83/A XXI.GP
der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic, Glawischnig, Moser, Freundinnen und Freunde
betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über das Grundrecht auf Gesundheit
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesverfassungsgesetz über das Grundrecht auf Gesundheit
Der Nationalrat hat beschlossen:
Artikel 1
(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Gesundheit.
(2) Bei einer Gefahrdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit durch staatlich geregeltes
Handeln steht den Betroffenen ein Recht auf Einhaltung der zum Schutz der Gesundheit
erlassenen generellen Normen zu. Jeder Mensch hat das Recht, dies in einem Verfahren
durchzusetzen.
(3) Das Grundrecht auf Gesundheit umfaßt das Recht der Betroffenen auf ein Tätigwerden
des Verordnungsgebers, ist eine Gefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit
schwerwiegend, auch das Recht auf ein Tätigwerden des säumigen Gesetzgebers.
Artikel 2
Eine Gesundheitsanwaltschaft hat das Recht, bei Verstößen gegen das Grundrecht auf
Gesundheit wie die Betroffenen Beschwerde zu erheben. Die Einrichtung, die näheren Rechte
und Pflichten der Gesundheitsanwaltschaft sind in einem besonderen Gesetz zu regeln.
Artikel 3
Der Staat hat die Pflicht, Mittel für die weitere Erforschung der Ursachen -
Wirkungszusammenhänge im Bereich der Umweltmedizin bereitzustellen.
Artikel 4
(1) Dieses Bundesverfassungsgesetz tritt mit 1. September 2000 in Kraft.
(2) Mit der Vollziehung dieses
Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.
1. Motivation:
Der österreichische Grundrechtskatalog (Summe der in Österreich geltenden Grundrechte)
enthält kein Grundrecht auf Gesundheit Das Grundrecht auf Leben nach Art 2
Menschenrechtskonvention und Art 63 Staatsvertrag von St. Germain schützt vor
Auslöschung des Lebens nicht jedoch vor bloß die Gesundheit beeinträchtigenden Eingriffen.
Lediglich akut lebensgefährdende Gesundheitsverletzungen können nach herrschender
Judikatur von diesem Grundrechtsschutz erfaßt sein.
Die Gesundheit des Menschen wird jedoch durch den technischen und wirtschaftlichen
Fortschritt nicht nur gefördert sondern auch zunehmend durch umweltvermittelte Gefahren
bedroht und beeinträchtigt. Beispielhaft seien hier Gesundheitsschäden durch den Verkehr
angeführt. Dieselruß ist nachweislich krebserregend, der Verkehrslärm fördert den
Herzinfarkt. Für Österreich wird die Zahl der verkehrsbedingten Lärmopfer schätzungsweise
mit 180 Todesfällen pro Jahr angegeben.
Österreich hat sich auch völkerrechtlich verpflichtet, alles Mögliche zum Schutz der
Bevölkerung zu tun. Die Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (Beitritt
Österreichs 1949) bringt zum Ausdruck, daß „der Genuß des höchsten erreichbaren
Gesundheitsstandards eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens (sei).“ In der
Europäischen Sozialcharta, welche Österreich 1969 ratifiziert hat, haben sich die
Vertragsparteien verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um "soweit wie möglich die
Ursachen von Gesundheitsschäden zu beseitigen“. Im UNO - Sozialpakt, welcher von
Österreich 1978 ratifiziert wurde, „anerkennen“ die Vertragsstaaten „das Recht eines jeden auf
das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit". Die
Vertragsstaaten verpflichten sich, alles „zur Verbesserung aller Aspekte der Umwelt - und der
Arbeitshygiene“ zu unternehmen.
Der Gesetzesvorschlag ist auch in Zusammenhang mit dem von Österreich unterzeichneten
Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an
Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten
(Aarhus - Konvention) zu sehen.
Der Gesundheitsschutz zählt zu den wichtigsten Aufgaben des Staates. Diese Bedeutung
sollte auch im österreichischen Grundrechtskatalog ihren Niederschlag finden. Die Grünen
haben zu diesem Zweck eine Studie bei Frau Mag. Elisabeth SCHADLER in Auftrag
gegeben, deren Formulierungsvorschlag der Gesetzesantrag im wesentlichen folgt.
2. Inhalt
Das vorgeschlagene Grundrecht gibt Betroffenen das Recht,
- die Vereinbarkeit von Bescheiden, Verordnungen und Gesetzen mit dem Grundrecht auf
Gesundheit durch den
Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen,
- auch die Einhaltung von generellen Gesundheitsschutzbestimmungen geltend zu
machen,
- auf Durchsetzung des ihnen zugebilligten Gesundheitsschutzes in einem Verfahren
(Parteistellung in gesundheitsrelevanten Verfahren),
- auf ein Tätigwerden des Verordnungsgebers,
- bei schwerwiegender bestehender oder drohender Beeinträchtigung auf ein Tätigwerden
des Gesetzgebers (in den beiden letztgenannten Fällen erkennt der
Verfassungsgerichtshof über die Säumigkeit).
Betroffen ist eine Person, wenn sie durch Handlungen oder Unterlassungen des Staates
konkret in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wurde oder gefährdet ist.
Der Nachweis der bestehenden oder drohenden Gesundheitsbeeinträchtigung ist aus
zumindest zwei Gründen schwierig: Die Ursachen - Wirkungszusammenhänge zwischen
Umweltgiften und Erkrankungen sind noch unzureichend erforscht und der Nachweis im
konkreten Fall bedarf kostspieliger Gutachten. Deshalb wurde dem Staat die Pflicht zur
Förderung der Umweltmedizin und zur Einrichtung einer Gesundheitsanwaltschaft, welche
Beschwerde wie die Betroffenen erheben kann, auferlegt.
3. Kosten
Die mögliche Zunahme der Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof läßt sich nicht
quantifizieren, wird jedoch den derzeitigen Trend nicht wesentlich verändern. Die
Verankerung eines zusätzlichen Grundrechts sollte jedoch zum Anlaß genommen werden, die
schon bestehende Überlastung des VfGH durch eine Vermehrung der ständigen
Referent/inn/en und des Personals wettzumachen. Die Kosten, die durch die
Gesundheitsanwaltschaft entstehen würden, liegen im Ermessen des einfachen Gesetzgebers.
4. Alternativen
Unter Aufzählung materieller Gesetzesvorbehalte könnte die Gesundheit prinzipiell für
unverletzlich erklärt werden. Jeder Eingriff in die Gesundheit durch den Staat oder durch
Dritte, die nicht gesetzlich legitimiert sind, könnten so abgewehrt werden, im Fall von
Privaten im Wege einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage (Grundrecht mit Drittwirkung).
Diese Variante wurde angesichts der Bedeutung der diffusen Schadensquellen nicht
weiterverfolgt. Ein einzelner Privater verursacht in solchen Fällen nicht die
Gesundheitsbeeinträchtigung. Zielführend ist hier nur das Handeln des Staates, der das
Handeln der vielen, die in der Summe den Schaden herbeiführen, regeln kann. Unter
Anknüpfung der aus dem Grundrecht erfließenden Schutzpflicht des Staates sieht die
vorgeschlagene Lösung hier die Beschwerde gegen die säumige Behörde oder den säumigen
Gesetzgeber vor. Ein weiteres Problem stellt bei dieser Variante die generelle Festlegung der
verfassungsrechtlich zulässigen Gesundheitseingriffe, die Formulierung des materiellen
Gesetzesvorbehalts, dar.
Art 1 Abs 1 (Achtung der Gesundheit):
Durch diese Bestimmung sollen staatliche Akte wie Bescheide, Verordnungen und Gesetze
einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof unterzogen werden können, ob sie die
Gesundheit im konkreten Fall ausreichend achten und schützen. Die allgemeine Formulierung
soll ermöglichen, den Kernbegriff "Gesundheit" den jeweiligen wissenschaftlichen
Erkenntnissen und auch sozialen Gegebenheiten anzupassen. Als Mindestinhalt des Begriffs
ist das Freisein von (durch äußere Einwirkungen verursachte) Krankheitssymptomen
anzusehen. Das Grundrecht ist nicht bloß als Titel für Beschwerden von in ihrer Gesundheit
Betroffenen an den Verfassungsgerichtshof von Bedeutung, sondern beeinflußt auch den
Gehalt anderer Grundrechte wie zB des Grundrechts auf Eigentum und auf Erwerbsfreiheit
Art 1 Abs 2 (Objektiv - rechtlicher Gesundheitsschutz, Recht auf ein Verfahren):
Durch diese Regelung wird ein subjektiver Rechtsanspruch auf Einhaltung auch der objektiv -
rechtlichen gesundheitsbezogenen Vorschriften begründet. Geltend gemacht kann er von
jedem werden, der in seiner Gesundheit beeinträchtigt oder gefährdet wird.
Der subjektive, gegen den Staat gerichtete Anspruch besteht darauf,
a) daß einer in Gesetzen oder Verordnungen positivierten Pflicht zum Tätigwerden
zum Schutze der Gesundheit der Menschen entsprochen werden muß.
Diesbezügliche Ermessensentscheidungen können nun kontrolliert werden.
b) Weiters ist der Staat für bestimmte hoheitliche Tätigkeiten bereits
einfachgesetzlich verpflichtet, nach materiellen Kriterien bestimmte Maßnahmen
(hier im Sinne von bescheidförmigen Auflagen, Beschränkungen) für das
Hintanhalten von Gesundheitsbeeinträchtigungen zu ergreifen. So erwächst dem
Einzelnen darauf ein subjektiver Anspruch, selbst wenn in den
einfachgesetzlichen Normen dies nicht festgelegt war. Dadurch wird das Handeln
der Behörde auch inhaltlich überprüfbar
So soll vor allem eine Effektuierung bereits bestehender Normen, welche der Vermeidung von
Gesundheitsbeeinträchtigungen dienen, herbeigeführt werden. Durch die verfahrensrechtliche
Garantie wäre eine bessere Durchsetzbarkeit bestehender Vorschriften zum Schutze der
Gesundheit anknüpfend an die individuelle Betroffenheit gegeben.
* Die Erläuterungen beschränken sich hier auf das unerläßliche Maß, da die Studie von SCHADLER und die
dazu im Fruhjahr 1993 stattfindende Enquete mit den Beiträgen von Franz MERLI, Benjamin DAVY, Theo
ÖHLINGER ua. dokumentiert und publiziert wurden (Marlies MEYER (Hrsg), Grundrecht auf Gesundheit,
Wien 1993). Mit dem Thema eines Grundrechts auf Gesundheit beschäftigte sich auch ein von Maria ZENKL
im Rahmen des IFF im Herbst 1993 veranstaltetes Symposion, das im Journal für Rechtspolitik 1994, H 1,
dokumentiert ist (siehe insbes. Bernd - Christian FUNK, Ein Grundrecht auf Schutz der Gesundheit?, JRP 1994,
H 1 , S 68 - 78).
Art 1 Abs 3 (VfGH - Beschwerde bei Säumigkeit des Verordnungs - und des
Gesetzgebers):
Die geschaffene Beschwerdelegitimation ist in der Schutzpflicht des Staates begründet, wie
sie aus Grundrechtsgewährungen gefolgert wird. Gerade die neuere
Umweltschutzgesetzgebung ist durch eine Vielzahl von Verordnungsermächtigungen
gekennzeichnet, die nachträglich oder vorbeugend Gesundheitsbeeinträchtigungen ausschalten
sollen. Der einzelne hat bisher kein Recht auf Erlassung solcher Verordnungen. Das
Unterlassen der Behörde greift jedoch ohne Frage stark in die Gesundheit des einzelnen ein,
deshalb soll beim VfGH Beschwerde erhoben werden können. Aber auch die Untätigkeit des
Gesetzgebers soll releviert werden können. Zwischen der Prüfung und allfälliger Aufhebung
von erlassenen Gesetzen durch den VfGH und der Feststellung eines gesetzgeberischen
Handlungsbedarfs liegen strukturell nicht solche Welten, wie gerne behauptet wird.
Zugebenermaßen ist der Beurteilungsrahmen größer. Darauf wurde auch insofern
eingegangen, als nur bei einer „schwerwiegenden" bestehenden oder drohenden
Beeinträchtigung ein Säumigkeitserkenntnis ergehen soll. Primärer Sinn dieser Regelung ist
es, die Untätigkeit des Gesetzgebers rechtfertigungsbedürftig zu machen und nur bei massiver
und nicht zu rechtfertigender Verletzung des Gutes Gesundheit der Säumigkeitsbeschwerde
stattzugeben.
Die Säumnisbeschwerde gegen den Verordnungsgeber wurde eine Novellierung des Art 139
B - VG, die Säumnisbeschwerde gegen den Gesetzgeber eine Novellierung des Art 140 B - VG
notwendig machen. Beide Verfahren wären außerdem im VfGG näher auszuführen.
Art 2 (Gesundheitsanwaltschaft):
Schon im allgemeinen Teil wurde auf die Kostenintensität vor allem der Säumnisbeschwerden
hingewiesen. Aus diesem Grunde wird eine Gesundheitsanwaltschaft vorgesehen.
Art 3 (Umweltmedizin):
Diese Bestimmung begründet kein subjektiv durchsetzbares Recht, sondern ist als Auftrag an
Gesetzgebung (Budgethoheit) und Verwaltung zu verstehen. Dadurch soll bei der
Tatsachenfeststellung im Vorfeld der rechtlichen Beurteilung für die Durchsetzung des
grundrechtlich geschützten Gutes Gesundheit ein Unsicherheitsfaktor genommen werden, der
dazu führen könnte, daß es wesentlich restriktiver, vor allem im Vergleich mit den ebenfalls
grundrechtlich geschützten Eigentumsrechten, angewendet wird. Diese Gefahr besteht nicht
etwa wegen einer mangelnden Schutzwürdigkeit, sondern wegen der schwierigen Abgrenzung
des personenbezogenen Rechtsgutes Gesundheit und auch der Feststellung, was als
"sozialadäquat" anzusehen ist.
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuß vorgeschlagen sowie
die Durchführung einer ersten Lesung innerhalb von drei Monaten verlangt.