internationalen Gerichten wird grundsätzlich Einsicht in österreichische Akten gewährt und ihnen die Anfertigung von Aktenabschriften ermöglicht. Da nach § 2 Absatz 1 alle österreichischen Behörden die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen Gericht haben, ist auch die Einsicht in Akten der Länder und der Gemeinden denkbar, weshalb diese Bestimmung als Verfassungsbestimmung ausgestaltet werden muß.

Gerade auf Grund der geographischen Nähe Österreichs zu den Krisengebieten am Balkan kann es Erkenntnisse geben, die der Geheimhaltung unterliegen. Dabei ist in erster Linie an militärische Aufklärungsergebnisse zu denken. In diesem Zusammenhang sind auch aktenmäßig erfaßte Vorgänge über die Einschätzung der politischen und militärischen Lage im Krisengebiet unter Umständen nicht zur Weitergabe geeignet. Die Überlassung solcher Informationen an das Internationale Gericht muß daher gegebenenfalls eingeschränkt erfolgen, zumal diese Informationen Rückschlüsse auf die für die äußere Sicherheit der Republik notwendigen Vorkehrungen zulassen würden.

Für Akten, die besonderen Geheimhaltungsvorschriften unterliegen oder die Sicherheit des Staates betreffen, sollen daher Ausnahmebestimmungen geschaffen werden. Es ist abzuwägen, ob solche Geheimhaltungsinteressen die Interessen an der Übersendung an das Internationale Gericht beträchtlich überwiegen. Ist dies der Fall, ist zunächst das Internationale Gericht um Bekanntgabe zu ersuchen, in welcher Weise die Geheimhaltung gewahrt werden wird.

Absatz 3 ermöglicht es, Akteneinsicht und die Übermittlung von Aktenabschriften abzulehnen, wenn die Geheimhaltung nicht gewährleistet werden kann und für den Fall der Offenbarung zu besorgen ist, daß die Sicherheit des Staates oder andere durch besondere Geheimhaltungsvorschriften geschützte Interessen verletzt werden. Die Entscheidung darüber ist vom Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde zu treffen.

Zu § 13:

Das Internationale Gericht für das ehemalige Jugoslawien hat angekündigt, die Fahndung nach gesuchten Personen im Weg der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL einzuleiten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß das Internationale Gericht auch in anderer Weise die Fahndung einleiten und betreiben wird. Daher sind Ersuchen um Festnahme oder Haftanordnungen des Internationalen Gerichtes, die den Mindestanforderungen zur Fahndung entsprechen, zum Anlaß einer Ausschreibung der gesuchten Person im Inland zu nehmen. Diese Ausschreibung ist durch das Bundesministerium für Inneres zu veranlassen, das in Zweifelsfällen in sinngemäßer Anwendung der Fahndungsvorschrift im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz vorzugehen hat.

Die Befassung des zuständigen Gerichtes kann unterbleiben, wenn die gesuchte Person weder österreichischer Staatsbürger ist noch Grund zur Annahme besteht, daß sie sich in Österreich aufhält. Diesbezüglich folgt § 13 den Regelungen des § 27 Abs. 2 ARHG.

Zu § 14:

Das Gesetz bezeichnet die „Auslieferung“ an das Internationale Gericht als „Überstellung“. Damit wird auch sprachlich deutlich gemacht, daß die Überstellung von Beschuldigten an das Internationale Gericht anderen Grundsätzen folgt als der Auslieferungsverkehr zwischen gleichberechtigten Staaten.

Im Auslieferungsverkehr hat sich die Einrichtung des Anbots der Auslieferung bewährt. Dadurch kann schon in einem sehr frühen Verfahrensstadium die Frage geklärt werden, ob eine Auslieferung der betroffenen Person in Betracht kommt. Auch im Verhältnis zum Internationalen Gericht ist daher das Anbot der Überstellung von Personen, die im Verdacht stehen, strafbare Handlungen begangen zu haben, die in die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes fallen, vorgesehen. Dem Internationalen Gericht ist dabei sowohl die Strafverfolgung als auch die Überstellung anzubieten.

Lehnt das Internationale Gericht die Übernahme der Strafverfolgung ab oder ersucht das Internationale Gericht nicht um Überstellung, so bewirkt diese Ablehnung keine subsidiäre Gerichtsbarkeit nach § 65 Abs. 1 Z 2 StGB.

Durch Absatz 3 wird klargestellt, daß auch dem Tatortstaat die Auslieferung anzubieten ist. Auch die Vorschriften über die vorläufige Auslieferungshaft, wie sie in § 29 Absatz 1 ARHG, Artikel 16 Absatz 4 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, BGBl. Nr. 320/1969, und in den meisten bilateralen Auslieferungsverträgen vorgesehen ist, bleiben unberührt. Voraussetzung ist aber, daß am Tatort eine geordnete Strafrechtspflege stattfinden kann und ein geregelter Auslieferungsverkehr mit dem Tatortstaat möglich ist. Diese Voraussetzungen sind im Jahre 1994 für die Republik Bosnien-Herzegowina nicht vorgelegen, weshalb ein Anbot der Auslieferung zur Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit nach § 65 Absatz 1 Z 2 StGB nicht erforderlich gewesen ist (OGH 13. 7. 1994, 15 Os 99/94).

Im Gegensatz zu § 29 Absatz 1 ARHG sieht der Entwurf jedoch keine vorläufige Haft ohne entsprechendes Ersuchen des Internationalen Gerichtes vor. Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 vor und ersucht das Internationale Gericht nicht um Festnahme oder Überstellung, so kommen die Bestimmungen des § 29 Absatz 1 ARHG zur Anwendung und es kann bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die vorläufige Auslieferungshaft für eine allfällige Auslieferung der in Österreich betretenen Person an den Tatortstaat verhängt werden.

Zu § 15:

Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Entzug der persönlichen Freiheit durch die Überstellungshaft nach §§ 15 und 16 sind Artikel 5 Abs. 1 lit. f der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, sowie Artikel 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988. Die Überstellung des Beschuldigten an das Internationale Gericht ist in grundrechtlicher Sicht weitgehend mit der bisherigen Auslieferung von Personen vergleichbar. Die Entziehung der persönlichen Freiheit dient ausschließlich zur Sicherung der Person zum Zweck ihrer Übergabe, wobei der Unterschied zur Auslieferung nur darin besteht, daß die Übergabe nicht an einen anderen Staat, sondern an ein Gericht der Vereinten Nationen erfolgt.

Voraussetzung für eine vorläufige Überstellungshaft nach § 15 ist ein darauf gerichtetes Ersuchen des Internationalen Gerichtes, mit dem nicht gleichzeitig um die Überstellung der gesuchten Person ersucht wird. Die materiellen Haftvoraussetzungen richten sich ausschließlich nach den Vorschriften über die Untersuchungshaft. So sind sowohl der Tatverdacht als auch die Haftgründe in gleicher Weise zu prüfen, als hätten sich die vom Internationalen Gericht mitgeteilten Tatsachen in Österreich ereignet. Nur in den Fällen der vorläufigen Überstellungshaft ist das österreichische Gericht auch befugt, die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtes zu prüfen.

Diese umfassende Prüfungsbefugnis durch das österreichische Gericht ist deshalb erforderlich, weil sich eine Verpflichtung zur Verhängung oder Aufrechterhaltung der vorläufigen Haft in Fällen, in denen das Internationale Gericht vorerst gar nicht um die Überstellung ersucht, sondern die Sach- und Rechtslage erst prüfen möchte, nicht ausdrücklich aus den Bestimmungen des Statuts, sondern aus der allgemeinen Zusammenarbeitsverpflichtung mit dem Internationalen Gericht ergibt. Die vorläufige Überstellungshaft muß daher nicht zu einer Überstellung der festgenommenen Person an das Internationale Gericht führen, wenn etwa das Internationale Gericht sein Ersuchen in der Folge widerruft, weil ein Tatverdacht gegen die Person nicht besteht oder nicht erhärtet werden konnte. Im Unterschied zur Überstellungshaft nach § 16 kommen bei der vorläufigen Überstellungshaft die Haftfristen des § 181 StPO und Bestimmungen des § 194 StPO über die Haftdauer zur Anwendung, was etwa bei Verdacht des Verbrechens des Völkermordes nach § 321 Abs. 1 StGB zu einer vorläufigen Überstellungshaft von bis zu zwei Jahren führten könnte. Durch die uneingeschränkte Geltung der Strafprozeßordnung sind auch die Anwendung gelinderer Mittel und der Erlag von Sicherheitsleistungen möglich.

Absatz 2 regelt das Verhältnis der vorläufigen Überstellungshaft zu anderen Haftarten. Wenn die Haftzwecke durch gleichzeitige Strafhaft, Untersuchungshaft oder Auslieferungshaft erreicht werden können, geht eine solche Haft der vorläufigen Überstellungshaft vor. Der vorläufigen Überstellungshaft kommt daher subsidiärer Charakter zu, wie dies etwa auch für die Auslieferungshaft nach § 29 Abs. 1 ARHG gilt. Eine Verhängung der vorläufigen Überstellungshaft zugleich mit einer Strafhaft, Untersuchungshaft oder Auslieferungshaft ist damit ausgeschlossen. Befindet sich eine vom Internationalen Gericht zur vorläufigen Festnahme gesuchte Person bereits in Österreich in einer solchen Haft, so ist ein vorläufiges Überstellungsverfahren einzuleiten und sind in analoger Anwendung des § 25 der Auslieferungs- und Rechtshilfeverordnung (ARHV) die dort bezeichneten Gerichte und Behörden zu verständigen, damit im Falle der Aufhebung der Haft die vorläufige Überstellungshaft verhängt werden kann.

Absatz 3 enthält übliche Verständigungsvorschriften, die es dem Internationalen Gericht ermöglichen sollen, auf Haftentscheidungen der österreichischen Gerichte entsprechend zu reagieren.

Zu § 16:

Die Bestimmungen des § 16 stellen das Kernstück der Regelung zur Überstellung von Beschuldigten an das Internationale Gericht dar. Ausgangspunkt für diese Regelung sind Artikel 20 Absatz 1 des Statuts des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien und Artikel 19 Absatz 2 des Statuts des Internationalen Gerichtes für Ruanda, wonach jeder, gegen den die Anklage bereits bestätigt wurde, auf Grund einer Anordnung oder eines Haftbefehls des Internationalen Gerichtes in Haft genommen, unverzüglich über die gegen ihn erhobene Anklage in Kenntnis gesetzt und dem Internationalen Gericht überstellt wird.

Andere europäische Staaten, die bereits die innerstaatliche Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Statut durchgeführt haben, sind davon ausgegangen, daß die innerstaatlichen Bestimmungen über die Auslieferung weitgehend unverändert oder doch eingeschränkt auf die Überstellung an das Internationale Gericht anzuwenden sind. Da aber das Statut eine weitgehende Verpflichtung zur Überstellung von Personen enthält, ist der Entscheidungsspielraum der Staaten bei der Entscheidung über die Bewilligung der Überstellung äußerst gering. Eine abermalige Überprüfung des Tatverdachtes oder der Haftgründe durch die österreichischen Gerichte erscheint in diesen Fällen nicht mehr erforderlich, sondern würde vielmehr dem Ziel der raschen Überstellung der gesuchten Person an das Internationale Gericht zuwiderlaufen. Das Gesetz folgt daher den Grundsätzen des Statuts des Internationalen Gerichtes und enthält keine Gründe für die Ablehnung der Überstellung an das Internationale Gericht.

Voraussetzungen für die Überstellung sind daher ein Ersuchen des Internationalen Gerichtes um Überstellung oder ein aufrechter Haftbefehl dieses Gerichtes und die festgestellte Identität der gesuchten Person. Diese Lösung entspricht auch den Richtlinien der Vereinten Nationen für die innerstaatliche Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 827 vom 25. Mai 1993, die in ihrem Artikel 5 Absatz 6 vorschlagen, daß die zuständige Justizbehörde die Überstellung der festgenommenen Person an das Internationale Gericht ohne Durchführung eines Auslieferungsverfahrens anzuordnen hat, wenn festgestellt wurde, daß die formalen Voraussetzungen für die Überstellung vorliegen.

Die vom Untersuchungsrichter zu verhängende Haft zum Zweck der Überstellung an das Internationale Gericht kann sich daher nicht an den Grundsätzen der Untersuchungshaft orientieren. Es handelt sich um eine Haft eigener Art auf Grundlage des § 16, auf die nach Abs. 1 letzter Satz nur bestimmte Bestimmungen der Strafprozeßordnung Anwendung finden sollen. Insbesondere sind dadurch die Vorschriften über die Haftprüfung und die Anwendung gelinderer Mittel ausgeschlossen. Zufolge der subsidiären Geltung der Strafprozeßordnung nach § 2 Abs. 2 richtet sich die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach den Vorschriften des § 41 Abs. 2 StPO. Im Hinblick auf § 41 Abs. 1 Z 3 StPO besteht jedenfalls notwendige Verteidigung.

Voraussetzung für die Verhängung der Überstellungshaft nach § 16 ist das Vorliegen eines Haftbefehls des Internationalen Gerichtes oder eines Ersuchens dieses Gerichtes um Überstellung des Beschuldigten. Im Mittelpunkt der Haftfrage steht nur die Identitätsprüfung, da die Beurteilung von Tatverdacht und Haftgründen für die Verhängung der Überstellungshaft in die ausschließliche Prüfungskompetenz des Internationalen Gerichtes fällt. Ergibt sich, daß die festgenommene Person allen Anschein nach mit der gesuchten Person nicht ident ist, so darf die Überstellungshaft nicht verhängt werden oder ist sie unverzüglich aufzuheben. Andere Identitätseinwände und Identitätszweifel sollen aber in erster Linie durch das Internationale Gericht selbst geklärt werden. Bei erheblichen Zweifeln an der Identität der festgenommenen mit der gesuchten Person wird jedoch das Internationale Gericht zu informieren und um die Übermittlung weiterer Unterlagen und Angaben zu ersuchen sein. Da dies während aufrechter Überstellungshaft stattfindet, wird nach § 6 Abs. 3 der unmittelbare Verkehr zwischen dem österreichischen Gericht und dem Internationalen Gericht zu beschreiten sein. Darüber hinaus können andere zweckdienliche Ermittlungen zur Klärung der Identität eingeleitet werden. Diese Erhebungen hindern aber nicht die weitere Durchführung des Überstellungsverfahrens. Sie sollen nur zusätzliche Informationen erbringen, um den Untersuchungsrichter in die Lage zu versetzen, feststellen zu können, ob die festgenommene Person allem Anschein nach mit der gesuchten Person nicht ident ist. Wäre das zu bejahen, so wäre mit der sofortigen Enthaftung vorzugehen.

Absatz 1 bestimmt, daß bei Vorliegen der Voraussetzungen immer die Haft zu verhängen und gleichzeitig die Überstellung anzuordnen ist. Das Gesetz geht davon aus, daß die Haftfrage und die Frage der Anordnung der Überstellung untrennbar miteinander verbunden sind, da von den österreichischen Behörden nur die Identität der festgenommenen mit der gesuchten Person geprüft werden soll. Identitäts­einwände und Identitätszweifel hindern aber weder die Verhängung der Haft noch die Anordnung der Überstellung.

Die Überstellungshaft darf in keinem Fall länger als 14 Tage ab ihrer Verhängung bis zur Übergabe der festgenommenen Person an das Internationale Gericht dauern. Sie geht jeder Haft anderer Art vor und unterbricht diese kraft der gesetzlichen Anordnung der Absätze 1 und 4. Die abermalige Verhängung der Überstellungshaft wird durch das Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen und in besonders gelagerten Ausnahmefällen insbesondere dann zulässig sein, wenn das Internationale Gericht nach Festnahme der gesuchten Person sein Ersuchen um Überstellung zurückzieht und um Verhängung der vorläufigen Überstellungshaft nach § 15 ersucht, um erst zu einem späteren Zeitpunkt die Überstellung zu begehren.

Die ausgebauten Rechtschutz- und Verfahrensgarantien, die sich aus der Verfahrensordnung des Internationalen Gerichtes ergeben, ermöglichen es, die Beschwerdemöglichkeiten im innerstaatlichen Überstellungsverfahren erheblich einzuschränken. Eine zeitaufwendige innerstaatliche Rechtskontrolle würde eine rasche Überstellung an das Internationale Gericht und eine Klärung von Zweifelsfragen durch dieses verzögern und läge daher auch nicht im Interesse des Verhafteten. Der Beschluß über die Verhängung der Überstellungshaft und die Anordnung der Überstellung soll daher nur mit Grundrechtsbeschwerde angefochten werden können. Ablehnende Beschlüsse können durch die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz angefochten werden, damit eine Überprüfung jener Beschlüsse des Untersuchungsrichters sichergestellt wird, mit denen die völkerrechtliche Zusammenarbeitsverpflichtung abgelehnt wird.

Die Vorlage urschriftlicher Unterlagen durch das Internationale Gericht ist für die Verhängung der Überstellungshaft und die Anordnung der Überstellung nicht erforderlich. Eine Übermittlung der Unterlagen mittels Telefax ist ausreichend. Allfällige Bedenken gegen die Echtheit und Richtigkeit der im Telefaxweg übermittelten Unterlagen lassen sich durch Rückfrage beim Internationalen Gericht sofort klären.

Zu § 17:

Die Übergabe der zu überstellenden Person hat auf Anordnung des Untersuchungsrichters unverzüglich durch die Sicherheitsbehörde zu erfolgen. Um eine rasche Durchführung auch im Hinblick auf die Befristung der Überstellungshaft zu ermöglichen, hat die Sicherheitsbehörde die Übergabe dem Internationalen Gericht und den niederländischen Behörden rechtzeitig anzukündigen. Ein Einvernehmen ist dabei anzustreben, jedoch nicht erforderlich. Weigert sich das Internationale Gericht, die überstellende Person zu übernehmen, ohne daß es etwa um die Verhängung der vorläufigen Auslieferungshaft nach § 15 ersucht, so wird in der Regel davon auszugehen sein, daß damit das Ersuchen um Überstellung zurückgenommen wird.

Die Übergabe hat grundsätzlich durch österreichische Beamte im Luftweg zu erfolgen, sofern nicht gegenteilige Ersuchen des Internationalen Gerichtes oder schwerwiegende Sicherheitsbedenken vorliegen. Die Kosten hiefür sind von der Republik Österreich zu tragen.

Die Entscheidung des Untersuchungsrichters auf Überstellung der gesuchten Person an das Internationale Gericht ist vom Bundesminister für Justiz dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten mitzuteilen. Auf Grund dieser Mitteilung wird dann vom Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten die völkerrechtliche Erklärung der Republik Österreich gegenüber dem Internationalen Gericht abzugeben sein, daß dem Ersuchen entsprochen wird. Die Stellung völkerrechtlicher Bedingungen durch den Bundesminister für Justiz oder den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten ist weder in diesem Gesetzentwurf vorgesehen noch mit dem Statut des Internationalen Gerichtes vereinbar. Im Auslieferungsverfahren befindet der Bundesminister für Justiz nach § 34 Abs. 1 ARHG über das Auslieferungsersuchen unter anderem unter Bedachtnahme auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Republik Österreich, insbesondere auf dem Gebiet des Asylrechts, und auf den Schutz der Menschenwürde. Aus diesen Überlegungen muß es zulässig sein, mit der völkerrechtlichen Erklärung der Republik Österreich gegenüber dem Internationalen Gericht den Wunsch oder das Ersuchen zu verbinden, daß die überstellte Person nach Abschluß des Verfahrens oder nach Strafvollstreckung die freie Rückkehr nach Österreich gestattet werde oder eine Weiterlieferung oder Abschiebung nur mit Zustimmung der Republik Österreich stattfinden möge. Dadurch kann für die überstellte Person ein gewisser Spezialitäts- und Verfolgungsschutz bewirkt werden.

Dem Bundesminister für Justiz kommt insoweit ein Prüfungs- und Entscheidungsspielraum zu, als er bei Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Anordnung der Überstellung durch den Untersuchungsrichter eine Prüfung durch die Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof in Richtung der Ergreifung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach § 33 Absatz 2 StPO veranlassen kann.

Zu § 18:

Die Durchbeförderung von in Haft befindlichen Personen durch Österreich an das Internationale Gericht oder an Staaten, die die Vollstreckung von Strafen des Internationalen Gerichtes übernommen haben, ist grundsätzlich zulässig. Über die Durchbeförderung entscheidet der Bundesminister für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres.

Absatz 1 unterscheidet nicht, welche Personen durch Österreich an das Internationale Gericht durchzubefördern sind. Das Internationale Gericht kann auch um die Durchbeförderung von Zeugen ersuchen, die sich in einem anderen Staat in Haft befinden. Die Erlassung eines besonderen Durchlieferungshaftbefehles ist nicht erforderlich. Die Haft während der Dauer der Durchlieferung findet unmittelbar auf Grund des Gesetzes nach Absatz 1 statt. Da die Durchbeförderung vom Bundesminister für Justiz nur bewilligt wird, wenn sichergestellt ist, daß die durchzubefördernde Person von einem anderen Staat übernommen wird, sind grundrechtliche Probleme und eine unverhältnismäßige Dauer der Durchlieferungshaft ausgeschlossen.

Aus § 5 folgt, daß auch die Durchbeförderung österreichischer Staatsbürger zulässig ist.

Zu § 19:

Nach Artikel 27 des Statuts des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien und nach Artikel 26 des Statuts des Internationalen Gerichtes für Ruanda ist eine Liste jener Staaten zu erstellen, die gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ihre Bereitschaft zur Übernahme von Verurteilten zur Strafvollstreckung bekundet haben.

Durch Absatz 1 wird die rechtliche Grundlage für das Handeln des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten geschaffen. Die Bereitschaft, Personen, die vom Internationalen Gericht verurteilt wurden, zur Strafvollstreckung zu übernehmen, kann hinsichtlich des Zeitpunkts der Übernahme befristet und hinsichtlich der Anzahl und der Art der zu übernehmenden Personen beschränkt werden. Von der Möglichkeit, die Art der zu übernehmenden Personen zu beschränken, sollte nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, da eine solche Beschränkung sich nicht unmittelbar aus den Bestimmungen des Statuts ableiten läßt. Die Beschränkung, nur eigene Staatsangehörige zum Strafvollzug zu übernehmen, wäre mit dem Sinn des Statuts jedenfalls nicht vereinbar und daher unzulässig.

Durch Absatz 2 wird klargestellt, daß die Freiheitsstrafen unmittelbar für das Internationale Gericht vollzogen werden. Eine besondere Umsetzung der Strafe in das österreichische Rechtssystem ist daher nicht erforderlich. Auf den Vollzug der Strafe finden jedoch die österreichischen Bestimmungen über den Strafvollzug Anwendung. Für die Fragen der bedingten Entlassung und der Begnadigung enthält § 23 besondere Vorschriften.

Zu § 20:

Besteht eine gegenüber dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bekundete Bereitschaft der Republik Österreich, Personen zum Strafvollzug zu übernehmen, so kann der Bundesminister für Justiz nur in ganz besonderen Einzelfällen die Übernahme der Vollstreckung ablehnen, nämlich aus Gründen einer besonderen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Republik Österreich. Hierüber wird das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres herzustellen sein. Gegen Entscheidungen des Bundesministers für Justiz im Verfahren zur Übernahme der Strafvollstreckung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Es muß auch Vorsorge dafür getroffen werden, wie vorzugehen ist, wenn die zur Strafvollstreckung übernommene Person vor Abschluß der Vollstreckung aus der Haft in Österreich flieht. Eine solche Person ist mit Haftbefehl zu suchen, und es ist in jedem Fall die Verhängung der Auslieferungshaft und die Auslieferung aus jedem Staat zu erwirken, es sei denn, das Internationale Gericht entscheidet anders.

Absatz 4 bestimmt, wie vorzugehen ist, wenn in Österreich Personen aufgegriffen werden, die aus der Vollstreckung einer vom Internationale Gericht verhängten Freiheitsstrafe aus einem anderen Staat geflohen sind. In diesen Fällen kommen nicht die vertraglichen Bestimmungen über die Auslieferung zwischen der Republik Österreich und dem Vollstreckungsstaat zur Anwendung, sondern es ist so vorzugehen, als würde die Person an das Internationale Gericht überstellt werden. Es kommen daher die Vorschriften des vorliegenden Entwurfes über die Überstellung von Personen an das Internationale Gericht zur Anwendung.

Zu § 21:

Wird die Vollstreckung einer vom Internationalen Gericht verhängten Strafe durch Österreich übernommen, so findet der Vollzug dieser Freiheitsstrafe in Österreich unter dem Vorbehalt der Spezialität statt. Das bedeutet, daß die verurteilte Person nicht wegen Handlungen verfolgt, bestraft oder in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt werden darf, die vor ihrer Übergabe an die österreichischen Behörden begangen worden sind. Gleiches gilt für Ihre Auslieferung an einen dritten Staat. Der Entfall der Spezialitätsbindung richtet sich nach dem im Auslieferungsverkehr zwischen den Staaten üblichen Grundsätzen.

Zu § 22:

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe findet unter Aufsicht des Internationalen Gerichtes statt. Zu diesem Zweck hat die betreffende Justizanstalt dem Bundesminister für Justiz jährlich einen ausführlichen Führungs- und Gesundheitsbericht zu erstatten, der auf dem üblichen Weg dem Internationalen Gericht weiterzuleiten ist.

Zu § 23:

Nach Artikel 65 Abs. 2 lit. c B-VG steht dem Bundespräsidenten unter anderem in Einzelfällen die Befugnis zur Begnadigung der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten sowie die Milderung und Umwandlung der von den Gericht ausgesprochenen Strafen zu. Schon bisher war diese Befugnis auch dann gegeben, wenn von Österreich die Vollstreckung ausländischer strafgerichtlicher Entscheidungen nach §§ 64 ff. ARHG übernommen wurde, gleichwohl der inländischen Anpassungsentscheidung nach § 65 ARHG nicht der Charakter einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht zukommt, weil durch die Anpassungsentscheidung nur die Vollstreckung der ausländischen Strafe übernommen und die im Inland zu verbüßende Dauer bestimmt wird.

Da die Vollstreckung der vom Internationalen Gericht verhängten Freiheitsstrafen in ähnlicher Weise durch Entscheidung des Bundesministers für Justiz durch Österreich übernommen werden kann, mußte durch eine Verfassungsbestimmung klargestellt werden, daß hinsichtlich dieser in Österreich zu verbüßenden Strafen dem Bundespräsidenten ein Gnadenrecht nicht zukommt.

Das Statut des Internationalen Gerichtes bestimmt, daß der Staat, in dem der Verurteilte seine Freiheitsstrafe verbüßt, es dem Internationalen Gericht mitzuteilen hat, wenn der Verurteilte auf Grund der geltenden Rechtsvorschriften dieses Staates für eine Begnadigung oder Abänderung der Strafe in Betracht kommt. Der Präsident des Internationalen Gerichtes entscheidet in dieser Frage nach Beratung mit den Richtern im Interesse der Rechtspflege und unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze.

Der Entwurf stellt klar, daß den österreichischen Behörden keine Entscheidungsbefugnis über die bedingte Entlassung, Begnadigung oder Abänderung der Strafe zukommt. Liegt ein Antrag auf bedingte Entlassung, Begnadigung oder Abänderung der Strafe vor, so ist dieser vom Bundesministerium für Justiz dem Internationalen Gericht mit einer Mitteilung über die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung weiterzuleiten. Eine materielle Prüfung der Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung findet dabei nicht statt, da eine solche auf Grund der Eigenart der für das Internationale Gericht übernommenen Strafvollstreckung kaum möglich erscheint. Die Berichte über den Strafvollzug nach § 22 verschaffen dem Internationalen Gericht eine weitere Grundlage für seine Entscheidung. In diese Berichte werden von Amts wegen Umstände aufzunehmen sein, die gegebenenfalls für eine bedingte Entlassung oder Begnadigung sprechen.

Zu § 24:

Die Übertragung der von Österreich übernommenen Strafvollstreckung an einen anderen Staat im Einvernehmen mit dem Internationalen Gericht ist nicht ausgeschlossen. Ein Ersuchen des Strafgefangenen, zur Vollstreckung in einen anderen Staat überstellt zu werden, ist dem Internationalen Gericht zur Entscheidung vorzulegen.

Zu § 25:

Nach der Beendigung des Strafvollzuges sind bei ausländischen Strafgefangenen häufig fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu vollziehen. Absatz 1 sieht daher vor, daß der Strafgefangene nach Beendigung des Vollzuges der Freiheitsstrafe entweder freizulassen oder der für die Vollziehung fremdenpolizeilicher Vorschriften zuständigen Behörde zu übergeben ist, sofern weder ein Auslieferungsverfahren noch ein inländisches Strafverfahren anhängig ist.

Zu § 26:

Regel 106 (B) der Verfahrensordnung bestimmt, daß Opfer von Kriegsverbrechen ihre Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der jeweiligen Rechtsordnung vor den innerstaatlichen Gerichten einzuklagen haben. Nach Regel 106 (C) soll aber in diesem Verfahren dem Urteil des Internationalen Gerichtes eine endgültige und bindende Wirkung insoweit zukommen, als es die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten feststellt.

In Umsetzung dieser Bestimmung war die diesbezügliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Internationalen Gerichtes für das österreichische zivilgerichtliche Verfahren anzuordnen. Im Hinblick auf die Aufhebung der Bestimmung des § 268 der Zivilprozeßordnung durch den Verfassungsgerichtshof, BGBl. Nr. 706/1990, war die sich aus der Verfahrensordnung ergebende Verpflichtung in den Verfassungsrang zu erheben.

Zu § 27:

Sowohl Artikel 24 Abs. 3 des Statuts des Internationalen Gerichtes für das ehemalige Jugoslawien als auch Artikel 23 Abs. 3 des Statuts des Internationalen Gerichtes für Ruanda erlauben es der Strafkammer des Gerichtes, anzuordnen, daß durch strafbares Verhalten einschließlich Nötigung erworbene Vermögensgegenstände und Verkaufserlöse den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden.

Regel 105 der Verfahrensordnung des Internationalen Gerichtes enthält ausführliche Bestimmungen über die Rückstellung von Eigentum und Erträgen aus strafbaren Handlungen. So kann die Strafkammer des Internationalen Gerichtes nach Rechtskraft des gegen den Angeklagten ergangenen Urteils ein eigenes Rückstellungsverfahren einleiten, wenn im Urteil festgestellt worden ist, daß sich der Angeklagte unrechtmäßig Eigentum angeeignet hat. Die Strafkammer kann nach Durchführung des Verfahrens, in dem auch dritte Personen vorgeladen werden können, eine Rückstellungsanordnung erlassen. Aus der allgemeinen Zusammenarbeitsverpflichtung mit dem Internationalen Gericht folgt, daß solche Rückstellungsanordnungen in Österreich zu vollstrecken sind. Zu diesem Zweck soll die Rückstellungsanordnung einer Entscheidung eines auswärtigen Gerichtes nach § 79 Abs. 2 der Exekutionsordnung gleichgestellt werden. Nach den sich aus Regel 105 ergebenden Verfahren erscheint es nicht zweifelhaft, daß die übrigen Bedingungen einer Exekutionsbewilligung auf Grund eines ausländischen Titels nach § 80 der Exekutionsordnung vorliegen.

Regel 105 (E) sieht vor, daß die Strafkammer im Rückstellungsverfahren auch die innerstaatlichen Behörden um Feststellung eines wahrscheinlichen rechtmäßigen Eigentümers ersuchen kann. Das Gesetz sieht dafür kein eigenes Verfahren vor, da eine amtwegige Eigentumsfeststellung dem österreichischen Recht fremd wäre. Im Rahmen der allgemeinen Zusammenarbeitsverpflichtung werden aber der Strafkammer alle Beweismittel zur Verfügung zu stellen sein, die für die Eigentumsfeststellung notwendig sind. Darüber hinaus wird die Strafkammer darauf hinzuweisen sein, daß der Betroffene auf dem Zivilrechtsweg die diesbezügliche Feststellung auch nach österreichischem Recht erlangen kann.

Zu § 28:

Die Schlußbestimmungen verzichten auf besondere Übergangsregelungen. Die Bestimmungen sind daher auch in Verfahren anzuwenden, die bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes anhängig sind. Da die Regelungen ausschließlich verfahrensrechtliche Bestimmungen enthalten, ist ihre rückwirkende Anwendung grundrechtlich unbedenklich.