85/A XXII. GP

Eingebracht am 26.03.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANTRAG

der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde

betreffend ein Gesetz über die Höhe des existenzsichernden Mindestlohns
(Mindestlohngesetz)

Der Nationalrat wolle beschließen:

Gesetz über die Höhe des existenzsichernden Mindestlohns (Mindestlohngesetz)

Der Nationalrat hat beschlossen:

Gesetz über die Höhe des existenzsichernden Mindestlohns (Mindestlohngesetz)

§ 1 Mindestlohn

Personen, die einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, gebührt ein
existenzsichernder Mindestlohn.

§ 2 Begriffsbestimmungen

(1) Als Vollzeitbeschäftigung gilt in Branchen, in denen ein Kollektivvertrag vereinbart ist,
jene Anzahl von wöchentlichen Arbeitsstunden, die im auf das jeweilige Arbeitsverhältnis
anzuwendenden Kollektivvertrag als Normalarbeitszeit vereinbart wurde.

(2) Als Vollzeitbeschäftigung gilt in Branchen, in denen kein Kollektivvertrag vereinbart ist,
die Normalarbeitszeit gemäß § 3 des Arbeitszeitsgesetzes (BGBl. Nr. 461/1969 i.d.F.
BGBI. Nr. 446/1994).

§ 3 Höhe des Mindestlohns

(1) Das Einkommen einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers aus unselbständiger
Erwerbstätigkeit in Vollzeitbeschäftigung kann € 1100,- nicht unterschreiten.

(2) Das Einkommen einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers aus unselbständiger
Erwerbstätigkeit in Teilzeitbeschäftigung kann jenen Anteil von € 1100,-, der dem Anteil der
im jeweiligen Arbeitsvertrag vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit an dem sich aus § 2
ergebenden Ausmaß einer Vollzeitbeschäftigung entspricht, nicht unterschreiten.

(3) Kollektivvertragliche Regelungen, gesetzliche Bestimmungen oder Arbeitsverträge, die
eine für einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin günstigere Entlohnung vorsehen,
bleiben von diesen Bestimmungen unberührt.

§ 4 Anpassung

(1) Der Betrag des Mindestlohns nach § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes erhöht oder vermindert
sich mit 1. Juli eines jeden Jahres in jenem Maße, in dem sich der von der Statistik Austria
verlautbarte Verbraucherpreisindex im Zeitraum zwischen 1. April des Vorjahres und 1. April
des laufenden Jahres verändert hat.


(2) Die Anpassung des Mindestlohns gemäß § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes ist vom
Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit bzw. der Bundesministerin für Wirtschaft und Arbeit
zu ermitteln und bis 31. Mai eines jeden Jahres durch Verordnung kundzumachen.

§ 5 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt mit 1. Juli 2003 in Kraft.

Begründung:

Im Jahr 1997 unterstützten 645 000 Menschen mit ihrer Unterschrift unter das
Frauenvolksbegehren die Forderung nach Schaffung eines gesetzlichen
Mindestlohns von ATS 15 000,-.
Trotz der Untermauerung dieser Forderung mit
Fakten, die den Zusammenhang von Geschlecht und niedrigem Arbeitseinkommen
belegen, konnte sich bis heute keine Regierung zur Umsetzung der geforderten
Maßnahme durchringen.

Vertreterinnen aller im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien haben in
den vergangenen Jahren jedoch die Schaffung eines Mindestlohnniveaus von €
1000,-
gefordert und diese Forderung zum Teil auch in Gremialbeschlüssen
festgehalten.

Der Steirische Landtag hat im März 1999 einen (allerdings folgenlosen)
einstimmigen Beschluss zur Erreichung eines Mindestlohns von € 1000,- gefällt. In
der Diskussion um den von der ÖVP eingebrachten Antrag deklarierten sich neben
den steirischen ÖAAB-Obmann Hermann Schützenhofer und der steirischen
Abgeordneten zum Nationalrat Ridi Steibl selbst der Präsident der steirischen
Industriellenvereinigung Werner Tessmar-Pfohl als Unterstützerinnen der Idee eines
Mindestlohns.

Vertreterinnen der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften haben
wiederholt auf die Bedeutung eines Mindestlohns von € 1000,- hingewiesen.

Aus Anlass des Tages der Frau 2002 schlössen sich die Freiheitlichen Frauen
namens ihrer Vorsitzenden Landesrätin Ursula Haubner und der Bundesminister für
Soziale Sicherheit und Generationen Herbert Haupt der Forderung nach Schaffung
eines Mindestlohns in der Höhe von € 1000,- an.

Dennoch sehen zahlreiche Kollektivverträge, etwa jener der Angestellten des
Güterbeförderungsgewerbes, der ledererzeugenden Industrie, der
Reisbüroangestellten, der Fleischer oder jener der Angestellten der
niederösterreichischen Winzergenossenschaften (um nur einige Beispiele zu
nennen) in einzelnen Lohngruppen niedrigere Einkommen vor.

Deutlich unter € 1100,- liegende Arbeitslöhne sind unter anderem für Angestellte
von Großbäckereien, insbesondere Verkäuferinnen, mit € 900,- (Vwgr. II, KV
1.1.2003) oder für Angestellte im land- und forstwirtschaftlichen Bereich in der
Gehaltsstufe 1 vorgesehen. Für Mühlen-Mitarbeiterinnen der Gehaltsgruppe l ist
erstmals nach 6. Jahren Berufszugehörigkeit ein Kollektiwertragslohn von über €


1000,- vorgesehen (im ersten Berufsjahr überhaupt nur € 871.-); in der
ledererzeugenden Industrie sind für von Personen ohne abgeschlossener
Berufsausbildung Kollektiwertragslöhne von € 1000,- erst nach acht Jahren
vorgesehen.

Die Bedeutung der Festlegung eines existenzsichernden Mindestlohns ergibt sich
unter anderem auch aus der Tatsache, dass 40% aller unselbständig
erwerbstätigen Frauen
in Österreich ein Brutto-Jahreseinkommen von € 11 947,-
oder weniger
erhalten (zit. Nach Statistik Austria: Lohnsteuerstatistik 2000).

Berechnungen der Statistik Austria zu Folge verdienen 314 000 unselbständig
Erwerbstätige in Österreich, also zehn Prozent aller unselbständig erwerbstätigen
Menschen in Österreich trotz Vollzeitbeschäftigung weniger als € 1000,- sowie 13%
weniger als € 1100,-. Niedrige Arbeitseinkommen trotz Vollzeitbeschäftigung ist
dabei vor allem ein weibliches "Schicksal": 17% aller erwerbstätigen Frauen, aber
nur 5% aller Männer verdienen weniger als € 1000,-; nur 6% aller Männer, aber 22%
aller Frauen verdienen weniger als € 1100,- (Quelle: Pressemitteilung der Statistik
Austria, 5. März 2003).

Gesetzlich fixierte Mindestlöhne wurden in den letzten Jahren nach langer
Diskussion sowohl auf den Britischen Inseln als auch in Frankreich - zwei Länder
mit nach Kaufkraft gemessen niedrigerem BIP/Einwohnerin als Österreich - realisiert,
ohne dass dies zu unerwünschten Nebeneffekten (wie etwa einem Inflationsauftrieb)
geführt hätte. Die Erhöhung der Löhne von ca. 2. Mio. britischen Arbeitnehmerinnen
hat jedoch die Nachfrage im Konsumbereich wesentlich stimuliert. Die Höhe der
gesetzlich fixierten Mindestlöhne liegt in diesen Ländern (in Frankreich etwa bei €
6,83 per Stunde, umgerechnet auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von 38,5
Stunden) bei knapp über € 1100.-.

Bei der Umsetzung des Gesetzesvorschlags zur Festlegung eines
existenzsichernden Mindestlohns ist daher auf dieses Niveau abzuzielen, zumal die
Forderung nach einem Mindesteinkommen aus unselbständiger Arbeit von € 1000,-
sich sowohl bei Gewerkschaften als auch Parteien und parteinahen Organisationen
auf das Jahr 2000 und früher bezogen hat. Der Beschluss eines Gesetzes über die
Höhe des existenzsichernden Mindestlohns ist eine Möglichkeit, insbesondere
niedrigste Einkommen auf ein Niveau anzuheben, das dem "working poor" einen
Riegel vorschiebt.

Der vorliegende Antrag greift nicht in die Vertragsfreiheit der
Kollektivvertragspartner ein,
weil er keine Aussage über auszuhandelnde bessere
Vertragskonditionen trifft. Die Diskussion um die gesetzliche bzw.
kollektivvertragliche Verankerung des Beitragssatzes im Rahmen der "Abfertigung
neu" hat jedoch deutlich gemacht, dass die Regelung gesellschaftlich für wichtig
erachteter Maßnahmen per Generalkollektivvertrag wenig praktikabel und darüber
hinaus unrealistisch ist. Ein Generalkollektivvertrag kann nicht - wie in früheren
Jahrzehnten - zwischen Spitzenfunktionärinnen von Gewerkschaft und
Bundeswirtschaftskammer ausgehandelt werden, da sich inzwischen dutzende
kollektivvertragsfähige Organisationen auf Arbeitgeberinnenseite gebildet haben, die
nicht Teil der Bundeswirtschaftskammer sind. Darüber hinaus gibt es nicht
unerhebliche Wirtschaftssektoren in Österreich (Parteien, Vereine,...), für die es


keine Kollektivverträge gibt, für die ein Generalkollektivvertrag also auch keine
Gültigkeit hätte.

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuß für Arbeit und Soziales
vorgeschlagen sowie die Durchführung einer ersten Lesung innerhalb von drei
Monaten verlangt.