2035/J XX.GP

 

ANFRAGE

der Abgeordneten Wabl, Haidlmayr, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Landesverteidigung

betreffend politischer Verweigerung Andreas Grubers

Andreas Gruber wurde am 17.09.1996 einberufen, ab 2.Dezember 1996 seinen Wehrdienst

abzuleisten. Aus neutralitätspolitischer Überzeugung und aufgrund der gesetzlichen

Unmöglichkeit, einen Friedensdienst zu leisten, ist er der Einberufung nicht gefolgt.

Inzwischen haben sich mehr als 1 .000 Personen (Abgeordnete verschiedener Fraktionen,

Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle) im Komitee ,Öffentlichkeit für Art. l"

zusammengeschlossen, das sich mit dem Verweigerer aus neutralitätspolitischen Gründen

solidarisiert.

Andreas Gruber hat nun mit einem Strafverfahren wegen Nichtbefolgung des

Einberufungsbefehls nach § 7 und 12 des Militärstrafgesetzes zu rechnen. Gruber drohen

maximale Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren. Die einzige Möglichkeit, diese

Verurteilung abzuwenden und auch wiederholte Strafen zu vermeiden besteht darin, daß

Andreas Gruber vom Verteidigungsnministerium aus dem Präsenzdienst entlassen wird.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1) Hat das Verteidigungsministerium, im Fall des Verweigerers Andreas Gruber ein

Schreiben von amnesty international London erhalten, in dem die

Menschenrechtsorganisation angekündigt hat, Gruber im Fall einer Haftstrafe als

Gewissensverweigerer zu adoptieren?

2) Wenn Ja, wie sehen Sie diese Initiative Amnestys und es Konsequenzen auf eine etwaige

Entlassung Grubers aus dem Wehrdienst?

3) Ist Ihnen das Völkerrechtliche Gutachten des Univ-Doz. Dr. Geistlinger (s.B.) zum Fall

Gruber bekannt? Halten Sie, Herr Minister, die Argumentation Dr. Geistlingers für

stichhaltig und sind daraus nicht ebenfalls Konsequenzen im Sinne einer Entlassung

Grubers aus dem Wehrdienst zu ziehen?

Univ.-Doz. Dr. Michael Geistlinger

Assistenzprofessor am Institut für Völkerrecht und ausländisches Recht-Uni.Salzburg

Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes im

österreichischen Bundesheer und immerwährende

Neutralität Österreichs

Zusammenfassung

Fragestellung

"Ist der Dienst im österreichischen Bundesheer aufgrund dessen Kooperationen mit

ausländischen Militärbündnissen neutralitätskonform und entspricht er den geltenden

Verfassungsgesetzen?

Antwort 

1. Der Dienst im österreichischen Bundesheer ist nicht neutralitätskonform und

widerspricht den geltenden Verfassungsgesetzen.

2. Die Absolvierung des ordentlichen Präsenzdienstes im österreichischen Bundesheer ist

aus der Warte des einzelnen Präsenzdieners aufgrund des völkerrechtlich erheblichen

Verhaltens und aufgrund der völkerrechtlich erheblichen Erklärungen der höchsten

Vertreter des österreichischen Bundesheeres sowie aufgrund der eingegangenen und

praktizierten Kooperationen des österreichischen Bundesheeres mit ausländischen

Militärbündnissen als nicht neutralitätskonform und als damit nicht dem BVG über die

immerwährende Neutralität Österreichs entsprechend zu beurteilen.

Begründung

1 . Die Verpflichtung Österreichs zu immerwährender Neutralität gilt sowohl in verfassungs-

als auch in völkerrechtlicher Hinsicht weiterhin. Neutralitätswidriges Verhalten

Österreichs bzw seiner Organe setzen das BVG über die immerwährende Neutralität

Österreichs nicht außer Kraft. Neutralitätswidriges EU-Recht entfaltet wohl einen

Anwendungsvorrang, setzt aber gleichfalls das österreichische Neutralitäts-BVG nicht

außer Kraft. In völkerrechtlicher Hinsicht müßten jedenfalls das Versprechen

Österreichs, immerwährend neutral zu bleiben, und der dadurch bei den anderen Staaten

hervorgerufene Rechtsschein im gegenseitigen Einvernehmen der beteiligten Staaten

aufgehoben werden Geht man davon aus, daß auch das Moskauer Memorandum eine

eigenständige vertragliche Grundlage der österreichischen Neutralität bildet, so müßte

auch dieses beendet werden. Dasselbe gilt für die Bestimmung von Annex 11 zum

österreichischen Staatsvertrag von Wien, die - deutet man sie als eine weitere (Quelle der

völkerrechtlichen Geltung der immerwährenden Neutralität Österreichs - ebenfalls

vertraglich beendet werden müßte. Bloß neutralitätswidriges Verhalten Österreichs

könnte die völkerrechtliche Geltung der immerwährenden Neutralität Österreichs nur

beenden, wenn es im Bewußtsein der Rechtsüberzeugung, also gutgläubig und nicht

bewußt rechtsbrüchig, über eine weit längere Zeitstrecke unwidersprochen gepflogen

wird, als dies bislang der Fall ist.

2. Der Inhalt der völkerrechtlichen Verpflichtung Österreichs zur immerwährenden

 Neutralität ist von niemand geringerem als von der Europäischen Kommission selbst in

ihrer Stellungnahme zum österreichischen Beitrittsantrag in folgender Weise und im

übrigen in vollkommener (Übereinstimmung mit den Erläuternden Bemerkungen zum

BVG über die immerwährende Neutralität umschrieben worden:

 Pflichten in Kriegszeiten (Kriegführende dürfen das Hoheitsgebiet Neutraler nicht

betreten und haben territoriale Integrität zu wahren. Abstinenz- und Paritätspflicht

des Neutralen).

 Vorwirkungen in Friedenszeiten (Beitrittsverbot zu militärischen Bündnissen; Verbot

der Errichtung militärischer Stützpunkte auf neutralem Territorium, Verhalten in

Friedenszeiten so, daß Neutralitätspflicht in Kriegszeiten nachgekommen werden

kann).

3. Die Europäischa Komission erkannte die Unvereinbarkeit der österreichischen

immerwährenden Neutralität mit einer EU-Mitgliedschaft. Sie empfahl, Österreich einen

Neutralitätsvorbehalt abzugeben, oder seine Neutralität neu zu definieren. Sie überließ es

aber Österreich eine allfällige Neudefnition auf völkerrechtskonforme Art vorzunehmen.

4. Österreich entschied sich im Hinblick auf den Beitritt zur EU für eine Neudefinition seiner

immerwährenden Neutralität durch fortgesetzten Neutralitätsbruch. Es ist nämlich nicht das

Recht des neutralen Staates, das Institut der Neutralität auf ,jenen rechtlichen Wesenskern

der im Neutralitätsgesetz festgehalten ist. die Machtzugehörigkeit zu militärischen

Bündnissen und die Nichtzulassung fremder Stützpunkte auf seinem Territorium" (so

damaliger Außenminister Mock) zu reduzieren.

5. Im Vorfeld zum EU-Beitritt beging Österreich Neutralitätsverletzungen auf

gesamtstaatlicher Ebene von mittelbarer Relevanz für das österreichische Bundesheer-

 Irak-Konflikt Es handelte sich weder um eine Polizeiaktion, noch um eine

Maßnahme kollektiver Sicherheit, die Österreich von seinen Neutralitätspflichten

entbunden hätte. Der UN-Sicherheitsrat hätte Österreich die Einhaltung seiner

Neutralität trotz Unterstützung der Anti-Irak-Koalition ermöglicht. Die

österreichische Regierung hat diese Möglichkeit nicht wahrgenommen. Die

Gewährung von Überflugs- und Panzerdurchfuhrgenehmigungen war daher

neutralitätswidrig.

 Jugoslawien-Konflikt- Maßnahmen, wie beispielsweise die Anerkennung von

Slowenien Kroatien und Bosnien-Herzegowina durch Österreich bedeuteten die

Verletzung der Abstinenz- und Paritätspflicht Österreichs als eines dauernd neutralen

Staates in einem international bewaffneten Konflikt.

 Beitritt zur Europäischen Union. Durch Beitritt zur EU übernahm Österreich die

Verpflichtungen aus Art 1 13 EG-Vertrag (möglicherweise abgeschwächt durch Art

228a EGV), Art 59 EGKS-Vertrag und des Vl. Kapitels des EAG-Vertrages sowie

Art J Vertrag von Maastricht. Werden diese Bestimmungen oder wird eine davon

praktisch angewendet, ergibt sich potentiell eine automatische Neutralitätswidrigkeit

inbezug auf Österreich. In diesem Zusammenhang ist die Auffassung von Pahr

(ehemaliger Außenminister)/Cede(Leiter Völkerrechtsbüro) in Die Presse vom 27. 7.

1996, wonach das Neutralitäts-BVG EU-konform und damit einschränkend

auszulegen sei, als juristisch untauglicher Irrweg einzustufen. Die Auffassung Pahrs

und Cedes übersieht, daß es den Grundsatz ' einer EU-konformen Auslegung von

nationalem Verfassungsrecht aufgrund der geltenden Verfassung nicht gibt. Sie

übersieht ferner, daß das Neutralitäts-BVG das völkerrechtliche Institut der

immerwährenden Neutralität in den eigenen Gehalt integriert, von seinem Inneren

wie von seiner Entstehung her völkerrechtlich bedingt ist und als Inhalt eines

völkerrechtlichen Versprechens selbst auch eine völkerrechtliche Natur hat.

6. Österreich beging außerdem neutralitätsverletzungen auf gesamtstaatlicher Ebene von

unmittelbarer Relevanz für das österreichische Bundesheer und setzt diese Aktivitäten

gegenwärtig fort-

 Beobachterstellung in WEU muß als Beitritt zu einem militärischen Bündnis

bewertet werden, weil aufgrund der diesbezüglich maßgeblichen Petersberger

Erklärung 1992 Beobachter ausdrücklich in ihren Rechten und Pflichten

Vollmitgliedern gleichgestellt werden. sich aus dem Beobachterstatus und aus dem von

Österreich unterzeichneten Sicherheitsabkommen wechsleseitige Informations- und

Geheimhaltungspflichten bestehen, die ua gegen das Interesse des Neutralen auf

militärische Geheimhaltung inbezug auf seine Verteidigungsbereitschaft, und auch ein

Beobachter näher an das betreffende Mitärbündnis gebunden ist, als es die

Paritätspflicht des Neutralen erlauben würde. Neutralitätsverletzungen in Praxis daher

begangen zB. durch Beteiligung an WEU-Polizeiaktion in Mostar, Bekundung der

Bereitschaft zur Beteiligung an WEU-Operationen (FAWEU) durch den

Verteidigungsminister uäm.

 Zusammenarbeit mit der NATO' Die Beteiligung im Rahmen der Partnerschaft für

den Frieden (PFP) auf der Basis des zwischen Österreich und der NATO

abgeschlossenen Individual Partnership Programmes 1 996 - 1 998 muß als lntegration

im Rahmen eines im Vorfeld zu einer Mitgliedschaft zur NATO eangesiedelten und

entscheidend von der N.A.TO getragenen eigenen Militärbündnisses quali6ziert werden.

Sie zielt ua auf wechselseitige Ausrichtung der nationalen Verteidigungseinrichtungen,

auf wechselseitige Transparenz der Verteidigungsplanungen, wechselseitigen

Informationsfluß in militärischen Angelgenheiten und auf aufeinander orientierte

größere Stabilität im militärischen Verhalten der PfP-Staaten. Hauptadressat der von

Osterreich eingegangenen Verpflichtungen zu neutralitätswidrigem Verhalten ist wie im

Falle der WEU das österreichische Bundesheer. Nicht untersucht wurden weitere

neutralitätsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die IFOR-Beteiligung Osterreichs.

Die Freiwilligkeit bei Dienstleistungen des österreichischen Bundesheeres im Rahmen

der PFP bezieht sich nur auf die Teilnahme an Auslandseinsätzen selbst.