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der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für lnneres Dr. Casper Einem

 

betreffend die Abschiebungspraxis in Salzburg

 

Herr A. K. ist ein junger Kurde aus den Südosten der -rürkei. Er kommt aus einem Dorf in

der Region Gaziantep, die vom militärischen Konflikt zwischen türkischer Regierung und

PKK geprägt ist. Junge Kurden haben zwischen den Fronten der kriegführenden Parteien

keine Lebensalternative.

 

Mit viel menschlichem und finanziellem Aufwand gelang dem A. K. Ende Oktober die Flucht

nach Österreich (versteckt in einem LKW). Er hat Österreich als Zielland gewählt, weil hier

einer seiner Brüder als Flüchtling lebt. Nachdem er in Salzburg angelangt war, begab er

sich sogleich zum Bundesasylamt, um den Asylantrag zu stellen. Er wurde sogleich in

Schubhaft genommen. Sodann nahm der bürokratische Flüchtlingsabweisungsapparat

seine Arbeit gegen A. K. auf.

 

30.10.95: Frau Schmidt, BDP Salzburg, erläßt einen Schubhaftbescheid;

31 .10.95: BDP Salzburg, Herr Steinhagen, vernimmt den A. K.

02.11.95: Asylbehörde (Bundesasylamt), Herr Robert Haas, vernimmt den A. K.

03.11.95: BDP Salzburg, Frau Schmidt, erläßt über den A. K. ein sofort vollstreckbares

fünfjähriges Aufenthaltsverbot;

06.11.95: Bundesasylamt, Herr Haas, weist den Asylantrag des A. K. ab;

Der A. K. erhebt durch seinen damaligen Rechtsvertreter gegen Asylbescheid

und Aufenthaltsverbot Berufung;

23.11.95: Bundesministerium für lnneres, Herr Mag. Jamnik, weist die Berufung gegen

das Aufenthaltsverbot ab;

01.12.95: Sicherheitsdirektion, Herr Dr. Wurhofer, weist die Berufung gegen das

Aufenthaltsverbot ab;

 

Der A. K. befindet sich zu diesem Zeitpunkt nach wie vor in Schubhaft. Seiner Abschiebung

stand seit dem 03.11.1995 (!) nur mehr ein Umstand entgegen: der von seinem damaligen

Rechtsvertreter fristgerecht gestellte Antrag vom 03.11.95 auf Feststellung der

Unzulässigkeit der Abschiebung (§ 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG i.V.m. § 54 Abs. 2 und Abs. 4

FrG). ln diesem Verfahren macht der A. K. geltend, daß er bei der Abschiebung in die

Türkei, nachdem er bereits vor seiner Flucht von der Contra-Guerilla verfolgt wurde, in

seinem Leben und in seiner körperlichen Unversehrtheit und Freiheit gefährdet wäre.

 

Mit Bescheid vom 07.12.1995, lehnt die BDP Salzburg (Dr. Rudolf Feichtinger) diesen

Antrag ab. Zentrale Begründung: Die Ermittlungen (richtig wohl: Verfolgungen) der

türkischen staatlichen Anti-Pkk-Einheiten würden sich nicht gegen den A. K., sondern

seinen Bruder richten. Demgemäß könne aber von einer Verfolgung des A. K. nicht

gesprochen werden.

 

ln der Woche vor Weihnachten übernimmt die Kanzlei Dr. Mory die Vertretung des A. K.

und arbeitet eine 35 Seiten starke Berufung gegen diesen Bescheid aus, in der eine Reihe

von Dokumenten und Erkenntnisquellen über die wirkliche Situation in der Heimat des A. K.

verwertet werden. Dem Berufungsschriftsatz werden die entsprechenden, vielseitigen

Dokumentationen beigelegt. Nach dem Gesetz muß die Sicherheitsdirektion binnen einer

Woche über die Berufung entscheiden. Die Berufung wird mit Schreiben vom 28.1 2.1 995

von der BDP Salzburg, Dr. Feichtinger, der Sicherheitsdirektion, Mag. Stürzenbaum,

vorgelegt: Am 29. 12.1995 erläßt Mag. Stürzenbaum den Berufungsbescheid. Die

Begründung umfaßt wenige Sätze. Sie beschränkt sich im wesentlichen auf die -rhese, daß

die Verfolgung des Bruders des A. K. rechtmäßig erfolgte, weil es sich bei der PKK um eine

kriminelle Organisation handeln würde. Der Umstand. daß der A. K. ''erklärbar durch die

gewalttätige und gespannte Atmosphäre im Kurdengebiet zweifellos rechtswidrig und bei

den Ermittlungen tatsächlich mißhandelt und bedroht wurde, ließe noch keinen Schluß auf

Bedrohungsbilder i.S.d. § 37 Abs. 1 und Abs. 2 zu.

 

Mit Schreiben vom gleichen Tag (29. 1 2.1995) stellt Mag. Stürzenbaum die Berufungsent-

scheidung und den Akt an die BDP Salzburg, zurück, ''zur Zustellung und Vollstreckung''.

 

Um 1 5.21 Uhr des 02.01.1996 wird dieser Bescheid der Kanzlei Mory zugestellt. Wegen der

Feiertagszeit wird das Telefax erst am 3. Jänner bemerkt: Ein Mitarbeiter ruft Dr. Feichtinger

an und erkundigt sich, wieviel -rage noch Zeit bleibt, den Verfassungsgerichtshof anzurufen

und eine aufschiebende Wirkung zu erreichen. Er erhält von Dr. Feichtinger die Auskunft,

daß sich der A. K. bereits ''auf Schub'' befindet. Näheres gibt Dr. Feichtinger nicht an.

Weitere telefonische Versuche, in Erfahrung zu bringen, wann konkret mit welchem

Flugzeug die Abschiebung durchgeführt wird, scheitern.

 

Die Kanzlei verfaßt sofort das außerordentliche Rechtsmittel der Beschwerde an den

Verfassungsgerichtshof und stellt den Antrag auf aufschiebende Wirkung. Die Beschwerde,

welche entsprechend begründet sein muß, umfaßt ca. 11 -rextseiten. beginnend ab 10.49

Uhr bis ca. 11 .15 Uhr wird die Beschwerde per Telefax an den Verfassungsgerichtshof

übermittelt und telefonisch Kontakt aufgenommen. Um ca. 12.20 Uhr langt der Beschluß

des Verfassungsgerichtshofes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in der

Kanzlei ein. Sofort wird Dr. Feichtinger telefonisch verständigt, der um ca. 12.30 Uhr erklärt,

das Flugzeug sei um 12.23 auf die Rollbahn gerollt.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen in diesem Zusammenhang folgende

 

 

AN FRAG E:

 

1 . Wie beurteilen Sie diesen Fall in seinen einzelnen Schritten?

 

2. Sind ihnen ähnliche Fälle bekannt?

b) Können Sie garantieren, daß dieser Fall eine bedauernswerte Ausnahme darstellt?

c) Was kann für den Betroffenen getan werden?

3. Geht man vom Bestehen der Verfolgungsbedrohung für den Betroffenen aus, so sieht

die österreichischer Rechtsordnung die Unzulässigkeit der Abschiebung vor.

Trotzdem vorgenommene Abschiebungen sind als willkürlich, konventions- und

gesetzeswidrig anzusehen. Wie hätte sich der Betroffene angesichts der Aktivitäten

der Behörden anders oder besser dagegen wehren können, ungerechtfertigt

abgeschoben zu werden?

 

4. Was gedenken Sie in Hinkunft konkret zu tun oder zu veranlassen, damit derartige

Fälle nicht passieren können?

 

5. Teilen Sie die Auffassung, daß die Behörden im angesprochenen Fall die Ergreifung

eines gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittels faktisch verhindert haben und damit den

Betroffenen - und eventuell an Leib und Leben bedrohten A.K. - entgegen den

lntentionen der Gesetze einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt haben?

 

6. Wie beurteilen Sie die Kritik des Chefs der Salzburger Fremdenpolizei Dr. Heinz

Kitzmantel an RA Dr. Mory, wonach dieser ''in jedem Fall jedes Rechtsmittel

ausschöpfe'' (Salzburger Nachrichten, 11.1.1996, Lokalteil)? Teilen Sie die

Auffassung, daß Rechtsmittel die Behörden lähmen?

 

7. Wie beurteilen Sie diese ungewöhnliche Einstellung eines Beamten gegenüber der

Rechtsstaatlichkeit und dem Grundrecht auf ein ordentliches Verfahren? lst eine

derartige Einstellung lhrer Meinung nach vertretbar?

 

8. Teilen Sie die Auffassung, daß ein Rechtsvertreter gerade verpflichtet ist, im lnteresse

seines Mandaten jedes Rechtsmittel auszuschöpfen, insbesondere in Fällen, wo es

um Leben oder Tod gehen kann?

 

9. Werden Sie lhre diesbezügliche Meinung auch der Salzburger Fremdenpolizei zur

Kenntnis bringen?

 

10. Wie schätzen sie angesichts des angesprochenen Falles die Chancen eines

politischen Flüchtlings ein, sich der an sich in den Gesetzen sinnvollerweise

vorgesehenen Rechtsmitteln zu bedienen, wenn er nicht durch einen erfahrenen

Rechtsanwalt vertreten wird?

 

11. Sehen Sie in diesem Zusammenhang Handlungsbedarf?