596/A(E) XXI.GP

Eingelangt am: 30.01.2002

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG


der Abgeordneten Glawischnig, Freundinnen und Freunde
betreffend Vorschläge zur Umsetzung des Temelin Volksbegehrens

Die Unterzeichnung des Temelin-Volksbegehrens von 915.220 Wahlberechtigten ist
ein klarer Auftrag für einen umfassenden Neuanfang in der österreichischen Anti-
Atom und Energiepolitik auf nationaler und europäischer Ebene. Die überwiegende
Mehrheit der Unterzeichnerinnen haben nicht gegen Tschechien oder für ein Veto
gegen den EU-Beitritt Tschechiens unterschrieben, sondern für konkrete
österreichische Initiativen gegen Temelin und in der Anti-Atom- und Energiepolitik.
Das belegen auch aktuelle Meinungsumfragen. Ein überparteiliches Volksbegehren
mit einem klaren Maßnahmenkatalog für einen europaweiten Atomausstieg und
ohne Veto-Drohung hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weit höhere
Zustimmung der österreichischen Bevölkerung erhalten. Um dem breiten Anti-AKW-
Konsens in der österreichischen Bevölkerung Rechnung zu tragen, soll von der
Bundesregierung ein umfassendes Aktionspaket umgesetzt werden, dass neben
einer neuen Temelin-Stilllegungsinitiative auch Maßnahmen für einen europaweiten
Atomausstieg und eine europäische Energiewende beinhaltet.

Neue Initiative gegen Temelin

Neuverhandlungen können in erster Linie nur auf bilateraler Ebene und nur mit einer
neuen tschechischen Regierung geführt werden. Denn der von Österreich beim
vorläufigen Abschluss des Energiekapitels im Dezember 2001 geäußerte Vorbehalt,
auf das Energiekapitel jederzeit wieder zurückkommen zu können, entbehrt jeder
realpolitischen Grundlage. Die Bundesregierung soll in bilateralen Verhandlungen mit
einer neuen tschechischen Regierung über den Ausstieg verhandeln und dabei auf
Veto-Drohungen als Verhandlungsinstrument verzichten. Österreich muss ein
entsprechendes finanzielles Ausstiegsangebot unterbreiten und sich auf EU-Ebene
für eine Ausstiegskonferenz einsetzen. Österreich soll der neuen tschechischen
Regierung die volle Unterstützen für eine raschen EU-Beitritt zusichern. Denn nur
wenn Tschechien EU-Mitglied ist, können weitere konkrete Maßnahmen gegen
Temelin greifen (Stichwort: fehlende Wirtschaftlichkeit, Dumping-Exporte,
Wettbewerbsverletzungen).

Initiative für einen europaweiten Atomausstieg

Auf Europäischer Ebene müssen die Weichen für einen Atomausstieg auf
verschiedenen Ebenen gestellt werden. Denn obwohl in der EU seit Jahren kein
neues AKW gebaut wird - abgesehen von Plänen in Finnland - begünstigen die
entsprechenden EU-Institutionen die Atomenergie immer noch massiv. Studien
belegen, dass ein Atomausstieg in Europa technisch und energiewirtschaftlich
innerhalb von zehn Jahren machbar ist, entscheidend ist der politische Wille.


EURATOM-Vertrag auflösen

Langfristig ist eine Auflösung des EURATOM-Vertrages anzustreben, stattdessen
die Verankerung einer nachhaltigen Energiepolitik im EU-Vertrag. Die
Sonderwirtschaftszonen für Kohle und Atomenergie, die durch die Verträge für Kohle
und Stahl (EGKS) und den Euratom-Vertrag entstanden sind, müssen auch aus
Wettbewerbsgründen aufgehoben werden. Entsprechend dem Auslaufen des EGKS-
Vertrages sollte der EURATOM-Vertrag nach 50 Jahren, also spätestens 2007,
beendet werden. Ein diesbezüglicher Beschluss soll auf der EU-
Regierungskonferenz 2004 fallen. Förderungen sollten nur noch für effiziente
Energienutzung und Erneuerbare Energien gewährt werden.

EURATOM-Forschungsprogramm radikal umorientieren

Die Forschungen im Bereich Kernfusion und der Entwicklung neuer Reaktorkonzepte
sollen eingestellt werden. Das Forschungsprogramm soll an das Ziel eines
europaweiten Atomausstieges angepasst werden. Die Bereiche "Lagerung
radioaktiver Abfälle", "Sicherheitsstandards als Ausstiegsinstrument" und
"Strahlenschutz" sollen im Vordergrund stehen. Forschungen im Bereich
erneuerbare Energien sollen intensiviert werden.

Keine neuen EURATOM-Kredite für AKW

Das bisher mit 4 Milliarden Euro begrenzte EURATOM-Kreditvolumen darf nicht, wie
von der EU-Kommission vorgeschlagen, auf sechs Milliarden Euro erhöht werden.
Es sollen keine weiteren Kredite für Fertigstellung oder Laufzeitverlängerungen von
AKW gewährt werden.

EBRD, EIB: Reform der Banken

Die an der Finanzierung von AKW in Osteuropa hauptbeteiligten Banken
(Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung/EBRD und European
Investment Bank/EIB) dürfen keine neuen Finanzierungen oder Kredite für
Atomprojekte vergeben. Im Rahmen einer grundlegende Reform der Banken sollen
mehr Transparenz (öffentlicher Zugang zu Projektinformationen), hohe
Umweltstandards, Bürgerbeteiligungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen
und eine starke Kontrolle durch Europaparlament und EU-Rechnungshof erreicht
werden.

Europäischer Ausstiegsfonds

Finanzielle Ressourcen, die derzeit auf EU-Ebene zur Förderung der Atomenergie
zur Verfügung stehen, sollen in einen europäischen Ausstiegsfonds umgeleitet
werden, der einerseits zur Modernisierung der Energiesysteme (Energieeffizienz,
Erneuerbare Energieträger), andererseits in Form von Zuschüssen für die Stilliegung
von AKW eingesetzt werden soll. Vordringlich sollte dabei ein Ausstiegsangebot für
das AKW Temelin sein.

Sicherheitsstandards als Ausstiegsinstrument

Sicherheitsstandards sollen als Kriterien dienen, um verbindliche Abschaltefristen für
europäische AKW festzuschreiben. Sie sollen unter Einbeziehung der atomfreien
EU-Staaten und unter Beteiligung von Experten aus NGOs in transparenter Art und
Weise entwickelt werden. Die von der IAEO und der WENRA bisher veröffentlichten
Standards werden in diesem Zusammenhang als unzureichend angesehen. Die
Sicherheitsstandards sollen sich am höchsten Stand der Technik in der EU
orientieren.


Rasche Stillegung der Hochrisikoreaktoren

Die  Bundesregierung muss auf europäischer Ebene für eine Vorverlegung der

derzeit vereinbarten Schließungsdaten für Bohunice, Kosloduj und Ignalina eintreten.

Koalition atomkraftfreier Staaten

Um diese Ziele zu erreichen, soll sich die Bundesregierung um Bündnispartner

innerhalb der EU bemühen und eine koordinierte Vorgangsweise vereinbaren.

Initiative für eine Energiewende

Die Europäische Union muss - auch im Hinblick auf die Erweiterung - auf eine
gemeinsame Politik für eine umweltfreundliche Energieversorgung verpflichtet
werden. Langfristiges Ziel (2050) muss die hundertprozentige Versorgung durch
Erneuerbare Energien sein. Die zweite Säule soll maximale Energieeffizienz bei
Erzeugung und Nutzung sein. Österreich hat besonders gute Voraussetzungen,
mittelfristig die gesamte Energieversorgung auf eine erneuerbare Basis zu stellen.
Mittelfristig könnten 50% des EU-Strombedarfs bis 2020aus erneuerbaren
Energieträgern bezogen werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Neue Initiative gegen Temelin

1. Die Bundesregierung wird ersucht, nach den tschechischen Wahlen mit der
neuen tschechischen Regierung bilateraler Verhandlungen aufzunehmen, mit
dem Ziel eine Stilllegung Temelins zu erreichen.

2.   Die Bundesregierung wird ersucht, für diese Stillegungsverhandlungen
unverzüglich mit der Erarbeitung eines detaillierten, ausreichend finanzierten
Ausstiegsangebotes zu beginnen.

3.  Die Bundesregierung wird ersucht, auf europäischer Ebene auf die Durchführung
einer europäischen Temelin-Ausstiegskonferenz zu drängen, wie vom
Europaparlament im September vergangenen Jahres gefordert, und dafür auch
ein österreichisches finanzielles Ausstiegsangebot an Tschechien in Aussicht zu
stellen.

4.   Die Bundesregierung wird ersucht, sich am Zustandekommen einer
Informationsoffensive in Tschechien über die sicherheitstechnischen und


wirtschaftlichen Problembereiche des AKW Temelin zu beteiligen und dafür auch
entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.

5. Die Bundesregierung wird ersucht, eine Aufstockung der finanziellen Mittel der
Anti-Atom-Gruppen zu gewähren.

6. Die Bundesregierung wird ersucht, einen Anti-Atom-Gipfel unter Einbeziehung
der Opposition, Landespolitikerinnen und NGOs einzuberufen, um über die
konkreten Inhalte und Durchführungsstrategien obiger Maßnahmen zu beraten.

Initiative für einen europaweiten Atomausstieg

7. Die Bundesregierung wird ersucht, eine Initiative zur Auflösung des EURATOM-
Vertrages zu setzen, mit dem Ziel, auf der EU-Regierungskonferenz 2004 einen
entsprechenden Beschluss herbeizuführen

8. Die Bundesregierung wird ersucht, sich dafür einzusetzen, dass das EURATOM-
Forschungsprogramm an das Ziel eines EU-weiten Atomausstieg angepasst wird
und die Forschungen im Bereich Kernfusion und der Entwicklung neuer
Reaktorkonzepte sollen eingestellt werden.

9.  Die Bundesregierung wird ersucht, sich dafür einzusetzen, dass das bisher mit 4
Milliarden Euro begrenzte EURATOM-Kreditvolumen nicht, wie von der EU-
Kommission vorgeschlagen, auf sechs Milliarden Euro erhöht wird.

10.Die Bundesregierung wird ersucht, sich dafür einzusetzen, dass die an der
Finanzierung von AKW in Osteuropa hauptbeteiligten Banken (Europäische Bank
für Wiederaufbau und Entwicklung/EBRD und European Investment Bank/EIB)
keine neuen Finanzierungen oder Kredite für Atomprojekte vergeben und die
genannten Banken einer Reform unterzögen werden, mit den Zielen mehr
Transparenz (öffentlicher Zugang zu Projektinformationen), hohe
Umweltstandards, Bürgerbeteiligungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen
und starke Kontrolle durch Europaparlament und EU-Rechnungshof.

11.Die Bundesregierung wird ersucht, sich dafür einzusetzen, dass jene finanzielle
Ressourcen, die derzeit auf EU-Ebene zur Förderung der Atomenergie zur
Verfügung stehen, in einen europäischen Ausstiegsfonds umgeleitet werden.

12.Die Bundesregierung wird ersucht, sich für höchstmögliche EU-weite
Sicherheitsstandards und auf deren Basis für die Festschreibung von
verbindlichen Abschaltefristen europäischer AKW einzusetzen, mit dem Ziel das
letzte AKW in Europa in zehn Jahren abzuschalten.

13.Die Bundesregierung wird ersucht, sich auf europäischer Ebene für eine
Vorverlegung der derzeit vereinbarten Schließungsdaten für Bohunice, Kosloduj
und Ignalina einzusetzen.

14.Die Bundesregierung wird ersucht, sich für die koordinierte Umsetzung der
Maßnahmen für einen europäischen Atomausstieg um Bündnispartner innerhalb
der EU zu bemühen.


Initiative für eine Energiewende

15.Die Bundesregierung wird ersucht, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass
keine weiteren Subventionen für fossile Brennstoffe und Atomenergie gestattet
werden, eine verstärkte Förderung von Erneuerbaren Energieträgern gewährt
wird, eine Verschärfung der EU-Ökostrom-Richtlinie erreicht wird und eine
ökologische Steuerreform auf europäischer Ebene eingeführt wird.

16.Die Bundesregierung wird ersucht, eine ökologische Steuerreform für Österreich
vorzubereiten und umzusetzen.

17.Die Bundesregierung wird ersucht, weitere Verkäufe österreichischer
Energieversorger an Atomstromkonzerne zu unterbinden.

18.Die Bundesregierung wird ersucht, die Aufhebung der Stromimporte aus der
Slowakei, Slowenien und Ungarn rückgängig zu machen und Stromlieferverträge
aus jenen Drittstaaten nach § 13 EIWOG wiederum zu untersagen.

19.Die Bundesregierung wird ersucht, faire Rahmenbedingungen für Ökostrom in
Österreich zu schaffen und dafür insbesondere eine Informationakampagne "Für
einen Wechsel zu Ökostromanbietern" durchzuführen, einheitliche strenge
Regelungen für die Stromkennzeichnung einzuführen, Kostenwahrheit bei den
Durchleitungstarifen herzustellen, bundesweit einheitliche Einspeisetarife nach
Vorbild des deutschen Energieeinspeisegesetzes und keine Obergrenzen für den
Ausbau von Ökostromanlagen einzuführen, eine Absenkung der
Durchleitungstarife für Ökostrom vorzunehmen und durch geeignete Maßnahmen
sicherzustellen, dass es zu keinen finanziellen Mehrbelastungen der
Konsumentinnen bei Strombezug aus Ökostromanlagen kommt.

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Umweltausschuss vorgeschlagen.