541 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Ausschusses für innere Angelegenheiten


über die Regierungsvorlage (496 der Beilagen): Protokoll über den Beitritt der Regierung der Republik Österreich zu dem Übereinkommen von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der BENELUX-Wirtschaftsunion, der Bundes­republik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, in der Fassung der Protokolle vom 27. November 1990, 25. Juni 1991 und 6. November 1992 über den jeweiligen Beitritt der Regierungen der Italienischen Republik, des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik sowie der Griechischen Republik

Mit dem Beitritt Österreichs zum Schengener Übereinkommen (SÜ) in Verbindung mit dem Beitritt zum Schengener Durchführungsübereinkommen soll eine endgültige Regelung darüber erfolgen, wie die Binnengrenzen abgeschafft werden können, gleichzeitig aber durch Ausgleichsmaßnahmen sichergestellt werden kann, Sicherheitsdefizite zu vermeiden.

1. Hintergrund, Entstehung und Ziel des Schengener Übereinkommens (SÜ)

Die Bemühungen, die zur Ausarbeitung des Schengener Übereinkommens vom 14. Juni 1985 führten, gehen auf das Jahr 1974 zurück, wonach beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Paris die Forderung erhoben wurde, die Möglichkeit zur Schaffung einer Paßunion zu prüfen. Als weiterer Entwicklungsschritt, der im Rahmen der EG gesetzt wurde, ist auf die Entschließung des Rates vom 7. Juni 1984 zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen, um die Wartezeit und die Dauer der Kontrollen an den Grenzen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, hinzuweisen. Der sogenannte Adonnino-Ausschuß für das Europa der Bürger erhielt daraufhin vom Europäischen Rat von Fontainebleau am 25./26. Juni 1984 den Auftrag, Maßnahmen mit dem Ziel zu prüfen, daß möglichst rasch „alle Polizei- und Zollformalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen im Personenverkehr entfallen“ können.

Dies war der Ausgangspunkt für die Setzung bilateraler Schritte zwischen Deutschland und Frankreich, die am 13. Juli 1984 in Saarbrücken das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze (Saarbrückner Abkommen) unterzeichneten. Mit diesem Tag wurden für Angehörige der EG-Mitgliedstaaten die Formalitäten im Personenverkehr an der gemeinsamen Grenze aufgehoben und eine „Euro-Spur“ an den Grenzübergangsstellen eingerichtet.

Als weiterer Schritt wurde am 11. Dezember 1984 ein Übereinkommen zur Beschränkung der Grenzhemmnisse im Güterkraftverkehr zwischen den Verkehrsministern Deutschland und der Benelux-Staaten abgeschlossen und einen Tag später erklärten sich Belgien, die Niederlande und Luxemburg im Benelux-Manifest bereit, sich dem Inhalt des Saarbrückner Abkommens anzuschließen.

Die dadurch entstandene Gruppe der Fünf arbeitete in der Folge auf der Grundlage des Saarbrückner Abkommens das Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen aus, das am 14. Juni 1985 im luxemburgischen Schengen unterzeichnet wurde. In diesem Schengener Übereinkommen (SÜ) fanden die im Bericht des Adonnino-Ausschusses vorgeschlagenen Maßnahmen im Bereich der Terrorismus- und Drogenbekämpfung Aufnahme. Dieses Übereinkommen, das als Grundlage für das Schengener Durchführungsübereinkommen diente, gliedert sich in zwei Teile:

Es enthält in Titel I (Art. 1ff) kurzfristig durchführbare Kontrollerleichterungen und in Titel II (Art. 17ff) einen Katalog von langfristig durchzuführenden Ausgleichsmaßnahmen, um die Binnengrenzkontrollen vollständig abzuschaffen. Die Art. 28ff enthalten die Schlußbestimmungen. Es sieht in Vorwegnahme der vollen Verwirklichung des Binnenmarktes im Sinne des Art. 7a EGV programmatisch die Abschaffung der Kontrollen des Personenverkehrs an den Binnengrenzen und im Interesse der Gewährleistung der Sicherheit notwendige Begleitmaßnahmen vor.

2. Der österreichische Beitrittsakt

Am 23. Juli 1993 ersuchte Österreich die Schengen Staaten um Einräumung des Beobachterstatus, der am 27. Juni 1994 durch Beschluß des Exekutivausschusses gewährt wurde.

Am 21. Juni 1994 faßte die österreichische Bundesregierung den Beschluß, daß Österreich im Anschluß an den Beitritt zur Europäischen Union auch den Schengener Übereinkommen vom 14. Juni 1985 (SÜ) sowie vom 19. Juni 1990 (SDÜ) beitreten wolle. Der mit 1. Jänner 1995 erfolgte Beitritt zur Europäischen Union eröffnete Österreich gemäß Art. 140 SDÜ die Möglichkeit eines Beitritts zu den Schengener Übereinkommen. In der Schengener Arbeitsgruppe „Verträge und Regelungen“ wurden entsprechende Beitrittsinstrumente (Beitrittsprotokoll zum SÜ und Beitrittsübereinkommen um SDÜ) ausgearbeitet. Das Beitrittsprotokoll zum SÜ wurde am 28. April 1995 vom Bundesminister für Inneres in Brüssel unterzeichnet.

3. Das Schengener Übereinkommen – Übernahme und Wirksamwerden

Bei dem Beitrittsprotokoll zum Schengener Übereinkommen (SÜ) von 1985 handelt es sich um einen gesetzesergänzenden und gesetzändernden Staatsvertrag, der daher der Genehmigung des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG bedarf. Er hat nicht politischen Charakter, enthält keine verfassungsändernden oder verfassungsergänzenden Bestimmungen. Im Hinblick auf Art. 30 SÜ wird davon ausgegangen, daß die der unmittelbaren Anwendung nicht zugänglichen Bestimmungen des Übereinkommens zur Gänze durch Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens überlagert werden. Daher kann von einem Beschluß gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG, wonach das gegenständliche Abkommen durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, Abstand genommen werden.

Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da nur Angelegenheiten geregelt werden, die in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind (Art. 10 Abs. 1 Z 2 [Zollwesen], Z 3 [Regelung und Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm; Ein- und Auswanderungswesen; Abschiebung; Ausweisung; Auslieferung sowie Durchlieferung], Z 6 [Strafrechtswesen; Justizpflege], Z 7 [Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe; Ordnung und Sicherheit; Fremdenpolizei und Meldewesen; Waffen-, Munitions- und Sprengmittelwesen; Schießwesen], Z 9 [Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt; Kraftfahrwesen] und Z 12 [Gesundheitswesen] B-VG). Die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß dieses Staatsvertrages ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 2 (äußere Angelegenheiten) B-VG.

Das Beitrittsprotokoll wird in deutscher und französischer Sprache im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Hinsichtlich der ebenfalls authentischen griechischen, italienischen, niederländischen, portugiesischen und spanischen Textfassungen wäre vom Nationalrat anläßlich der Genehmigung der Beitrittsabkommen gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG zu beschließen, daß diese gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundgemacht werden, daß sie im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten zur Einsichtnahme aufgelegt werden. Daran anknüpfend wurde mit Rücksicht auf eine sparsame und zweckmäßige Verwaltung gemäß § 23 Abs. 2 GOG-NR von der Vervielfältigung und Verteilung dieser Sprachfassungen Abstand genommen. Die gesamte Regierungsvorlage liegt in der Parlamentsdirektion zur Einsichtnahme auf. Das Schengener Übereinkommen sowie die jeweiligen Beitrittsakte der später beigetretenen Staaten einschließlich aller Schlußakte, Protokolle und Erklärungen werden – da sie als mittelbarer Bestandteil der Beitrittsverträge Rechtswirkungen entfalten – in deutscher und französischer Sprache auf der Grundlage des § 2 Abs. 2 BGBlG im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Die übrigen authentischen Fassungen in griechischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer und spanischer Sprache werden ebenfalls zur öffentliche Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufgelegt.

Festzuhalten ist, daß das Beitrittsprotokoll zum SÜ und das Beitrittsübereinkommen zum SDÜ gleichzeitig in Kraft treten. Sofern die Inkraftsetzung des Beitrittsübereinkommens zum SDÜ nicht gleichzeitig mit dem Tag der Inkrafttretens der beiden Beitrittsinstrumente erfolgt, kommen bis zur Inkraftsetzung des SDÜ die Bestimmungen des SÜ sowie die Bestimmungen über den Exekutivausschuß (Teil VII) des SDÜ zur Anwendung. Im Hinblick auf § 12 Abs. 3 und 4 GrekoG, BGBl. Nr. 435/1996, der die Möglichkeit von Stichprobenkontrollen zuläßt, ist die gesetzliche Deckung bereits gegeben.


Die sich aus Titel II ergebenden langfristigen Verpflichtungen, die seit 26. März 1995 (Inkraft­setzung des SDÜ) nur mehr für Italien und Griechenland gelten, bleiben auch für Österreich bis zur Inkraftsetzung des Beitrittsübereinkommens zum SDÜ in Geltung.

Der Ausschuß für innere Angelegenheiten hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 4. Dezember 1996 in Verhandlung genommen.

An der die Ausführungen des Berichterstatters anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Helene Partik-Pablé, Hans Helmut Moser, Paul Kiss, Rudolf Anschober, Herbert Scheibner und Franz Lafer sowie der Bundesminister für Inneres Dr. Caspar Einem.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses des gegenständlichen Staatsvertrages zu empfehlen.

Im vorliegenden Fall hält der Ausschuß für innere Angelegenheiten die Erlassung eines besonderen Bundesgesetzes gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG zur Erfüllung des Staatsvertrages für entbehrlich.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuß für innere Angelegenheiten somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

        1.   Der Abschluß des Staatsvertrages: Protokoll über den Beitritt der Regierung der Republik Österreich zu dem Übereinkommen von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, in der Fassung der Protokolle vom 27. November 1990, 25. Juni 1991 und 6. November 1992 über den jeweiligen Beitritt der Regierungen der Italienischen Republik, des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik sowie der Griechischen Republik (496 der Beilagen) wird genehmigt.

        2.   Gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG hat die Kundmachung des Beitrittsprotokolls in seinen gleichermaßen authentischen Fassung in griechischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer und spanischer Sprache dadurch zu erfolgen, daß dieses zur Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufliegt.

Wien, 1996 12 04

                               Günter Kiermaier                                                              Robert Elmecker

                                   Berichterstatter                                                                          Obmann

Abweichende persönliche Stellungnahme
des Abgeordneten Rudi Anschober

(gemäß § 42 Abs. 5 GOG)

zum Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über die Regierungsvorlage betreffend das Protokoll über den Beitritt der Regierung der Republik Österreich zum Übereinkommen von Schengen (496 der Beilagen) sowie die Regierungsvorlage betreffend das Übereinkommen über den Beitritt der Regierung der Republik Österreich zum Schengener Durchführungsübereinkommen (501 der Beilagen)


Zur Vorgangsweise:

Vorweg wird bemängelt, daß es kaum eine Information über Sinn und Zweck sowie Auswirkungen des Schengener Vertragswerkes für die Öffentlichkeit gibt. Dies ist um so bedauerlicher, als an den Exekutivausschuß gemäß Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) auch gesetzgebende Kompetenzen übertragen werden, das heißt, der Exekutivausschuß kann Beschlüsse fassen, die für die in Österreich lebenden BürgerInnen unmittelbar wirksam sind. Es ist verwunderlich, daß Parteien wie zB die ÖVP diese Kompetenzeinschränkungen des Bundes und der Länder kritiklos in Kauf nehmen. Die Grünen hätten sich gewünscht, daß Stellungnahmen von den Ländern, den öffentlichen Körperschaften und anderen betroffenen Organisationen zu diesem Vertragswerk eingeholt werden, bevor die beiden Übereinkommen im Innenausschuß behandelt werden.

1. Mit dem Beitritt zum Schengener Vertragswerk fördert Österreich eine Politik des Europa zweier Geschwindigkeiten:

Einerseits gibt es EU-Staaten, in denen das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft gesetzt wurde (Deutschland, Frankreich, BENELUX-Länder, Spanien und Portugal). Zwischen diesen Staaten sollten die Binnengrenzen eigentlich abgeschafft sein. (Tatsächlich hat jedoch Frankreich bezüglich seiner Grenze zu den Niederlanden unter Hinweis auf den Drogentourismus von der Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Gebrauch gemacht, wobei Grenzkontrollen wieder eingeführt werden können, wenn die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit dies erfordern; dh. nicht einmal innerhalb von den „Schengener Staaten“ funktioniert der freie Binnengrenzverkehr.) Andererseits gibt es die Länder, die auch dem Schengener Übereinkommen beigetreten sind, wie zB Italien und Griechenland, für die es aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde, und die Länder, wie Dänemark, Großbritannien, Irland, aber auch Schweden und Finnland, die zum Schengener Durchführungsübereinkommen überhaupt noch nicht beigetreten sind. Damit werden einzelne EU-Länder unterschiedlich behandelt, was eindeutig den Grundprinzipien des EU-Vertrages (siehe Antidiskriminierungsbestimmungen des Art. 6 EGV) widerspricht.

Gerade das Beispiel Italien und Griechenland zeigt, daß im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens einige wenige Länder bestimmen, wie weit andere Länder bzw. deren Politik akzeptiert wird oder nicht, denn das SDÜ kann erst in Kraft treten, wenn alle Mitgliedländer des Exekutivausschusses damit einverstanden sind. Das Geplänkel auf innenministerieller Ebene zwischen Deutschland und Österreich in den letzten Monaten bezüglich des Inkrafttretens des SDÜ im Jahre 1997 bestätigte diese Problematik auf anschauliche Weise. Inzwischen hat man sich offensichtlich auf eine „schengeneinheitliche“ Argumentation geeinigt, die lautet: Das Schengener Vertragswerk kann für Österreich 1997 noch nicht in Kraft gesetzt werden, da die technischen Voraussetzungen in der Schengener Datenzentrale noch nicht gegeben sind. Der tatsächliche Hintergrund ist einfach: Bayern will so knapp vor den Wahlen nicht 2 000 Grenzbeamte abbauen.

2. Mangelnde politische Kontrolle:

Das SDÜ unterliegt weder der Kontrolle des Europäischen Parlaments noch der Kontrolle des EuGH. Es gibt auch keine Möglichkeit der Einflußnahme des österreichischen Parlaments, insbesondere im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Exekutivausschusses, wie sie im Rahmen der EU im „EU-Unterausschuß“ möglich ist. Dabei ist zu bedenken, daß vom Exekutivausschuß Beschlüsse mit unmittelbarer Wirkung für die österreichischen StaatsbürgerInnen getroffen werden können. Der Exekutivausschuß erlangt somit (die Regierung stützt sich auf Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 B-VG) gesetzgebende Bedeutung. Der Beitritt zum SDÜ bedeutet daher auch eine Kompetenzabgabe der gesetzgebenden Körperschaften Österreichs an den Exekutivausschuß (Österreich ist darin durch den Innenminister vertreten). Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Problematik dieser Konstruktion ist diese Regelung auch aus demokratiepolitischen Überlegungen unakzeptabel, zumal überhaupt keine Kontroll- und Einflußmöglichkeiten des österreichischen Nationalrates festgelegt sind.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß derzeit nicht einmal einfachste Informationsrechte für Abgeordnete des Innenausschusses geregelt sind. Mit der Unterzeichnung des Übereinkommens am 28. April 1995 ist Österreich berechtigt, an allen Entscheidungen der Schengener Organe mitzuwirken. Bis heute wurden weder die Mitglieder des Nationalrates noch die Mitglieder des Innenausschusses von allfälligen Beschlüssen der Schengener Organe informiert. Auch die jährlich erstellten Jahresberichte erhalten die Grünen nur über andere „Schengener Staaten“.

3. Zur EU-Konformität:

Laut Begriffsbestimmungen (Art. 1) sind Drittstaaten alle jene Staaten, in denen das SDÜ noch nicht in Kraft gesetzt wurde (also auch Italien und Griechenland). Dies bedeutet, daß Österreich zu Italien eine Außengrenze erhält und diese Grenze auch wie die Grenze zu Tschechien oder Ungarn streng zu kontrollieren ist. Dabei stellt sich die Frage, wie eine derartige Politik mit den Bestrebungen der Förderung von Europaregionen zB Tirol/Trentino (gemeinsame Landtagssitzungen, gemeinsame Vertretung in Brüssel, . . .) in Einklang zu bringen ist. Wenn andererseits Österreich zu Italien keine strenge Grenzkontrolle durchführt, ist damit zu rechnen, daß Deutschland wegen mangelhafter Grenzkontrollen die Inkraftsetzung des SDÜ für Österreich verhindert.

Nahezu drei Viertel von Österreichs Grenzen werden im Sinne des SDÜ Außengrenzen sein. Die Grünen halten es daher nicht für sinnvoll, einem Vertragswerk beizutreten, nur damit die Binnengrenzkontrolle zu Deutschland wegfällt, wenn andererseits damit strengere Grenzkontrollen und erschwerte Bedingungen für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr insbesondere zu unseren östlichen Nachbarländern verknüpft sind. Mit dem SDÜ wird nicht nur die Zweiklassengesellschaft an den Grenzübertrittsstellen sichtbar gemacht, es ist aber auch zu befürchten, daß der seit dem Fall des „Eisernen Vorhanges“ mühsam erarbeitete Wirtschaftsaufschwung, insbesondere in den Grenzregionen unserer südlichen und östlichen Bundesländer, wieder zunichte gemacht wird. Eine kurze Probe vergangene Ostern an der slowenisch-kärntnerischen Grenze beweist, daß bei einer derartigen Politik zB die slowenischen Wirtschaftstreibenden eben auf Italien ausweichen werden.

Das SDÜ beinhaltet auch eine Vereinheitlichung der Visapolitik. Die Vertragsstaaten des SDÜ haben eine verbindliche Liste von 127 visapflichtigen Drittstaaten angenommen. Die EU hat mit 25. September 1995 eine Verordnung des Rates zur Bestimmung der visapflichtigen Drittländer beschlossen; die gemeinsame Liste beträgt 98 Staaten, die Visapflicht für drei weitere Staaten wurde nicht von allen Mitgliedstaaten anerkannt. Dieses Beispiel zeigt ein weiteres Mal, daß die immer wieder geschworene Notwendigkeit des Beitrittes zum Schengener Vertragswerk nicht gegeben ist, sondern vielmehr nur neue Probleme schafft.

Ein wesentlicher Teil der Kosten im Rahmen des Beitritts zum SDÜ, die für Österreich entstehen, betrifft den Aufbau des Schengener Informationssystems (SIS). Dabei ist zu bedenken, daß es daneben einen Entwurf für einen Rechtsakt des Rates zur Fertigstellung des Übereinkommens über das Euro­päische Informationssystem (EIS) aus dem Jahre 1995 gibt, wobei der Zweck des EIS nahezu wortwörtlich den Zielsetzungen des SIS entspricht. Darüber hinaus ist auch im Europolübereinkommen ein Informationssystem vorgesehen, mit dem im wesentlichen dieselben Ziele verfolgt werden sollen. Angesichts dieser Tatsache muß der Kosteneinsatz für das SIS bezweifelt werden. Zu erwähnen ist weiters, daß von der EU zwar eine Datenschutzrichtlinie erlassen wurde, ein Beschwerderecht im Zusammenhang mit dem Schengener Übereinkommen wegen Verletzung der EU-Datenschutzrichtlinie jedoch nicht besteht. Das heißt, daß zwar die rechtswidrige Verarbeitung von Daten im Rahmen des SIS in Österreich auf Grund der bestehenden Datenschutzbestimmungen bekämpft werden kann, ein wirkungsvoller Schutz im Falle rechtswidriger Verwendung von Daten in anderen Schengener Staaten besteht aber mangels eines übergeordneten Gerichtshofes wie zB dem EuGH nicht.


4. Zu den finanziellen Auswirkungen:

Der Beitritt zum SDÜ bewirkt bis zum Jahr 2000 Ausgaben von ca. 2,7 Milliarden Schilling. Angesichts der Einsparungen auf sozialer, bildungspolitischer, kultureller, anderer Ebene stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt ist, Kosten in dieser Höhe auszugeben, nur um Österreich gegenüber seinen Nachbarländern abzuschotten.

Dies ist einerseits deshalb problematisch, da damit zu rechnen ist, daß in ca. zehn Jahren auch unsere östlichen Nachbarländer der EU beigetreten sein werden und sodann eine Abschottungspolitik wegallen muß. Andererseits gibt es Bestrebungen innerhalb der EU, die im Vertrag verankerte Beseitigung der Binnengrenzen so rasch als möglich umzusetzen, womit die Bestimmungen des SDÜ hinfällig wären, wie es derzeit bereits zum Teil der Fall ist (zB die Bestimmungen betreffend Feuerwaffen und Munition, Art. 77 bis 91). Durch das Schengener Vertragswerk ist außerdem zu befürchten, daß sich die Mitgliedstaaten des SDÜ wie die BENELUX-Länder, Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland um eine Umsetzung des freien Binnengrenzverkehrs nicht mehr bemühen, da sie dies ja innerhalb des SDÜ verwirklicht haben.

Rudi Anschober