517 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 15. 3. 2001

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses


über den Antrag 113/A(E) der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen betreffend Ratifikation des internationalen Übereinkommens ILO Nr. 169 über ein­geborene und in Stämmen lebende Völker


Die Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 14. März 2000 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Die ILO-Konvention 169 ist das erste internationale Abkommen, das grundlegende Rechte für indigene und in Stämmen lebende Völker auf ein selbstbestimmtes Leben garantieren soll. Weltweit gehören 300 Millionen Menschen in über 70 Ländern indigenen Völkern, Nationen und Gemeinschaften an. Indigene sind oft Opfer von Diskriminierung, Ausbeutung, Unterdrückung, Folter, staatlichem Mord, bis hin zum Ethno- und Genozid.

Die ILO-Konvention ist ein Instrument, das die Identität eingeborener Völker und deren Rechte auf Weiterentwicklung eigener Institutionen im Rahmen der eigenen Kultur verankert. Die Artikel der Konvention betreffen ua. den Schutz vor Entzug bzw. Zerstörung des traditionellen Lebensraumes, die Beschäftigungsbedingungen und Berufsbildung von Angehörigen dieser Völker, das Bildungswesen (Verwendung der Eingeborenensprache, Heranziehung eigener kultureller Bestrebungen) und das Gesundheitswesen. Ein wichtiger Grundsatz, der die gesamte Konvention durchzieht, liegt darin, die Einbindung indigener Völker in Entscheidungen, die sie oder ihren Lebensraum betreffen, vorzu­schreiben.

Diese Konvention stellt einen wichtigen Fortschritt im Ringen um die Rechte eingeborener Völker dar und kann als neuer ,Mindeststandard‘ im Umgang mit ihnen betrachtet werden. Die Organisationen eingeborener Völker fordern die Ratifikation der Konvention durch möglichst viele Staaten, da sie einen wesentlichen solidarischen Beitrag im Ringen um die Rechte eingeborener Völker bedeutet. Die sich aus der Ratifikation ergebende Hauptverpflichtung für unser Land würde darin liegen, regelmäßig Berichte über die Verwirklichung der Konvention durch Österreich in Genf vorzulegen.

Auch wurde mit der Resolution Nr. 48/163 der UN-Generalversammlung im Dezember 1994 die Internationale Dekade eingeborener Bevölkerungen proklamiert. Österreich sollte daher gerade jetzt – in der UN-Dekade zu den Indigenen Völkern der Welt (1994 bis 2004) – unterzeichnen.

Bereits am 17. Juni 1993 wurde im österreichischen Parlament der Entschließungsantrag 356/A(E) betreffend die Ratifikation des internationalen Übereinkommens ILO Nr. 169 einstimmig beschlossen. Einen weiteren einstimmigen Beschluss des Nationalrates zur Ratifizierung der ILO-Konvention 169 gab es am 11. Juli 1997. Trotz zweimaligem Beschluss des Nationalrates wurde die Ratifizierung bisher nicht eingeleitet.“

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag erstmals in seiner Sitzung am 11. April 2000 in Verhandlung genommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger sowie die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner.

In der Folge wurde der gegenständliche Entschließungsantrag einstimmig vertagt.

Der Außenpolitische Ausschuss hat in seiner Sitzung vom 6. März 2001 die Verhandlungen im Gegen­stand wieder aufgenommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek, Inge Jäger, Mag. Terezija Stoisits, Dr. Michael Spindelegger sowie die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner.

Die Abgeorneten Dr. Michael Spindelegger, Mag. Karl Schweitzer brachten einen Entschließungsantrag ein, dem folgende Begründung beigegeben war:

„Am 27. Juni 1989 wurde im Rahmen der International Labour Organization (ILO) die Konvention Nr. 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern angenommen. Ziel dieser Konvention ist es, die Rechte der eingeborenen Völker zu sichern und sie an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unter Bedachtnahme ihrer Identität teilhaben zu lassen. Das gegenständliche Abkommen umfasst zahlreiche Bestimmungen zu den Lebensräumen der betreffenden Völker, dem Bildungswesen, dem Gesundheitswesen, Beschäftigungsfragen, der Kultur und der Teil­nahme an Entscheidungsprozessen.

Die ILO-Konvention Nr. 169 wurde bisher von 14 Staaten ratifiziert, darunter drei europäische Staaten (Dänemark, Niederlande und Norwegen). Sowohl in der XVIII. GP wie auch in der XX. GP hat der Nationalrat Entschließungen zur Unterstützung der Ratifikation der ILO 169 beschlossen. Der Außen­politische Ausschuss des Nationalrates hat sich nun in seiner Sitzung am 11. April 2000 erneut mit der Frage der Ratifizierung der ILO 169 befasst. In der Folge wurde ein Entwurf eines Vortrages an den Ministerrat betreffend die Ratifikation der ILO 169 an alle Bundesministerien, das Bundeskanzleramt sowie die Verbindungsstelle der Bundesländer übermittelt.

Diese neuerliche eingehende Prüfung zeigte, dass ILO Nr. 169 keine ausreichend konkreten Bestim­mungen über den eigenen Wirkungsbereich enthält. Mangels hinreichend bestimmter Definition der unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallenden eingeborenen und in Völkern lebenden Stämmen impliziert ihr Wortlaut Rechtsunsicherheit. Die ILO stellt dazu selbst fest: ,It is sometimes very difficult to draw a distinction between indigenous and tribal peoples and other minorities, and this is something that has to be assessed on a case-by-case basis.‘ (ILO: A Guide to ILO Convention No. 169, S 2)

Eine Ratifikation durch Österreich könnte daher eine Gefahr für die Kohärenz und die Ausgewogenheit des geltenden österreichischen Volksgruppenrechts darstellen, sollten auf Grund der entsprechenden Interpretation in Österreich lebende Volksgruppen unter den Geltungsbereich des Übereinkommens subsumiert werden.

Das österreichische System des Minderheitenschutzes und der Förderung von Volksgruppen ist historisch gewachsen und entspricht den Erfordernissen unseres Landes. Erst vergangenes Jahr hat der Nationalrat eine Staatszielbestimmung im Verfassungsrang beschlossen, die ein Bekenntnis der Republik Österreich zu ihrer historisch gewachsenen kulturellen, sprachlichen und ethnischen Vielfalt enthält. Diese Ver­fassungsänderung trat am 1. August 2000 in Kraft. Der neue Artikel 8 Abs. 2 der österreichischen Bundesverfassung hat folgenden Wortlaut: ,Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Spache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.‘

Der umfassende Schutz der Minderheitenrechte in Österreich wurde auch im Bericht von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja, der auf Ersuchen der 14 anderen EU-Regierungen erstellt wurde, gewürdigt. In den Schlussfolgerungen im Bezug auf die Minderheitenrechte heißt es: ,Das österreichische Rechtssystem hat einen besonderen Schutz für die in Österreich lebenden Minderheiten geschaffen. Dieser Schutz besteht auf Verfassungsebene. Der den in Österreich lebenden Minderheiten durch das österreichische Rechtssystem gewährte Minderheitenschutz reicht weiter als der, der in vielen anderen europäischen Staaten gewährt wird.‘

Während Österreich mit der Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 seine klare Unterstützung der politischen Ziele dieser Konvention dokumentierte, würde eine Ratifikation der Konvention keine Verbesserung im Bereich des österreichischen Minderheiten- und Volksgruppenrechtes bringen, sondern könnte vielmehr eine Gefahr für die Kohärenz dieses Rechtsbereiches in Österreich bergen.“

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek und Genossen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Der Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger und Mag. Karl Schweitzer wurde mit Stimmenmehrheit angenommen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle,


           1. diesen Bericht zur Kenntnis nehmen;

           2. die beigedruckte Entschließung annehmen.

Wien, 2001 03 06

                        Dr. Michael Spindelegger                                                         Peter Schieder

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann

Anlage

Entschließung

Die Bundesregierung wird ersucht,

–   weiterhin ihre Politik des Volksgruppen- und Minderheitenschutzes im In- und Ausland fortzusetzen,

–   weiterhin auf internationaler Ebene für die Rechte und den Schutz der indigenen und in Stämmen lebenden Völker einzutreten,

–   in diesem Zusammenhang die Ziele der ILO-Konvention 169 mit allen geeigneten Mitteln zu unterstützen.