3561/J XXI.GP

Eingelangt am: 28.02.2002

 

ANFRAGE


der Abgeordneten Lunacek, Kogler, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Umweltzerstörung in der Türkei mittels öffentlicher Exportfinanzierung

Die Türkei ist ein sehr attraktiver Markt für die österreichischen Maschinen- und
Anlagenbauer. Daher sind die staatlichen Exportgarantien für die österreichischen
Unternehmen sehr begehrt. So werden von allen derzeit in Bau befindlichen
Wasserkraftprojekten in der Türkei rund 29 Prozent von österreichischen Firmen
errichtet. Derzeit liegen mehrere Anträge für Exportgarantien bei der
österreichischen Kontrollbank vor.

Gerade erst bewilligt wurde der Staudamm am Fluss Ermenek. Daran beteiligt sind
die Firmen Alpine Bau Ges., Elin Energieversorgungs GmbH, Voest Alpine MCE und
Verbundplan.

An den Staudämmen Borcka und Muratli am Fluss Coruh  (an der Grenze zu
Georgien) sind die österreichischen Firmen VA Tech Elin, VA Tech Voest MCE,
Verbundplan und Strabag mit 4 Mrd. ATS beteiligt.

In der Provinz Dersim (Kurdistan) wird in einer wertvollen Naturlandschaft schon seit
Jahren an der Errichtung von acht Stauseen am Fluss Munzur gearbeitet. Diese
Staudämme haben für die Wirtschaft keinen nennenswerten Nutzen, haben aber
katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt und Bevölkerung. Am Bau der
Staudämme sind die österreichischen Firmen VA Tech Elin und Strabag beteiligt.

GAP ist die Abkürzung für Güneydogu Anadolu Projesj, das größte türkische
Entwicklungsprojekt
in Südostanatolien, einem der ärmsten Teile der Türkei mit
einer Analphabetenrate von 40 Prozent und einem ähnlich großen Anteil an
landloser Bevölkerung. Insgesamt sollen 22 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke
gebaut werden, um 1,7 Mio. ha zu bewässern und 27.000 Gigawattstunden
sicherzustellen. Die bis jetzt fertiggestellten sechs Dämme und drei Kraftwerke
bringen 60% der angestrebten Energiegewinnung. Mehr als die Hälfte dieser
Leistungen bringt der Atatürk-Staudamm, der seit 1992 in Betrieb ist. Durch diese
Staudämme wird die Wasserführung des Euphrat um 45 % und des Tigris um 10%
reduziert. Irak und Syrien sind von diesen zwei Flüssen jedoch sehr stark abhängig.
Somit ist die Wasserregulierung für die trockene Großregion bis zum Persischen
Golf ein strategisch wichtiger Machtfaktor. Seitens der Türkei wurden keine
Bemühungen unternommen, die Staudammbauten mit den Nachbarstaaten Syrien
und Irak vertraglich abzuklären. Dies widerspricht klar der UN-Konvention über den
nicht-schiffbaren Gebrauch internationaler Wasserwege. Das ganze Projekt steht im
Schatten eines Ausnahmezustandes. Es gibt viele Hinweise, dass die Staudämme
auch zur Um- und Zersiedelung der kurdischen Bevölkerung dienen sollen. Oft


werden die Menschen auch einfach vertrieben, wie beim ersten großen GAP-Projekt,
dem Atatürk-Staudamm, wo 65.000 Menschen unter Verwendung von brutalsten
Unterdrückungsmassnahmen vertrieben wurden. Bis jetzt wurden nach Angaben der
türkischen Regierung 330.000 Menschen umgesiedelt.

Schon im Jahr 1984 beschloss die Weltbank, sich nicht an den Wasserprojekten des
GAP zu beteiligen, da kein völkerrechtlicher Vertrag mit Irak und Syrien über die
Aufteilung des Wassers besteht. Somit sind die Exportkreditagenturen in diesem
Projekt die einzigen Garanten für die Aufstellung der Finanzierung, da die Türkei
allein aufgrund ihrer finanziellen Probleme diese Projekte nicht finanzieren könnte.
Die ökologischen Konsequenzen sind gewaltig: Versalzung der Böden, Verlust von
Lebensräumen von Tier- und Pflanzenarten, Verminderung des
Selbstreinigungsvermögens der Flüsse. Trotz dieser großen ökologischen
Auswirkungen wurde nie eine Umweltverträglichkeitsprüfung von der türkischen
Regierung in Auftrag gegeben.

In einer von der türkischen Verwaltung veröffentlichten Liste stellt Österreich mit 200
Mio. USD den drittgrößten Anteil nach der Schweiz und Deutschland. Die 200 Mio.
enthalten vor allem die Finanzierung des Karkamis Staudammes. Das größte Projekt
mit österreichischer Beteiligung war zuletzt der Birecik-Staudamm. Die
österreichische Beteiligung an diesem 1,5 Mrd. USD Projekt steigert sogar noch die
weiter wichtige Rolle Österreichs bei GAP. Im Juni 2001 besuchte Bundeskanzler
Schüssel diesen Damm und lobte diese Projekte.

Bei der Planung des Ilisu-Staudammes, nach dem Atatürk-Staudamm das größte
GAP-Projekt, hat sich jedoch nationaler und internationaler Widerstand entzündet.
52 Dörfer und 15 Kleinstädte müssen dem Ilisu-Staudamm weichen mit den für das
gesamte GAP-Projekt bekannten sozialen und ökologischen Folgen. In Deutschland,
Schweiz, Großbritannien kam es bereits zu einer heftigen öffentlichen Debatte. In
der Schweiz kam ein Gutachten zu dem Schluss, dass eine Staatsgarantie durch die
Schweiz völkerrechtswidrig wäre. Ebenso sprachen sich der entwicklungspolitische
Ausschuss im englischen Parlament und der Menschrechtsausschuss des
deutschen Bundestages entschieden gegen eine staatliche Unterstützung des Ilisu-
Staudammes aus. Aufgrund der aufgedeckten Skandale und dem somit zu
befürchtenden Imageverlust zogen sich immer mehr Unternehmen aus dem Projekt
zurück. Im März 2000 gab die Schweizer ABB ihren Anteil an die französische
Aistom ab, im September 2000 zogen zuerst die schwedische Firma Skanska und
November 2001 auch die Unternehmen Balfour Beatty (GB) und Impregilo (Italien)
Konsequenzen aus diesen Daten und gaben ihren Rückzug aus dem Konsortium
bekannt. Neben den wirtschaftlichen Risiken gaben diese Unternehmen auch die
momentan unlösbar erscheinenden ökologischen und sozialen Auswirkungen an.
Von den ausländischen Unternehmen verbleiben somit laut Financial Times
(14.11.2001) nur mehr die österreichische VA Tech und die französische Aistom im
Konsortium. Laut VA Tech liegt das ganze Projekt derzeit auf Eis.

Am 27. Februar beendete die Schweizer UBS ihr Beratungsmandat im Illisu-Projekt.
Für die Beendigung ausschlaggebend war laut UBS, dass in den vergangenen
Jahren der Projektfortschritt "insgesamt unbefriedigend" gewesen sei und dass "bis
heute auch keine abschließende Feststellung der flankierenden Maßnahmen zur
Eindämmung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Projektes erfolgt
sei.


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1.  Für welche der angeführten Projekte wurden im Rahmen des
Ausfuhrförderungsverfahrens in welcher Höhe Garantien beantragt?

2.  Für welche der angeführten Projekte wurden im Rahmen des
Ausfuhrförderungsverfahrens wann und in welcher Höhe Garantien
übernommen?

3.  Inwiefern halten Sie die Exportfinanzierungspolitik der OeKB hinsichtlich der
Unterstützung der GAP- und der Dersim-Staudämme mit der Umwelt-,
Entwicklungs- und Außenpolitik der Regierung vereinbar?

4. Wie rechtfertigen Sie die Beteiligung Österreichs im Hinblick darauf, dass das
GAP-Projekt internationale Regeln verletzt, die Österreich im Rahmen der UNO
unterzeichnet hat?

5.  Hat die OeKB eine Überprüfung von Alternativen zu diesen großen
Staudammprojekten eingefordert?

6.  Laut Anfragebeantwortung 362/AB XXI GP wurde für das Wasserkraftwerk llisu
ein Antrag auf Gewährung einer Promesse gestellt. Wurde dieser
Promesseantrag schon im Beirat bzw. erweiterten Beirat zur Entscheidung
vorgelegt? Wenn ja, haben Sie sich dafür ausgesprochen und warum? In welcher
Höhe wurde die Promesse genehmigt? An welche Konditionen war sie
gebunden? Wenn nein, steht Österreich weiterhin in Verhandlung über eine
Teilfinanzierung dieses Projekts und wie wird das begründet?

7. Wurden die angeführten GAP- und Dersim-Staudamm-Projekte einem Aid
Quality Assessment (Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und
Menschenrechtskriterien) unterzogen? Wenn nein, warum nicht, wenn ja,
inwiefern fließt diese Projektevaluierung in die Entscheidungen über die
Übernahme einer Bundeshaftung ein?

8. Wurde das Garantieansuchen für Illisu einer Prüfung durch das seit dem Jahr
2000 existierende Umweltprüfverfahren der österreichischen Kontrollbank
unterzogen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche Ergebnisse erbrachte
diese Überprüfung?

9. Wie beurteilen Sie diese Projekte aus politischer, wirtschaftlicher und
ökologischer Sicht?