Vorblatt

Problem:

Das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit für Beschlüsse des Nationalrates in bestimmten Angelegenheiten auf dem Gebiet des Schulwesens (und des land- und forstwirtschaftlichen Schulwesens) hat sich in der Vergangenheit als allzu stabilisierend und einer Dynamisierung des bildungspolitischen Reformprozesses entgegenstehend erwiesen.

Ziel:

Raschere und effizientere Verwirklichung bildungspolitischer Vorhaben.

Inhalt:

Ersatzloser Entfall des Art. 14 Abs. 10 B‑VG (Schulwesen) und des Art. 14a Abs. 8 B‑VG (land- und forstwirtschaftliches Schulwesen).

Alternativen:

Keine.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Das vorgeschlagene Bundesverfassungsgesetz wird keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich haben; die durch seine Erlassung möglich werdenden bildungspolitischen Maßnahmen werden sich jedoch langfristig positiv auf das Bildungsniveau der österreichischen Wohnbevölkerung und damit auch auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich auswirken.

Finanzielle Auswirkungen:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Das vorgeschlagene Bundesverfassungsgesetz steht zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union nicht im Widerspruch.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Zweidrittelmehrheit im Nationalrat gemäß Art. 44 Abs. 1 B‑VG.


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Hauptgesichtspunkte des Entwurfes:

Nach Art. 14 Abs. 10 erster Satz B‑VG können in den Angelegenheiten

      der Schulbehörden des Bundes in den Ländern und politischen Bezirken,

      der Schulpflicht,

      der Schulorganisation,

      der Privatschulen und

      des Verhältnisses von Schule und Kirchen (Religionsgesellschaften) einschließlich des Religionsunterrichtes in der Schule,

soweit es sich nicht um Angelegenheiten der Hochschulen und Kunstakademien handelt, Bundesgesetze vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Das Gleiche gilt nach Art. 14 Abs. 10 zweiter Satz B‑VG für die Genehmigung der in diesen Angelegenheiten abgeschlossenen Staatsverträge der im Art. 50 B‑VG bezeichneten Art. Für das land- und forstwirtschaftliche Schulwesen enthält Art. 14a Abs. 8 B‑VG eine dem Art. 14 Abs. 10 erster Satz B‑VG analoge Regelung.

Art. 14 Abs. 10 und Art. 14a Abs. 8 B‑VG sollten ursprünglich die bildungspolitische Kontinuität in den wesentlichen Fragen des österreichischen Schulwesens sicherstellen, haben sich jedoch in der (jüngeren) Vergangenheit als allzu stabilisierend und einer Dynamisierung des bildungspolitischen Reformprozesses entgegenstehend erwiesen. Der Entfall dieser Bestimmungen soll es ermöglichen, bildungspolitische Vorhaben künftig rascher und effizienter zu verwirklichen.

Kompetenzgrundlage:

In kompetenzrechtlicher Hinsicht stützt sich das vorgeschlagene Bundesverfassungsgesetz auf Art. 10 Abs. 1 Z 1 B‑VG („Bundesverfassung“).

Besonderer Teil

Zu Z 1 (Art. 14 Abs. 10):

Art. 14 des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 behielt die Aufteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern auf dem Gebiet des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens einem besonderen Bundesverfassungsgesetz vor. Ziel der Regierungsvorlage (730 d.B. IX. GP) eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 hinsichtlich des Schulwesens abgeändert wird, war es, diese Promesse einzulösen und die Kompetenzen des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Schulwesens einer Neuregelung zuzuführen. Zur Vorberatung dieser Regierungsvorlage setzte der Verfassungsausschuss einen Unterausschuss ein, der nach eingehender Beratung der Regierungsvorlage eine Reihe von Ergänzungen und Abänderungen des Gesetzentwurfes vorschlug, worüber dem Verfassungsausschuss am 16. Juli 1962 ein umfassender Bericht vorgelegt wurde. Zu den vom Unterausschuss vorgeschlagenen und vom Verfassungsausschuss übernommenen Abänderungen des Gesetzentwurfes gehörte auch die Einfügung eines in Art. I Z 1 der Regierungsvorlage noch nicht enthaltenen Art. 14 Abs. 10, der für bestimmte Angelegenheiten des Schulwesens eine Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen vorsah; das Gleiche sollte für die Genehmigung der in diesen Angelegenheiten abgeschlossenen Staatsverträge der im Art. 50 B‑VG bezeichneten Art gelten (siehe näher den AB 777 d.B. IX. GP).

In der 106. Sitzung des Nationalrates am 18. Juli 1962, in der der Bericht des Verfassungsausschusses zur Verhandlung gelangte, wurde von Vertretern der Regierungsfraktionen in ihren Debattenbeiträgen ausgeführt, dass durch den vorgeschlagenen Art. 14 Abs. 10 B‑VG „Zufallsmehrheiten der einfachen Gesetzgebung“ in den darin genannten Angelegenheiten ausgeschlossen werden sollten (siehe näher die Sten. Prot. des NR IX. GP, 4688 ff). Die Bestimmung fand in der Folge unverändert in das Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 hinsichtlich des Schulwesens abgeändert wird, BGBl. Nr. 215/1962, Eingang und steht – von durch das Kundmachungsreformgesetz 2004, BGBl. I Nr. 100/2003, erfolgten Anpassungen an die neue Rechtschreibung abgesehen – in dieser Fassung auch heute noch in Geltung.

Durch Art. 14 Abs. 10 B‑VG war eine im Zeitpunkt seiner Beschlussfassung rechtspolitisch für wünschenswert erachtete breite parlamentarische Mehrheit in den wichtigsten Angelegenheiten des Schulwesens gewährleistet. Auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 10 erster Satz B‑VG wurden vom Nationalrat in der Folge insbesondere beschlossen: das Bundes-Schulaufsichtsgesetz, BGBl. Nr. 240/1962, das Schulpflichtgesetz, BGBl. Nr. 241/1962, das Schulorganisationsgesetz, BGBl. Nr. 242/1962, und das Privatschulgesetz, BGBl. Nr. 244/1962, sowie deren Novellen; die Religionsunterrichtsgesetz-Novelle 1962, BGBl. Nr. 243, sowie die späteren Novellen zum Religionsunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 190/1949; die Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz-Novelle 1963, BGBl. Nr. 87, sowie die späteren Novellen zum Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, BGBl. Nr. 163/1955; das Schulzeitgesetz, BGBl. Nr. 193/1964; ferner Teile des mit der Kundmachung BGBl. Nr. 472/1986 wiederverlautbarten Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. Nr. 139/1974, des Schulunterrichtsgesetzes für Berufstätige, BGBl. I Nr. 33/1997, und des Akademien-Studiengesetzes 1999, BGBl. I Nr. 94, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 111/2004.

Im Einzelnen ist zu den in Art. 14 Abs. 10 erster Satz B‑VG genannten Angelegenheiten Folgendes zu bemerken:

1.      Angelegenheiten der Schulbehörden des Bundes in den Ländern und politischen Bezirken:

         Unter diesen Kompetenztatbestand fallen Regelungen, wie sie im Bundes-Schulaufsichtsgesetz, BGBl. Nr. 240/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 321/1975, enthalten sind. Dieses Bundesgesetz regelt in Ausführung der Art. 81a und 81b B‑VG insbesondere die Zuständigkeit der Schulbehörden des Bundes in den Ländern und politischen Bezirken sowie deren Organisation (Aufgaben der Präsidenten der Landesschulräte bzw. der Vorsitzenden der Bezirksschulräte, Grundsätze für die Zusammensetzung der Kollegien, Beratung und Beschlussfassung der Kollegien, Geschäftsordnung der Kollegien, Ämter, Schulinspektion, Aufwand der Schulbehörden).

2.      Angelegenheiten der Schulpflicht:

         Unter diesen Kompetenztatbestand fallen zunächst Regelungen, wie sie im Schulpflichtgesetz, BGBl. Nr. 241/1962 – mit der Kundmachung BGBl. Nr. 76/1985 wiederverlautbart als Schulpflichtgesetz 1985, dieses zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 57/2003 – enthalten waren. Zahlreiche weitere zu den Angelegenheiten der Schulpflicht gehörende Regelungen enthält insbesondere das Schulunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 472/1986, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 172/2004. Auch außerhalb der schulrechtlichen Vorschriften im engeren Sinn finden sich Regelungen, die eine Schulpflicht vorsehen und daher den Beschlusserfordernissen des Art. 14 Abs. 10 B‑VG unterliegen, wie zB in § 8b Abs. 22 des Berufsausbildungsgesetzes, BGBl. Nr. 142/1969, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 79/2003 (integrative Berufsausbildung).

3.      Angelegenheiten der Schulorganisation:

         Unter diesen Kompetenztatbestand fällt der Großteil der Regelungen, die den Beschlusserfordernissen des Art. 14 Abs. 10 B‑VG unterliegen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Regelungen, wie sie im Schulorganisationsgesetz, BGBl. Nr. 242/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 77/2001, enthalten sind. Zahlreiche weitere schulorganisationsrechtliche Bestimmungen enthalten insbesondere das Schulunterrichtsgesetz, das Bundesgesetz über die Berufsreifeprüfung, BGBl. I Nr. 68/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 52/2000, das Akademien-Studiengesetz 1999 sowie das Bundesgesetz über Schulen zur Ausbildung von Leibeserziehern und Sportlehrern, BGBl. Nr. 140/1974, zuletzt geändert durch die Kundmachung BGBl. I Nr. 76/1999. Als Beispiele für solche schulorganisationsrechtlichen Regelungen seien Regelungen über Prüfungskommissionen, Aufgaben der Lehrer, Lehrerkonferenzen und die Organisation der Schulpartnerschaft (Klassen- und Schulforum, Schulgemeinschaftsausschuss) genannt.

         Neben „Aufbau“, „Organisationsform“, „Errichtung“, „Erhaltung“, „Auflassung“, „Sprengel“ und „Klassenschülerzahlen“ zählt auch die Regelung der „Unterrichtszeit“ als Angelegenheit der „äußeren Organisation“ der Schulen zu den Angelegenheiten der Schulorganisation (vgl. Art. 14 Abs. 3 lit. b B‑VG). Solche Regelungen sind im Schulzeitgesetz 1985, BGBl. Nr. 77, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 45/1998, enthalten.

4.      Angelegenheiten der Privatschulen:

         Unter diesen Kompetenztatbestand fallen zunächst Regelungen, wie sie im Privatschulgesetz, BGBl. Nr. 244/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 75/2001, enthalten sind. Zahlreiche weitere Bestimmungen enthalten insbesondere das Schulunterrichtsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, BGBl. I Nr. 33/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 99/1999, und das Akademien-Studiengesetz 1999 (zB betreffend die Aufnahme in Privatschulen oder die Zusammensetzung von Gremien an Privatschulen).

5.      Angelegenheiten des Verhältnisses von Schule und Kirchen (Religionsgesellschaften) einschließlich des Religionsunterrichtes in der Schule:

         Unter diesen Kompetenztatbestand fallen Regelungen, wie sie im Gesetz vom 25. Mai 1868, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältniß der Schule zur Kirche erlassen werden, RGBl. Nr. 48, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 240/1962, enthalten sind. Dieses Gesetz ist durch das Erste Bundesrechtsbereinigungsgesetz, BGBl. I Nr. 191/1999, in seiner am 31. Dezember 1999 geltenden Fassung unbefristet weiter aufrechterhalten worden.

         Ebenfalls unter diesen Kompetenztatbestand fallen Regelungen, wie sie im Religionsunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 190/1949, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 256/1993, enthalten sind. Dieses Bundesgesetz regelt den Religionsunterricht für Angehörige der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften (nicht jedoch der staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften) in der Schule.

Von den dem Art. 14 Abs. 10 zweiter Satz B‑VG unterliegenden Staatsverträgen sind insbesondere der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlußprotokoll, BGBl. Nr. 273/1962, sowie der Zusatzvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Protokoll, BGBl. Nr. 289/1972, zu erwähnen, die das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und der Republik Österreich samt Zusatzprotokoll, BGBl. II Nr. 2/1934, ergänzen.

Zu Z 2 (Art. 14a Abs. 8):

Auf der Grundlage des Art. 14a Abs. 8 B‑VG wurden vom Nationalrat auf dem Gebiet des land- und forstwirtschaftlichen Schulwesens folgende Bundesgesetze beschlossen:

      das Bundesgesetz betreffend Grundsätze für die Organisation und den Wirkungsbereich der land- und forstwirtschaftlichen Schulbeiräte, BGBl. Nr. 317/1975,

      das Bundesgesetz betreffend die Grundsätze für land- und forstwirtschaftliche Berufsschulen, BGBl. Nr. 319/1975, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 648/1994,

      das Bundesgesetz betreffend die Grundsätze für land- und forstwirtschaftliche Fachschulen, BGBl. Nr. 320/1975, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 649/1994.

Zu Z 3 (Art. 151 Abs. 33):

Mit dem vorgeschlagenen Art. 151 Abs. 33 soll als Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens des Art. 14 Abs. 10 und des Art. 14a Abs. 8 B‑VG der Ablauf des Tages der Kundmachung des vorgeschlagenen Bundesverfassungsgesetzes im Bundesgesetzblatt festgesetzt werden.


Textgegenüberstellung

Geltende Fassung

Vorgeschlagene Fassung

Artikel 14.

(10) In den Angelegenheiten der Schulbehörden des Bundes in den Ländern und politischen Bezirken, der Schulpflicht, der Schulorganisation, der Privatschulen und des Verhältnisses von Schule und Kirchen (Religionsgesellschaften) einschließlich des Religionsunterrichtes in der Schule, soweit es sich nicht um Angelegenheiten der Hochschulen und Kunstakademien handelt, können Bundesgesetze vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Das Gleiche gilt für die Genehmigung der in diesen Angelegenheiten abgeschlossenen Staatsverträge der im Art. 50 bezeichneten Art.

Artikel 14.

(10) Entfällt

Artikel 14a.

(8) In den Angelegenheiten gemäß Abs. 4 können Bundesgesetze vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

Artikel 14a.

(8) Entfällt

Artikel 151.

Artikel 151.

(33) Art. 14 Abs. 10 und Art. 14a Abs. 8 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. xxx/2005 im Bundesgesetzblatt außer Kraft.