3512/AB XXI.GP

Eingelangt am: 26.04.2002

Bundeskanzler

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Glawischnig, Freundinnen und Freunde ha-
ben am 27. Februar 2002 unter der Nr. 3514/J an mich eine schriftliche parlamen-
tarische Anfrage betreffend “AKW Temelin: schon vergessen?" gerichtet.

Im Hinblick darauf, daß ich in dieser GP zum Thema AKW Temelin bereits mehrmals
im Zusammenhang mit parlamentarischen Anfragen Stellung genommen habe (z.B.:
986/J-2000, 1742/J-2001, 2961/J-2001, 3015/J-2001, 3061/J-2001, 3089/J-2001,
3345/J-2002) erlaube ich mir, diese Anfrage zusammenfassend wie folgt zu beant-
worten:

Zunächst bekräftige ich, daß es insbesondere im Rahmen des “Melker Prozesses" zu
vielfältigen Kontakten und Verhandlungen auf politischer Ebene zwischen Österreich
und der Tschechischen Republik gekommen ist, bei denen wiederholt die Frage
eines Verzichts auf die Inbetriebnahme des KKW Temelin releviert wurde. Die Hal-
tung der Tschechischen Republik zu diesen Vorstößen war bisher stets nachdrück-
lich ablehnend. Unter diesen Umständen konnte einer weiteren Konkretisierung all-
fälliger Österreichischer Initiativen in diese Richtung nicht sinnvoll näher getreten
werden.

Ich verweise auch auf die unmißverständliche Ablehnung der seitens des Europä-
ischen Parlaments geforderten “Ausstiegskonferenz", wie sie im Schreiben von Mi-
nisterpräsident Zeman vom 18. September 2001 in Beantwortung meines Schreibens
vom 6. September 2001 zum Ausdruck kam. In allen diesbezüglichen Stellungnah-
men verwiesen die Vertreter Tschechiens im übrigen darauf, daß Entscheidungen
über die nationale Energiepolitik nach wie vor - insbesondere auch in der EU - der
nationalen Souveränität unterliegen.

Ausstiegsszenarien können jedenfalls nur gemeinsam mit dem betroffenen Staat ent-
wickelt werden. Eine diesbezügliche Diskussionsbereitschaft ist auf tschechischer
Seite, wie bereits ausgeführt, bislang nicht zu erkennen.


Ich erinnere weiters daran, daß österreichische Experten im Zuge einer auf Initiative
des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umweltschutz und Wasser-
wirtschaft beauftragten Analyse der Auswirkungen einer Nicht-Inbetriebnahme des
KKW Temelin im Rahmen der Gesamt-UVP gemäß Kapitel V des Protokolls von
Melk ausgeführt haben, daß unter realistischen Annahmen auch zum gegenwärtigen
Zeitpunkt eine Inbetriebnahme des KKW Temelin mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit unwirtschaftlich ist. Auch dieser Gesichtspunkt Ist im Hinblick auf
die ökonomische Bewertung österreichischer Ausstiegsinitiativen von Relevanz.

Hinsichtlich möglicher europäischer “Ausstiegshilfen" sei - abgesehen vom bisher
mangelnden Konsens unter den Mitgliedsstaaten - auf die Tatsache hingewiesen,
daß für die Reaktoren sowjetischer Bauart der ersten Generation in Litauen, der Slo-
wakei und Bulgarien bisher nur fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darun-
ter Österreich, Beiträge zu allen drei “Schließungsfonds" geleistet haben. Insgesamt
lassen also die finanziellen Anstrengungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang
mit Schließungsaktivitäten nach wie vor zu wünschen übrig, wiewohl hinsichtlich der
Notwendigkeit der Schließung dieser Reaktoren breiter Konsens besteht.

Unbeschadet dessen hat die Bundesregierung bereits am 8. Dezember 2001 be-
schlossen, weiterhin für den europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie einzutreten
und den Ausstieg von hiezu bereiten Ländern zu unterstützen. “Energiepartnerschaf-
ten'1 mit den Schwerpunkten erneuerbare Energieträger und effiziente Energienut-
zung können einen wichtigen Beitrag zur Schaffung der Voraussetzungen für eine
neue Energiepolitik leisten. Ich erinnere daran, daß die “Energiepartnerschaft" mit
der Tschechischen Republik sowohl im Protokoll von Melk als auch in der Vereinba-
rung von Brüssel schriftlich verankert ist. Aber auch hier gilt, daß solche Projekte nur
dann erfolgreich sein können, wenn sie von gemeinsamen Interesse getragen sind
und auch gemeinsam erarbeitet werden.

Die Bundesregierung wird jedenfalls unter meinem Vorsitz im Sinne der vorliegenden
Beschlüsse ihre Bemühungen bezüglich Temelin unvermindert fortsetzen. Dies gilt
insbesondere auch bezüglich einer entsprechenden Umsetzung der Vereinbarung
von Brüssel und einer weiteren Konkretisierung der bereits angesprochenen Initia-
tiven.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung, auch in Entsprechung einschlägiger Ent-
schließungen und Stellungnahmen des Nationalrates, am Ziel eines europaweiten
Ausstiegs aus der energetischen Nutzung der Kernenergie festhalten. Die konse-
quente Position Österreichs wird es dabei sein, unter Hinweis auf die Risken der
Kernenergie weiterhin jeden Ausstieg eines Landes aus der Kernenergie zu unter-
stützen und gleichzeitig auf europäischer Ebene die Initiativen zur Schaffung ein-
heitlicher und hoher Sicherheitsstandards für noch in Betrieb befindliche Kernkraft-
werke mit Nachdruck fortzusetzen.