796 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


über die Regierungsvorlage (613 der Beilagen): Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits samt Anhängen und Protokollen


Entsprechend den Leitlinien, die vom Europäischen Rat in Lissabon (Juni 1992), Korfu (Juni 1994) und Essen (Dezember 1994) festgelegt wurden, ist die Europäische Union entschlossen, ein dauerhaftes Schema für die Beziehungen zu den mediterranen Drittstaaten im Zeichen der Partnerschaft festzulegen. Diese Kooperationspolitik im Süden ist das Gegenstück zur Politik der Öffnung nach Osten.

Ziel der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union ist es, die Mittelmeerländer in ihren Bemühungen um eine schrittweise Entwicklung der Region zu einer Zone des Friedens, der Stabilität, des Wohlstandes und der Zusammenarbeit zu unterstützen und zu diesem Zweck eine euro-mediterrane Partnerschaft zu schaffen. Diese umfaßt:

–   politische und Sicherheitsaspekte,

–   wirtschaftliche und finanzielle Aspekte,

–   soziale und menschliche Aspekte.

Hauptaugenmerk gilt dem Freihandel und der regionalen Integration. Ziel ist die Schaffung einer Freihandelszone bis zum Jahre 2010. Zu diesem Zweck werden die alten Kooperationsabkommen zwischen den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch neue Assoziierungsabkommen ersetzt.

Das Königreich Marokko ist nach Tunesien und Israel der dritte mediterrane Partnerstaat, mit dem ein solches Assoziierungsabkommen ausverhandelt wurde. Dieses tritt an die Stelle des Kooperations­abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko, kundgemacht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl.) Nr. L 264 vom 27. September 1978, Seite 2, und des Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dem Königreich Marokko, kundgemacht ebendort, Seite 119, die am 25. April 1976 in Rabat unterzeichnet wurden.

Nach Erteilung des Verhandlungsmandates durch den Rat Allgemeine Angelegenheiten am 6. Dezember 1993 fanden im Laufe der Jahre 1994 und 1995 Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und dem Königreich Marokko statt, die zur Paraphierung des gegenständlichen Abkommens am 15. November 1995 führten. Die Unterzeichnung erfolgte anläßlich des Rates Allgemeine Angelegen­heiten am 26. Februar 1996 in Brüssel.

Ziel des Abkommens ist es, einen Rahmen für den politischen Dialog zu schaffen, die Ausweitung von Handel und Investitionen zu fördern, die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und finanziellem Gebiet zu vertiefen und die regionale Integration zu stärken. Die Achtung der demokratische Prinzipien und der Menschenrechte stellt ein grundlegendes Element des Abkommens dar.

Im Bereich des Warenverkehrs sowie des Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs treten die Vertrags­parteien für eine auf den Grundsätzen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Tariffs and Trade/GATT) von 1994 sowie der anderen, dem Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (World Trade Organization/WTO) als Annexe angeschlossenen multi­lateralen Abkommen beruhenden Liberalisierung ein. Die Vertragsparteien sehen die progressive Errichtung einer Freihandelszone während einer Übergangszeit von maximal zwölf Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens vor. Antidumping- und Safeguard-Maßnahmen sind vorgesehen.

Die Gemeinschaften und Marokko zielen mit diesem Abkommen im Bereich des Handels mit landwirtschaftlichen und Fischereiprodukten auf eine größere Liberalisierung ab. Im Falle von Zahlungs­bilanzschwierigkeiten kann die sich in Schwierigkeiten befindliche Vertragspartei zeitlich begrenzte restriktive Maßnahmen setzen.


Das Abkommen sieht ein Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken im Sinne von Art. 85 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EGV), des Mißbrauches einer marktbeherr­schenden Stellung im Sinne von Art. 86 EGV, sowie von unzulässigen Beihilfen im Sinne von Art. 92 EGV vor. Diese Verbote gelten jedoch erst, wenn der Assoziationsrat Regeln für die Durchführung dieser Bestimmung erläßt. Als Frist sind hiefür fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens vorgesehen.

Neben der wirtschaftlichen und industriellen Kooperation sieht das Abkommen auch eine Zusammen­arbeit ua. auf den Gebieten der Erziehung, der Ausbildung, der Wissenschaft, der Forschung und techno­logischen Entwicklung, des Umweltschutzes, der Rechtsangleichung, der Finanzdienstleistungen, der Landwirtschaft und Fischerei, des Transportes, der Telekommunikation und der Informationstechno­logien, der Energie, des Tourismus, der Zollangelegenheiten sowie der Bekämpfung der Geldwäsche und des Drogenhandels vor.

Durch das Abkommen wird ein Assoziationsrat geschaffen, der einmal jährlich auf Ministerebene zusammentritt. Er setzt sich aus den Mitgliedern des Rates der EU und Mitgliedern der Europäischen Kommission einerseits und Vertretern der Regierung des Königreiches Marokko andererseits zusammen.

Das Assoziierungsabkommen ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann von jeder Vertragspartei gekündigt werden, wobei die Kündigung sechs Monate nach entsprechender Notifizierung wirksam wird.

Da das Abkommen neben in der Kompetenz der Gemeinschaften liegenden Materien auch Bereiche regelt, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind, wird es als sogenanntes gemischtes Abkommen geschlossen und bedarf dementsprechend auf EU-Seite neben der Genehmigung durch die Gemein­schaften auch der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten.

Das Abkommen hat – soweit es in die Vertragsabschlußkompetenz der Mitgliedstaaten fällt – gesetz­ändernden bzw. gesetzesergänzenden sowie politischen Charakter und bedarf daher der Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG. Es ist der unmittelbaren Anwendung im inner­staatlichen Rechtsbereich zugänglich, sodaß eine Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Es enthält keine verfassungsändernden Bestimmungen und bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Die Bundesregierung hat beschlossen, dem Nationalrat vorzuschlagen, anläßlich der Genehmigung des vorliegenden Staatsvertrages gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG zu beschließen, daß das Abkommen samt Anhängen und Protokollen in allen authentischen Sprachfassungen dadurch kundzumachen ist, daß es zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufliegt.

Der Außenpolitische Ausschuß hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 1. Juli 1997 in Verhandlung genommen.

An der anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Martina Gredler, Herbert Scheibner und der Bundesminister für auwärtige Angelegenheiten Dr. Wolfgang Schüssel.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

Im vorliegenden Fall hält der Außenpolitische Ausschuß die Erlassung eines besonderen Bundesgesetzes gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG zur Erfüllung des Staatsvertrages für entbehrlich.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuß den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

           1. Der Abschluß des Staatsvertrages Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Asso­ziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits samt Anhängen und Protokollen (613 der Beilagen) wird genehmigt.

           2. Gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG hat die Kundmachung dieses Staatsvertrages dadurch zu erfolgen, daß er samt Anhängen und Protokollen in allen authentischen Sprachfassungen zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufliegt.

Wien, 1997 07 01

                            Rudolf Schwarzböck                                                             Peter Schieder

                                   Berichterstatter                                                                          Obmann