Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 119. Sitzung / 78

Der Vertrag von Amsterdam muß in der Bundesrepublik Deutschland wie jeder völkerrechtliche Vertrag ratifiziert werden. Das führt dort der Bundestag mit einem sogenannten Ratifikationsgesetz durch. Ich will hier nicht auf Details eingehen, verweise aber darauf, worin das große Problem in der Bundesrepublik Deutschland besteht: Wenn der Staatsvertrag verfassungsändernd ist - oder wenn zu vermuten steht, daß er dies wäre -, dann ist er in den Text des Bonner Grundgesetzes einzubauen. Wenn dies unterbleibt, riskiert man unter Umständen, daß der ratifizierte Vertrag - sprich in diesem Fall: das sogenannte Ratifizierungs- oder Vertragsgesetz - verfassungswidrig ist und vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird.

Daher hat man in der Bundesrepublik Deutschland sehr wohl und sehr bald erkannt, daß es sich bei der Übernahme derartigen EU-Rechts um Spezialfälle handelt, und man hat dort sehr bald legistische Vorkehrungen im Artikel 23 des Bonner Grundgesetzes getroffen. Ich möchte Ihnen die wesentlichen Bestimmungen vorlesen. Es heißt darin:

"Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz" - also dem Bonner Grundgesetz - "im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet." - Das heißt, man will die EU weiterentwickeln, aber auf einer ganz bestimmten Basis und in einem ganz bestimmten Rahmen.

Weiters heißt es in der Bestimmung wie folgt: "Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung" - das ist der wesentliche Satz - "der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder Ergänzungen ermöglicht werden", sind bestimmte Regeln zu beobachten.

Meine Damen und Herren! Das heißt, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Vorsorge dafür - sozusagen mit Langzeitwirkung -, wie EU-Recht in deutsches Verfassungsrecht umgesetzt wird. Diese Bestimmung habe ich vorgelesen, weil sie einen eklatanten Mangel unserer Verfassungsordnung aufzeigt: Wir haben eine solche Bestimmung nicht. Wir hinken sozusagen von einem EU-Rechtsakt zum anderen und beschließen - leider fälschlich so genannte - "Ermächtigungsgesetze", die klar Zeugnis davon ablegen, daß in unserem Verfassungsrecht eine Lücke besteht. Diese Lücke in unserem Verfassungsrecht bedauere ich auch deshalb, weil unsere Verfassung offenkundig nicht ebenso EU-bereit wie die deutsche ist.

Ich bedauere das auch aus einem zweiten Grund: Es würde unserer Verfassung kraft ihrer guten Tradition und ihrer guten Grundsätze ebenfalls gut anstehen, wenn darin eine derartige Integrationsschranke festgelegt wäre. (Abg. Dr. Khol: Die Interpretation zur Lücke ist nicht zulässig!)

Es kommt darauf an, ob es eine echte oder unechte Lücke ist, Herr Kollege Khol! - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

23.12

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Karlsson. - Bitte. (Abg. Dr. Khol - in Richtung seines Klubs -: Warum kommt sie schon? - Abg. Dr. Karlsson: Also, ich war auf der gedruckten Liste, Herr Abgeordneter Khol! Da hat sich nichts geändert!)

23.12

Abgeordnete Dr. Irmtraut Karlsson (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Worum geht es? - Herr Abgeordneter Brauneder hat einen richtigen Satz gesagt: Wir haben die ganze Diskussion in aller Ausführlichkeit hier schon einmal geführt. Wir haben sie im Ausschuß noch einmal geführt. Die Argumente drehen sich im Kreise und sind beschränkt. Es geht um die verfassungsmäßige Grundlage zur Genehmigung des Amsterdamer Vertrages, und zwar im Rahmen eines Ermächtigungsgesetzes.

Ich teile das Unbehagen an dem Namen, das auch im Ausschuß geäußert wurde. Die Frage ist nur, wie man es anders nennen soll. Sagt man - unter der Voraussetzung, daß wir die Legisla


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