795 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


über die Regierungsvorlage (610 der Beilagen): Übereinkommen über nukleare Sicherheit


Mit diesem Übereinkommen wird erstmals eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung geschaffen, international anerkannte Grundsätze der Reaktorsicherheit im nationalen Bereich anzuwenden. Der Bereich der Reaktorsicherheit, der bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich von nationalen Regeln bestimmt wurde, soll damit auch einer internationalen Kontrolle zugeführt werden. Das Übereinkommen bildet den vorläufigen Abschluß einer schon länger andauernden Entwicklung auf internationaler Ebene.

Im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) wurde seit Mitte der 70er Jahre ein wissenschaftlich-technisches Programm verfolgt, mit dem Ziel international anerkannte Grundsätze der Reaktorsicherheit zu entwickeln [Nuclear Safety Standards (NUSS)-Programme]. Von der IAEO wurde insbesondere der Begriff der „Sicherheitskultur“ entwickelt und zur Forderung erhoben. Das Ergebnis dieser Arbeiten wurde in den „Grundlegenden Sicherheitsrichtlinien über die Sicherheit von Kernanlagen“ (safety fundamentals, „the safety of nuclear installations“) im Jahre 1993 niedergelegt, in denen grundlegende Zielsetzungen, Konzepte und Prinzipien zur Gewährleistung nuklearer Sicherheit festgelegt sind.

Der Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahre 1986 führte zu der Erkenntnis, daß die internationale Zusammenarbeit und die internationale Vereinheitlichung von Grundsätzen der Reaktorsicherheit ein vordringliches Ziel ist. Als unmittelbare Reaktionen auf den Unfall wurden im Jahre 1986 das „Überein­kommen über die frühzeitige Benachrichtigung“ und das „Übereinkommen über die gegenseitige Hilfeleistung“ zur Unterzeichnung aufgelegt.

Die bereits weitgehend bestehende internationale Zusammenarbeit im Bereich des Strahlenschutzes und des Transports radioaktiver Stoffe wurde fortgesetzt und weiter vertieft. Dennoch entzog sich ein Kernstück der nuklearen Sicherheit weiterhin der internationalen Harmonisierung.

Auf Grund einer von Österreich unterstützten Initiative des deutschen Umweltministers wurde bei der IAEO in Wien im September 1991 eine Sonderkonferenz abgehalten. Vor dem Hintergrund der nunmehr veränderten politischen Verhältnisse in Mittel- und Osteuropa wurden unmittelbar danach die Arbeiten zu diesem Übereinkommen über nukleare Sicherheit aufgenommen. Das Ergebnis dieser Arbeiten wurde nach nur zweieinhalbjährigen Verhandlungen im Juni 1994 einer diplomatischen Konferenz unter Teilnahme von 83 Staaten zur Beschlußfassung vorgelegt.

Das Übereinkommen hat gesetzändernden und gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Das Übereinkommen hat nicht politischen Charakter. Es enthält keine verfassungsändernden Bestimmungen.

Es ist im innerstaatlichen Rechtsbereich im Lichte seines Art. 4 („Durchführungsmaßnahmen“) einer unmittelbaren Anwendung nicht zugänglich, sodaß die Fassung eines Beschlusses gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG durch den Nationalrat erforderlich ist.

Das Übereinkommen berührt in verschiedener Weise auch Fragen im Rahmen des EURATOM-Vertrages und ist somit ein gemischtes Abkommen. Insbesondere nach Art. 4 in Verbindung mit Art. 15 des Übereinkommens regelt es Angelegenheiten, die sowohl in die Zuständigkeit von EURATOM als auch der Mitgliedsländer fallen, da der Europäischen Atomgemeinschaft die Zuständigkeit zukommt, einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen.

Da die Artikel 4, 7, 14, 16, 18 und 19 Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder regeln, bedarf dieses Übereinkommen überdies der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 50 Abs. 1 letzter Satz B-VG.

Zu Art. 16 Abs. 3 des Übereinkommens ist zu bemerken, daß in den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften über die „Katastrophenhilfe“ (i. e. alle – nicht in die Bundeskompetenz fallenden – Rettungs- und Hilfsmaßnahmen mit dem Ziel der Verhinderung, Beseitigung oder Minderung der unmittelbaren Auswirkungen der mit einer Katastrophe verbundenen Personen- und Sachschäden) regelmäßig Maßnahmen vorgesehen sind, um einer allenfalls eintretenden Katastrophe wirksam begegnen zu können (Katastrophenschutzpläne, Bereithaltung von erforderlichen Hilfsmitteln, Aus­bildung des Katastrophen­hilfsdienstes und Ausbildung in vorbeugendem Selbstschutz).

Im Sinne des Art. 27 Abs. 1 des Übereinkommens soll die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit nach Art. 20 Abs. 3 B-VG nicht berührt werden.

Das Übereinkommen wurde am 20. September 1994 anläßlich der Generalkonferenz der IAEO zur Unterzeichnung aufgelegt. Es wurde bisher von 63 Staaten unterzeichnet und von 25 Staaten ratifiziert (Stand: Juli 1996).

Da die gemäß Art. 31 erforderliche Zahl von 22 Ratifikationen, davon 17 von Staaten mit Kernkraft­werken, erreicht ist, tritt das Abkommen am 24. Oktober 1996 in Kraft.

Da das formelle Treffen der Mitglieder zur Festlegung der Verfahrensweisen zur Durchführung des Übereinkommens bis spätestens April 1997 stattzufinden hat, wäre eine Ratifizierung durch Österreich so bald wie möglich anzustreben.

Das Übereinkommen umfaßt eine Präambel und 35 Artikel. Ziel des Übereinkommens ist es, durch nationale Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit weltweit einen höchstmöglichen Stand der nuklearen Sicherheit von zivilen Kernkraftwerken zu erlangen bzw. aufrechtzuerhalten, Unfällen mit Strahlungsfolgen bestmöglich vorzubeugen und die Bevölkerung und Umwelt vor den Auswirkungen von Störfällen zu schützen.

Das Übereinkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei Planung und Betrieb von zivilen Kernkraftwerken die im Sinne entsprechender Richtlinien der IAEO empfohlenen Grundsätze hinsichtlich der Sicherheit von Kernkraftwerken zu beachten, sofern sie bei bestehenden Kernkraft­werken nicht erfüllt sind, diese entsprechend zu verbessern, und, falls die erforderlichen Verbesserungen nicht möglich sind, das betreffende Kernkraftwerk raschestmöglich zu schließen.

Das Übereinkommen konnte naturgemäß nicht allen Zielvorstellungen Österreichs gerecht werden, obwohl ein Großteil seiner Zielsetzungen in den Verhandlungen durchgesetzt werden konnte. Es stellt aber jenen Verhandlungskompromiß dar, dem schließlich alle zustimmen konnten und der eine Ratifizierung und Durchführung in einer möglichst großen Zahl von Staaten erwarten läßt.

Aus österreichischer Sicht ist zu bedauern, daß mangels Zustimmung maßgeblicher Staaten das Abkommen sich nur auf zivile Kernkraftwerke bezieht und nicht auch auf militärische Anlagen, daß die einzuhaltenden Mindeststandards auf der Grundlage von IAEO-Richtlinien nicht bereits im Überein­kommenstext klar definiert sind, sondern daß in wichtigen Artikeln jeweils auf die nationalen Vorschriften abgestellt wird, daß der IAEO keine stärkere Funktion ähnlich einer internationalen Behörde übertragen wurde, und daß nicht auch andere Stufen des Kernbrennstoffkreislaufs erfaßt werden. Weiters ist aus österreichischer Sicht zu bedauern, daß die Abschaffung von als unsicher erkannter Reaktoren sich verzögern kann, da die energiewirtschaftlichen Zusammenhänge und mögliche Alter­nativen sowie die sozialen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu berücksichtigen sind.

Das Abkommen ist dennoch auch aus österreichischer Sicht, vor allem im Lichte der gegenseitigen Informationsverpflichtungen der Vertragsstaaten, ein positiver Beitrag zu den internationalen Bemühungen um eine Verbesserung der Sicherheit von Kernkraftwerken, insbesondere wenn man bedenkt, daß Österreich die Ansicht vertritt, daß bis zum Erreichen des politischen Ziels der Schaffung einer „kernkraftfreien Region Mitteleuropa“ alle internationalen Anstrengungen unternommen werden sollten, um die Sicherheit der in Betrieb befindlichen Kernanlagen mit dem größtmöglichen Schutz für die Bevölkerung zu gewährleisten.

Darüber hinaus schafft es in Ergänzung zu und über den Rahmen bilateraler Abkommen hinaus erstmals ein multilaterales verbindliches Instrument, in dem sich alle Vertragsstaaten verpflichten, von der Planung bis zum Betrieb von Kernkraftwerken international anerkannte Grundsätze der Reaktorsicherheit zu beachten und über die Erfüllung ihrer Verpflichtungen periodisch Bericht zu erstatten. Den anderen Vertragsstaaten wird die Möglichkeit gegeben, im multilateralen Rahmen diese Berichte zu überprüfen und an den berichtenden Staat Empfehlungen zu erteilen.


Im Zuge eines fortlaufenden Berichts- und Überprüfungsmechanismus wird es mittelfristig möglich, die Sicherheit von Kernkraftwerken in den einzelnen Staaten zu kontrollieren und kontinuierlich zu verbessern.

Nachbarstaaten, wie Österreich, die selbst keine Kernkraftwerke betreiben, erhalten durch das Abkommen zusätzliche Möglichkeiten der Information und Mitsprache.

Das Übereinkommen hält des weiteren ausdrücklich die Absicht fest, weitere Rechtsinstrumente dieser Art über andere Stufen des Kernbrennstoffkreislaufs auszuarbeiten. Für den Bereich der Behandlung radioaktiver Abfälle wurden daher bereits 1995 Verhandlungen begonnen, die nach dem Willen der Teilnehmer noch im Jahre 1997 abgeschlossen werden sollen.

Zur Übertragung des englischen Textes wurde auf Einladung Österreichs mit Deutschland und der Schweiz eine Übersetzungskonferenz abgehalten, in der der dieser Regierungsvorlage einverleibte deutsche Text ausgearbeitet wurde.

Der Außenpolitische Ausschuß hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 1. Juli 1997 in Verhandlung genommen.

An der anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Martina Gredler, Dipl.-Kfm. Holger Bauer, Mag. Doris Kammerlander und Ingrid Tichy-Schreder sowie der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Dr. Wolfgang Schüssel.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuß den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

           1. Der Abschluß des Staatsvertrages: Übereinkommen über nukleare Sicherheit (610 der Beilagen) wird genehmigt.

           2. Dieser Staatsvertrag ist im Sinne des Art. 50 Abs. 2 B-VG durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen.

Wien, 1997 07 01

                                     Inge Jäger                                                                      Peter Schieder

                                 Berichterstatterin                                                                         Obmann