3831/J XXI.GP
Eingelangt am: 03.05.2002
Anfrage
Der Abgeordneten DDr. Erwin Niederwieser und GenossInnen
an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
betreffend “Verhandlungen zum Dienstleistungsabkommen GATS"
Nachdem im November 1999 die WTO-Verhandlungen in Seattle
gescheitert sind, wurde bei
der letzten WTO-Verhandlungsrunde (November 2001) in Doha/Katar beschlossen,
das
Thema “Dienstleistungen" im Rahmen
des GATS (General Agreement on Trade in Services)
in eine neue Verhandlungsrunde einzubeziehen, die bis zum 1. Januar 2005
abzuschließen
sei. Im Zuge der umfassenden Revision des GATS sind alle WTO-Mitglieder
aufgefordert, bis
Ende 30. Juni 2002 konkrete
länderbezogene Liberalisierungs- bzw. Deregulierungsforderun-
gen (“requests") im Bereich der Dienstleistungen inklusive der
öffentlichen Dienstleistungen
zu formulieren und bis Ende März 2003 eigene Angebote
(“offers") vorzulegen.
Die vom GATS-Abkommen berührten Schwerpunkte liegen in
den Bereichen der öffentlichen
Daseinsvorsorge, insbesondere der Bildung, Forschung und des Gesundheitswesens,
der
internationalen Finanzdienstleistungen und der Telekommunikation. Das GATS ist
durch die
mangelnde Abgrenzung des Dienstleistungsbegriffs und die zunehmende Verbindung
von
Dienstleistungserbringung bei den
materiellen/immateriellen Vorleistungen für die Produk-
tion, bei der Herstellung und Verteilung von Waren und Gütern im Prinzip
auf fast alle öko-
nomischen Aktivitäten anwendbar. Kein Sektor, auch nicht im
“sensiblen" Bereich (Bildung,
Gesundheit und Wasser), ist nach derzeitigem Stand vom Liberalisierungs- bzw.
Deregulier-
ungsanspruch des GATS ausgeschlossen. Selbst
die prinzipielle Liberalisierungsausnahme für
Dienstleistungen, die in staatlicher
Zuständigkeit erbracht werden, gilt nur dann, wenn diese
Dienstleistungen weder zu gewerblichen Zwecken
noch im Wettbewerb mit einem oder
mehreren Erbringern erbracht wird. Entscheidend ist, ob bei einer
Dienstleistung von einem
Markt, d.h. eine Anbieterkonkurrenz, auszugehen ist und es ist umstritten, ob
dieser Markt
existieren oder nur potentiell vorhanden sein muss.
Die Verhandlungen befinden sich nun in der
“Marktzugangsphase", in der Staaten beginnen,
Anträge an andere Mitgliedsstaaten zu stellen, vermehrt Teile ihrer
Dienstleistungen gemäß
GATS zu liberalisieren. Diese Bestrebungen
stoßen aber - zumindest in Österreich - auf den
Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung: So brachte
beispielsweise die ÖGB-Urab-
stimmung im Herbst letzten Jahres deutlich zum
Ausdruck, dass die Arbeitnehmerinnen
keinesfalls eine Liberalisierung unseres
Sozialsystems wünschen.
In diesem Zusammenhang stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgende
Anfrage:
1. In welchem Stadium befinden sich die Vorarbeiten
bzw. Verhandlungen zur Dienst-
leistungsliberalisierung mit der Welthandelsorganisation WTO, genauer zur
Abgabe
der “requests bzw. offers"
betreffend “Public Service" am 30.6.2002 bzw. 31.3.2003?
2. Wie sind die Abläufe für die
weitere Verständigung in der EU? Wann werden die
“offers", die Österreich bis zum 31.3.2003 vorzulegen hat, dem
Nationalrat zum
Beschluss vorgelegt, wenn der Zeitplan der Verhandlungen eingehalten wird?
3. Herr Minister Bartenstein, als Mitglied des
EU-Wirtschaftsministerrates stimmen sie
die Verhandlungsvorgaben mit der EU-Kommission ab. Im Bereich der Bildung, Ge-
sundheit und Soziales, kulturelle und
audiovisuelle Dienstleistungen sowie Transport-
dienstleistungen gilt auch mit dem Vertrag von Nizza die Einstimmigkeit. Welche
Vorgaben des Nationalrates sind für sie im EU-Wirtschaftsministerrat
bindend?
4. Ist es
für Sie denkbar, dass im Zuge der Reformdiskussion im EU-Konvent in
Zukunft
die EU-Kommission mit Vorgaben (qualifizierte Mehrheitsentscheidungen) des EU-
Wirtschaftsministerrates Wirtschaftsabkommen mit Drittstaaten abschließt?
5. Ihr
Vorgänger im Ministeramt, Dr. Hannes Farnleitner, antwortet in der
Parlamen-
tarischen Anfrage 6103/AB auf die Frage der
Einbeziehung von sozialen Mindest-
standards in der WTO auf Basis der
ILO-Konventionen: “Im Vorbereitungsprozess für
die 3. Ministerkonferenz in Seattle hat sich Österreich im EU-internen
Koordinierungs-
verfahren nachdrücklich dafür eingesetzt, dass aufgrund der Bedeutung
der Sozial-
standards für eine nachhaltige Entwicklung deren Berücksichtigung im
Rahmen der
WTO verfolgt werden muss." Was ist das
Ergebnis dieses Engagements? Setzen Sie
sich auch engagiert für Sozialstandards ein wie Minister Farnleitner? Ist
für Sie ein
Abschluss einer weiteren Liberalisierungsrunde
ohne die Beachtung der ILO-Kern-
arbeitsnormen, also der konkreten Ausformung eines Teils der Menschenrechte
denk-
bar? Welche konkreten Schritte setzen Sie?
6. Gibt es
Überlegungen seitens der österreichischen Regierung, das Parlament,
die
Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Gruppen (NGO's...) in die
Vorschlags-
erstellung einzubeziehen, sie zu informieren und eine breite Diskussion zu
initiieren ?
7. Wie sehen - soweit
schon bekannt - die konkreten “requests" der Mitglieder der
Europäischen Union aus, d.h. welche horizontalen und sektoralen
Marktöffnungs-
forderungen werden gegenüber welchen Drittstaaten erhoben?
8. Wie sehen - soweit
schon bekannt - die konkreten “requests" der USA, Japans,
Russlands, Chinas, Indiens und weiterer wichtiger Staaten aus? Welche
horizontalen
und sektoralen Marktöffnungsforderungen
in welchen Bereichen werden gegenüber
welchen Drittstaaten erhoben?
9. Welche
Marktöffnungsangebote (“offers") plant die österreichische
Regierung ihrer-
seits? Welche Dienstleistungsbereiche werden zur “Liberalisierung"
angeboten?
Welche Gründe sprechen dafür?
10. Welche konkreten
“requests// offers" gibt es seitens der Mitgliedstaaten der EU
für
den Bereich Bildungsdienstleistungen, konkret für die
Dienstleistungsuntergrup-
pen Kindergarten, Grundschule, Schulbildung,
Berufs- und Universitätsausbildung,
Erwachsenenbildung und andere Bildungseinrichtungen? Wir ersuchen um eine Auf-
listung nach den vier Arten der Dienstleistungserbringung (Modes of Supply).
11. Welche konkreten
“requests// offers" wird die österreichische Regierung im
Bereich
Bildungsdienstleistungen fordern bzw. anbieten, konkret für die
Dienstleistungs-
untergruppen Kindergarten, Grundschule,
Schulbildung, Berufs- und Universitäts-
ausbildung, Erwachsenenbildung und andere Bildungseinrichtungen? Wir ersuchen
um eine Auflistung nach den vier Arten der Dienstleistungserbringung (Modes of
Supply).
12. Wie bewertet das
Ministerium die Tatsache, dass solche Forderungen nach einer
Liberalisierung des Bildungssysteme bzw. der Bildungsdienstleitungen stark in
den
gewachsenen Bildungssektor eines anderen Staates eingreifen?
13. Wie beurteilen Sie die
Kritik von Gewerkschaften, NGO 's und studentischen Organi-
sationen, eine Einbeziehung von Bildungsdienstleistungen in den Geltungsbereich
des
GATS könnte die öffentliche Verantwortung für den
Bildungsbereich untergraben und
eine weitreichende Privatisierung des Bildungssystems zur Folge haben?
14. Welche Positionen
vertreten Sie bei den Verhandlungen hinsichtlich der Liberalisie-
rung im Bereich der Gesundheitsdienstleitungen,
konkret der Krankenhausdienst-
leitungen, sonstiger
Gesundheitsdienstleitungen, sozialer und anderer Dienstleistun-
gen und der freiberuflichen
Dienstleistungen, die im Gesundheitswesen erbracht wer-
den? Wie begründen Sie diese
Liberalisierungsmaßnahmen? Liegen Forderungen so-
wie Bedenken für den Bereich des Gesundheitswesens von anderen
Ländern vor,
wenn ja, welche?
15. Welche Positionen
vertreten Sie bei den Verhandlungen hinsichtlich der Liberalisier-
ung im Bereich Telekommunikation und
wie begründen Sie diese? Liegen Forder-
ungen sowie Bedenken für den Bereich der Telekommunikation von anderen
Ländern
vor, wenn ja, welche?
16. Welche Positionen
vertreten Sie bei den Verhandlungen hinsichtlich der Liberalisier-
ung im Bereich Finanzdienstleistungen und wie begründen Sie diese?
Liegen For-
derungen sowie Bedenken für den Bereich der Finanzdienstleistungen von
anderen
Ländern vor, wenn ja, welche?
17. Welche Positionen
beziehen Sie hinsichtlich einer Einbeziehung der Wasserver-
sorgung in den Geltungsbereich des GATS, und wie werden diese
begründet? Teilen
Sie die Bedenken der österreichischen Bevölkerung über einen
“Ausverkauf der
heimischen Wasservorräte, bzw. über eine Verschlechterung der
Qualität und
Kontrollmöglichkeiten kommunaler Wasserdienstleistungen im Rahmen des
GATS?
18. Teilen Sie die in den
Ergebnissen der ÖGB-Urabstimmung zum Ausdruck gebrachten
Befürchtungen, dass ein Zwang zur
Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsor-
ge (besonders
im Bereich der Pensionen) im Rahmen des GATS gravierende Ver-
schlechterungen mit sich bringen würde?
19. Wie bewertet Sie die
zahlreichen wissenschaftlich und empirisch begründeten Unter-
suchungen, denen zufolge die Privatisierung und Liberalisierung vormals
öffentlicher
Dienstleistungen z.B. im Bereich der Ver- und Entsorgung, sowie des
öffentlichen Per-
sonennah- und Fernverkehrs negative Effekte für die Gesundheitsvorsorge,
im prä-
ventiven Unfallschutz, der Versorgungssicherheit hatte und zudem mittel- und
lang-
fristig zu steigenden Preisen für den Privatverbraucher führte?
20. Das Europäische
Parlament hat in einer Entschließung zur öffentlichen Daseinsvor-
sorge die EU-Kommission zur genauen und
vergleichbaren Bewertung der tat-
sächlichen Auswirkungen der Liberalisierung der Leistungen der Daseinsvor-
sorge aufgefordert, bevor neue Liberalisierungsmaßnahmen eingeleitet
werden. Wie
stehen Sie zu dieser Evaluierungsforderung
ein? Wurden diese Evaluierungsauffor-
derungen schon in die Wege geleitet? In welchen Bereichen wurde/wird evaluiert?
Was sind die Ergebnisse?
21. In der Entschließung hat das Europäische
Parlament die EU-Kommission zusätzlich
aufgefordert, “im Rahmen der WTO
Verhandlungen Klarstellungen bei einigen Be-
stimmungen des Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS)
verlan-
gen zu müssen, um deutlich zu machen,
dass die WTO-Regeln das Recht der Mit-
gliedsstaaten, die Leistungen der Daseinsvorsorge zu reglementieren und in
diesen
Bereich einzugreifen, nicht beeinträchtigen." Welche Haltung haben
Sie hinsichtlich
dieser Forderungen? Welche Klarstellungen sind
Ihrer Ansicht nach besonders not-
wendig, und warum?
22. Welche
Liberalisierungswünsche bzw. Bedenken im Rahmen der GATS-Verhand-
lungen haben die österreichische
Wirtschaft und ihre Interessenvertretungen
(Wirtschaftskammer WK,
Industriellenvereinigung IV) bisher gegenüber der Re-
gierung bzw. gegenüber dem Wirtschaftsminister in horizontaler und
sektoraler
Hinsicht geäußert? Wie stehen Sie
zu den allenfalls von Wirtschaftskammer und
Industriellenvereingung angestrebten
Liberalisierungswünschen?
23. Welche Bedenken bzw.
Liberalisierungswünsche im Rahmen der GATS-Verhand-
lungen haben die österreichischen
Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen
(Arbeiterkammer AK, ÖGB) bisher gegenüber der Regierung bzw.
gegenüber dem
Wirtschaftsminister in horizontaler und sektoraler Hinsicht
geäußert? Wie stehen Sie
zu diesen Positionen?