4471/J XX.GP

 

der Abgeordneten Heinzl, Mag. Maier

und Genossen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend politische Feststellungen in einer Urteilsbegründung des Oberlandesgerichtes Wien

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache des Privatanklägers

Willi Gruber gegen den Angeklagten Franz M. wegen § 115 Abs. 1 StGB (13eleidigung) am

15 April 1998 der Berufung nicht Folge gegeben und dabei eine Begründung der politischen

Aspekte vorgenommen:

Dem Verfahren liegt ein Beitrag im Medium der SP - Bezirksorganisation St. Pölten,

Stadtexpreß, mit der Überschrift „Ein blaues Sittenbild“ zugrunde.

Auf diesen Artikel reagierte Franz M. gegen den Bürgermeister und Spitzenkandidaten Willi

Gruber in die Richtung, daß Gruber für M. kein politischer Gegner mehr sei, sondern ein

Schwein. Oder, wie Außenminister Schüssel sagen wurde, eine richtige Sau.

Das Gericht hält nun in bemerkenswerter Art und Weise fest, daß M. glauben haben müsse,

daß diese Veröffentlichung von Willi Gruber veranlaßt oder zumindest gebilligt wurde, da der

Wahlkampf auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten war. In Abs tracto bedeutet diese

Würdigung des OLG Wien, daß im Rahmen eines Wahlkampfes, der auf einen

Spitzenkandidaten zugeschnitten ist (Das sind grundsätzlich alle Wahlkämpfe der letzten

Zeit.), der Spitzenkandidat alle Veröffentlichungen im Umfeld der jeweiligen Partei veranlaßt

bzw. billigt. Dieser Schluß ist nicht nur absurd, sondern auch in die Richtung

demokratiepolitisch bedenklich, daß das OLG Wien scheinbar vom Modell einer Führerpartei

ausgeht und dieses Prinzip auf alle Parteien ohne Unterschied überträgt.

Da das OLG Wien erkannte, auf welchem wackelnden Boden diese Aussage steht, hat sie

dem F - Politiker M. ein weiteres Sicherheitsnetz geknüpft und diesem konstatiert, daß M. sich

- sollte der Spitzenkandidat für die Veröffentlichung doch keine Verantwortung tragen - auf

die Irrtumsregelung des § 10 Abs. 2 StGB berufen könne. Dies wird jedoch in keinerlei

Hinsicht begründet; wie auch?

Weiters stellt das OLG fest, daß es Tatsachen in diesem Fall überhaupt für nicht relevant hält.

Es ist für das OLG gleichgültig, daß Gruber weder Herausgeber der Druckschrift, noch

Obmann der als Herausgeber und Medieninhaber aufscheinenden SP - Bezirksorganisation

St. Ptlten sei. Dem Führerprinzip folgend wird Gruber wohl die Veröffentlichung angeordnet

oder zumindest davon gewußt und diese letztlich gebilligt haben. Das OLG Wien stellt also

sein politisches Gespür über die Relevierung von Tatsachen.

Genauso interessant erscheint die Einschätzung des Gerichtes, wonach für einen „flüchtigen

Betrachter“ durch den mit Emotionen stark überfachteten (was immer überfachtet ist)

Wahlkampf, der auf die Person des Bürgermeisters und Spitzenkandidaten zugeschnitten war,

die hinter ihm stehende Partei gar nicht mehr wahrnehmbar erscheinen ließ. Dies führt zu

einer für das Verfahren äußerst relevanten Konsequenz. Im Stadtexpreß war Gruber weder

Herausgeber, noch Redakteur. Die Partei hinter Gruber war laut Gericht nicht wahrnehmbar.

Woher sollte also ein „flüchtiger Betrachter“ einen Zusammenhang zwischen dem

Stadtexpreß und Gruber erkennen können und weshalb - wenn dieser Zusammenhang nicht

erkennbar ist - werden Aussagen im Stadtexpreß Gruber zugerechnet. Ein „flüchtiger

Betrachter“ könnte dies nicht, das Gericht dürfte daher weniger flüchtig betrachten. Das

wiederum erscheint eigenartig, da ja das Gericht in der übrigen Beurteilung immer vom

„flüchtigen Betrachter“ ausgeht und nicht von seiner eigenen weniger flüchtigen

Wahrnehmung.

In der weiteren Würdigung gibt das Gericht - völlig zusammenhangslos -

Handlungsanleitungen für Wahlkampfmanager. Es sei nämlich jenseits jeglicher politischer

Erfahrung anzunehmen, daß nicht auch dem politischen Gegner, zugunsten dessen in der

Vergangenheit stets die stärksten Stimmenverluste gingen, erhöhte Aufmerksamkeit

zugewendet wird Es erhebt sich nun die Frage, wer ist dieser politische Gegner, welche

Wahlen wurden für diese Analyse herangezogen und woher verfügt das Gericht über eine

Wählerstromanalyse und überhaupt: Was soll diese Feststellung im konkreten Verfahren

aussagen?

Darüber hinaus übt sich das Gericht in politikwissenschaftlichen Aussagen, die aber etwas

verquer wirken. So meint es, daß es ein Spezifikum politischen Wahlkampfes in Österreich

sei, den Gegner so kurz vor der Wahl noch überraschend anzupatzen, daß diesem nicht mehr

ausreichend Zeit und Gelegenheit bleibt, das Gegenteil zu beweisen. Auch hier stellt sich die

Frage, hat das Gericht einen internationalen oder lediglich europaweiten Vergleich der

Wahlkämpfe vorgenommen? Warum ist das Anpatzen ein österreichisches Spezifikum? Kann

um ein österreichisches Spezifikum handelt: Welche Wahlkämpfe in Österreich hat das OLG

Wien analysiert, um zu dieser für das Gericht gesicherten Aussage zu kommen?

Weiters triffi das OLG Wien die Aussage, daß die vom Erstrichter dem M. zugestandene

Vermutung, der Spitzenkandidat Willi Gruber stünde hinter dem Artikel, sich nicht nur mit

logischen Denkgesetzen, sondern auch mit Erfahrungen des politischen Interessierten im

Einklang stehe. Hier ist zunächst festzuhalten, daß das Gericht plötzlich eine neue Maßfigur

kreiert. War es zunächst der „flüchtige Betrachter“, ist es nunmehr der „politisch

Interessierte“, dessen Erfahrungen für das Gericht wesentlich sind. Warum vom OLG dieser

Schwenk vorgenommen wurde, wird allerdings nicht begründet. Darüber hinaus führt das

Gericht für die Begründung der Vermutung des Erstrichters logische Denkgesetze an, wobei

jedoch kein einziges logisches Denkgesetz genauer angeführt wird, was aber wieder im

Einklag mit dem Gesamttenor steht, da ja für das Gericht Tatsachen nicht wesentlich sind.

Warum daher sollen auch Denkgesetze nur irgendwie begründet werden.

Den Verweis in der Berufung, daß die Verantwortung des Beschuldigten eine

Schutzbehauptung sei, findet das Gericht nicht überzeugend, da sich die Argumente lediglich

aggressiv erwiesen. Was auch immer aggressive Argumente sind, wir werden es leider nie

wissen, da das Gericht sich naturgemäß auch die Mühe machte, diese Aussagen nur irgendwie

zu begründen.

Der Höhepunkt der Penetranz wird allerdings erst jetzt erreicht. So stellt das Gericht fest, daß

dem Beweisantrag, wonach der Privatankläger noch nie Beiträge für den St. Pöltner

Stadtexpreß verfaßt habe, jegliche Relevanz fehle. Weiter: Eine Beeinträchtigung der Rechte

des Privatanklägers durch die fehlende Einvernahme seiner Person ist nicht erfolgt, ging es

doch gar nicht um die Autorenschaft des Privatanklägers. Damit bekräftigt das OLG Wien,

daß es in diesem Prozeß nach Rechtsansicht des Gerichtes überhaupt nicht um Tatsachen

geht, sondern lediglich um diffuse politische Wertungen, die vom Gericht völlig unbegründet

aufgestellt werden und die auf den ersten Blick sowohl eines „flüchtigen Betrachters“ wie

auch eines „politisch Interessierten“ völlig absurd, lächerlich und falsch sind.

Einen weiteren absurden Höhepunkt setzt das Gericht damit, daß es neue Werkzeuge zur

Beurteilung von Vermutungen heranzieht. So das Gericht: Als empirisch nächstgelegene

Lösung ist nämlich das Erstgericht zum Ergebnis gelangt, daß der beschuldigte M. Willi

Gruber für den Urheber des bezughabenden Artikel halten durfte. Damit bestätigt das Gericht,

daß es weniger die juristische Wissenschaft beherrscht und anwendet, sondern sich vielmehr

dem Empirismus als philosophische Grundlage seiner Rechtsprechung hingibt.

Bekanntlicherweise ist Empirismus jene Lehre, die alleine die Erfahrung als Erkenntnisquelle

gelten läßt. Darin liegt allerdings ein anarchischer Ansatz des OLG, da es positives Recht laut

eigener Aussage ignoriert und nur die eigenen Erfahrung zur Beurteilung von Sachverhalten

heranzieht. Leider läßt es wieder die Frage offen, ob die empirische Grundlage jene des

„flüchtigen Betrachters“ oder jene des „politisch Interessierten“ ist. Bei der einfachen

Denkweise des Gerichtes liegt allerdings der Schluß nahe, daß es wohl nur ein „sehr

flüchtiger Betrachter“ sein kann, den das Gericht als seine Maßfigur heranzieht.

All diese angeführten Überlegungen führen dazu, daß das OLG Wien als Berufungsgericht in

der gegenständlichen Angelegenheit

1. Tatsachen für irrelevant hält,

2. absurde politische Denkmodelle, denen jedenfalls Politikfeindlichkeit immer

zugrundeliegt, für seine Beweiswürdigung heranzieht,

3. positives Recht negiert und

4. den Empirismus als Basis für die Rechtsprechung heranzieht.

Daher stellen die unterzeichneten Abgeordneten an den Bundesminister für Justiz

nachstehende

Anfrage:

1. Sind Sie der Meinung, daß im Rahmen eines personalisierten Wahlkampfes alle

Aussagen in irgendeinem Medium, welches der Partei des Spitzenkandidaten

nahesteht, grundsätzlich ohne weitere Würdigung dem Spitzenkandidaten

zuzurechnen sind?

2. Teilen Sie die Meinung des Gerichtes, daß alle österreichische Parteien nach dem

Führerprinzip aufgebaut sind?

3. Halten Sie es ebenfalls für ein österreichisches Spezifikum, daß kurz vor der Wahl

der Gegner überraschend angepatzt wird?

4. Haben Sie Hinweise, daß das Gericht einen internationalen Vergleich von

Wahlkämpfen vorgenommen bzw. welche Literatur es für seine Aussagen

herangezogen hat?

5. Finden Sie, daß bei politischen Wertungen durch das Gericht als Maßfigur eher der

„flüchtige Betrachter“ oder der „politisch Interessierte“ herangezogen werden soll?

6. Ist es üblich, daß das Gericht für politische Wertungen Wählerstromanalysen

heranzieht?

Woher hat sie diese?

7. Was halten Sie davon, daß Beweiswürdigungen unter Negation von Tatsachen

aufgrund empirischer Erfahrungen vorgenommen werden?

8. Sind Sie ebenfalls wie die Anfragesteller der Meinung, daß der Tenor dieses Urteils

die Politik generell herabwürdigt?