Vorblatt

Problem:

Das österreichisch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen hat sich als dringend revisionsbedürftig erwiesen.

Ziel:

Verhinderung von weiteren Steueraufkommensverschiebungen von Österreich in die Schweiz als Folge des Freizügigkeitsabkommens der Schweiz mit der EU sowie Anpassung der Amtshilferegelungen an die Erfordernisse des Zinsenrichtlinien­abkommens der EU mit der Schweiz und schließlich Beseitigung der Quellenbesteuerung für grenzüberschreitende Lizenzgebührenzahlungen.

Inhalt:

Die bisherige Grenzgängerreglung mit einer 3%igen Besteuerungsgrenze für die Schweiz wird durch Anwendung des Anrechnungsverfahrens auf sämtliche Arbeitnehmereinkünfte aus der Schweiz ersetzt und die Amthilfebestimmungen werden den Erfordernissen entsprechend erweitert.

Alternativen:

Risiko eines Aufkommensverlustes – im Extremfall - bis zu etwa 80 Mio. Euro pro Jahr.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Die Attraktivität Österreichs als Zielland für Auslandsinvestitionen wird durch die Beseitigung der Quellenbesteuerung für Lizenzgebühren erhöht, negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Vorarlberg werden vermieden.

Finanzielle Auswirkungen:

Kurzfristig könnten Aufkommensverluste in der Größenordnung von etwa 9 Mio. Euro eintreten, die aber der Abwehr größerer Aufkommensverluste von – im Extremfall – bis zu 80 Mio. Euro dienen.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Abgesehen von der EU-konformen Ausweitung der Amtshilfebestimmung fallen die vorgesehenen Regelungen nicht in den Anwendungsbereich des Rechtes der Europäischen Union.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Das Protokoll ist gesetzändernd bzw. gesetzesergänzend und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Es enthält keine verfassungsändernden bzw verfassungsergänzenden Bestimmungen und hat nicht politischen Charakter. Es ist der unmittelbaren Anwendbarkeit im innerstaatlichen Rechtsbereich zugänglich, sodass die Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Da durch das Protokoll Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereich der Länder geregelt werden, bedarf es überdies der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Das zwischen Österreich und der Schweiz am 30. Jänner 1974 unterzeichnete Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl. Nr. 64/1975 idF BGBl. III Nr. 204/2001) hat sich in mehrfacher Hinsicht als revisionsbedürftig erwiesen.

Einerseits haben sich infolge des Inkrafttretens des bilateralen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU über den freien Personenverkehr (Freizügigkeitsabkommen) die Rahmenbedingungen für die Einstufung österreichischer Arbeitnehmer als Grenzgänger geändert. Dies hätte – ohne DBA-Revision - zu einer beträchtlichen Verschiebung des Steueraufkommens bei den in Österreich ansässigen aber in der Schweiz berufstätigen Personen von Österreich in die Schweiz führen können. Das Problem wurde dadurch gelöst, dass die schweizerischen Lohneinkünfte der in Österreich ansässigen Arbeitnehmer generell in das Anrechnungssystem einbezogen wurden und gleichzeitig anstelle der bisherigen Begrenzung der schweizerischen Besteuerungsansprüche an den österreichischen Grenzgängereinkünften eine jährliche Teilvergütung der in der Schweiz erhobenen Steuern an die Republik Österreich vorgesehen wurde.

Andererseits haben sich bei den in der Schweiz tätigen österreichischen Arbeitnehmern große Probleme bei der Einbringung der die schweizerischen Einkünfte belastenden österreichischen Steuern ergeben. Hier wird künftig die Möglichkeit einer schweizerischen Vollstreckungshilfe geschaffen.

Weiters war eine Ausweitung der gegenseitigen Amtshilfeleistungen herbeizuführen; eine Verpflichtung hierzu ergab sich einerseits aus den Arbeiten in der OECD zur Beseitigung unfairer Besteuerungspraktiken und andererseits aus dem Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Regelungen, die den in der Richtlinie 2003/48/EG des Rates im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen festgelegten Regelungen gleichwertig sind (EU-Zinsenrichtlinienabkommen). Das Revisionsprotokoll sieht unter Berücksichtigung dieses Änderungsbedarfes erstmals eine Amtshilfemöglichkeit bei Holdinggesellschaften und generell bei Betrugsdelikten vor.

Und schließlich sind die Revisionsverhandlungen zum Anlass genommen worden, eine OECD-konforme Quellenentlastung bei Lizenzgebühren herbeizuführen, eine Absicherung der österreichischen Wegzugsbesteuerung zu gewährleisten und eine OECD-konforme Abkommensanpassung bei der Künstler- und Sportlerbesteuerung zu vereinbaren.

Die im Februar 2004 in Bern aufgenommenen Revisionsverhandlungen sind am 28. April 2005 mit der Paraphierung des vorliegenden Änderungsprotokolls abgeschlossen worden.

Mit dem Inkrafttreten des Protokolls könnten durch die Neuordnung der Grenzgängerbesteuerung Mindereingänge bei der Einkommensteuer in der Größenordnung von jährlich etwa 9 Mio. € anfallen, dies allerdings gemessen an den derzeitigen Gegebenheiten. Damit wird aber ein potentieller Steuerverlust von bis zu 80 Mio. € vermieden, der eintreten würde, wenn allmählich sämtliche Grenzgänger die durch das schweizerische Freizügigkeitsübereinkommen mit der EU eröffneten Möglichkeiten nutzen, um – ohne Aufgabe ihres Lebensmittelpunktes in Österreich - den Status eines Grenzgängers abzulegen und solcherart der österreichischen Steuer zu entfliehen.

Besonderer Teil

Zu Art. I:

Die gegenwärtige Quellenbesteuerung von 5% bei Lizenzgebühren ist im wichtigsten Anwendungsbereich, nämlich bei konzerninternen Zahlungsströmen, bereits durch das seitens der EU im Rahmen der Zinsenrichtlinie mit der Schweiz am 26. Oktober 2004 geschlossene Abkommen beseitigt worden. Das Änderungsprotokoll wirkt sich daher nur mehr für den Restbereich der grenzüberschreitenden Lizenzgebührenzahlungen aus und stellt hier den OECD-konformen Rechtszustand sicher.

Zu Art. II:

Mit dieser Bestimmung wird die bisherige Regelung, die im Hinblick auf die österreichische Wegzugsbesteuerung zu beständigen Anwendungs- und Interpretationsproblemen geführt hat, durch eine vorteilhaftere Regelung ersetzt. Es wird sichergestellt, dass die bis zum Wegzug eines Steuerpflichtigen angewachsenen stillen Reserven in in- und ausländischen Kapitalbeteiligungen in Österreich steuerhängig bleiben. Die Neuordnung gilt gemäß Artikel IX Ziffer 3 ab 1.1.2004 und steht der ab 2005 in Österreich geltenden innerstaatlichen Neuregelung (Einführung des Systems eines Besteuerungsaufschubes) nicht entgegen. Denn das abkommensrechtliche Verbot einer „Besteuerung“ im Wegzugsjahr untersagt wohl eine Steuerfestsetzung und Steuereinhebung im Wegzugsjahr, ist aber nicht so weitreichend zu verstehen, dass es einer bloßen Ermittlung der Steuerschuld aus Anlass des Wegzuges entgegensteht. Allerdings ist im Verhältnis zur Schweiz kein förmlicher Antrag auf Besteuerungsaufschub erforderlich.

Zu Art. III:

Die Grenzgängerregelung des Artikels 15 Abs. 4 ist durch das Freizügigkeitsabkommen der Schweiz mit der EU überholt und wird auf österreichischer Seite durch Einführung des Anrechnungsverfahrens für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ersetzt. Hierdurch ist sichergestellt, dass bei den in Österreich ansässigen Personen mit schweizerischem Arbeitsort das österreichische Besteuerungsrecht nicht mehr davon abhängt, dass die betreffenden Arbeitnehmer den Grenzgängerstatus besitzen. Als Teilausgleich für den Wegfall der im aufgehobenen Artikel 15 Abs. 4 vorgesehenen Besteuerungsgrenze von 3% bei den bisherigen österreichischen Grenzgängern wird seitens der Schweiz eine jährliche Rückvergütung von 12,5% der schweizerischen Steuereinnahmen aus der unselbständigen Arbeit der Österreicher in der Schweiz geleistet (Ziffer 4 des Schlussprotokolls).

Es kann diese Regelung – die bewirken wird, dass der bisherige Grenzgängerschwund gestoppt und seine Rückholung in das österreichische Besteuerungsnetz stattfindet - kurzfristige Steuermindereinnahmen in einer grob geschätzten Größenordnung von 10 Mio. € pro Jahr bewirken. Die Schätzung beruht auf der Zahl der 2003 veranlagten Grenzgänger von rund 6.000, die bereits ein Absinken der Personen mit Grenzgängerstatus erkennen lässt. Geht man davon aus, dass sich diese Zahl bis zum Wirksamwerden des Revisionsprotokolls um weitere 10% auf 5.400 verringert und unterstellt man, dass das rechnerisch für 2003 ermittelte Durchschnittseinkommen der Grenzgänger von rund 50.000 € mit einem Durchschnittsteuersatz von rund 33% belastet ist, dann ergibt dies eine Steuerleistung von 89,1 Mio. € (50.000 x 5.400 x 33%), auf die aber noch die gegenwärtig mit 3% erhobene schweizerische Steuer von rund 8,2 Mio. € (d.i. die um 10% gekürzte anrechenbare Steuer des Jahres 2003) anzurechnen ist, sodass dies zu einer für Österreich verbleibenden Steuerleistung von 80,9 Mio. € führt.

Würden in Zukunft sämtliche Grenzgänger (z.B. durch  gelegentliche Nutzung einer Nächtigungsmöglichkeit bei Freunden in der Schweiz oder durch gelegentliche Nächtigung in einem Gasthof) den Grenzgängerstatus ablegen, dürften ihre Einkünfte in Österreich überhaupt nicht mehr besteuert werden, was zu einem Steuerausfall – in diesem Extremfall – von bis zu rund 80 Mio. € führen könnte.

Wendet man die Neuregelung des Revisionsprotokolls auf die ziffernmäßigen Ausgangsgegebenheiten des Jahres 2003 (mit 6.000 Grenzgängern) an, dann ergäbe sich eine Steuerleistung von 99 Mio. € (50.000 x 6.000 x 33%); allerdings müssen nach der Neuregelung anstelle von 8,2 Mio. € 30,6 Mio. € in Österreich angerechnet werden. Es ist sonach ein Steuermehraufkommen durch weitestgehende Wiedererfassung des mit 10% angenommenen Grenzgängerschwundes in Höhe von 9,9 Mio. € zu erwarten (99 Mio. – 89,1 Mio.), dem aber ein Minderaufkommen wegen erhöhter Quellensteueranrechnung in Österreich in Höhe von 22,4 Mio. € ( 30,6 Mio. – 8,2 Mio.) gegenübersteht; per Saldo ergibt dies ein geschätztes Minderaufkommen von 12,5 Mio. (22,4 Mio. – 9,9 Mio.), wobei aber von diesem Minderaufkommen von 12,5 Mio. € noch die 12,5%ige Refundierung der Schweiz von rund 3,8 Mio. € (12,5% von 30,6 Mio. € gemäß Artikel VIII Z.4) in Abzug zu bringen ist, was zu einer reduzierten Steuerminderung durch das Revisionsprotokoll von 8,7 Mio. € (22,4 Mio. – 9,9 Mio. – 3,8 Mio.) führt. Damit bewegt sich sonach der durch das Revisionsprotokoll eintretende Steuermindereingang der Größenordnung von rund 9 Mio. €. Es ist dies eine Minderung des Steueraufkommens, die im Interesse einer Vermeidung größerer Steuerausfälle (im Extremfall – wie oben dargelegt - bis zu 80 Mio. €) hingenommen werden muss.

Zu Art. IV:

Artikel 17 wird der korrespondierenden Bestimmung des OECD-Musterabkommens angepasst und in Absatz 3 um eine Regelung ergänzt, die einerseits die bisherige Quellensteuerentlastung für öffentlich subventionierte Kunst- oder Sportveranstaltungen weiterführen soll und andererseits die im österreichisch-deutschen Vertragsverhältnis vorgesehene Steuerentlastung für bloß auf Kostendeckungsbasis arbeitende Kulturträger übernimmt.

Zu Art. V:

Im Rahmen der Neuordnung der Grenzgängerbesteuerung wurden nunmehr alle Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Österreich ansässige Arbeitnehmer auf schweizerischem Staatsgebiet erbringen, in das Anrechnungsverfahren einbezogen (siehe auch die Erläuterungen zu Artikel III). Damit werden auch Grenzgänger, die wegen gelegentlicher Nächtigungen in der Schweiz den steuerlichen Grenzgängerstatus abgelegt haben, in das österreichische Besteuerungsnetz zurückgeholt.

Zu Art. VI:

Im Rahmen der OECD-Arbeiten zur Unterbindung unfairer Steuerpraktiken hat sich die Notwendigkeit ergeben, dass die OECD-Mitgliedstaaten jedenfalls zur Amtshilfeleistung dann bereit sein müssen, wenn Holdinggesellschaften in internationale Transaktionen eingeschaltet sind. Die novellierte Fassung in Artikel 26 Abs. 1 lit. a trägt diesem Erfordernis Rechnung und erweitert die bisherige Amtshilfebestimmung, die nur für Belange der Abkommensanwendung in Anspruch genommen werden konnte, im Fall von Holdinggesellschaften auf Belange des innerstaatlichen Rechts.

Ein einem einverständlichen Memorandum, das die Schweizerische Eidgenossenschaft mit der Europäischen Gemeinschaft und allen Mitgliedstaaten am 26. Oktober 2004 in Luxemburg unterzeichnet hat, wurde einvernehmlich festgelegt, dass unmittelbar nach Unterzeichnung des Zinsrichtlinien-Abkommens zwischen der Schweiz und der Gemeinschaft mit jedem Mitgliedstaat bilaterale Verhandlungen zur Leistung von Amtshilfe in Steuerbetrugsfällen aufgenommen werden. Diesem Ziel dient die Erweiterung der Amtshilfeklausel des Doppelbesteuerungsabkommens in Artikel 26 Abs. 1 lit. b.

Zu Art. VII:

Erstmals wird im Verhältnis zur Schweiz auch eine begrenzte Vollstreckungsamtshilfe vorgesehen. Hierdurch sollen Unzukömmlichkeiten beseitigt werden, die sich vor allem bei jenen österreichischen Grenzgängern ergeben haben, die kein exekutionsfähiges Vermögen im Inland besaßen; hierdurch konnte bisher im Ergebnis sanktionslos die österreichische Steuerleistung vereitelt werden. Künftig wird bei den Steuerzahlungsunwilligen durch Mitwirkung der Schweiz ein exekutiver Zugriff auf die schweizerischen Lohnzahlungen möglich sein.

Zu Art. VIII:

Durch das Schlussprotokoll werden im wesentlichen die in den Artikeln 17, 26 und 26a vorgesehenen Regelungen klarstellend und interpretativ präzisiert. Lediglich Ziffer 4 beinhaltet eine normative Regelung, die bereits bei den Erläuterungen zu Artikel III besprochen worden ist.

Zu Art. IX:

Der zeitliche Wirksamkeitsbeginn der Revisionsänderungen ist mit 1.1.2006 festgelegt; soweit sich aus dem Änderungsprotokoll Verschlechterungen in der Rechtsposition des Abgabepflichtigen ergeben, findet das Abkommen allerdings erst ein Jahr später erstmals Anwendung. Daher wird bei den etwa 100 schweizerischen Grenzgängern in Österreich die Anwendung des progressiven Lohnsteuertarifes erst ab 1.1.2007 einsetzen. Die begünstigende Neuordnung der Wegzugsbesteuerung ist ab 1.1.2004 anzuwenden.