1089/AB XXII. GP

Eingelangt am 14.01.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Bundesminister für Justiz

 

Anfragebeantwortung

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Johannes Jarolim, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „das Elend der bedingten Entlas-
sung" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 10:

Neben organisatorischen Maßnahmen im Bereich der Justizanstalten und Bemü-
hungen zur möglichst kurzfristigen Schaffung neuen Haftraums habe ich schon im
Frühjahr 2003 eine wissenschaftliche Untersuchung der Haftzahlenentwicklung
durch das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie in Auftrag gegeben, die als An-
hang zum Sicherheitsbericht 2002 auch dem Nationalrat vorliegt. Ferner verweise
ich auf das mit dem Budgetbegleitgesetz, BGBI. l Nr. 71/2003, erlassene Bundesge-
setz, mit dem vorübergehende Maßnahmen im Bereich des Strafaufschubs getroffen
werden. Wenngleich im Regierungsprogramm ohne Zusammenhang mit den Haft-
zahlen genannt, wäre hier schließlich auch der dortige Punkt
"Ausweitung der be-
dingten Entlassung unter gleichzeitiger Setzung von Auflagen und Bedingungen" zu
nennen.

Zu 2 und 3:

Ich verweise diesbezüglich auf die jüngsten kriminalstatistischen Daten sowie auf
den Sicherheitsbericht 2002. In Letzterem wird zum einen die Praxis der österreichi-
schen Gerichte zur bedingten Entlassung erwähnt. Zum anderen wird die erwähnte
Untersuchung des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie zur Haftzahlenent-


Wicklung wie folgt zusammengefasst (S. 442): Die Zunahme der Haftzeit und der
steigende Belag der Justizanstalten kann auf zwei Entwicklungen zurückgeführt
werden: einerseits eine neue rigorose Praxis bei der Verhängung der U-Haft bei
Kleinkriminalität bestimmter ausländischer Tätergruppen, andererseits eine gewisse
Tendenz zur Verhängung höherer Strafen über einen „harten Kern" von Straftätern.

Zu 4 bis 6 und 9:

Ich teile in der Grundtendenz die in den Fragen 4. und 5. zum Ausdruck gebrachten
Auffassungen, verweise jedoch zugleich darauf, dass seit der Neuregelung der be-
dingten Entlassung durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 erhebliche Verän-
derungen nicht nur im Lagebild der Kriminalität, sondern auch in der Zusammenset-
zung der Häftlingspopulation nach Herkunftsländern, Deliktsstruktur usw. eingetreten
sind. In jedem Fall stehe ich einer legislativen Weiterentwicklung des Rechtsinstituts
der bedingten Entlassung aufgeschlossen gegenüber und verweise auf den Auftrag
des Regierungsprogramms für die
XXII. Gesetzgebungsperiode vom 28.2.2003, die
bedingte Entlassung unter gleichzeitiger Setzung von Auflagen und Bedingungen
auszuweiten. Diesem Auftrag gedenke ich durch einen entsprechenden Entwurf
noch in der ersten Jahreshälfte 2004 nachzukommen. Systemimmanent gedacht
kommen bei der bedingten Entlassung Ansatzpunkte für Änderungen in mehreren
Bereichen in Betracht, so bei der Frage der Mindestverbüßungszeit, bei der Frage
der allfälligen bedingten Entlassung aus dem unbedingten Teil einer teilbedingten
Freiheitsstrafe, bei den generalpräventiven Voraussetzungen, bei der Gestaltung der
spezialpräventiven Voraussetzungen, bei den flankierenden Maßnahmen (derzeit
Weisungen und Bewährungshilfe) sowie beim Verfahren. Welche dieser Ansatz-
punkte verfolgt werden, ist zur Zeit noch Gegenstand von Überlegungen.

Zu 7:

Wenn man an Neuregelungen im Bereich der bedingten Entlassung denkt, kann
man Änderungen von Verfahrensbestimmungen einschließlich von Änderungen der
Zuständigkeiten sicher nicht ausblenden, zumal es bereits bis zum Jahre 1960 ge-
mischt zusammengesetzte Kommissionen, die über die bedingte Entlassung ent-
schieden haben, gegeben hat. Darüber hinaus liegen mir auch die 55 Vorschläge
der Richtervereinigung für Reformmaßnahmen zur Entlastung der Gerichtsbarkeit
ohne Reduktion des Rechtsschutzes vor, von denen einer die Ausweitung der Ein-
zelrichterzuständigkeit im Verfahren über die bedingte Entlassung zum Ziel hat.


Zu 8:

Naturgemäß ist es in Zeiten des Überbelags schwieriger, einen auf die Erreichung
der Vollzugsziele und damit der Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzug zu ge-
währleisten, als bei einer entspannten Belagssituation. Es geht dabei aber nicht nur
um die bloße Anzahl von Häftlingen, sondern - angesichts des immer noch zuneh-
menden Ausländeranteils - auch um Fragen der Verständigungsmöglichkeiten oder
der Herkunft, um ein Resozialisierungspotenzial entwickeln und auch nützen zu kön-
nen.

Zu 10:

Die derzeitige Belagssituation gibt Anlass, sowohl "Sofortmaßnahmen" zur Erweite-
rung von Belagsplätzen als auch den Neubau einer Justizanstalt im Wiener Raum zu
veranlassen.

Bis zur Umsetzung dieser Maßnahmen muss durch Verlegungen, insbesondere von
überbelegten Justizanstalten im Wiener Raum im Allgemeinen und der Justizanstalt
Wien-Josefstadt im Besonderen der Belagsüberhang auf andere Justizanstalten ver-
teilt werden.