Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Maga. Terezija Stoisits

zum Bericht des Justizausschusses zum Antrag der Abgeordneten Mag. Wilhelm Molterer, Herbert Scheibner, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte erlassen, das Opferfürsorgegesetz geändert und ein Bundesgesetz, mit dem aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine einmalige Zuwendung (Befreiungs-Erinnerungszuwendung) für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung sowie deren Hinterbliebene geschaffen wird (Anerkennungsgesetz 2005)

Vorausgeschickt sei die aussagekräftige Vorgeschichte dieses Gesetzes. Ausgangspunkt für das Anerkennungsgesetz 2005 war eine Entschließung des Nationalrates vom 14. Juli 1999. Auf Initiative der Grünen einigten sich SPÖ, ÖVP, und Liberale darauf, "die historische Aufarbeitung der Verurteilungen von Österreichern durch die nationalsozialistische Militärgerichtsbarkeit" zu veranlassen. Die Forschungsergebnisse sollten in weiterer Folge zur "Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen" im Sinne des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes aus dem Jahr 1945 führen.

Der erste Teil der Entschließung ist seit mehr als zwei Jahren erfüllt. Ein Team aus Historikern und Politologen um Ao. Univ. Prof. Walter Manoschek (Universität Wien) legte einen umfassenden und eindeutigen Forschungsbericht vor, der die Grundlage für das weitere Vorgehen des Nationalrates bilden sollte. In guter Zusammenarbeit zwischen dem Personenkomitee „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ und dem Forschungsteam forderten die Grünen die politische und juristische Umsetzung der im Forschungsbericht erarbeiteten Ergebnisse.

Der zweite Teil der Entschließung von 1999 - die Rehabilitierung – blieb bis jetzt offen. Ein erster Grüner Gesetzesantrag für die Urteilsaufhebungen wurde dem Justizausschuss bereits im September 2002 vorgelegt. Dieser war nach dem Vorbild des deutschen kollektiven Rehabilitierungsgesetz (Mai 2002) verfasst. Es folgten zahlreiche Vertagungen, und schleppende und zum Teil schwer zu durchblickende juristische Debatten, die so manchen noch lebenden Betroffenen ratlos zurück ließen.

Das Justizministerium hat im Jahr 2003 ein längst vergessenes Gesetz aus dem Jahre 1946, die sogenannte Befreiungsamnestie ausgegraben, mit dem damals zumindest ein Teil der Verurteilungen angeblich aufgehoben worden sein soll. Die Betroffenen haben davon nie etwas gemerkt, und das Gesetz alleine schon wegen des Begriffs „Amnestie“ abgelehnt.

Bundespräsident Dr. Heinz Fischer verlangte angesichts dieser Verwirrung zu Beginn des Gedenkjahres einen klärenden Akt des Gesetzgebers, um alle Urteile der Wehrmachtsjustiz wegen der Delikte Desertion, Wehrdienstverweigerung, Fahnenflucht oder Hochverrat aufzuheben. Deswegen erarbeitete Univ. Prof. Dr. Reinhard Moos, der in Fragen der NS-Justiz als Koryphäe gilt, für die Grünen ein neues „NS-Rehabilitierungsgesetz“, welches bei der Beseitigung der zahlreichen rechtlichen Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten den entscheidenden Durchbruch geleistet hätte. Doch die Regierung wollte mit dem nunmehr im Justizausschuss beschlossenen Anerkennungsgesetz 2005, das lediglich die Wiederverlautbarung und authentische Interpretation des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes 1945 sowie der Befreiungsamnestie 1946 vorsieht, ihren eigenen Weg gehen. Unberücksichtigt blieb jedoch dabei, dass das Verhältnis dieser beiden Gesetze zueinander nach wie vor unklar und widersprüchlich ist.

Erfreulich ist, dass die Grünen nunmehr nach langen, beharrlichen Verhandlungen und auf ihr Drängen erreicht haben, dass die explizite Aufnahme der Opfer der NS-Militärjustiz im Opferfürsorgegesetz als ein längst notwendiger Schritt erfolgte. Ebenso gilt dies für die nunmehr in § 228 Abs. 1 Z 4a ASVG geregelte Anerkennung jener Zeiten als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung, in denen eine Person aufgrund einer von der NS-Militärjustiz verhängten Freiheitsbeschränkung an der Möglichkeit zu arbeiten verhindert gewesen ist.

Durch diese Anrechnung in § 228 Abs. 1 ASVG wird die unerträgliche Diskrepanz, dass beispielsweise Angehörigen der Waffen-SS selbstverständlich die Dienstzeit ab Kriegsbeginn als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung angerechnet werden, hingegen Wehrmachtsdeserteuren bis jetzt Zeiten einer verhängten Haft in Gefängnissen, Wehrmachtsstraf- oder Konzentrationslagern grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung angerechnet werden, endlich beseitigt. Dies obwohl Wehrmachtsdeserteure im Sinne der Moskauer Deklaration gehandelt und damit implizit auch den in der Moskauer Deklaration geforderten Beitrag zur Befreiung vom Nationalsozialismus geleistet haben. So wurde zum Beispiel das Verlassen der Wehrmacht seit Ende 1943 von den Alliierten als ein solcher Beitrag gewertet.

Hingegen können die Grünen Art. I des Anerkennungsgesetzes 2005 in der von den Regierungsparteien dem Justizausschuss vorgelegten Fassung aufgrund der Formulierung des § 2 unter diesen Umständen nicht akzeptieren.

Die kritischen Stellen der Formulierung des Art. I, § 2 in der im Justizausschuss mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossenen Fassung lauten:

„Der Nationalrat bezeugt mit diesem Bundesgesetz ... den aus ihrer Heimat Vertriebenen, allen Opfern des vom nationalsozialistischen Regime zu verantwortenden Krieges ... Achtung und Mitgefühl.“ Wehrmachtsdeserteure werden hingegen nicht ausdrücklich erwähnt.

„...allen Opfern des vom nationalsozialistischen Regime zu verantwortenden Krieges...„

Die Formulierung „...allen Opfern des vom nationalsozialistischen Regime zu verantwortenden Krieges...„ vermischt auf eine aus Sicht der Grünen inakzeptable und aufs Schärfste abzulehnende Art Opfer des Nationalsozialismus mit Opfern des Krieges. Eine solche Vermischung müsste gerade in Zeiten unterbunden werden, in denen es ein Bundesverfassungsgesetz braucht, um BR Kampl als Bundesratsvorsitzenden zu verhindern, welcher von „brutalen Naziverfolgungen“ spricht und Wehrmachtsdeserteure als „Kameradenmörder“ diffamiert und beleidigt.

„aus ihrer Heimat Vertriebenen“

Ebenso inakzeptabel ist die Formulierung „aus ihrer Heimat Vertriebenen“. Durch diese Wortwahl wird der Personenkreis, dem mit dem Anerkennungsgesetz im Gedenkjahr 2005 Achtung und Mitgefühl bekundet werden soll, zu weit gezogen. Es wird bewusst versucht einmal mehr ein gesamtösterreichisches Opferkollektiv herzustellen, und die Unterschiede zwischen NS-Opfern und Kriegsopfern aber auch den Unterschied zwischen Opfern und Tätern zu verwischen. Dem ist striktest entgegenzutreten.

Keine explizite Erwähnung der Wehrmachtsdeserteure

Noch immer stoßen Wehrmachtsdeserteure auf Unverständnis bis hin zu persönlichen Angriffen angesichts ihrer Handlungen, die sie meist aus einer Vielzahl von Gründen gesetzt haben. Es bleibt einmal mehr festzustellen, das entscheidende war die richtige Tat, das Verlassen der Wehrmacht. Auch die Angehörigen von Wehrmachtsdeserteuren litten und leiden zum Teil bis heute unter der fortgesetzten Stigmatisierung. Solchen Verhältnissen sollte jedoch bereits seit Beginn der Zweiten Republik und insbesondere spätestens im Gedenkjahr 2005 unmissverständlich entgegengetreten werden.

Daher halten die Grünen es für selbstverständlich und unumgänglich, dass ein Gesetz, das in erster Linie erlassen werden sollte, um eine späte Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure im Gedenkjahr 2005 zu erreichen, logischerweise zumindest einmal das Wort „Wehrmachtsdeserteur“ enthält. Umso bedauerlicher ist, dass die Regierungsparteien vereint dagegen gewehrt haben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch im Anerkennungsgesetz 2005 keine klare Trennung zwischen Opfern des Nationalsozialismus und Opfern des Krieges erfolgt, wie dies im Sinne einer aktiven, verantwortungsvollen Vergangenheitspolitik dringendst erforderlich wäre. Eine solche Grenzziehung auf sprachlicher und in weiterer Folge legistischer Ebene bildet jedoch eine Voraussetzung für ein Umdenken in der Gesellschaft, das nach wie vor vielerorts nicht erfolgt ist.

Abschließend soll an dieser Stelle die Formulierung des § 2 stehen, wie die Grünen sie gewünscht und betrieben haben:

„Der Nationalrat bezeugt mit diesem Bundesgesetz den Opfern derartiger Unrechtsurteile, den Personen im österreichischen Widerstand, den Wehrmachtsdeserteuren, den aus Österreich Vertriebenen sowie deren Familien Achtung und Mitgefühl.“

Die Grünen hätten dem gesamten Anerkennungsgesetz 2005 im Justizausschuss aufgrund ihrer jahrelangen intensiven Bemühungen um eine umfassende Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz gerne zugestimmt. Art I § 2 in der nunmehr beschlossenen Fassung ist jedoch leider keine Formulierung, welche zweifellos klarstellen würde, wer Opfer des Nationalsozialismus ist und wer nicht.

Weiters lehnen die Grünen die Vorgehensweise, dass augenscheinlich als Voraussetzungen für das Anerkennungsgesetz die gleichzeitige Erlassung eines Bundesgesetzes, mit dem eine einmalige Zuwendung für Frauen als Anerkennung für ihre besonderen Leistungen beim Wiederaufbau der Republik Österreich geschaffen wird, sowie des Bundesgesetzes, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, das Kriegsopferversorgungsgesetz und das Heeresversorgungsgesetz geändert wurden, in den jeweiligen Ausschüssen beschlossen wurde, strikt ab. Die Zusammenwürfelung verschiedener Opfergruppen in einem „NS-Paket“ entspricht 60 Jahre nach der Niederlage des Nationalsozialismus keiner adäquaten politischen Vergangenheitsbewältigung.