6365/J XX.GP
ANFRAGE
der Abgeordneten Scheibner, Dr. Graf
und Kollegen
an den Bundeskanzler
betreffend objektive Richterbestellung beim Verfassungsgerichtshof
Der Verfassungsgerichtshof besteht nach Art. 147 Abs. 1 B - VG aus einem Präsidenten,
einem Vizepräsidenten, zwölf weiteren Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern. Der
Präsident, der Vizepräsident und sechs weitere Mitglieder sowie drei Ersatzmitglieder
werden auf Vorschlag der Bundesregierung, drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder
auf Vorschlag des Nationalrates und drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied auf Vorschlag
des Bundesrates jeweils vom Bundespräsidenten ernannt.
Die Stelle eines auf Vorschlag der Bundesregierung zu ernennenden Ersatzmitgliedes ist
nach dem Tod des bisherigen Ersatzmitgliedes Dr. Friedrich Koja nachzubesetzen.
Nach § 1 Abs. 2 VerfGG 1 953 sind die vakanten Stellen vom Bundeskanzler im
Amtsblatt zur Wiener Zeitung und in den für amtliche Kundmachungen bestimmten
Landeszeitungen zur allgemeinen Bewerbung auszuschreiben.
Die Vorschläge zur Nachbesetzung vakanter Richterstellen wurden in der Vergangenheit
stets ohne nachvollziehbares Auswahlverfahren erstattet, was angesichts der großen
Bedeutung des Verfassungsgerichtshofes immer wieder zu heftiger Kritik führte.
Der Bundesrat ist daher bei der Erstattung des letzten Vorschlages von dieser bisher
geübten Praxis abgegangen und hat den Bewerbern auf Grund einer Initiative der FPÖ -
Bundesräte im Rahmen eines Hearings Gelegenheit gegeben, sich den Mitgliedern des
Bundesrates persönlich vorzustellen und Aspekte der Bewerbung vorzutragen.
Zweifellos hat dieses Hearing als weitere wichtige Entscheidungshilfe maßgebend dazu
beigetragen, dem Bundesrat eine
nachvollziehbare Entscheidung zu erleichtern. Auch
der Nationalrat hat bei der Erstattung seiner letzten Vorschläge die Bewerber bereits
einem Hearing unterzogen.
An der Praxis, die Verfassungsrichter nach ihrem parteipolitischen Naheverhältnis
auszuwählen, hat aber die Durchführung des Hearings nichts geändert. Auch der
Präsident des Verfassungsgerichtshofes Prof. Dr. Ludwig Adamovich hat jüngst die Praxis
der Richterbestellung einer herben Kritik unterzogen (Die Presse, 30. April 1999). Er
spielte auf die von SPÖ und ÖVP praktizierte Richterauswahl an, ohne sie explizit zu
nennen. Die 13 stimmberechtigten VfGH - Mitglieder werden nach einem Schlüssel
besetzt, den vor etlichen Jahren die damals noch überragenden Parteien vereinbart
haben: Sieben Posten fallen der SPÖ zu, sechs der ÖVP.
Leider hat die Bundesregierung bei der Erstattung von Vorschlägen zur Nachbesetzung
freiwerdender Richterstellen bisher nicht einmal ein Hearing durchgeführt und auch
andere geeignete Auswahlverfahren in unverständlicher Weise abgelehnt.
Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an den Bundeskanzler nachstehende
ANFRAGE
1. Wann wird die freigewordene, auf Vorschlag der Bundesregierung
nachzubesetzende Stelle eines Ersatzmitgliedes des Verfassungsgerichtshofes
ausgeschrieben werden?
2. Werden Sie nach wie vor dagegen eintreten, daß bei der Nachbesetzung von
Richterstellen beim Verfassungsgerichtshof ein Hearing stattfinden soll?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, welche konkreten Maßnahmen planen Sie in diesem Zusammenhang?
3. Welche anderen Entscheidungshilfen wird die Bundesregierung einsetzen, um eine
objektive und
nachvollziehbare Entscheidung zu gewährleisten?
4. Trifft es zu, daß innerhalb der Bundesregierung oder zwischen den
Koalitionsparteien bereits eine Absprache über die Nachbesetzung der
freigewordenen Richterstelle beim Verfassungsgerichtshof besteht?
Wenn ja, was ist der Inhalt dieser Vereinbarung?
5. Können Sie ausschließen, daß eine derartige Absprache bei der bevorstehenden
Nachbesetzungsentscheidung Anwendung finden wird?
Wenn ja, inwiefern?
6. Teilen Sie die vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Prof. Dr. Ludwig
Adamovich vorgetragene Kritik an der parteipolitischen Bestellungspraxis der
Verfassungsrichter?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, warum haben Sie bisher nichts unternommen, um diese Praxis zu ändern?