81 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Nachdruck vom 3. 5. 2000

Regierungsvorlage


Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz geändert wird


Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicher­heitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl. Nr. 566/1991, zuletzt geändert durch das Bundes­gesetz BGBl. I Nr. 146/1999, wird wie folgt geändert:

1. An die Stelle der Begriffe “bandenmäßige oder organisierte Kriminalität” und “organisierte Krimi­nalität” tritt jeweils der Ausdruck “kriminelle Verbindungen” in der grammatikalisch gebotenen Form.

2. § 16 Abs. 1 Z 2 lautet:

         “2. sobald sich drei oder mehr Menschen mit dem Vorsatz verbinden, fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlungen zu begehen (kriminelle Verbindung).”

3. § 16 Abs. 2 Z 1 lautet:

         “1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278 und 278a Abs. 1 StGB, oder”

4. Dem § 21 wird folgender Abs. 3 angefügt:

“(3) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Beobachtung von Gruppierungen, wenn im Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität, insbesondere zu weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt, kommt (erweiterte Gefahrenerforschung).”

5. §§ 28 und 28a samt Überschriften lauten:

“Vorrang der Sicherheit von Menschen

§ 28. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen vor dem Schutz anderer Güter Vorrang einzuräumen.

Sicherheitspolizeiliche Aufgabenerfüllung

§ 28a. (1) Wenn bestimmte Tatsachen die Annahme einer Gefahrensituation rechtfertigen, obliegt den Sicherheitsbehörden, soweit ihnen die Abwehr solcher Gefahren aufgetragen ist, die Gefahren­erforschung.

(2) Die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen zur Erfüllung der ihnen in diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben alle rechtlich zulässigen Mittel einsetzen, die nicht in die Rechte eines Menschen eingreifen.

(3) In die Rechte eines Menschen dürfen sie bei der Erfüllung dieser Aufgaben nur dann eingreifen, wenn eine solche Befugnis in diesem Bundesgesetz vorgesehen ist und wenn entweder andere Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben nicht ausreichen oder wenn der Einsatz anderer Mittel außer Verhältnis zum sonst gebotenen Eingriff steht.”

6. In § 29 Abs. 1 wird das Zitat “§ 28 Abs. 3” durch das Zitat “§ 28a Abs. 3” ersetzt.

7. In § 53 Abs. 1 wird folgende Z 2a eingefügt:

            “2a. für die erweiterte Gefahrenerforschung (§ 21 Abs. 3), sofern eine Äußerung des Rechtsschutz­beauftragten vorliegt, wonach sich diese Aufgabe in Bezug auf eine bestimmte Gruppierung stellt;”

8. § 54 Abs. 2 bis 4 lautet:

“(2) Die Ermittlung personenbezogener Daten durch Beobachten (Observation) ist zulässig

           1. zur erweiterten Gefahrenerforschung (§ 21 Abs. 3), sofern die Observation dieser Gruppierung für die Aufgabenerfüllung verhältnismäßig (§ 51 Abs. 1) ist;

           2. um eine von einem bestimmten Menschen geplante strafbare Handlung gegen Leben, Gesundheit, Sittlichkeit, Freiheit, Vermögen oder Umwelt noch während ihrer Vorbereitung (§ 16 Abs. 3) verhindern zu können;

           3. wenn sonst die Abwehr gefährlicher Angriffe oder krimineller Verbindungen gefährdet oder erheblich erschwert wäre.

(3) Das Einholen von Auskünften ohne Hinweis gemäß Abs. 1 (verdeckte Ermittlung) ist zulässig, wenn sonst die Abwehr gefährlicher Angriffe oder krimineller Verbindungen gefährdet oder erheblich erschwert wäre.

(4) Die Ermittlung personenbezogener Daten mit Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten ist nur für die Abwehr gefährlicher Angriffe oder krimineller Verbindungen zulässig; sie darf unter den Voraus­setzungen des Abs. 3 auch verdeckt erfolgen. Das Fernmeldegeheimnis bleibt unberührt. Unzulässig ist die Ermittlung personenbezogener Daten jedoch

           1. mit Tonaufzeichnungsgeräten, um nichtöffentliche und nicht in Anwesenheit eines Ermittelnden erfolgende Äußerungen aufzuzeichnen;

           2. mit Bildaufzeichnungsgeräten, um nichtöffentliches und nicht im Wahrnehmungsbereich eines Ermittelnden erfolgendes Verhalten aufzuzeichnen.”

9. In § 54 wird nach Abs. 4 folgender Abs. 4a eingefügt:

“(4a) Die verdeckte Ermittlung (Abs. 3) und der Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten (Abs. 4) sind zur Abwehr einer kriminellen Verbindung nur zulässig, wenn die Begehung von Verbrechen (§ 17 StGB) zu erwarten ist. Bei jeglichem Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten ist besonders darauf zu achten, dass Eingriffe in die Privatsphäre der Betroffenen die Verhältnismäßigkeit (§ 29) zum Anlass wahren.”

10. § 62 Abs. 2 Z 2 lautet:

         “2. das Wissen des Betroffenen um die Existenz oder den Inhalt des Datensatzes die Fahndung, die Abwehr gefährlicher Angriffe, die Abwehr krimineller Verbindungen oder die erweiterte Ge­fahrenerforschung gefährden oder erheblich erschweren würde,”

11. Nach § 62 werden folgende §§ 62a und 62b samt Überschriften eingefügt:

“Unterrichtung von Ermittlungen

§ 62a. Die Sicherheitsbehörden sind verpflichtet, Menschen, über die personenbezogene Daten durch verdeckte Ermittlung (§ 54 Abs. 3) oder durch den Einsatz von Bild- oder Tonaufzeichnungsgeräten (§ 54 Abs. 4) ohne ihre Kenntnis ermittelt worden sind, hievon unter Angabe der für die Ermittlung wesent­lichen Gründe und der ihnen nach § 62 offen stehenden Möglichkeiten in Kenntnis zu setzen, sofern die Identität des Betroffenen bekannt ist und die Unterrichtung ohne unvertretbaren Verwaltungsaufwand erfolgen kann; auf berechtigte Interessen Dritter ist Bedacht zu nehmen. Die Unterrichtung ist solange aufzuschieben, als ihr die Gründe des § 62 Abs. 2 Z 2 entgegenstehen.

Besonderer Rechtsschutz bei erweiterter Gefahrenerforschung

§ 62b. (1) Der Bundesminister für Inneres bestellt nach Anhörung der Präsidenten des Nationalrates sowie der Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes einen Rechts­schutzbeauftragten und zwei Stellvertreter für die Dauer von zwei Jahren; Wiederbestellungen sind zulässig.

(2) Der Rechtsschutzbeauftragte muss besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Grund- und Freiheitsrechte aufweisen und mindestens fünf Jahre in einem Beruf tätig gewesen sein, in dem der Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften Berufsvoraussetzung ist. Richter und Staatsanwälte des Dienststandes, Rechtsanwälte, die in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen sind, und andere Personen, die vom Amt eines Geschworenen oder Schöffen ausgeschlossen oder zu diesem nicht zu berufen sind (§§ 2 und 3 des Geschworenen- und Schöffengesetzes 1990) dürfen nicht bestellt werden.

(3) Die Bestellung des Rechtsschutzbeauftragten erlischt bei Verzicht, im Todesfall oder mit Ende der Bestellungsdauer. Wenn ein Grund besteht, die volle Unbefangenheit des Rechtsschutzbeauftragten oder eines Stellvertreters in Zweifel zu ziehen, hat sich dieser des Einschreitens in der Sache zu enthalten.

(4) Der Rechtsschutzbeauftragte ist in Ausübung seines Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Er unterliegt der Amtsverschwiegenheit. Der Bundesminister für Inneres stellt dem Rechts­schutzbeauftragten die zur Bewältigung der administrativen Tätigkeit notwendigen Personal- und Sach­erfordernisse zur Verfügung. Dem Rechtsschutzbeauftragten und seinen Stellvertretern gebührt für die Erfüllung ihrer Aufgaben eine Entschädigung; der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, mit Ver­ordnung Pauschalsätze für die Bemessung dieser Entschädigung festzusetzen.


(5) Der Rechtsschutzbeauftragte ist zur rechtlichen Kontrolle der erweiterten Gefahrenerforschung (§ 21 Abs. 3) berufen. Hiefür sind ihm Einblick in alle erforderlichen Unterlagen zu gewähren und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen; insofern kann ihm gegenüber Amtsverschwiegenheit nicht geltend gemacht werden. Dies gilt jedoch nicht für Auskünfte und Unterlagen, insbesondere über Quellen, deren Bekanntwerden die nationale Sicherheit oder die Sicherheit von Menschen gefährden würde.

(6) Der Rechtsschutzbeauftragte erstattet dem Bundesminister für Inneres jährlich einen Bericht über die Wahrnehmung der erweiterten Gefahrenerforschung durch die Sicherheitsbehörden. Im Rahmen des Art. 52a Abs. 2 B-VG ist der Bundesminister für Inneres zur Erstattung von Auskünften hierüber ver­pflichtet.

(7) Sicherheitsbehörden, denen sich eine Aufgabe gemäß § 21 Abs. 3 stellt, haben hierüber den Bundesminister für Inneres zu informieren. Dieser hat – sofern er die Einschätzung teilt – vom Sach­verhalt den Rechtsschutzbeauftragten in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Der Rechtsschutzbeauftragte hat sich binnen sieben Tagen zu äußern.

(8) Nimmt der Rechtsschutzbeauftragte wahr, dass durch Verwenden personenbezogener Daten Rechte von Betroffenen verletzt worden sind, die von dieser Datenverwendung keine Kenntnis haben, so ist er zu deren Information oder, soferne eine solche aus den Gründen des § 62 Abs. 2 Z 2 nicht erfolgen kann, zur Erhebung einer Beschwerde an die Datenschutzkommission nach § 90 befugt. Im gesamten Verfahren ist auf § 62 Abs. 2 Z 2 Bedacht zu nehmen.”

12. Dem § 94 wird folgender Abs. 12 angefügt:

“(12) Die §§ 16 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2, 21 Abs. 3, 28, 28a, 29 Abs. 1, 53 Abs. 1, 54 Abs. 2 bis 4a, 62 Abs. 2 Z 2, 62a sowie 62b in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. XXX/2000 treten mit XXX in Kraft.”

Vorblatt

Ziele der Gesetzesinitiative:

Die Gesetzesinitiative dient der Ergänzung der Aufgabe der erweiterten Gefahrenerforschung gegenüber Entwicklungen, die eine schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit befürchten lassen, und einer klarstellenden Begrenzung der Ermächtigungen bei kriminellen Verbindungen.

Inhalt:

Folgende Regelungen werden vorgeschlagen:

–   Ersetzung des Begriffs der “bandenmäßigen oder organisierten Kriminalität” durch den Begriff der “kriminellen Verbindung”;

–   Ergänzung um die Aufgabe der erweiterten Gefahrenerforschung und um eine korrespondierende Ermächtigung zur Observation;

–   Schaffung eines Rechtsschutzbeauftragten zur rechtlichen Kontrolle der Wahrnehmung der erweiterten Gefahrenerforschung;

–   Klarstellung, dass jede Aufgabe der Gefahrenabwehr auch den Auftrag zur Gefahrenerforschung einschließt;

–   Verbesserung der systematischen Klarheit der Regelung über Observation und verdeckte Ermittlung;

–   Einschränkung der Ermächtigungen zur Ermittlung personenbezogener Daten ohne Kenntnis des Be­troffenen durch den Ausschluss der verdeckten Ermittlung und des Einsatzes von Bild- und Ton­aufzeichnungsgeräten bei kriminellen Verbindungen, die nicht die Begehung von Verbrechen erwarten lassen;

–   Klarstellung der Unzulässigkeit eines sogenannten “großen Spähangriffs” nach § 54 SPG;

–   Verpflichtung der Sicherheitsbehörde zur Information von Menschen, die ohne ihr Wissen zum Gegenstand sicherheitspolizeilicher Ermittlungen geworden sind.

Alternativen:

Beibehaltung der geltenden Rechtslage.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

Kosten:

Die Kosten für die Entschädigung des Rechtsschutzbeauftragten werden jährlich etwa 1 Mio Schilling betragen und sind ebenso wie die übrigen sich aus der Novellierung allenfalls ergebenden Mehrkosten im Rahmen der laufenden Aufwendungen zu bestreiten.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

EU-Konformität:

Die Novelle berührt nicht EU-Recht.

Erläuterungen


Allgemeines:

1. Die sicherheitspolizeiliche Praxis im Kontext extremistischer Entwicklungen hat ein Defizit des Ge­setzes deutlich werden lassen: Die Sicherheitsbehörden wären erst dann zur Beobachtung von extremisti­schen Gruppierungen ermächtigt, wenn diese bereits kriminell agieren. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich Radikalisierungstendenzen, die mit der Bereitschaft von Gruppierungen verbunden sind, im Falle bestimmter Entwicklungen im politischen Umfeld Gewalt anzuwenden, bereits über längere Zeit ab­zeichnen, insbesondere dann, wenn ausländische Entwicklungen und Erfahrungen in die Beobachtung und Analyse einbezogen werden.

Eine Ergänzung der Regelung des § 21 SPG soll deshalb ermöglichen, eine Gefahrenerforschung bereits zu einem Zeitpunkt zu beginnen, in dem sich zwar noch keine Straftaten ereignen, jedoch auf Grund konkreter Hinweise auf bestehende Gruppierungen und auf zu gewärtigende Entwicklungen im Umfeld der Szene zu befürchten ist, diese Gruppierungen würden in absehbarer Zukunft strafbare Handlungen begehen, sofern diese zu einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen würden.

Die Ausweitung der Gefahrenerforschung in das Vorfeld der kriminellen Verbindung – zumal im Kontext weltanschaulicher Gruppierungen – legt Fragen der Organisation und Steuerung sowie der begleitenden – sowohl rechtlichen als auch politischen – Kontrolle dieser Tätigkeit nahe. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Ermittlungen nicht offen geführt werden und Betroffene deshalb nicht die Möglichkeit haben, sich mit dem herkömmlichen Instrumentarium des Rechtsschutzes unmittelbar gegen Ermittlungs­maßnahmen zur Wehr zu setzen. Um so mehr Bedeutung kommt der begleitenden Kontrolle dieser Ermittlungstätigkeit zu. Um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, wird die Schaffung eines Rechts­schutzbeauftragten zur Kontrolle der Wahrnehmung der Aufgabe der erweiterten Gefahrenerforschung vorgeschlagen.

2. Die am stärksten in die Rechte Betroffener eingreifenden Ermittlungsinstrumente der verdeckten Ermittlung einerseits und des Einsatzes von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten andererseits sollen auf schwere Fälle der Abwehr krimineller Verbindungen beschränkt werden. Es soll klargestellt werden, dass das SPG keine Grundlage zur Durchführung eines sogenannten “großen Spähangriffs” bietet.

3. Die Sicherheitsbehörden sollen verpflichtet werden, einen Menschen, der ohne sein Wissen zum Gegenstand sicherheitspolizeilicher Ermittlungen geworden ist, hievon zu informieren, sobald dies ohne Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erfolgen kann.

4. Die vorgeschlagenen Regelungen stützen sich auf die Kompetenz des Bundes zur Gesetzgebung gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG (“Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit”).

Zu den einzelnen Bestimmungen:

Zu den Z 1 bis 3 (§ 16):

Der Begriff der “bandenmäßigen oder organisierten Kriminalität” wirft in doppelter Hinsicht Fragen auf. Zum einen wird das Verhältnis der beiden Teilbereiche zueinander vom Gesetz nicht geklärt, zum anderen gibt seit der Einführung des Begriffs der kriminellen Organisation in das materielle Strafrecht (§ 278a StGB) die Beziehung dieses strafrechtlichen Terminus zur Begrifflichkeit des SPG Anlass zu Fragen und Schlussfolgerungen.

Die vorliegende Novelle geht deshalb den Weg einer deutlicheren Selbständigkeit der sicherheits­polizeilichen Begriffsbildung. Der Begriff der “kriminellen Verbindung” soll deutlich machen, dass bei diesem Teilbereich der “allgemeinen Gefahr” (§ 16 Abs. 1) nicht die Gefahr der Begehung einzelner Straftaten im Vordergrund steht, sondern der kriminelle Zusammenschluss per se, der sich – insbesondere durch Schaffung einer Organisationsstruktur – gegenüber dem Verhalten des Einzelnen verselbständigt und eine Eigendynamik entfaltet. Deshalb sind die Instrumente, zu deren Regelung das geltende Gesetz an den Begriff der bandenmäßigen oder organisierten Kriminalität – künftig an den Begriff der kriminellen Verbindung – anknüpft, ausschließlich solche der Gefahrenerforschung: Die Kenntnis der Struktur einer solchen Verbindung ist entscheidende Voraussetzung dafür, Abwehrmaßnahmen ergreifen zu können, die als solche jedoch außerhalb des sicherheitspolizeilichen Regelungsbereichs der Abwehr krimineller Verbindungen liegen.

Eine sinnvolle Abgrenzung liegt überdies in der Herauslösung der Beteiligung an einer Bande oder an einer kriminellen Organisation aus dem Begriff des gefährlichen Angriffs. Denn nicht die einzelnen Beteiligungshandlungen sind sicherheitspolizeilich von Interesse, sondern von der Verbindung drohende Taten einerseits, die weiterhin über den Begriff des gefährlichen Angriffs erfasst werden, sowie die Struktur des kriminellen Zusammenschlusses andererseits, die unter dem Gesichtspunkt der Erforschung einer kriminellen Verbindung Gegenstand sicherheitspolizeilicher Ermittlungen wird.

Zu Z 4 (§ 21 Abs. 3) und Z 7 (§ 53 Abs. 1 Z 2a):

Die vorgeschlagene Regelung über die erweiterte Gefahrenerforschung soll eine in bestimmten Kontexten empfindliche Lücke des SPG schließen. Während eine sicherheitspolizeiliche Aufgabe im Zusammenhang mit einem gefährlichen Angriff nicht erst dann besteht, wenn der Angriff bereits gegenwärtig ist, sondern bereits vor diesem Stadium Aufgaben des vorbeugenden Schutzes vor drohenden gefährlichen Angriffen bestehen (§ 22), existiert ein solches Vorfeld im Zusammenhang mit der bandenmäßigen oder organi­sierten Kriminalität (in künftiger Terminologie: mit kriminellen Verbindungen) bislang nicht. Deshalb können Ermittlungen im Rahmen der prinzipiell gebotenen Gefahrenerforschung streng genommen erst dann einsetzen, wenn eine Gruppierung bereits kriminell agiert. Dieser Rechtszustand ist jedoch in hohem Maße unbefriedigend. Denn es besteht ein ernst zu nehmendes Gefahrenpotential in der Form extre­mistischer Gruppierungen bereits dann, wenn unter der Annahme zu erwartender Veränderungen im politischen Umfeld der Gruppierungen – wozu auch Entwicklungen im Heimatstaat ethnisch definierter Gruppen zählen – oder auch nur anderer strategischer Zielsetzungen seitens der Führung dieser Gruppierungen mit Gewalttaten zu rechnen ist. Die Öffentlichkeit hätte wenig Verständnis dafür, wenn sich die Sicherheitsbehörden für solche Gruppierungen erst dann zu interessieren beginnen, wenn sich bereits strafbare Handlungen ereignen. § 21 Abs. 3 SPG überträgt deshalb den Sicherheitsbehörden die Aufgabe, Organisationen zu beobachten, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen – und insbesondere im Hinblick auf den aktuellen Umfang und das bestehende Potential einer Szene – anzunehmen ist, dass – insbesondere bei einer Änderung der Rahmenbedingungen – eine ernste Gefahr eines plötzlichen Umschlagens in die Tätigkeit krimineller Verbindungen besteht. Hiebei soll es aber nicht schon genügen, dass das Entstehen von Kriminalität schlechthin zu erwarten ist, sondern es bedarf eines erhöhten Gefahrenparameters: Das Entstehen von “mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit” verbundener Kriminalität muss als mögliche Folge solcher Entwicklungen in Frage kommen. Diese bereits in der Strafprozessordnung (§ 149d Abs. 3) als Verhältnismäßigkeitskriterium verankerte Voraussetzung soll verhindern, dass erweiterte Gefahrenerforschung schon in Fällen minderer Gefährlichkeit zum Einsatz kommt.

Zu Z 5 (§§ 28 und 28a):

Die Definition der Gefahrenerforschung in § 16 Abs. 4 SPG findet bislang im SPG keine Anknüpfung. Nunmehr soll in § 28a Abs. 1 explizit ausgesprochen werden, was schon bisher aus dem Gesamten des Gesetzes zu erschließen war: Ein Gesetzesauftrag zur Gefahrenabwehr umfasst implizit stets auch die Teilaufgabe der Gefahrenerforschung. Dies ergibt sich schon aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, welche ein auf die Erfordernisse des Einzelfalles abgestimmtes, strikt maßhaltendes Einschreiten verlangt. Die Aufgabe der Gefahrenerforschung knüpft an eine Situation an, in der es konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen einer sicherheitspolizeilich relevanten Gefahr gibt.

Zu Z 8 (§ 54 Abs. 2 bis 4):

Zur Erfüllung der Aufgabe der erweiterten Gefahrenerforschung bedarf es besonders des Instruments der Observation. Im übrigen dient die Umgestaltung der Absätze 2 und 3 der Realisierung eines klaren systematischen Konzepts: Alle Fälle der Zulässigkeit einer Observation sind nunmehr in Abs. 2 aufge­listet; Abs. 3 beschränkt sich auf die Regelung der verdeckten Ermittlung; durch die idente Fassung der Voraussetzungen des Abs. 2 Z 3 einerseits und des Abs. 3 andererseits wird der bisherige Zustand beibe­halten.

Was in Abs. 4 zunächst die Unzulässigkeit des “großen Lauschangriffs” anlangt, ist an die Stelle des Verweises auf § 120 Abs. 1 StGB nunmehr eine ausdrückliche Formulierung der damit normierten Kriterien (Nichtöffentlichkeit und Abwesenheit eines Ermittlers) getreten.

Eine Ergänzung des § 54 Abs. 4 soll zudem klarstellen, dass nicht nur der “große Lauschangriff”, sondern auch der sogenannte “große Spähangriff”, also der isolierte Einsatz von Aufzeichnungsgeräten als Er­mittlungsinstrument der Sicherheitspolizei an die Voraussetzung einer gerichtlichen Genehmigung nach den §§ 149d ff. StPO gebunden bleibt.

Zu Z 9 (§ 54 Abs. 4a):

Der Weite der Definition des Begriffs der kriminellen Verbindung einerseits steht andererseits gegenüber, dass § 51 Abs. 1 SPG die Verwendung personenbezogener Daten zur Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben strikt an das Verhältnismäßigkeitsprinzip bindet. Neben der Feinabstimmung im Einzelfall, die nur das Verhältnismäßigkeitsprinzip leisten kann, ist jedoch nach Möglichkeit zu trachten, klare und einfache Grenzen der Verwendung personenbezogener Daten im Gesetz zu ziehen. Eine solche strikte Limitierung des Einsatzes der schwersten Ermittlungsinstrumente, die das SPG kennt, nämlich der ver­deckten Ermittlung einerseits und des Einsatzes von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten andererseits, will die Bestimmung des § 54 Abs. 4a schaffen, die eine Ausübung dieser Ermittlungsinstrumente an die Voraussetzung knüpft, dass von einer kriminellen Verbindung im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 2 die Begehung von Verbrechen zu erwarten ist. Der Begriff des Verbrechens ist in § 17 Abs. 2 StGB definiert, demzufolge Verbrechen vorsätzliche Handlungen sind, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Anzumerken ist, dass manche strafbaren Handlungen zwar im Grundtat­bestand bloße Vergehen sind, dann jedoch, wenn sie vom Mitglied einer Bande begangen werden, als qualifizierte Delikte Verbrechen darstellen (vgl. etwa die ausbeuterische Schlepperei gemäß § 104a StGB).

Es wird jeweils anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen sein, ob eine allgemeine Gefahr das von § 54 Abs. 4a geforderte Gewicht erreicht.

Zu Z 10 (§ 62):

Eine laufende Observation darf nicht durch ein Auskunftsbegehren eines Observierten zunichte gemacht werden. Dies gilt auch im Falle einer Observation zur Erfüllung der Aufgabe der erweiterten Gefahren­erforschung, insofern ist eine Ergänzung des § 62 notwendig.

Zu Z 11 (§§ 62a und 62b):

1. Die Einführung einer Informationsverpflichtung der Sicherheitsbehörden über erfolgte verdeckte Ermittlungsmaßnahmen schließt eine Rechtsschutzlücke, ist doch die Kenntnis des Betroffenen davon, dass er zum Gegenstand sicherheitspolizeilicher Ermittlungen geworden ist, Voraussetzung für die Er­greifung von Mitteln des Rechtsschutzes (etwa eines Auskunftsbegehrens oder einer Beschwerde an die Datenschutzkommission). Dass und warum jemand ohne sein Wissen zum Gegenstand von sicherheits­polizeilichen Ermittlungen geworden ist, bildet den Inhalt der Information, nicht hingegen, auf welche Weise diese Informationen ermittelt worden sind.

Die Absicht, Betroffene zu verständigen, soll nicht zum Anlass genommen werden, nunmehr die Identität von Betroffenen festzustellen, soferne dies nicht im Zuge der verdeckten Ermittlungen geschehen ist. Die Möglichkeit eines Auskunftsbegehrens bleibt unberührt.

Aus dem Zweck verdeckter Ermittlungen folgt, dass mit der Information des Betroffenen solange zuge­wartet werden kann, bis diese ohne Beeinträchtigung der Wahrnehmung sicherheitspolizeilicher Aufgaben geschehen kann. Überdies ist bei Erteilung der Information auf berechtigte Interessen Dritter Bedacht zu nehmen, was sowohl auf grundrechtliche Positionen Privater, als auch auf Interessen eines verdeckt agierenden Ermittlers verweist.

2. Die erweiterte Gefahrenerforschung ist in doppelter Hinsicht sensibel: Zum einen werden künftig Gruppierungen bereits im Vorfeld einer kriminellen Verbindung beobachtet werden können, zum anderen wird es sich häufig um weltanschaulich orientierte Gruppierungen handeln. Hinzu kommt, dass die Auf­gabenerfüllung oft ohne Kenntnis der Betroffenen erfolgen wird. Dem durch diese Faktoren geschaffenen Kontrollbedürfnis will die Einführung eines besonderen Rechtsschutzbeauftragten Rechnung tragen.

Dem Rechtsschutzbeauftragten kommen drei Funktionen zu:

–   Im Sinne einer begleitenden Kontrolle hat der Rechtsschutzbeauftragte Einblick in die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden, soweit sie die Aufgabe nach § 21 Abs. 3 vollziehen; hievon ausgenommen sind nur Informationen, deren Bekanntwerden die nationale Sicherheit oder die Sicherheit von Menschen gefährden würde;

–   der Rechtsschutzbeauftragte hat ein Äußerungsrecht, bevor der Bundesminister für Inneres davon aus­gehen darf, dass eine Gruppierung die Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 erfüllt; eine Äußerung ist Tatbestandsmerkmal für die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden;

–   als Rechtsschutzeinrichtung im engeren Sinne kann der Rechtsschutzbeauftragte an die Datenschutz­kommission Beschwerde wegen der Missachtung datenrechtlicher Bestimmungen erheben; damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein von geheim geführten Ermittlungen Betroffener mangels Kenntnis von seiner Betroffenheit selbst nicht die Möglichkeit hat, eine Überprüfung der behördlichen Eingriffe in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung herbeizuführen.

Der Rechtsschutzbeauftragte wird vom Bundesminister für Inneres nach Anhörung der Präsidenten des Nationalrates, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes bestellt; gleiches gilt für zwei Stellvertreter. Dieser Bestellungsmodus trägt der äußersten Sensibilität des Amtes und dem erforderlichen besonderen Vertrauen in die Person des Amtsinhabers nachdrücklich Rechnung.

Hinsichtlich der Bestellung des Rechtsschutzbeauftragten gelten dieselben Voraussetzungen wie für die Bestellung des Rechtsschutzbeauftragten zur Kontrolle des “großen Lauschangriffes” und der “Raster­fahndung” (§ 149n StPO). Er muss Erfahrungen auf dem Gebiet der Grund- und Freiheitsrechte aufweisen und mindestens fünf Jahre Praxis in einem Beruf haben, für den ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften Voraussetzung ist. Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und vom Geschworenen- oder Schöffenamt ausgeschlossene oder nicht zu berufene Personen dürfen nicht bestellt werden.


Die Berichterstattung des Bundesministers für Inneres an den ständigen Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten ist in Art. 52a Abs. 2 B-VG geregelt. Auf sie wird verwiesen.