373 der Beilagen zu den Stenographischen
Protokollen des Nationalrates XXII. GP
Bericht
des Umweltausschusses
über das Volksbegehren „Atomfreies Europa“
(206 der Beilagen)
Das von den Initiatoren eingeleitete
Volksbegehren „Atomfreies Europa“ wurde von 131 772 Österreicherinnen und
Österreichern unterstützt. Das entspricht einem Stimmenanteil von 2,23 %
der Stimmberechtigten.
Die Unterstützer dieses Volksbegehrens
haben die Einleitung eines Verfahrens für ein Volksbegehren mit folgendem
Wortlaut beantragt:
„Der Nationalrat wolle durch
verfassungsgesetzliche Maßnahmen sicherstellen, dass die zuständigen Mitglieder
der Bundesregierung verpflichtet sind, sich bei Verhandlungen und Abstimmungen
in der Europäischen Union für einen Ausstieg der EU-Mitgliedstaaten aus der
Kernenergienutzung einzusetzen.
Folgende Ziele sollen jedenfalls von der
Verwendungspflicht erfasst sein:
-) Europaweiter Ausstieg aus der
Kernenergienutzung;
-) Kein Neubau von Kernkraftwerken in den
EU-Mitgliedstaaten;
-) Keine weiteren Förderungen für die
Kernenergienutzung in der EU.“
Das Volksbegehren wurde von den Initiatoren
wie folgt begründet:
„a) Ausgangslage
Durch das Atom-BVG[1]
wurde die von breitem gesellschaftlichen Konsens getragene
Grundsatzentscheidung Österreichs gegen die militärische und friedliche Nutzung
der Kernenergie auch verfassungsrechtlich verankert. Hingegen stellt sich die
Rechts- und Faktenlage in den übrigen aktuellen und potentiellen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union anders dar. Zwar sind sieben
EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg,
Österreich und Portugal) nie in die Kernenergienutzung ein- bzw. bereits wieder
ausgestiegen. Doch die übrigen acht Staaten betreiben zur Zeit KKWs, die im
Jahr 2000 ca. 15 % des gesamten gemeinschaftlichen Energiebedarfs decken. Fünf
davon haben den Ausstieg beschlossen oder angekündigt (Belgien, Deutschland,
Niederlande, Schweden und Spanien), während drei Mitgliedstaaten
(Großbritannien, Finnland und Frankreich) dies auf absehbare Zeit nicht
beabsichtigen. Von den zwölf Beitrittskandidaten, mit denen zur Zeit
Verhandlungen über eine Aufnahme in die EU laufen bzw. gerade Beitrittsverträge
abgeschlossen werden, betreiben sieben KKWs (Bulgarien, Litauen, Rumänien,
Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn).
Durch einschlägige Zwischenfälle wird immer
wieder die grenzüberschreitende Dimension der Folgen von Zwischen- und
Störfällen im Zusammenhang mit der (friedlichen) Nutzung der Kernenergie vor
Augen geführt. Daraus erwachsende Emissionen machen nicht an den Staatsgrenzen
halt.
Aus diesem Grunde muss auf europäischer
Ebene eine rechtlich verbindliche Weichenstellung zu einem "atomfreien
Europa" - worunter im Folgenden der zumindest mittelfristige Ausstieg aus
der Kernenergienutzung (durch den Genehmigungsstopp für neue Anlagen und die
Festlegung verbindlicher Stilllegungstermine) verstanden sei - vorgenommen
werden.
b) Inhalt des
Volksbegehrens
Mit dem vorliegenden Volksbegehren wird
eine Verfassungsänderung angestrebt, durch die die österreichischen Vertreter[2]
im Rat, dem Hauptrechtsetzungsorgan im Verbund der Gemeinschaftsrechtsordnung,
zu einem dahingehenden Wirken im Rat verpflichtet werden.
Die Europäische Gemeinschaft hat durch Art.
174 in Verbindung mit Art. 175 Abs. 2 EG-Vertrag über die Umweltpolitik die
Kompetenz, den Ausstieg der Mitgliedstaaten aus der friedlichen Nutzung der
Kernenergie verbindlich zu beschließen. Ein solcher Beschluss wäre auf
Vorschlag der Kommission vom Rat einstimmig zu fassen.
Nach geltender Verfassungsrechtslage (Art.
23e B-VG) kann der Nationalrat von Fall zu Fall den österreichischen Vertreter
im Rat durch Stellungnahme zu einem Eintreten für einen EU-weiten Ausstieg aus
der Kernenergienutzung verpflichten. Das zuständige Mitglied der
Bundesregierung kann davon aber aus "zwingenden außen- und
integrationspolitischen Gründen" abweichen.
Mit dem vorliegenden Volksbegehren wird die
Schaffung einer Verfassungsnorm angestrebt, die die österreichischen
Ratsmitglieder mit Verhaltensanordnungen zugunsten eines EU-weiten Ausstiegs
aus der Kernenergienutzung im Rahmen der Verhandlungen im Rat versieht, also
eine dahingehende Verwendungspflicht generell-abstrakt normiert.
Im Gegensatz zu Anordnungen im Einzelfall
durch den Nationalrat gemäß Art. 23e B-VG soll es dem österreichischen
Ratsmitglied dabei nicht möglich sein, aus zwingenden außen- und
integrationspolitischen Gründen von dieser Verpflichtung abzuweichen.
Gemeinschaftsrechtlich (vor allem im
Hinblick auf die in Art. 10 EG-Vertrag enthaltene Solidaritätsverpflichtung
der Mitgliedstaaten) ist diese Bindung der österreichischen Vertreter im Rat
mit Verhaltensanordnungen zugunsten eines EU-weiten Ausstiegs aus der
Kernenergienutzung durchaus möglich.
Die Mitglieder des Rates agieren in diesem
Gemeinschaftsorgan als "Vertreter ihrer Mitgliedstaaten" (Art. 203
EG-Vertrag). Da es dem nationalen Verfassungsrecht nicht verwehrt sein kann,
dieses Vertretungsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und zuständigem
Bundesminister als Vertreter dieses Mitgliedstaates - und eben nicht als Träger
eines freien Mandats - näher auszugestalten, ist auch eine generell-abstrakte
strikte Bindung gemeinschaftsrechtlich zulässig.[3]
Gemeinschaftsrechtlich unzulässig wäre
lediglich eine generell-abstrakte Norm (aber auch eine politische Maxime), die
eine Obstruktion sämtlicher einstimmiger Ratsbeschlüsse bis zur Erreichung
eines bestimmten Zieles anordnete. Diesfalls würden wegen der Gefährdung der
Funktionsfähigkeit des Rates durch Lähmung seiner Entscheidungsprozesse
Loyalitätspflichten aus dem EG-Vertrag verletzt. Dies ist mit dem hier
gewählten Modell jedoch nicht der Fall. Eine Unterstützung erfährt die
(indirekte) Beteiligung der nationalen Rechtserzeugungsorgane am
Entscheidungsprozess im Rat in einem dem Vertrag von Amsterdam beigefügten
"Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der
Europäischen Union". In der Präambel dieses Protokolls, das gemäß Art.
311 EG-Vertrag zum Bestandteil dieses Vertrages wird, ist ausgeführt, dass
"die Kontrolle der jeweiligen Regierungen durch die einzelstaatlichen Parlamente
hinsichtlich der Tätigkeiten der Union Sache der besonderen
verfassungsrechtlichen Gestaltung und Praxis jedes Mitgliedstaates ist".
Zudem wird mit diesem Volksbegehren die
Verpflichtung der zuständigen Mitglieder der Bundesregierung angestrebt, für
die Integrierung des Euratom-Vertrages in den EG-Vertrag einzutreten. Mit dem
Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957
(Euratom-Vertrag) wurde eine internationale Organisation zur Kontrolle und
Koordinierung im Bereich der zivilen Nuklearwirtschaft mit der Aufgabe der
gemeinschaftlichen Förderung der Kernenergieproduktion errichtet. Der
Euratom-Vertrag ist dabei als lex specialis zum EG-Vertrag konzipiert. Damit
erhebt der EG-Vertrag keinen Regelungsanspruch, soweit Sachbereiche im
Euratom-Vertrag geregelt sind. Dies betrifft u.a. das Wettbewerbsrecht. Der
Euratom-Vertrag weist in diesem Bereich kein den Kartell- und Beihilfenregeln
des EG-Vertrags vergleichbares Regime auf.
Die Integrierung des Euratom-Vertrages in
den EG-Vertrag mit der damit verbundenen Unterstellung der von diesem Vertrag
erfassten Industriezweige unter die Wettbewerbsregeln des Letzteren wäre eine
so genannte Primärrechtsänderung. Diese Verwendungspflicht der österreichischen
Bundesregierung bzw. ihrer Mitglieder bezieht sich folglich auf ein
entsprechendes Agieren im Rahmen einer Regierungskonferenz zur (einstimmigen)
Änderung der Gründungsverträge.
All diese Zwecke könnten durch folgende
legistische Ausgestaltung erzielt werden:
Der Nationalrat möge beschließen:
Das Bundesverfassungsgesetz für ein
atomfreies Österreich (BGBI. I 149/1999) wird wie folgt geändert:
Nach § 2 wird folgender neuer § 2a
eingefügt:
§ 2a. (1) Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung sind
verpflichtet, sich bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union
für einen Ausstieg der EU-Mitgliedstaaten aus der Kernenergie einzusetzen.
(2) Diese Pflicht bezieht sich insbesondere
a) auf das Erwirken von Rechtsakten der
Europäischen Union, welche vorsehen, dass Anlagen, die dem Zweck der
Energiegewinnung durch Kernspaltung oder -fusion dienen, in den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union nicht mehr errichtet werden und sofern solche bereits
bestehen, nicht in Betrieb genommen bzw. wieder außer Betrieb gestellt werden;
b) auf das Erwirken der Auflösung des Vertrags
zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957
(EURATOM-Vertrag) und Unterstellung der von diesem Vertrag erfassten Industriezweige
unter die Wettbewerbsregeln des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft vom 25. März 1957 (EG-Vertrag);
c) auf das Erwirken einer einheitlichen
Atomhaftungsrichtlinie nach dem Vorbild des Atomhaftungsgesetz 1999.
(3) Die zuständigen Mitglieder der
Bundesregierung dürfen bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen
Union ihre Zustimmung zu Beschlüssen, die dem Ziel des europaweiten
Atomausstiegs entgegenstehen, nicht erteilen.
Dies umfasst insbesondere Forschungsprogramme
im Bereich der Kernspaltung und -fusion und der Entwicklung neuer
Reaktorkonzepte sowie die Mittel- und Kreditvergabe für die Fertigstellung oder
Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken.
Zur Absicherung der Einhaltung der den
zuständigen Mitgliedern der Bundesregierung auferlegten Verwendungspflicht
könnten die parlamentarischen Kontrollrechte wie folgt erweitert werden: Art.
142 Abs. 2 lit. c B-VG sieht derzeit vor, dass ein österreichisches
Ratsmitglied vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) wegen Gesetzesverletzung[4]
rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.
Nach geltendem Recht ist dabei in
Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung nur der Nationalrat (mit Mehrheit der
abgegebenen Stimmen bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder[5])
antragslegitimiert.
Eine sinnvolle Änderung, die aus Gründen
des Ausschlusses sachlich nicht gerechtfertigter Differenzierungen auch Art.
142 Abs. 2 lit. b B-VG mit umfassen müsste, könnte auf den Ausbau
demokratischer Kontrollrechte abzielen.
Zum einen könnte das Recht zur
Ministeranklage zu einem Recht der (qualifizierten) parlamentarischen Minderheit
werden. Dies ist – im Gegensatz zum Misstrauensantrag, der selbstredend ein
Mehrheitsrecht bleiben muss - als Stärkung oppositioneller Kontrollrechte
vertretbar, hat doch schließlich mit dem VfGH ein unabhängiges Gericht in einem
ordentlichen Verfahren über die Frage des Vorliegens schuldhafter
Rechtsverletzungen des Amtsträgers zu entscheiden. Zum Anderen könnte auch dem
Volk die Möglichkeit eingeräumt werden, an den Nationalrat den Antrag zu
stellen, eine Ministeranklage zu erheben. Da damit, ähnlich wie beim Institut
des Volksbegehrens, keine Bindungswirkung für den Nationalrat hergestellt wird,
bleibt durch diese systemkonforme Entwicklung das repräsentativ-demokratische
Prinzip der Bundesverfassung unangetastet. Vielmehr kann diese Möglichkeit als
ein Schritt zur Verwirklichung des Anliegens des Ausbaus der direkten
Demokratie im Rahmen eines durch alle im Parlament vertretenen Parteien
regelmäßig angekündigten umfassenderen Demokratiepakets verstanden werden.
Folgende legistische Ausgestaltung wäre
dabei denkbar:
Der Nationalrat möge beschließen:
Das Bundes-Verfassungsgesetz wird
wie folgt geändert:
1. In Art. 142 Abs. 2 lit. b und c wird die
Wortfolge "durch Beschluss des Nationalrates"
ersetzt durch die Wortfolge "durch Beschluss von mindestens einem
Drittel der Mitglieder des Nationalrates".
2. In Art. 142 wird nach Abs. 2 folgender
neuer Abs. 3 eingefügt:
‚(3)
Jeder von 100 000 Stimmberechtigten gestellte Antrag auf Erhebung einer Anklage
gemäß Abs. 2 lit. b und c ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur
Behandlung vorzulegen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz bestimmt.’
3. In Art. 142 erhalten die Abs. 3 bis 5 die
Bezeichnung 4 bis 6.
c) Formale Vorgehensweise
Eine Volksabstimmung über das vorliegende Volksbegehren
wäre nicht zwingend vorgeschrieben. Da aber durch eine Abstimmung der
demokratische Souverän, das Volk, unmittelbar und direkt eine materielle Entscheidung
trifft - unter Ausschaltung aller intermediären Einrichtungen wie Parlament,
Regierung, Parteien und Verbände - kommt dem durch Volksabstimmung getroffenen
Beschluss ein besonders hoher demokratischer Stellenwert zu. Somit wäre es
ungeachtet der für vorliegende Verfassungsänderung ohnehin erforderlichen
breiten parlamentarischen Mehrheit sinnvoll, diese Verfassungsrechtlichen
Handlungsaufträge einer Volksabstimmung zu unterziehen, weil sie dadurch das
höchstmögliche politische Gewicht erhalten und als direktdemokratisches Votum
der österreichischen Bevölkerung den österreichischen Ratsmitgliedern ein
stärkeres Mandat verleihen als "nur" die verfassungsrechtliche
Rückendeckung.
Und zieht man in Betracht, dass die für ein
erfolgreiches Volksbegehren erforderlichen 100.000 Stimmberechtigten nur eine
Minderheit des Gesamtvolkes darstellen, und überdies jene, die das
Volksbegehren ablehnen, im Verfahren zu dessen Zustandekommen gar nicht in
Erscheinung treten, so vermag erst das Plebiszit (zusätzlich zur
erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat) diese
Grundsatzentscheidung auf breitestmöglicher Basis zu legitimieren.
Materiell handelt es sich bei vorliegender
Gesetzesinitiative um den Vorschlag zu einer Teiländerung der Bundesverfassung
im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG. In solchem Falle kann, "wenn dies von
einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt
wird", ein fakultatives Verfassungsreferendum durchgeführt werden. Dieses
Verlangen ist in vorliegendem Falle zur Herbeiführung einer Volksabstimmung
nicht erforderlich, es wird durch die Zustimmung des Nationalrates zu Art. III
des vorliegenden Gesetzesantrags substituiert.[6]
Die Billigung des Gesetzesbeschlusses in
der Volksabstimmung bewirkt im Übrigen keine Rangerhöhung, die Teiländerung der
Verfassung wird dadurch nicht zur Gesamtänderung.“
Der Umweltausschuss hat das gegenständliche
Volksbegehren in seiner Sitzung am 14. Oktober 2003 erstmals in Verhandlung
genommen. Als Berichterstatter im Ausschuss fungierte der Abgeordnete Matthias Ellmauer.
An der daran anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Karlheinz
Kopf, Mag. Ulrike Sima, Heidemarie Rest-Hinterseer, Klaus Wittauer
sowie der Bevollmächtigte des Volksbegehrens Mag. Erwin Mayer.
Einstimmig wurde die Einsetzung eines
Unterausschusses zur Vorbehandlung der Materie beschlossen.
Diesem Unterausschuss gehörten vom
Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei die Abgeordneten Matthias Ellmauer,
Karlheinz Kopf (Obfraustellvertreter), Helga Machne, Johann Rädler,
Norbert Sieber, von der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion
Dipl.-Kfm. Dr. Hannes Bauer, Georg Oberhaidinger, Walter Schopf,
Mag. Ulrike Sima, vom Klub der Freiheitlichen Partei Österreichs
Dipl.-Ing. Elke Achleitner (Schriftführerin) und vom Grünen Klub Dr. Eva
Glawischnig (Obfrau) an.
Der Unterausschuss nahm seine Verhandlungen
am 14. Oktober auf und beschloss einstimmig, die Beratungen in eine General-
und eine Spezialdebatte zu gliedern.
Im Rahmen der im Anschluss daran
durchgeführten öffentlichen Generaldebatte meldeten sich die Abgeordneten
Karlheinz Kopf, Mag. Ulrike
Sima, Dipl.-Ing. Elke Achleitner
und die Obfrau des Unterausschusses Dr. Eva Glawischnig sowie der
Bevollmächtigte des Volksbegehrens Mag. Erwin Mayer zu Wort.
Der öffentlichen
Spezialdebatte im Unterausschuss am 6. November 2003 wurden einstimmig folgende
Experten beigezogen: SL Dr. Ernst Streeruwitz (Bundesministerium für
Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft – Sektion V), Patricia Lorenz
(Friends of the Earth/Brüssel), Univ.-Prof. Dr. Manfred Rotter (Johannes
Kepler Universität Linz, Institut für Völkerrecht und Internationale
Beziehungen), Bundesrat Univ.-Prof. Dr. Peter Böhm, Dr. Johann Kronberger
MEP, Dr. Marlies Meyer (Referentin für Umweltrecht) und Michel Raquet
(Energy Advisor, Greens/EFA, European Parliament).
Im Zuge der Debatte
ergriffen die Abgeordneten Erwin Hornek, Georg Oberhaidinger,
Dipl.-Ing. Elke Achleitner, die Obfrau des Unterausschusses Dr. Eva Glawischnig,
der Bevollmächtigte des Volksbegehrens Mag. Erwin Mayer, dessen
Stellvertreter Dr. Bernhard Drumel sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und
Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll das Wort.
In einer weiteren
Sitzung des Unterausschusses am 20. Jänner 2004 meldeten sich die
Abgeordneten Karlheinz Kopf, Mag. Ulrike Sima, Dipl.-Ing. Elke Achleitner und
die Vorsitzende des Unterausschusses Dr. Eva Glawischnig zu
Wort.
Im Unterausschuss
wurde über den Verhandlungsgegenstand kein Einvernehmen erzielt.
In der an die Sitzung
des Unterausschusses anschließenden Sitzung des Umweltausschusses am 20. Jänner
2004
berichtete die Obfrau des Unterausschusses Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig über das Ergebnis der Unterausschussberatungen.
An der daran
anschließenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Klaus Wittauer, Karlheinz Kopf, Georg Oberhaidinger,
Mag. Ulrike Sima, Matthias Ellmauer, Erwin Hornek, der Bevollmächtigte des Volksbegehrens Mag. Erwin Mayer, der
Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing.
Josef Pröll sowie Ausschussvorsitzende
Dr. Eva Glawischnig.
Im Zuge der Debatte
brachten die Abgeordneten Karlheinz Kopf und Klaus Wittauer einen Entschließungsantrag ein, der wie folgt
begründet war:
„Am 6. November 2002
hat die Europäische Kommission dem Rat die Vorschläge
- COM(2002) 456 betreffend die Aufstockung des Haftungsrahmens für
EURATOM-Anleihen von derzeit 4.000 Mio. € auf 6.000 Mio. € (Änderung der
Entscheidung 77/721/Euratom) und
- COM(2002) 457
betreffend die Ausdehnung des Verwendungszweckes von EURATOM-Anleihen auch auf
Projekte zur Sicherheits- und Effizienzverbesserung sowie
Dekommissionierungsprojekte und zur Beteiligung an der Finanzierung eines
Brennstoff- und Materialtestreaktors (Änderung der Entscheidung 77/720/Euratom)
übermittelt.
Das Instrument der
EURATOM-Anleihe gemäß Art. 172 EAG-V stellt im wesentlichen eine
wettbewerbsverzerrende Förderung der Nuklearindustrie dar, da es insbesondere
·
günstigere
Zinssätze anbietet, als jene, die zu freien Marktbedingungen zu erzielen wären,
·
hohe politische
Risiken abdeckt, welche eine Finanzierung auf rein kommerzieller Basis
ausschließen würden und
·
für keine andere
Art von Investitionen im gesamten Energiesektor ein vergleichbares europäisches
Instrument existiert.
Am 9. Dezember 2002
hat der europäische Umweltministerrat (2473. Tagung des Rates - Umwelt) dazu
beraten. Österreich, Belgien und Deutschland haben zu Protokoll gegeben, dass
sie die Vorschläge der Kommission ablehnen, den Höchstbetrag für die Aufnahme
von Euratom-Anleihen anzuheben oder Darlehen für den Bau neuer kerntechnischer
Anlagen, für im Bau befindliche kerntechnische Anlagen und für Maßnahmen zur
Leistungssteigerung zu gewähren. Weiters dürfe eine etwaige Erhöhung der
Euratom-Anleihen nicht die mit den Bewerberländern vereinbarte Stilllegung von
kerntechnischen Anlagen behindern.
Wenn auch derzeit noch
nicht absehbar ist, wann eine Entscheidung des Ecofin-Rates in dieser
Angelegenheit zu erwarten ist, erscheint es doch sinnvoll, bereits im Vorfeld
der Entscheidung die österreichische Position klarzulegen.
Am 30. Jänner 2003
wurde nach Stellungnahme des Art. 31 Ausschusses der endgültige Vorschlag der
EK zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen sowie der endgültige Vorschlag zur
Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle angenommen
(COM(2003) 32 endg. vom 30. Jänner 2003):
- Vorschlag für eine
Richtlinie (Euratom) des Rates zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und
allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen
- Vorschlag für eine
Richtlinie (Euratom) des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente
und radioaktiver Abfälle
Österreich ist der
Ansicht, dass das Ziel einer Erhöhung der Sicherheit kerntechnischer Anlagen
ein rechtsverbindliches Instrument auf EU-Ebene erfordert. Dieses
rechtsverbindliche Instrument muss aus österreichischer Sicht jedoch
entsprechende Anforderungen an grundlegende Verpflichtungen und allgemeine
Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen erfüllen.
Jedenfalls sollte die Richtlinie aus österreichischer Sicht solche
Anforderungen an die Genehmigungsverfahren in den Mitgliedstaaten festlegen, um
so das erforderliche Maß an Transparenz und demokratischer Partizipation zu
gewährleisten.
Weiters gibt das
geplante EU-Nuklearpaket betreffend einheitlicher Sicherheitsstandards in der
vorliegenden Form noch keine hinreichende Garantie für das erklärte Ziel
Österreichs, möglichst hohe Sicherheitsstandards zu erreichen.
Österreich tritt seit
langem auf internationaler und europäischer Ebene für eine Reform des
Euratom-Vertrags ein, um insbesondere den Förderzweck zu eliminieren und
Wettbewerbsgleichheit für alle etablierten stromerzeugenden Industrien zu
erreichen.
Aus heutiger Sicht
stellt es einen Anachronismus dar, für einen relativ kleinen Wirtschaftszweig
- nämlich die Energiegewinnung aus Kernkraft - einen besonderen europäischen
Vertrag zu haben, während der überwältigende Teil der volkswirtschaftlichen
Aktivität in der künftigen Verfassung geregelt ist. Österreich fordert ein
gleiches Ausmaß an Mitbestimmung und demokratischer Kontrolle in allen
Politikbereichen der Europäischen Union und die demokratische Legitimation der
europäischen Nuklearpolitik durch Einbeziehung des Europäischen Parlaments
(Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens) sowie einen fairen Wettbewerb für
alle etablierten stromerzeugenden Industrien.
Die österreichischen Mitglieder
im Konvent – völlig unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung – haben sich
gemeinsam mit allem Nachdruck für eine Reform dieses Vertrages eingesetzt.
Bedauerlicherweise ist die Unterstützung durch andere Mitglieder des Konvents
in bescheidenem Rahmen geblieben. Das Ergebnis ist aus österreichischer Sicht
nicht zufriedenstellend.
Österreich fordert
daher eine eigene Regierungskonferenz, die sich der Zukunft des
Euratom-Vertrages widmet und ihn in eine zeitgemäße Form bringt.“
Bei der Abstimmung wurde
der genannte Entschließungsantrag der Abgeordneten Karlheinz Kopf und Klaus Wittauer mit Stimmenmehrheit angenommen.
Zum Berichterstatter
für das Haus wurde der Abgeordnete Matthias Ellmauer
gewählt.
Als Ergebnis
seiner Beratungen stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der
Nationalrat wolle
1. diesen
Bericht zur Kenntnis nehmen und
2. die angeschlossene Entschließung annehmen.
Wien, 2004-01-20
Matthias
Ellmauer Dr. Eva Glawischnig
Berichterstatter Obfrau
[1] Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBI. I
149/1999).
[2] Männliche Endungen sollen im Folgenden immer als geschlechtsneutral
verstanden werden.
[3] Vgl. Schäffer, Österreichs Beteiligung an der Willensbildung in der
EU, insbesondere an der europäischen Rechtsetzung, in: ZÖR 1996, S. 3 ff. (S.
70 f.); Bleckmann, Europarecht6 (Köln 1997), S. 101; Öhlinger,
Art. 23e B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Kommentar zum B-VG (Wien
1999), Rn. 18.
[4] Darunter ist die Verletzung sowohl von einfachen als auch von
Verfassungsgesetzen zu verstehen. Vgl. Ringhofer, Die österreichische
Bundesverfassung (Wien 1977), S. 482.
[5] Vgl. Art. 31 i.V.m. Art. 76 Abs. 2 B-VG.
[6] Vgl. diese Möglichkeit bei Merli, Art. 41/2 B-VG, in:
Korinek/Holoubek (Hrsg.), Kommentar zum B-VG (Wien 1999), Rn. 15 f. ("Bei
Erfüllung der übrigen Voraussetzungen zulässig sind aber Volksbegehren auf
Erlassung von (Verfassungs‑)Gesetzen, die derartige Akte, etwa den Beschluss,
eine Volksabstimmung oder eine Volksbefragung zu einem bestimmten Thema
abzuhalten, ersetzen").