567 der Beilagen zu den Stenographischen
Protokollen des Nationalrates XXII. GP
Bericht
des Umweltausschusses
über den Antrag 285/A(E) der Abgeordneten
Dr. Eva Glawischnig, Kolleginnen und Kollegen betreffend der Position
Österreichs zur EU-Chemikalienpolitik-Reform
Die Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig,,
Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 12.
November 2003 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Insgesamt sind der Wissenschaft rund 16
Millionen verschiedene Chemikalien bekannt, über 100.000 sind derzeit in der EU
zur industriellen Nutzung registriert. 1967 trat in der EWG die erste
Chemikalienrichtlinie in Kraft mit dem Ziel, für Chemikalien einen Binnenmarkt einzurichten.
Umwelt- und Gesundheitsaspekte wurden erst viel später ins EU-Chemikalienrecht
aufgenommen. 1976 folgte eine Richtlinie zur einheitlichen Beschränkung von
gefährlichen Chemikalien, seit 1981 müssen alle neuen Chemikalien unter Angabe
eines Mindestdatensatzes angemeldet werden. Doch bereits 1981 waren in der EU
100.106 verschiedene Chemikalien registriert. Daher erfolgte 1993 die bislang
letzte größere Änderung des Chemikalienrechts. Es wurde beschlossen, für diese
„alten" Chemikalien Risikobewertungen durchzuführen. Doch Struktur und
Umsetzung dieser Verordnung führten geradewegs ins chemiepolitische Desaster.
Denn den Mitgliedsländern wurden für die
Bewertungen, die anschließend noch von der EU-Kommission überprüft werden,
keine Fristen vorgegeben. Gegenwärtig sind für die Einstufung und Kennzeichnung
der vor 1981 auf den Markt gebrachten Chemikalien die Hersteller
eigenverantwortlich. Aufgrund begrenzter Ressourcen der EU-Behörden ziehen sich
die Bewertungsverfahren in die Länge. Von den 100.106 gelisteten „alten"
Chemikalien in der EU wurden seit 1993 die Risikobewertungen erst für 65 (!)
Chemikalien abgeschlossen. Geht die Bewertung der über 100.000 Chemikalien in
diesem Tempo weiter, würde es geschlagene 15.400 (!) Jahre dauern, bis alle Chemikalien
bewertet sind. Selbst wenn nur jene 10 - 20.000 Chemikalien in Betracht gezogen
werden, die im Ausmaß von mehr als 10 Tonnen pro Jahr und Hersteller anfallen
(EU-Schwelle für Voll-Anmeldung), würde es noch 1.500 bis 3.000 Jahre dauern.
Erst insgesamt 141 Stoffe wurden für eine
Risikobewertung ausgewählt. Dieses Auswahlsystem ist zudem höchst zweifelhaft:
Umweltorganisationen monieren, dass viel Zeit in die Bewertung weniger gefährlicher
Substanzen gesteckt, und andererseits lange bekannte Umweltgifte wie
Quecksilber und Quecksilberverbindungen, Blei oder das bromierte
Flammschutzmittel TBBA (Tetrabrom-Bisphenol A) nicht erfasst sind.
1998 haben die EU Regierungen aufgrund
dieser Probleme in der Altstoffbewertung die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag
zur Reform der EU Chemikalienpolitik zu entwerfen. 2001 wurde von der
Kommission der erste Entwurf zu REACH (Registration, Evaluation and
Authorisation of Chemicals) veröffentlicht. Nach einer Konsultationsfrist wurde
am 29. Oktober 2003 der endgültige offizielle Entwurf vorgelegt.
Dieser wurde im Gegensatz zum Vorschlag aus
dem Jahr 2001 deutlich abgeschwächt. Die Mengenschwelle für eine vollständige
Anmeldung wurde von ursprünglich 1 Tonne pro Jahr und Hersteller auf nunmehr 10
Tonnen pro Jahr und Hersteller angehoben, Kunststoffe wurden ausgenommen und
die Regelungen betreffend Transparenz der Datenveröffentlichung verschärft.
Dadurch fallen ca. 50 Prozent der 100.000 Chemikalien völlig aus dem System
heraus.
Der Schutz der Gesundheit und der Umwelt
wird durch diese Gesetzesreform nicht ausreichend gewährleistet.
Voraussichtlich wird die neue Chemikalienpolitik erst 2016 voll implementiert
sein. Sie soll im Jahr 2005 in Kraft treten und erlaubt für Chemikalien unter
einer Schwelle von 10 Tonnen pro Jahr und Hersteller eine Übergangsfrist von 11
Jahren. Bis zu 30.000 Chemikalien werden daher erst elf Jahre nach
Inkrafttreten des EU-Chemikalienrechts registriert sein.
Und auch dann werden nach dem gegenwärtigen
Entwurf keine ausreichenden Sicherheitsinformationen für die VerarbeiterInnen
solcher Produkte und ihre Konsumentinnen vorliegen. Es ist nur mehr die Rede
davon den Gebrauch gefährlicher Chemikalien durch „adäquate Kontrolle" zu
minimieren. Wenn also eine sichere Alternative zu einem vergleichbaren Preis
vorhanden ist, darf die Produktion von bedenklichen Stoffen dennoch weiter
geführt werden. Dadurch wird gleichzeitig die Forschung nach sichereren
Alternativen unterdrückt.
Die Brisanz des Themas tritt auch in der
Öffentlichkeit immer wieder durch den Nachweis von potenziell
gesundheitsgefährdenden Konsumentenprodukten zutage. So wurden heuer in
Österreich nicht nur hormonell wirksame UV Filter in Sonnenschutzmitteln
nachgewiesen, sondern auch allergene, resistenzbildende und mutagene
Konservierungs- und Desinfektionsmittel in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten,
dabei auch speziell in solchen für Babys.
In Anbetracht der Tatsache,
Ø dass
der Schutz von Gesundheit und Umwelt zu den in den Bundesverfassungsgesetzen festgelegten
Zielen der Republik Österreich gehört;
Ø dass
eine adäquate Reform der EU Chemikalienpolitik nach einer aktuellen Studie
EU-weit durch Senkung medizinischer Kosten und Steigerung der Produktivität
infolge vermiedener Krankheiten bis zu 283 Milliarden Euro sparen könnte[1];
Ø dass
nach den Übereinkommen, das dem Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft beigefügt ist, bei der Festlegung und Durchführung der Politik der
Gemeinschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr, Binnenmarkt und
Forschung die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des
Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung zu tragen haben,
besteht dringender Handlungsbedarf für die
Bundesregierung.“
Der Umweltausschuss hat den
gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 29. Juni 2004
in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die
Ausführungen der Berichterstatterin im Ausschuss, Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig, die Abgeordneten Katharina Pfeffer, Kai Jan Krainer,
Karlheinz Kopf, Heidemarie Rest-Hinterseer,
Klaus Wittauer, Mag. Johann Maier
sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und
Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll.
Bei der Abstimmung fand der gegenständliche
Entschließungsantrag keine Mehrheit.
Als Berichterstatterin für das Plenum wurde
Abgeordnete Dipl.-Ing. Elke Achleitner gewählt.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt
der Umweltausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle
diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.
Wien, 2004-06-29
Dipl.-Ing.
Elke Achleitner Dr.
Eva Glawischnig
Berichterstatterin Obfrau
[1] David Pearce and Phoebe Koundouri:
The social costs of Chemicals - The Cost and Benefits of Future Chemicals
Policy in the European Union, WWF UK, May 2003