990/J

 

D R I N G L I C H E   A N F R A G E

 

der Abgeordneten DI Prinzhorn

und Kollegen

an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten

betreffend Semperit - Ende eines traditionsreichen österreichischen Unternehmens

 

Bei Semperit herrscht Untergangsstimmung - die Schließung des Werks in Traiskirchen, das heuer sein 100 jähriges Bestandjubiläum hätte feiern sollen, steht unmittelbar bevor.  "Für das Jahr 1997", so Semperit-Betriebsrat Alfred Artmäuer, "erwarte ((er) die Schließung des Reifenwerkes in Traiskirchen.  "

 

Trotz der österreichischen Einsparungsvorschläge in Höhe von etwa ATS 400 Mio. will der Continental-Konzern die jährliche Reifen-Produktion am österreichischen Standort vorerst auf die Hälfte (= etwa 2 Millionen Stück) des bisherigen Ausstoßes reduzieren, die freiwerdenden Maschinen sollen ins tschechische Otrokovice verbracht werden.  Artmäuer hält nach eigenen Worten diese Vorgangsweise für eine "Verlegenheitsmaßnahme", die im nächsten Jahr in die endgültige Schließung münden werde.

 

Diese Entwicklung wird von Betriebsrat Harald Guttmann mit den Worten kommentiert: "Dies ist der Anfang vom Ende.  Wir werden langsam ausgehungert Mit der halben Reifenproduktion ist das Werk nicht zu halten.  "

 

300 Mitarbeiter verlassen bis zum Jahresende freiwillig das Unternehmen, weitere 400 verlieren durch die Produktionsdrosselung ihren Job.

Insgesamt 2.400 Beschäftigte werden von der absehbaren Schließung des Werkes betroffen sein, und - da die Arbeitsplatzsituation in dieser Region schon bisher extrem schlecht war - in ihrer Mehrzahl auf der Straße stehen.

 

Erst 1983 wurde die damals kränkelnde CA-Tochter Semperit mit ATS 1,2 Mrd. aus Steuergeldern bei der Errichtung eines Werkes in Traiskirchen unterstützt.

 

Schon bald nach dem 1985 erfolgten Verkauf des Unternehmens an den Continental­Konzern mußte Semperit die wichtigsten Kunden an die Konzernmutter abgeben, dann wurde die Forschungs- und Entwicklungsabteilung abgezogen und im Stammwerk angesiedelt-, schließlich mußte der österreichische Standort mit der Konzerntochter BARUM in Otrokovice (Tschechien) um Aufträge streiten.

 

Ende 1995 lief die von Conti gegebene Standortgarantie für Traiskirchen aus.  Bei einer vorzeitigen Schließung hätte Conti rund 100/o der erhaltenen Förderungen zurückzahlen müssen.

 

Semperit wurde von seiner Konzernmutter sehenden Auges auf eine mit Niedriglohnländern nicht konkurrenzfähige, technologisch veraltete, verlängerte Werkbank reduziert und durch den EU-Beitritt auch noch seines wichtigsten Marktes, Japan, beraubt.

 

Verkaufte Semperit noch 1992 mehr als 2 Millionen Reifen nach Japan, so waren es 1994/95 nur noch 500.000. Für heuer wird noch mit einem Absatz von 250.000 Reifen gerechnet, 1997 wird es keinen Verkauf von Semperit-Reifen an Japan mehr geben.  Ende Juni 1996 lagerten in Traiskirchen 1,020.000 Stück PKW-Reifen und 145.000 Stück LKW-Reifen.  Ein derart hoher Lagerbestand war noch nie da

 

Die Bundesregierung wußte nachweislich bereits vor dem Beitritt Österreichs zur EU von den zu erwartenden katastrophalen Folgen für die KFZ-Zulieferindustrie und den negativen volkswirtschaftlichen Effekten eines Ausfalles des Japangeschäfts (Studie: Volkswirtschaftliche Effekte der österreichischen KFZ-Zulieferungen nach Japan.  Wien 1992).  Dennoch hat sie es verabsäumt, durch haltbare lnternationale Vereinbarungen und Verträge mit Japan und der Europäischen Union den Bestand dieses für Österreich so wichtigen Wirtschaftszweiges zu sichern.

 

Die Auswirkungen des Wegfalls der Zollbegünstigungs-Regelung mit Japan auf die Semperit Reifen AG sind ruinös:

 

          Ausfall des Exportvolumens nach Japan................................................................. ATS 1.430 Mio.

          Ausfall von Nachrüstungsbedarf im österreichischen Markt von

          Semperit Reifen durch Import von japanischen Reifen als Folge der

          Erstbereifung............................................................................................................ ATS 322 Mio.

          Ausfall von Nachrüstbedarf an Semperit Reifen in den übrigen

          westeuropäischen Märkten.................................................................................... ATS 1.490 Mio.

 

Im Fall der gesamten österreichischen KFZ-Zulieferindustrie - Österreich war jahrelang hinter den USA der zweitgrößte Lieferant automotiver Teile - stellt sich die reale wirtschaftliche Lage nunmehr wie folgt dar:

Sämtliche große österreichische Lieferanten automotiver Teile - Semperit, Voest Glas, Schmidt Feldbach, Asota, Novoflor, Palfinger, Leykam... - sind unter enormen Preisdruck geraten und verzeichnen teilweise dramatische Umsatzeinbrüche.

 

"Zum Preisdruck der Abnehmer kommen seit 1. Jänner die negativen Folgen des EU­Beitritts: Das durch den EU-Beitritt ausgelaufene Gegenlieferungsabkommen mit Japan sollte zwar ursprünglich durch eine EU-konforme Vereinbarung ersetzt werden, doch trotz vollmundiger Versprechungen des Wirtschaftsministeriums sieht es derzeit nicht danach aus, als ob die Bemühungen der österreichischen Verhandler von Erfolg gekrönt wären.  Wenn nicht, sind der Zuliefervereinigung AOEM zufolge 3.800 Arbeitsplätze in Gefahr.

Leidtragende sind all jene Firmen, die sich stark aufs Japangeschäft konzentriert hatten und teilweise zu Preisen lieferten, die ohne den sanften Zwang des Abkommens jetzt nicht mehr konkurrenzfähig sind.  So lieferte Semperit 1992 noch 2,4 Millionen Reifen nach Japan, während es heuer nur noch etwas mehr als 500. 000 sein werden." (Industrie Magazin; Nr. 6, Juni 1995)

 

Betrug das gesamte Exportvolumen der österreichischen Zulieferer In Spitzenjahren noch ATS 4,3 Mrd., so ist der Rückfall der Jahre 1995/96 dramatisch.

 

" Ohne ein weiteres Abkommen mit Japan werden wir 1997 keine Lieferungen mehr haben“ (Semperit-Vorstand Bernd Bartha; APA, 14.  Mai 1996).

 

Finanzminister Mag.  Klima und Wirtschaftsminister Dr. Ditz sicherten angesichts dieser Entwicklung zu, eine 'task force" (=Arbeitsgruppe) einzurichten, "die die Kompensationsgeschäfte mit Japan wiederbeleben soll'.

 

In der 2. Sitzung der EU - Unterausschüsse vom 18.  April 1994 hatte der damals amtierende Wirtschaftsminister Dr. Schüssel noch folgendes ausgeführt:

 

"Der zweite Bereich, auf den ich kurz eingehen möchte (..), ist die Frage von Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union und außerhalb der EFTA, die mit uns spezifische Regelungen im Zollbereich gehabt haben (..) Zum Beispiel hatten wir im Bereich der Autoindustrie mit Japan eine recht günstige Lösung, die sicherstellte, daß die japanischen Autos mit einem niedrigeren Zoll - statt 20 nur 4 Prozent - belegt waren, wenn der österreichische, Zulieferanteil nach Japan einen bestimmten Prozentsatz, nämlich 25% der japanischen Autoexporte nach Österreich, betroffen hat.  Diese Regelung hat dazu geführt, daß wir eigentlich ein sehr gutes Potential mit Japan aufgebaut haben.  Wir haben etwa im Jahr 1992 (..) automotive Produkte von

3.533 Mio.  Schilling nach Japan exportiert

 

Diese Regelung ist natürlich mit dem EU-Beitritt nicht mehr zu halten.  Wir werden daher einen gemeinsamen Außenzoll gegenüber Drittstaaten haben und befürchteten daraus gewisse Nachteile für Zulieferer Österreichs nach Japan.

Ich bin daher selber nach Japan gefahren und habe mit den dortigen Behörden und Ministern Gespräche geführt, wie das sein wird, wenn die EU für uns entsprechende Quoten festlegt und dann mit Japan entsprechende Vereinbarungen abzuschließen hat.

Das Ergebnis war ermutigend.  Die Japaner haben akzeptiert, daß hier ein Problem besteht, das im österreichischen Sinn gelöst werden muß, und die EU hat dafür akzeptiert, daß sie die volle Importquote auf die bisherigen EU-Importe drauflegt

 

Wir haben sichergestellt, daß die volle österreichische Quote auf den gesamten Österreichischen EU-Anteil draufgelegt wird und wir haben Überdies ein commitment schriftlich vereinbart, das sicherstellt - wörtliches Zitat -, daß die Kommission der Europäischen Union sofort in Konsultationen mit Japan eintritt, sobald die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen sind, mit dem Ziel, einerseits den Japanern entsprechende Ziffern anzubieten für die Importe und auf der anderen Seite von Japan ein commitment, eine Verpflichtungserklärung, zu bekommen, daß die bisherigen Importe Japans aus Österreich von automotiven Produkten beibehalten werden sollen.  Diese Verpflichtung dauert fünf Jahre und endet mit dem 31.Dezember 1999

 

Im Vorfeld der EU-Volksabstimmung versprach der nunmehrige Vizekanzler und damalige Wirtschaftsminister also der existentiell gefährdeten Auto-Zulieferindustrie das Blaue vom Himmel und nahm offenbar in Kauf, nach einem erst einmal erfolgten EU­Beitritt als - freundlich formuliert - "Schönfärber“ enttarnt zu werden.

 

Die tatsächlichen Entwicklungen im Bereich der Autozulieferindustrie zeigen einmal mehr, was die Versprechungen der Bundesregierung wert sind.

 

Aus oben angeführten Gründen richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten nachstehende

 

D r 1 n g 1 i c h e A n f r a g e

 

1 .   War die österreichische Bundesregierung bereits vor dem Beitritt Österreichs zur EU von den zu erwartenden katastrophalen Folgen für die KFZ-Zulieferindustrie und die negativen volkswirtschaftlichen Effekte im Falle eines Zusammenbruchs des Japangeschäfts informiert, und wenn ja, welche Maßnahmen wurden von der Bundesregierung getroffen, um den Bestand der Japanexporte zu sichern?

       Welcher Erfolg war diesen Bemühungen nach Ihrer Einschätzung beschieden?

 

2.    Wurde die EU-Kommission in der Sache der Sicherung der Exporte der öster­reichischen KFZ-Zulieferindustrie nach Japan bereits aktiv, und wenn ja, welche diesbezüglichen Aktivitäten wurden mit welchem Erfolg gesetzt?.

 

3.    Konnte tatsächlich "sichergestellt (werden), daß die volle österreichische Quote auf den gesamten österreichischen EU-Anteil draufgelegt wird', wie es Dr. Schüssel den Österreicherinnen und Österreichern vor der EU-Volksabstimmung versprochen hat?

 

4.    Sind Sie der Meinung, daß das von Wirtschaftsminister Dr. Schüssel nach Hause gebrachte "Versprechen" eine Sicherung der heimischen KFZ-Zulieferindustrie bewirkte?

 

5.    Wo und wie werden Sie die Einhaltung der nach den Worten des ehemaligen Wirtschaftsministers Dr. Ditz von Ihrem Amtsvorvorgänger Dr. Schüssel "unter Dach und Fach gebrachten Versprechen" einfordern und sehen Sie dazu Oberhaupt eine Chance?

 

6.    Weichen Wert hat angesichts der ‘katastrophalen Entwicklung der österreichischen

       KFZ-Zulieferindustrie Ihrer Ansicht nach das "Versprechen", welches Wirtschaftsminister Schüssel von der EU-Kommission mitbrachte?

 

7.    Sind Sie der Meinung, daß lediglich "Versprechen" in internationalen Wirtschaftsbe­ziehungen Grundlage staatlichen Handelns sein sollen?  Wenn ja, warum?

 

8.    Entspricht es den Tatsachen, daß im Jahre 1997 mit einem vollständigen Ausfall der Exporte nach Japan zu rechnen ist?  Wenn ja, was werden Sie dagegen unter­nehmen?

 

9.    Aus welchen Mitgliedern besteht die von Wirtschaftsminister Dr. Ditz angekündigte "task force" (bzw. falls die Konstituierung noch nicht erfolgte: wie wird sie sich zusammensetzen?)

 

10.  Hat die angekündigte "task force" ihre Tätigkeit bereits aufgenommen?

 

11.  Wenn ja, weiche Erfolge hat sie bereits erzielt und welche konkreten Ergebnisse kann die Arbeitsgruppe vorweisen?

 

12.  Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen mit den japanischen Partnern?

 

13.  Hat Japan das angekündigte commitment unterschrieben, das der österreichischen KFZ - Zulieferindustrie die Beibehaltung der vollen Exportquote vertraglich zusichert?

 

14.  Sehen Sie eine Chance, das von Schüssel versprochene neue Abkommen mit Japan noch vor dem totalen Zusammenbruch der Geschäftsbeziehungen Ende dieses Jahres abzuschließen?

 

15.  In welchem Zeitraum hoffen Sie - durch die Tätigkeit der 'task force" - Kompen­sationsgeschäfte in welchem Umfang für die österreichische Auto-Zuliefer- industrie mit Japan abschließen zu können?

 

16.  Wenn die angekündigte "task force" ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat, wann ist Ihrer Ansicht nach mit der Einsetzung der Arbeitsgruppe zu rechnen?

 

17.  Welche Maßnahmen haben Sie gesetzt bzw. werden Sie setzen, um den Verbleib des österreichischen Produktionsstandortes von Semperit zu sichern?

 

18.  Haben Sie im Interesse einer Sicherung des Produktionsstandortes Traiskirchen Gespräche mit dem Land Niederösterreich, den beteiligten Banken und dem Continental-Konzern geführt und wenn ja, was waren die Ergebnisse dieser Gespräche?

 

19.  haben unter Ihrer Beteiligung Gespräche mit potentiellen Käufergruppen stattge­funden?  Wenn ja, welche Ergebnisse haben diese Gespräche erbracht?

 

20.  Wie realistisch sehen Sie die Chancen auf ein "management buy out" für Semperit?

 

21.  Ist die Bundesregierung in der Lage, für Semperit eine Bestandsgarantie abzugeben,

       und wenn ja, für welchen Zeitraum?  Wenn nein, warum nicht?

 

22.  Weiche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Entwicklung der österreichischen KFZ-Zulieferindustrie am europäischen Markt bzw. auf den außereuropäischen Märkten für die kommenden Jahre?

 

23.  Entspricht es den Tatsachen, daß Semperit durch konzerninterne Bestimmungen daran gehindert wird, direkt Reifen an die europäische Automobilindustrie (Mercedes, Audi, VW, Saab, Fiat, etc.) zu liefern?

 

24.  Wieviele Arbeitsplätze werden durch den EU-Beitritt im Bereich der KFZ-Zulieferindustrie in den Jahren 1994 bis 1999 voraussichtlich verloren gehen?

 

25.  Welche Auswirkungen erwarten Sie in Folge des Zusammenbruchs der Japanexporte der KFZ-Zulieferindustrie auf die österreichische Handelsbilanz?

 

26.  Wirtschaftskammerpräsident Maderthaner ist sich - Zeitungsmeldungen zufolge - mit ÖGB-Präsident Verzetnitsch einig, daß "gegen den europäischen Förderungstourismus etwas unternommen werden müsse; weiche Möglichkeiten sehen Sie als Wirtschaftsminister, "gegen den europäischen Förderungstourismus etwas zu unternehmen" und weiche positiven Auswirkungen erwarten Sie von solchen Maßnahmen für die österreichische KFZ-Zulieferindustrie?

 

27.  Welche konkreten Maßnahmen werden Sie setzen, damit die Arbeitsplätze in dieser Region erhalten bleiben können?

 

28   Mit weichen konkreten Maßnahmen glauben Sie verhindern zu können, daß es zu Streik- und Boykottmaßnahmen bei der Belegschaft der Semperit Reifen AG im Falle einer Stillegung des Betriebes kommt?

 

29.  Werden Sie sich allfälligen Streik- und Boykottaufrufen von Betriebsräten der Semperit Reifen AG im Falle, einer Stillegung des Betriebes anschließen?  Wenn ja, in welcher Form?

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne der Bestimmungen en des §93

GOG des NR dringlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln.