1608 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


über den Antrag 788/A(E) der Abgeordneten Dr. Martina Gredler und Genossen betref­fend Maßnahmen zugunsten von Mädchen und Frauen, die von menschenrechtsver­letzenden Praktiken der Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane betroffen sind

Die Abgeordnete Dr. Martina Gredler und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungs­antrag am 28. Mai 1998 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

”Etwa 135 Millionen Frauen und Mädchen sind weltweit von einer besonders schlimmen, aber immer noch weit verbreiteten Menschenrechtsverletzung betroffen: der Genitalverstümmelung. Es handelt sich dabei um eine traditionelle Praktik, die vor allem in vielen afrikanischen (in Somalia und Dschibouti bei 98% der weiblichen Bevölkerung) und arabischen, aber auch in einigen asiatischen und letztlich auch durch Emigranten in europäischen Ländern bei jungen Mädchen durchgeführt wird (vgl. ”Al-Info”, April 1998, S 6 bis 7). In der vergleichsweise harmlosesten Variante wird die Klitoris leicht eingekerbt (”rituelle Beschneidung”), bei der stärksten Form werden die Klitoris sowie die inneren und äußeren Schamlippen entfernt, wobei daraufhin die Wunde seitlich wieder zusammengenäht und nur ein kleines Loch offengelassen wird (”Infibulation”).

Wie diese Tortur konkret abläuft, ist zum Beispiel der Schilderung eines Augenzeugen, zitiert aus der Dissertation von Alan David (”Infibulation en République de Djibouti”), zu entnehmen, die in einem Report der Minority Rights Group (”Female Genital Mutilation: Proposals for Change” von Efua Dorkenoo und Scilla Elworthy, London, 1992, S 7 bis 8) veröffentlicht wurde und eingesehen werden kann. Darin wird anhand eines Fallbeispieles geschildert, wie an einem kleinen Mädchen, das extra festgehalten wird, bei vollem Bewußtsein dieser qualvolle Eingriff von einer medizinisch völlig unge­bildeten Person durchgeführt wird.

Die Schilderung, deren Lektüre jedem zu empfehlen ist, läßt einiges von dem erahnen, was durch Untersuchungen dieses Pähnomens der Durchführung von Genitalienverstümmelung belegt ist:

–   Die Verstümmelungen werden selten von Ärzten, sondern meist von älteren Frauen eines Dorfes oder Hebammen unter extrem unhygienischen Umständen durchgeführt.

–   Die Mädchen, an denen diese ”Operation” durchgeführt wird, sind meist zwischen drei und acht Jahre alt. Es gibt aber auch Gegenden (etwa in Kenia), wo bis zur Hochzeitsnacht gewartet wird.

–   Die Folgen für die Betroffenen liegen auf der Hand: Viele Mädchen sterben bereits kurz nach der Verstümmelung an Blutvergiftung bzw. Hepatitis, andere an sonstigen Spätfolgen. Auch die Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus steigt um ein Vielfaches. Jedenfalls sind sie für viele Jahre oder das ganze Leben mit großen Schmerzen und Menstruationsproblemen belastet. Evident sind auch die Probleme mit dem Sexualleben und bei späteren Geburten (abgesehen davon, daß oft danach die Schamlippen wieder ”zugenäht” werden!). Auch psychologische Konsequenzen sind häufig.

–   Oft wird die Durchführung der Verstümmelung mit religiösen Motiven verbrämt. Die Ver­breitung dieser Praktik zeigt jedoch, daß sowohl moslemische als auch christliche als auch solche Länder, wo Naturreligionen vorherrschen, betroffen sind.

–   Die sonstigen Begründungen sind mannigfaltig, aber natürlich nicht stichhaltig, sondern auf mangelnde Bildung der betroffenen irregeleiteten Menschen, die in der Regel meinen, in guter Absicht zu handeln, zurückzuführen: sie reichen von mythischen Überzeugungen und Traditionen über Fragen der Hygiene und Ästhetik (die weiblichen Genitalien werden als häßlich oder unsauber empfunden) bis hin zur sexuellen und sozialen Kontrolle der Frau: die Jungfräulichkeit der Braut soll garantiert werden, die Klitoris, als Organ, das unkontrolliertes sexuelles Verlangen hervorrufe, müsse entfernt werden (vgl. Angelika Mlinar: ”Frauenrechte als Menschenrechte”, Frankfurt 1997, S 211 ff).

All dies zeigt, daß es keinen rationalen Grund dafür gibt, dieses gesundheitsschädliche Ritual aufrecht­zuerhalten. Es ist frauenfeindlich und verstößt gegen grundlegende Menschenrechte, wie sie etwa in der Frauenkonvention (Resolution der UN-Generalversammlung 1994), der Wiener Menschenrechts­deklara­tion 1993 oder der Pekinger Deklaration 1995 anläßlich der 4. Frauenweltkonferenz (dort wird die Verstümmelung sogar in drei Punkten namentlich genannt und verurteilt) formuliert sind.

Allerdings ist es wenig effektiv, wenn westliche Staaten diese Praktiken, vornehmlich in Afrika, einfach nur verurteilen. Einerseits wird dies dort häufig – auch wenn es ungerecht sein mag – als neo-kolonialistischer Akt aufgefaßt und ist daher wenig effektiv; andererseits sind auch europäische Staaten selbst von dem Problem betroffen, da Emigranten offensichtlich Wege und Mittel finden, ”Beschnei­dungen” hier oder in ihrem Heimatland durchführen zu lassen. Nach Schätzungen des Hilfsvereins INTACT leben allein in Deutschland zirka 20 000 ”beschnittene” Frauen. Die Zahl läßt sich für Österreich leicht hochrechnen. Es geht also darum, behutsam und vor allem in Zusammenarbeit mit Hilfsorgani­sationen und Menschenrechtsgruppen vor Ort Überzeugungs- und Bildungsarbeit zu leisten, wofür sich ein konzertiertes Vorgehen der EU anbietet.

Doch man müßte auch einen Schritt weitergehen und jenen Frauen, die in Zusammenhang mit der Gefahr oder den Folgen einer Verstümmelung flüchten, Asyl gewähren. Kanada ist ein Land, das in dieser Frage eine Vorbildfunktion haben sollte. Es hat eine langjährige Asyltradition und eine in vielen Berei­chen vorbildhafte Einwanderungs- und Asylgesetzgebung, vor allem auch was die Definition des Flücht­lingsbegriffs betrifft. Da sich Kanada auf internationaler Ebene auch schon längere Zeit für Frauenthemen einsetzt, hat es in dieser Frage folgerichtig eine Vorreiterrolle eingenommen: So hat der kanadische Aus­schuß für Einwanderungs- und Asylfragen gemäß § 65 Abs. 3 des Einwanderungs­gesetzes Richtlinien für Asylwerberinnen, die sich aus Furcht vor Verfolgung auf Grund ihres Geschlechts berufen, verabschiedet (in Kraft getreten am 25. November 1996). Darin wird von der Überlegung ausgegangen, daß die Definition des Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention richtigerweise dahin gehend ausgelegt werden kann, daß sie Frauen Schutz vor der Verfolgung wegen ihres Geschlechts bieten kann, obwohl das Geschlecht nicht ausdrücklich als einer der Gründe für die Anerkennung der Flüchtlingseigen­schaft genannt wird. Dies sei etwa dann der Fall, wenn Frauen Verfolgung durch bestimmte Formen ernst­hafter geschlechtlicher Diskriminierung oder Gewalttätigkeiten fürchten müssen, die entweder von staat­lichen Stellen oder Privatpersonen (zB in der Familie) ausgehen, zB wenn sie sich nicht nach bestimmten geschlechtsdiskriminierenden religiösen Gesetzen oder geschlechtsdiskriminierenden Gewohnheitsrechten und Praktiken in ihrem Herkunftsland richten. Darunter ist eindeutig die Praktik der Genitalver­stümmelung zu subsumieren. Die Richtlinie wird im Sinne der durch diese Umstände hervorgerufenen ”Zugehörigkeit (der Frauen) zu einer bestimmten sozialen Gruppe” durch Verweise auf internationale Übereinkommen und Entschließungen des Exekutivausschusses des UNHCR (zB Nr. 39, XXXVI, Weib­liche Flüchtlinge und internationaler Schutz von 1985) untermauert. Auch für den schwierigen Nachweis dieser Art von Verfolgung werden Kriterien entwickelt: so sollte etwa berück­sichtigt werden, daß Antragstellerinnen einen eindeutigen und überzeugenden Beweis für die Unfähigkeit des Staates, Schutz zu gewähren, nicht immer verfügbar haben, weshalb möglicherweise alternative Nach­weisformen heran­gezogen werden müssen, etwa Zeugenaussagen von Frauen, die sich in ähnlichen Situationen ohne staat­lichen Schutz befanden.

Die hier angeführten Beispiele zeigen, daß für die EU und für Österreich auf mehreren Ebenen die Möglichkeit und die Notwendigkeit besteht, entsprechende Initiativen zum Schutz von betroffenen Frauen und Mädchen zu ergreifen.”

Der Außenpolitische Ausschuß hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 10. Februar 1999 in Verhandlung genommen.

In der anschließenden Debatte ergriffen die Abgeordneten Dipl.-Kfm. Holger Bauer, Herbert Scheibner, Dr. Irmtraut Karlsson, Werner Amon, Dr. Martina Gredler und Mag. Johann Ewald Stadler das Wort.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschuß­mehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuß somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zu Kenntnis nehmen.

Wien, 1999 02 10

                              Mag. Walter Posch                                                               Peter Schieder

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann