Vorblatt

Inhalt

Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, eine Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten einzuführen. Unter Verbänden versteht der Entwurf einerseits juristische Personen, andererseits auch bestimmte Gesellschaften, insbesondere Personenhandelsgesellschaften. Verbände sollen im Rahmen des gerichtlichen Strafverfahrens verurteilt werden können, wenn im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes von Personen, die für den Verband handeln, eine Straftat begangen worden ist. Während nach bisheriger Rechtslage nur gegen natürliche Personen ein Strafverfahren geführt werden kann, soll dies in Zukunft also auch gegen Verbände möglich sein.

Unmittelbarer Anlass für diese Systemänderung im österreichischen Strafrecht sind internationale Verpflichtungen, einerseits zahlreiche Rechtsakte der EU, andererseits völkerrechtliche Verpflichtungen.

Der Entwurf dient aber auch der Umsetzung des Regierungsprogramms der am 28.3.2003 angelobten Bundesregierung: Im Abschnitt „Justiz“ des Regierungsprogramms ist die Einführung einer „Strafbarkeit juristischer Personen“ vorgesehen.

Es wird vorgeschlagen, ein neues Bundesgesetz zu schaffen (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz).

Ein materiellrechtlicher Abschnitt enthält Bestimmungen insbesondere darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Verband für Straftaten verantwortlich werden kann, und über Sanktionen. Der Entwurf sieht vor, dass ein Verband grundsätzlich für jeden Deliktstypus verantwortlich sein kann, der im Besonderen Teil des StGB oder in den Nebengesetzen enthalten ist; offen bleibt lediglich die Anpassung des Finanzstrafgesetzes. Bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen folgt der Entwurf grundsätzlich dem Modell der EU-Rechtsakte, die zwischen zwei Grundfällen unterscheiden: einerseits die Begehung einer Straftat durch Entscheidungsträger, andererseits die Begehung durch Mitarbeiter bei mangelnder Überwachung oder Kontrolle. Über Verbände sollen Geldbußen verhängt werden, die in einem Tagessatzsystem an der Ertragslage des Verbandes zu bemessen sein sollen; es soll eine bedingte Nachsicht möglich sein. Große Bedeutung misst der Entwurf Weisungen bei, die das Gericht dem Verband auferlegen kann, um die Begehung weiterer strafbarer Handlungen hintan zu halten.

In einem weiteren Abschnitt enthält der Entwurf Sonderbestimmungen für das Verfahren gegen Verbände. Geregelt werden insbesondere die Zuständigkeit, die Vertretung von Verbänden, die Beschuldigtenvernehmung, einstweilige Verfügungen und die Diversion. Im Übrigen soll die Strafprozessordnung anwendbar sein.

Abweichend vom Individualstrafrecht, wo die Staatsanwaltschaft grundsätzlich zur Verfolgung verpflichtet ist, soll die Verfolgung von Verbänden unter bestimmten Determinierungen in das Ermessen des öffentlichen Anklägers gestellt und so eine flexible Handhabung des neuen Rechtsinstruments ermöglicht wird.

Weiters soll auch im Verfahren gegen Verbände Diversion möglich sein, also der Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht, gegen Erfüllung bestimmter Auflagen. Durch die große Bedeutung, die der Entwurf den Weisungen und der Diversion beimisst, wird im Verbandsverantwortlichkeitsrecht eine womöglich noch größere Bedeutung der Prävention als im Individualstrafrecht erreicht.

Schließlich ist zu erwarten, dass die Einführung der Verbandsverantwortlichkeit für Verbände, insbesondere Unternehmen, eine zusätzliche Motivation sein wird, umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um die Begehung von Taten durch ihre Mitarbeiter zu vermeiden. Der Entwurf geht von der Erwartung aus, dass der generalpräventive Effekt des Kriminalrechts bei Verbänden, insbesondere bei Unternehmen, deutlicher zu Tage treten wird als im Individualstrafrecht.

Alternativen

Die internationalen Verpflichtungen würden es zulassen, eine Verantwortlichkeit juristischer Personen für gerichtlich strafbare Handlungen nicht im gerichtlichen Strafrecht, sondern im Verwaltungsstrafrecht vorzusehen. Eine solche Lösung wäre aber weder verfassungskonform, noch scheint eine auch nur einigermaßen zweckmäßige und ökonomische Verfahrensgestaltung denkbar. Weitgehend die selben Problem treten auf, wollte man Verbände in einem Bußgeldverfahren ähnlich dem Kartellverfahren sanktionieren (zu all dem näher im Allgemeinen Teil der Erläuterungen, Abschnitt D.).

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich

Einerseits ist einzuräumen, dass die – wegen schwerwiegender Straftaten mögliche – Verhängung von hohen Geldbußen einzelne Unternehmen unter Umständen empfindlich treffen können.

Andererseits ist davon auszugehen, dass der vorliegende Entwurf einen starken Anreiz für Unternehmen darstellt, Gefährdungspotentialen im Rahmen des Betriebes noch mehr Aufmerksamkeit als bisher zu schenken und technische, organisatorische, personelle oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Verwirklichung strafgesetzwidriger Erfolge im Rahmen des Betriebes möglichst zu vermeiden („Compliance“-Programme, Risikomanagement). Die Erfahrung in anderen Ländern hat gezeigt, dass solche Maßnahmen letztlich zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens führen.

Insgesamt sollte der vorliegende Entwurf daher zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Unternehmen und damit zu einer Stärkung des Wirtschaftsstandortes beitragen.

Finanzielle Auswirkungen

Dass Strafverfahren nun auch gegen Verbände geführt werden können, birgt das Potential eines Mehraufwandes im Bereich der Sicherheits- und Justizbehörden in sich. Allerdings sieht der Entwurf vor, dass Strafverfahren gegen natürliche Personen und gegen Verbände wegen derselben Straftaten grundsätzlich gemeinsam zu führen sind. Es wird daher in den meisten Fällen das Verfahren nur gegen einen zusätzlichen Beschuldigten, nämlich den „beteiligten Verband“, zu führen sein; dass ein gänzlich „neues“ Strafverfahren entsteht, das ohne die Einführung der Verantwortlichkeit von Verbänden überhaupt nicht geführt worden wäre, dazu wird es nur selten kommen.

Diesem – kaum quantifizierbaren – Mehraufwand steht ein Potential an Mehreinnahmen durch Geldbußen sowie durch im Rahmen der Diversion gezahlte Geldbeträge gegenüber, die in ihrer Höhe ebenso wenig prognostizierbar sind wie die Zahl der Verfahren, in denen ein Verband verfolgt werden wird.

Insgesamt ist zu erwarten, dass die Mehreinnahmen die Aufwendungen übersteigen werden.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Der Entwurf dient der Umsetzung folgender bereits verabschiedeter Rechtsakte:

-          Zweites Protokoll vom 19.6.1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1997 C 221, 11);

-          Gemeinsame Maßnahme vom 21.12.1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 1998 L 351, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 28.5.2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (ABl. 2000 L 140, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 28.5.2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (ABl. 2001 L 149, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002 L 164, 3);

-          Rahmenbeschluss vom 19.7.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (ABl. 2002 L 203, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 28.11.2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (ABl. 2002 L 328, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 27.1.2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (ABl. 2003 L 29, 55);

-          Rahmenbeschluss vom 22.7.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (ABl. 2003 L 192, 54);

-          Rahmenbeschluss vom 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (ABl. 2004 L 13, 44);

-          Rahmenbeschluss vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. 2004 L 335, 8);

-          Rahmenbeschluss vom 24.2.2005 über Angriffe auf Informationssysteme (ABl. 2005 L 68, 67);

-          Richtlinie 2003/6/EG vom 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) – ABl. 2003 L 96, 16.

Darüber hinaus stehen Vorschläge zu weiteren Rechtsakten in Verhandlung, die ebenfalls eine Verpflichtung enthalten, juristische Personen verantwortlich zu machen (siehe im Einzelnen im Allgemeinen Teil der Erläuterungen, A.1.).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Keine.


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

A. Zwischenstaatliche Verpflichtungen

Eine große Zahl von zwischenstaatlichen Rechtsakten verpflichtet die Mitglied- oder Vertragsstaaten, eine Verantwortlichkeit juristischer Personen für bestimmte Straftaten vorzusehen.

1. Rechtsakte der EU

1.1. Der erste Rechtsakt, der eine solche Verpflichtung vorsieht, ist das Zweite Protokoll vom 19.6.1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1997 C 221, 11). Die zentralen Bestimmungen (Art. 3 Abs. 1 und 2) lauten:

„(1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine juristische Person für den Betrug, die Bestechung und die Geldwäsche, die zu ihren Gunsten von einer Person begangen werden, die entweder allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und die eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person auf Grund

-  der Befugnis zur Vertretung der juristischen Person oder

-  der Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder

-  einer Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person

innehat, sowie für die Beihilfe oder Anstiftung zu einem solchen Betrug, einer solchen Bestechung oder einer solchen Geldwäsche oder für die versuchte Begehung eines solchen Betrugs verantwortlich gemacht werden kann.

(2) Neben den in Absatz 1 vorgesehenen Fällen trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine juristische Person verantwortlich gemacht werden kann, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle seitens einer der in Absatz 1 genannten Personen die Begehung eines Betrugs, einer Bestechungshandlung oder einer Geldwäschehandlung durch eine dieser unterstellten Person zu Gunsten der juristischen Person ermöglicht hat.“

Für den Fall der Begehung des Delikts durch eine Person in Führungsposition (Art. 3 Abs. 1) sind gegen juristische Personen nach Art. 4 Abs. 1 „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“ vorzusehen (dazu unten 1.4.), die jedenfalls „strafrechtliche oder nicht strafrechtliche Geldsanktionen“ umfassen müssen; fakultativ werden weitere Sanktionen angeführt, nämlich der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, das vorübergehende oder ständige Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit, die richterliche Aufsicht und die richterlich angeordnete Auflösung. Für die in Art. 3 Abs. 2 angeführten Fälle der mangelnden Überwachung oder Kontrolle sind nach Art. 4 Abs. 2 „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen oder Maßnahmen“ vorzusehen.

Zur Frage, was unter einer juristischen Person im einzelnen zu verstehen ist, verweist das Zweite Protokoll grundsätzlich auf das innerstaatliche Recht (Art. 1 lit. d).

Das Protokoll enthält eine Sonderbestimmung, die Österreich eine Frist von fünf Jahren einräumt, eine Verantwortlichkeit juristischer Personen vorzusehen. Diese Frist ist am 19.6.2002 abgelaufen.

Zwölf der fünfzehn „alten“ Mitgliedstaaten sowie vier der zehn „neuen“ haben das Protokoll bisher ratifiziert; Österreich ist daher unter den letzten „alten“ Mitgliedstaaten, die das Protokoll noch nicht ratifiziert haben. Es ist beabsichtigt, die Ratifizierung zeitnah mit der Einbringung dieses Gesetzesvorschlages einzuleiten.

1.2. Neben dem „Zweiten Protokoll“ hat der Rat im Bereich der Justizzusammenarbeit (Titel VI EUV) folgende weitere Rechtsakte verabschiedet, die eine Rechtsangleichung für bestimmte Straftatbestände und eine Verantwortlichkeit von juristischen Personen für diese vorsehen:

-          Gemeinsame Maßnahme vom 21.12.1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 1998 L 351, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 28.5.2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (ABl. 2000 L 140, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 28.5.2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (ABl. 2001 L 149, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002 L 164, 3);

-          Rahmenbeschluss vom 19.7.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (ABl. 2002 L 203, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 28.11.2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt (ABl. 2002 L 328, 1);

-          Rahmenbeschluss vom 27.1.2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (ABl. 2003 L 29, 55);

-          Rahmenbeschluss vom 22.7.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (ABl. 2003 L 192, 54);

-          Rahmenbeschluss vom 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (ABl. 2004 L 13, 44);

-          Rahmenbeschluss vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. 2004 L 335, 8);

-          Rahmenbeschluss vom 24.2.2005 über Angriffe auf Informationssysteme (ABl. 2005 L 68, 67).

Darüber hinaus liegen Vorschläge zu Rechtsakten in folgenden Kriminalitätsbereichen vor, die ebenfalls eine Verpflichtung enthalten, juristische Personen verantwortlich zu machen:

-          Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren;

-          Betrug, Korruption und Geldwäsche zum Nachteil der Gemeinschaften;

-          Rassismus und Fremdenfeindlichkeit;

-          Handel mit menschlichen Organen und Geweben;

-          Meeresverschmutzung durch Schiffe.

1.3. Die die Verantwortlichkeit von juristischen Personen betreffenden Bestimmungen lauten in den meisten angeführten EU-Rechtsakten weitgehend gleich.

Eine wesentliche Abweichung findet sich im Rahmenbeschluss vom 19.7.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels: Dort sind auch für den zweiten Fall (mangelnde Überwachung oder Kontrolle) dieselben Sanktionen vorgesehen wie in den anderen Rechtsakten für den ersten Fall (Begehung durch die Person in Führungsposition), sodass im Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses für mangelnde Überwachung und Kontrolle bloße "Maßnahmen" unzureichend sind.

Besonderheiten enthält auch der Rahmenbeschluss gegen Meeresverschmutzung durch Schiffe, dessen Inhalt zwar bereits weitgehend feststeht, den der Rat der EU allerdings noch nicht formell angenommen hat: Für die nach diesem Rechtsakt vorzusehenden Straftaten ist im ersten Fall der Verantwortlichkeit (Begehung des Delikts durch eine Person in Führungsposition) eine Höchststrafe von mindestens 150.000 € bis 300.000 € vorzusehen, in bestimmten besonders schweren Fällen von mindestens 750.000 € bis 1.500.000 €. Es wird den Mitgliedstaaten ausdrücklich freigestellt, die Berechnung der über die juristische Person zu verhängende Geldsanktion „proportional zum Umsatz, zum erzielten oder erhofften finanziellen Vorteil aus der Tat oder zu einem anderen Bezugswert“ vorzusehen, wenn sichergestellt ist, dass dabei Geldsanktionen auferlegt werden können, deren Höchstmaß den genannten Mindestbeträgen „wenigstens gleichwertig“ ist.

1.4. Die angeführten Rechtsakte verpflichten zur Einführung „wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen“. Diesen Begriff hat der Gesetzgeber der EU aus dem Gemeinschaftsrecht übernommen. Dort wurde er vom EuGH erstmals in einem Urteil im Jahr 1989 verwendet (EuGH 21.9.1989, 68/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 2965, Rz 23 f): Aus Art. 10 EGV ergebe sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten; dabei müssen die Mitgliedstaaten insbesondere darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht unter ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Bedingungen geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, und die Sanktionen müssen jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Die Verpflichtung zu wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ist seither einerseits in zahlreiche Gemeinschaftsrechtsakte (Richtlinien und Verordnungen) aufgenommen worden. Andererseits hat der EuGH seinen Rechtssatz in mehreren Urteilen bekräftigt (zuletzt 16.10.2003, C-91/02 Hannl + Hofstetter Internationale Spedition, Rz 17) und präzisiert. So hat der EuGH im nationalen Recht vorgesehene Sanktionen als nicht oder kaum abschreckend qualifiziert, weil die Sanktion auf eine Schadenersatzzahlung angerechnet werden (EuGH 8.6.1994, C-382/92 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2435, Rz 55 ff) oder an die Stelle eines anderen zivilrechtlichen Anspruchs treten kann (EuGH 8.6.1994, C-383/92 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg 1994, I-2479, Rz 40 ff). Die drei Begriffe werden in der Judikatur des EuGH nicht streng voneinander abgegrenzt; hervorzuheben ist, dass das Kriterium der Verhältnismäßigkeit nicht mit dem allgemeinen (gemeinschaftsrechtlichen) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (im Sinn eines Übermaßverbotes) gleichgesetzt werden darf, sondern vielmehr eher in Richtung eines „Untermaßverbotes“ zu verstehen ist (zu all dem vgl. Zeder in Mayer, EUV/EGV, Art. 280 EGV Rz 39 ff).

1.5. Hinzuweisen ist schließlich auch auf die Richtlinie 2003/6/EG vom 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch; ABl. 2003 L 96, 16), die zwar – mangels Strafrechtskompetenz der Gemeinschaft – keine ausdrückliche Pflicht zur Schaffung von Straftatbeständen enthält, aber eine Sanktionierungspflicht für Verstöße gegen die Richtlinie sowohl durch natürliche als auch durch juristische Personen. Wenn daher ein Mitgliedstaat einen Straftatbestand gegen Missbrauch von Insiderinformationen eingeführt hat, wie Österreich in § 48b BörseG (idF BGBl. I Nr. 127/2004), so muss dieser Tatbestand auch auf juristische Personen anwendbar sein.

2. Rechtsakte außerhalb der EU

Das im Rahmen der OECD geschlossene Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (BGBl III Nr.176/1999) sieht eine Verantwortlichkeit juristischer Personen für (aktive) Bestechung ausländischer Amtsträger vor. Grundsätzlich sind Kriminalstrafen vorzusehen; kennt ein Staat eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen nicht, so muss er zwar eine solche auch für Bestechung ausländischer Amtsträger nicht einführen, hat aber „wirksame, angemessene und abschreckende nichtstrafrechtliche Sanktionen einschließlich Geldsanktionen“ vorzusehen. Bei den von der OECD-Arbeitsgruppe durchgeführten Evaluierungen der von den Vertragsstaaten ergriffenen Maßnahmen wird besonderes Gewicht auf die Prüfung der Frage gelegt, ob die angedrohten (sowie die tatsächlich verhängten) Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sind. Österreich wurde bei seiner Evaluierung wegen der mangelnden Möglichkeit, juristische Personen zu sanktionieren, kritisiert und wird seither regelmäßig zur Behebung des Mangels gedrängt.

Auch drei im Rahmen des Europarats abgeschlossene Übereinkommen sehen eine Verantwortlichkeit juristischer Personen vor: Das Übereinkommen vom 4.11.1998 über den Schutz der Umwelt durch Strafrecht (ETS 172), das Cyber-Crime-Übereinkommen vom 23.11.2001 (ETS 185) und das Strafrechts-Korruptionsübereinkommen vom 27.1.1999 (ETS 173). Die beiden zuletzt genannten übernehmen weitgehend die oben wiedergegebenen Formulierungen der EU-Rechtsakte. Ähnliche Bestimmungen enthalten auch drei weitere Europarats-Übereinkommen, die am 16.5.2005 zur Unterzeichnung aufgelegt und (unter anderen Staaten) von Österreich unterzeichnet wurden: gegen Menschenhandel, über Terrorismusvorbeugung und gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Alle Europarats-Übereinkommen lassen im Ergebnis den Vertragsstaaten die Wahl zwischen straf-, verwaltungsstraf- oder zivilrechtliche Maßnahmen.

Empfehlung 2.a) der 40 Empfehlungen der FATF (Financial Action Task Force – Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäsche, siehe www.fatf-gafi.org) – Neufassung vom 20.6.2003 – sieht vor, dass juristische Personen (für Geldwäsche) strafrechtlich verantwortlich sein sollen – nur wo dies nicht möglich ist, genügt auch verwaltungs- oder zivilrechtliche Verantwortlichkeit. Die Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein.

Schließlich schreibt auch das im Rahmen der UN ausgearbeitete Übereinkommen gegen transnationale organisierte Kriminalität eine Verantwortlichkeit juristischer Personen vor; es wird die Wahl zwischen straf-, verwaltungsstraf- und zivilrechtlichen Sanktionen offen gelassen, so lange diese verhältnismäßig und abschreckend sind und Geldsanktionen umfassen. Ähnliche Bestimmungen enthalten auch das UN-Übereinkommen vom 10.1.2000 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (BGBl. III Nr. 102/2002) und das UN-Korruptionsübereinkommen.

3. Zu erfassende Deliktsgruppen und Tatbestände

Die dargestellten zwischenstaatlichen Rechtsakte (einschließlich jener, die noch in Vorbereitung sind) verpflichten, eine Verantwortlichkeit juristischer Personen für eine große Zahl von gerichtlichen Straftatbeständen vorzusehen (ca. 85 im Strafgesetzbuch und ca. 15 in Nebengesetzen), insbesondere für folgende Tatbestände und Deliktsgruppen: Zahlreiche Vermögensdelikte (Diebstahl, Betrug, Hehlerei, Computerdelikte, Untreue, Geschenkannahme durch Machthaber, Subventionsmissbrauch, Geldwäsche, Absprachen im Vergabeverfahren), Korruptions-, Umwelt-, Urkunden- und Geldfälschungsdelikte, Fälschung und Missbrauch von unbaren Zahlungsmitteln, kriminelle und terroristische Organisation sowie Terrorismusfinanzierung, einzelne Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Sexualstraftaten, Beleidigung und Geheimnisverletzungen (Computer und Telekommunikation) sowie Verhetzung, schließlich auch Tatbestände im Nebenstrafrecht (Ausfuhrerstattungsgesetz, Börsegesetz,  Finanzstrafgesetz, Fremdengesetz, Kriegsmaterialgesetz, Suchtmittelgesetz, Urheberrechtsgesetz, Verbotsgesetz, Waffengesetz, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb). In Zukunft ist damit zu rechnen, dass die Liste weiter anwachsen wird.

B. Stand der Gesetzgebung in Europa

1. Europäische Staaten

Anders als in den Staaten des angelsächsischen Rechtskreises, war die Bestrafung juristischer Personen bis vor kurzem in den kontinentaleuropäischen Staaten weithin unbekannt, sieht man von den Niederlanden ab, die bereits 1950 für einzelne Delikte und 1976 uneingeschränkt eine Strafbarkeit juristischer Personen einführten. Erst in den letzten Jahren hat sich eine breite Tendenz ergeben, eine Verantwortlichkeit juristischer Personen einzuführen: Portugal (1984), Schweden (1986), Norwegen (1991), Island (1993), Frankreich (1994), Finnland (1995), Spanien (1995), Dänemark (1996), Belgien (1999), Slowenien (1999), Italien (2000/2001), Griechenland (2001), Ungarn (2001), Estland (2001), Polen (2002), Malta (2002), Kroatien (2003), die Schweiz (2003) und Litauen (2003) haben entsprechende Gesetze erlassen; in Luxemburg, Tschechien, der Slowakei und in Lettland sind diesbezügliche Bestimmungen in Vorbereitung, sodass davon ausgegangen werden kann, dass binnen kurzem alle EU-Mitgliedstaaten eine Verantwortlichkeit juristischer Personen vorsehen werden.

In fast allen angeführten Staaten ist die Verantwortlichkeit juristischer Personen im gerichtlichen Strafrecht verankert. Vor dem Hintergrund der in Österreich bestehenden Zweispurigkeit (gerichtliches Strafverfahren und Verwaltungsstrafverfahren) kann lediglich die in Griechenland bestehende Regelung als eindeutig verwaltungsrechtlich angesprochen werden. In einigen Staaten bestehen Modelle, die keine klare Zuordnung zulassen: Deutschland, Italien und Spanien. In Deutschland werden juristische Personen seit 1968 im Ordnungswidrigkeitenrecht sanktioniert (§ 30 dOWiG; vgl. auch §§ 9, 130 dOWiG); Bestrebungen, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit einzuführen, haben sich letztlich nicht durchgesetzt: Die Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionenrechts lehnte – auf der Grundlage der Ergebnisse einer von ihr eingesetzten Arbeitsgruppe „Unternehmensstrafbarkeit“ – die Einführung einer Unternehmenssanktionierung im Bereich des klassischen Kriminalstrafrechts ab (näher zum deutschen Modell unten D.4.).

2. Das EG-Kartellstrafrecht

Zur Abrundung des Bildes ist ein Hinweis auf das EG-Kartellrecht unerlässlich. Der Kommission wurde vom Rat - gegründet auf Art. 81 ff EGV - durch die Verordnung 17/62 (ABl. 1962 L 13, 204) die umfassende Kompetenz eingeräumt, bei kartellrechtlichen Verstößen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Sanktionen zu verhängen. Von der Kommission erlassene Durchführungsbestimmungen (z.B. Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen: ABl. 1996 C 207, 4, nunmehr: Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen: ABl. 2002 C 45, 3; Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen: ABl. 1998 C 9, 3) und die Judikatur des EuGH haben zu einer hohen Normdichte geführt, sodass von einem (nicht kriminalstrafrechtlichen) „Kartellstrafrecht“ gesprochen werden kann, das sich aus den kartellrechtlichen Tatbeständen und allgemeinen Regeln zusammensetzt; letztere sind den als „Allgemeiner Teil“ des gerichtlichen Strafrechts bezeichneten Bestimmungen durchaus vergleichbar (vgl Dannecker in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Kommentar Bd II [1997] VO 17 Art 15, insb Rz 68 ff; instruktiv auch der kurze Abriss von Dannecker in Alwart (Hrsg), Verantwortung und Steuerung von Unternehmen in der Marktwirtschaft [1998] 18).

Unternehmen werden als handlungsfähig behandelt, indem ihnen grundsätzlich das Verhalten aller natürlichen Personen zugerechnet wird, die für das Unternehmen handeln. Kommission und EuGH gehen von einer eigenen Schuldfähigkeit des Unternehmens aus. Nach Art 15 Abs 2 VO 17/62 kann die Geldbuße bis zu 10 % des Vorjahresumsatzes betragen; seit 1979 schöpft die Kommission diese Ermächtigung aus und verhängt hohe Bußgelder, zu deren Bemessung der Vorjahresumsatz als Ausgangsgröße herangezogen wird (vgl. Entscheidung der Kommission im Fall Pioneer 14.12.1979, ABl. 1980 L 60, 21; Urteil des EuGH Pioneer, Slg. 1983, 1825).

Die Bestimmungen der VO 17/62 sind mit 1.5.2004 durch jene der VO 1/2003 (ABl. 2003 L 1, 1) ersetzt worden, die aber hinsichtlich der hier dargestellten Grundzüge keine wesentlichen Neuerungen bringen (die Geldbuße bis zu 10 % des Gesamtumsatzes ist in Art. 23 Abs. 2 der VO 1/2003 geregelt).

C. Rechtslage und Diskussionsstand in Österreich

1. Zwei Bestimmungen im Nebenstrafrecht haben schon seit Langem die Möglichkeit vorgesehen, im Strafrecht eine Sanktion direkt gegen ein Unternehmen bzw. eine juristische Person zu verhängen: Die eine, § 137 KartellG, ist kürzlich aufgehoben und durch ein Geldbußensystem ersetzt worden (vgl. BGBl. I Nr. 62/2002). Die andere ist § 19 Abs. 2 UWG, der die Verhängung von Geldstrafen über den Inhaber eines Unternehmens, der eine Gesellschaft oder eine juristische Person ist, für den Fall vorsieht, dass der Inhaber des Unternehmens vorsätzlich bestimmte im Betrieb begangene strafbare Handlungen nicht hindert; die in Betracht kommenden strafbaren Handlungen sind jene des UWG, also Irreführung (§ 4), Bestechung (§ 10) und Verletzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§§ 11, 12). Praktische Bedeutung haben beide Bestimmungen aber nicht erlangt (die Bestimmungen des UWG schon deshalb nicht, weil sie als Privatanklagedelikte ausgestaltet sind).

Abgesehen davon kennt das geltende österreichische Recht einerseits in einzelnen Gesetzen des Nebenstrafrechts eine Haftung juristischer Personen (teils auch von Personengesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit) für Geldstrafen (teils auch für Verfalls-, Wertersatzstrafen usw.), die gegen natürliche Personen verhängt wurden (§ 28 FinStrG, § 35 MedienG, § 69 LMG bzw. zukünftig § 86 LMSVG, § 159 Abs. 3 PatG, § 60 Abs. 4 und § 68h Abs. 4 MarkenSchG, § 22 Abs. 3 HlSchG, § 35 Abs. 3 MusterSchG, § 42 Abs. 3 GMG; die Bestimmung des alten § 30 DevG wurde in das DevG 2004 nicht übernommen). Die Bestimmungen sind übrigens durchaus unterschiedlich ausgestaltet: Während das Mediengesetz und die Gesetze aus dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes die Haftung ohne weitere Einschränkungen vorsehen, konnte sich der Betriebsinhaber nach § 30 DevG von der Haftung befreien, wenn er nachwies, dass er die im Verkehr übliche Sorgfalt zur Verhütung der strafbaren Handlung angewendet hatte; nach § 69 LMG (bzw. § 86 LMSVG) besteht keine Haftung, wenn die verurteilte natürliche Person die strafbare Handlung nicht im Rahmen der dienstlichen Obliegenheiten des Betriebes begangen hat. Nach § 41 Abs. 6 MedienG ist der Medieninhaber (Verleger), nach § 69 Abs. 2 LMG der Betriebsinhaber zur Hauptverhandlung zu laden; wenn sie daran teilnehmen, stehen ihnen weitgehende Verteidigungsrechte zu.

Andererseits kann nach § 20 Abs. 4 StGB auch gegen juristische Personen eine Abschöpfung der Bereicherung ausgesprochen werden, wenn diese durch die Straftat eines anderen (d.h. einer natürlichen Person) oder durch einen für die Begehung einer solchen zugewendeten Vermögensvorteil unmittelbar bereichert worden ist.

Weder die Haftung juristischer Personen für gegen natürliche Personen verhängte Geldstrafen, noch die Abschöpfung der Bereicherung können aber den oben dargestellten zwischenstaatlichen Verpflichtungen auch nur annähernd gerecht werden. Die Abschöpfung der Bereicherung beschränkt sich auf die Wegnahme des durch die strafbare Handlung erlangten Vorteils; sie ist daher keine Sanktion und hat daher auch keine ausreichende präventive Wirkung. Die Haftung für Geldstrafen greift einerseits zu kurz, weil die Höhe der Geldstrafe an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer natürlichen Person bemessen wird und daher die juristische Person in den meisten Fällen kaum ausreichend treffen wird; andererseits kann sie aber auch ungerecht sein, weil sie eine juristische Person treffen kann, der in Zusammenhang mit der strafbaren Handlung kein Vorwurf gemacht werden kann, also auf eine Erfolgshaftung hinausläuft.

Im Bereich des Verwaltungsstrafrechts ist vorgesehen, dass für den Verstoß gegen eine Verwaltungsnorm, die sich an eine juristische Person, an eine Personengesellschaft oder eine eingetragene Erwerbsgesellschaft richtet, die zur Vertretung nach außen berufenen natürlichen Personen zu bestrafen sind (§ 9 VStG); diese können die Verantwortung für bestimmte Unternehmensbereiche an andere Personen delegieren („verantwortliche Beauftragte“). Die juristische Person oder die Gesellschaft haftet für Geldstrafen, die gegen zur Vertretung Berufene oder verantwortliche Beauftragte verhängt wurden. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen ist also auch dem Verwaltungsstrafrecht fremd.

2. Unter dem Eindruck der internationalen Entwicklung und des daraus entstehenden Umsetzungsbedarfs hat sich in Österreich in den letzten Jahren eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema entwickelt: Den Anfang machte Heine mit einem Vortrag in der Österreichischen Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie am 19.10.1995 (Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen: Internationale Entwicklung - nationale Konsequenzen, ÖJZ 1996, 211; Bericht über die Diskussion im Anschluss an den Vortrag: Schütz, ÖJZ 1996, 219). Nachdem sich Bertel bei der Richterwoche im Mai 1996 skeptisch geäußert hatte (Bertel, Strafen für juristische Personen, in Schriftenreihe des BMJ Nr. 82, 215), plädierte wieder Heine auf einer Tagung in Graz im November 1998 für die Einführung einer Strafbarkeit juristischer Personen (Heine, Unternehmen, Strafrecht und europäische Entwicklungen, ÖJZ 2000, 871; Tagungsbericht von Löschnig-Gspandl, ÖJZ 2000, 888). Bei der Richterwoche im Mai 2000 bot Löschnig-Gspandl einen umfassenden Überblick über die Problematik und eröffnete Perspektiven einer Umsetzung (Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Haftung juristischer Personen, in Schriftenreihe des BMJ Nr. 104, 157). Auf einer weiteren Veranstaltung in Graz im November 2000 hielt Dannecker das Hauptreferat (Veranstaltungsbericht von Löschnig-Gspandl, ÖJZ 2001, 427; vgl. auch Dannecker, Zur Notwendigkeit der Einführung kriminalrechtlicher Sanktionen gegen Verbände – Überlegungen zu den Anforderungen und zur Ausgestaltung eines Verbandsstrafrechts, GA 2001, 101).

Um eine fokussierte wissenschaftliche Diskussion im Vorfeld des Begutachtungsverfahrens zu ermöglichen und damit auch die politische Willensbildung vorzubereiten, hat der zuständige Referent im Bundesministerium für Justiz im Mai 2001 in der Österreichischen Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie ein konkretes Modell vorgestellt und im September 2001 auch schriftlich veröffentlicht (Zeder, Ein Strafrecht juristischer Personen: Grundzüge einer Regelung in Österreich, ÖJZ 2001, 630; Bericht über die Diskussion im Anschluss an den Vortrag: Köck, ÖJZ 2001, 642).

Etwa zur gleichen Zeit erschien zum einen die in Österreich erste Monografie zum Thema: Lewisch/Parker, Strafbarkeit der juristischen Person? Die Unternehmensstrafe in rechtspolitischer und rechtsdogmatischer Analyse (2001), stellen sämtliche für die Einführung einer Kriminalstrafe angeführten Argumente als unzutreffend dar; als Alternative können sie sich die Einführung von Bußgeldern vorstellen, wobei sie deren Verhängung durch Verwaltungsbehörden, durch Zivilgerichte und auch durch Strafgerichte grundsätzlich für denkbar halten. Zum anderen wurde eine Dissertation fertiggestellt (Bauer, Fragen der Verbandsstrafbarkeit. Überlegungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von juristischen Personen und Personengesellschaften als Unternehmensträger unter besonderer Berücksichtigung der betrieblichen Umweltkriminalität, 2003).

Löschnig-Gspandl, Zur Bestrafung juristischer Personen, ÖJZ 2002, 241, stellte die kriminalpolitische Notwendigkeit einer umfassenden Lösung im Kriminalstrafrecht fest und begrüßte den von Zeder vorgestellten Entwurf zwar grundsätzlich, kritisierte aber einzelne Elemente darin als zu wenig weitgehend. Venier, Eine Alternative zu einem Strafverfahren gegen juristische Personen, ÖJZ 2002, 718, trat dafür ein, ein Bußgeldverfahren ähnlich dem kürzlich im Kartellgesetz geschaffenen einzuführen. Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Verbänden, JBl 2003, 496, befasste sich mit prozessualen Aspekten der Strafbarkeit von Verbänden. Löschnig-Gspandl, Die Strafbarkeit von Unternehmen, in: BMJ (Hg), Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 31 (2003), 187, beleuchtete eingehend verfassungsrechtliche Fragen und materiellrechtliche Voraussetzungen. Beiträge zum aktuellen Diskussionsstand und insbesondere eine Darstellung des im BMJ vorbereiteten Entwurfs (dazu im nächsten Abschnitt) sind enthalten in Hochreiter (Hg.), Bestrafung von Unternehmen. Tagungsband. Informationen zur Umweltpolitik Nr. 157 (2003). Mit der Vereinbarkeit einer Verantwortlichkeit von juristischen Personen mit dem Schuldgrundsatz hat sich Moos in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, StGB-Kommentar, § 4 Rz 37 – 53, = Moos, Die Strafbarkeit juristischer Personen und der Schuldgrundsatz, RZ 2004, 98, ausführlich befasst. Wilhelm hat eine Umsetzung im Rahmen des Zivilrechts befürwortet (Wilhelm, Unternehmen strafen – wie geht das? Editorial in ecolex 2004, 153). Mit den möglichen Sanktionen befasste sich Bauer (Neue strafrechtliche Sanktionen gegen juristische Personen, ÖJZ 2004, 491).

Eine neue Qualität hat die wissenschaftliche Debatte durch die Fertigstellung der Habilitationsschrift von Löschnig-Gspandl erreicht (Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden mit Rechtspersönlichkeit in Österreich, Graz 2003; Publikation als Hilf, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen und Verbänden mit Rechtspersönlichkeit in Österreich, in der von Dannecker/Höpfel/Schwarzenegger herausgegebenen Schriftenreihe „Sanktionenrecht in Europa“ in Vorbereitung). Auf die Darstellungen und Vorschläge dieses Werks wird im Folgenden noch öfter zurückzukommen sein.

3. Die oben erwähnten zwischenstaatlichen Rechtsakte stellen es den Staaten grundsätzlich frei, ob sie die Verantwortlichkeit juristischer Personen im Bereich des gerichtlichen Strafrechts ansiedeln oder sich auf verwaltungsrechtliche Sanktionen beschränken. Da (wie soeben angedeutet) in der Wissenschaft, vor allem aber auf politischer Ebene (insbesondere von Vertretern der Wirtschaft) die Forderung erhoben worden ist, die Umsetzung in Österreich im Verwaltungsrecht vorzunehmen, schien es angezeigt zu untersuchen, ob dies ein gangbarer Weg sei.

Zu diesem Zweck haben die Parlamentsklubs der beiden Regierungsparteien ÖVP und FPÖ am 5.6.2002 eine Enquete veranstaltet. Unter dem Vorsitz von Präs.d.OGH i.R. Prof. Dr. Herbert Steininger hielten zunächst. Prof. Dr. Mark Pieth (Universität Basel; Vorsitzender der OECD-Arbeitsgruppe „Bribery in International Business Transactions“, die das OECD-Korruptions-Übereinkommen ausgearbeitet hat und dessen Umsetzung durch die Mitgliedstaaten überwacht), Prof. Dr. Christoph Grabenwarter (Universität Bonn, nunmehr Universität Graz) und Prof. Dr. Helmut Fuchs (Universität Wien) Impulsreferate. An der Veranstaltung nahmen neben mehreren Abgeordneten zum Nationalrat zahlreiche Vertreter der Wissenschaft (Prof. Dr. Burgstaller, Prof. Dr. Schick, Prof. Dr. Höpfel, Prof. Dr. Medigovic, Doz. Dr. Lewisch, Ass.Prof. Dr. Löschnig-Gspandl), Vertreter der Richtervereinigung (Dr. Aistleitner), des UVS Wien (Dr. Wilfert), der Wirtschaftskammer Österreich (DDr. Kopetzky) und der Industriellenvereinigung (Mag. Mara) sowie der Bundesminister für Justiz Dr. Böhmdorfer und mehrere Beamte des BMJ teil.

Prof. Pieth betonte, dass auf internationaler Ebene der Druck zur Einführung einer Verantwortlichkeit juristischer Personen ständig zunehme. Im OECD-Übereinkommen sei zwar nicht zwingend vorgegeben, ob die Umsetzung im gerichtlichen Strafrecht oder im Verwaltungsstrafrecht erfolgt; von Seiten der OECD würden jedoch nur Geldbußen in Höhe von mehreren Millionen Euro als glaubwürdig und funktional äquivalent angesehen. Unumgänglich sei die Einschaltung der Staatsanwaltschaft und der Strafgerichte, weil nur so gewährleistet sei, dass die erforderlichen Ermittlungsbefugnisse zur Verfügung stehen und Rechtshilfe geleistet werden kann. Im Rahmen des Monitorings der Umsetzung des Übereinkommens seien bereits mehrere Staaten gezwungen worden, ihre im Lichte dieser Kriterien unzureichenden Gesetze zu ändern. Ein einheitlich hohes Niveau der Umsetzung in allen Staaten sie nicht zuletzt auch deshalb anzustreben, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Der Schweizer Bundesrat habe 1998 – im Zuge der Totalrevision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches – eine strafrechtliche Haftung von Unternehmen vorgeschlagen. Die Entscheidung gegen eine Verankerung im Verwaltungsstrafrecht sei deshalb gefallen, weil dieses zu wertneutral sei. Das Schweizer Parlament habe diesen Vorschlag im Grundsatz bereits gebilligt; es habe den Vorschlag des Bundesrates insofern verschärft, als für bestimmte Deliktsbereiche von der vorgeschlagenen Subsidiarität der strafrechtlichen Haftung der juristischen Person abgegangen und eine primäre Verantwortlichkeit beschlossen worden sei. (Anmerkung: das Gesetz wurde inzwischen beschlossen, siehe oben B.1.)

Prof. Grabenwarter ging von der Rechtslage in Deutschland aus: Nach § 30 dOWiG kann gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen eine Geldbuße verhängt werden, wenn bestimmte der juristischen Person oder der Personenvereinigung zuzurechnende Personen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben, durch welche Pflichten verletzt werden, die die juristische Person oder Personenvereinigung treffen. Prof. Grabenwarter beleuchtete die Frage, ob das deutsche Modell auf Österreich übertragbar wäre, d.h. ob österreichische Verwaltungsbehörden mit der Verhängung von Geldbußen über juristische Personen wegen Straftaten zuständig gemacht werden könnten. Die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern kämen als erstinstanzliche Behörde nicht in Betracht, weil sie als Kontrollinstanz eingerichtet worden seien; ein Tätigwerden der UVS setze daher ein vorangegangenes Verwaltungshandeln einer anderen Verwaltungsbehörde voraus. Eine Betrauung der Bezirksverwaltungsbehörden stünde in einem Spannungsverhältnis zu Art. 91 B-VG, der die Verhängung schwerer Strafen den Gerichten vorbehält; Prof. Grabenwarter  erinnerte an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die Verhängung von Geldstrafen ab einer bestimmten Höhe (derzeit etwa 50 000 Euro) den Gerichten vorbehalten bleiben müsse. Auch aus rechtsstaatlicher Sicht sei den Strafgerichten gegenüber den Verwaltungsbehörden der Vorzug zu geben. Die einzige verfassungskonforme Möglichkeit sei es daher, den Strafgerichten die Verhängung von Sanktionen gegen juristische Personen zu übertragen.

Prof. Fuchs bemerkte, dem Gefährdungspotential und der komplexen Struktur von großen Unternehmen werde eine gegen einzelne natürliche Personen ausgesprochene Strafe nicht gerecht: diese Strafen träfen den Falschen und seien zu niedrig. Zu bedenken sei aber, dass eine gegen eine juristische Person verhängte Strafe deren Eigentümer, indirekt auch die Mitarbeiter, treffe. Es müsse daher eine gerechte Sanktion gefunden werden. Zivilrechtlicher Schadenersatz wie Abschöpfung der Bereicherung seien völlig unzureichend, weil durch diese Instrumente kaum präventive Wirkung erzielt werden könne; beide versagten bei Gefährdungsdelikten und beim Deliktsversuch. Zivilrechtliche Maßnahmen versagten überdies, wenn es keine Opfer gebe. Die Sanktion habe den Zweck, dass schon ihre Androhung Unternehmen zu gesetzestreuem Verhalten motiviere, indem dieses kostengünstiger als gesetzwidriges Verhalten erscheine. Soweit die Durchsetzung von Strafnormen gegenüber juristischen Personen beabsichtigt sei, sei eine Zuweisung an die Strafgerichte die einzig zweckmäßige Lösung, weil dieselbe Behörde nach demselben Verfahren entscheiden könne; dazu komme der im gerichtlichen Verfahren höhere Rechtsschutz und die geringere Möglichkeit politischer Einflussnahme.

Die einzuführende Sanktion solle jedoch keine Strafe im herkömmlichen Sinn sein, sondern eine Sanktion anderer Art ohne moralischen Einschlag (Tadel). Voraussetzungen für die Verhängung sollten einerseits die Erfüllung eines äußeren Tatbestandes und andererseits ein Defizit auf der Entscheidungsebene sein, dieses entweder in Form einer Begehung des Delikts durch den Entscheidungsträger selbst oder in Form mangelnder Aufsicht, Kontrolle oder Organisation. Damit sei eine bloße Erfolgshaftung ausgeschlossen. Grundsätzlich sollte zwar eine Sanktionierung von Unternehmen angestrebt werden; aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität sollten jedoch juristische Personen und Personenhandelsgesellschaften vom Gesetz als Adressaten genannt werden. Als Messgröße für die Bemessung der Höhe der Sanktion sollte der Jahresumsatz herangezogen werden.

In der anschließenden Diskussion bezogen die Vertreter der Wissenschaft, der Richtervereinigung und des UVS Wien in Übereinstimmung mit den Referenten die Position, dass eine Umsetzung in Österreich im gerichtlichen Strafverfahren erfolgen müsse. Prof. Burgstaller widersprach den Ausführungen von Prof. Fuchs insoweit, als er die stigmatisierende Funktion der Sanktion für unverzichtbar hielt; Stigmatisierung sei auch ein Instrument der Prävention. Zu Bedenken im Hinblick auf Doppelbestrafung bemerkte Prof. Grabenwarter, von einer Doppelbestrafung könne keine Rede sein, weil zum einen die Tat der natürlichen Person und zum anderen der Verstoß des Unternehmens sanktioniert werde. Übereinstimmung herrschte dahingehend, dass eine taxative Aufzählung der Straftatbestände, für die eine juristische Person sanktioniert werden könne, kaum möglich und unzweckmäßig sei; die Verantwortlichkeit juristischer Personen solle daher grundsätzlich alle bestehenden Straftatbestände erfassen.

4. Im Regierungsprogramm der am 28.3.2003 angelobten Bundesregierung (XXII. GP) ist im Abschnitt „Justiz“ die Einführung einer „Strafbarkeit juristischer Personen“ vorgesehen.

5. Im Hinblick darauf – und vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Enquete – wurde im BMJ ein Entwurf zu einem strafrechtlichen Modell einer Verantwortlichkeit juristischer Personen samt Verfahrensbestimmungen ausgearbeitet; vgl. Zeder, Der Entwurf für ein Bundesgesetz über die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen - Verpflichtungen nach dem EU-Recht und Stand der Umsetzung in Österreich, in Hochreiter (Hg.), Bestrafung von Unternehmen. Tagungsband. Informationen zur Umweltpolitik Nr. 157 (2003), 13.

Sowohl die materiellrechtlichen, als auch die verfahrensrechtlichen Grundzüge waren Gegenstand von intensiven Beratungen mit Vertretern der – durch den Vorschlag hauptbetroffenen – Wirtschaft. Diese befürworteten zunächst – unter Berufung auf Lewisch/Parker (2001) – ein verwaltungsstrafrechtliches Modell, in einer späteren Phase – im Anschluss an die Veröffentlichung von Venier, ÖJZ 2002, 718 – ein Bußgeldverfahren. Die im Abschnitt E. dargestellten Gründe, die gegen diese beiden Modelle sprechen, konnten jedoch nicht entkräftet werden.

Die vom Bundesminister für Justiz initiierte Expertenkommission zur Prüfung der staatlichen Reaktionen auf strafbares Verhalten in Österreich hat in ihrem am 1.4.2004 vorgestellten Bericht (ÖJZ 2004, 550) die Einführung einer Verantwortlichkeit von „juristischen Personen (Unternehmen und Gesellschaften)“ für strafbares Verhalten gefordert; dabei solle insbesondere das Organisationsverschulden berücksichtigt werden. Dadurch könnten die Sanktionsmöglichkeiten bei Straftaten, die im Rahmen oder zum Nutzen von Unternehmen durch deren Mitarbeiter begangen werden, im Sinne der Präventionszwecke des Strafrechts sachgerecht erweitert werden (Pkt. 1.13.4. und 2.5.10.).

D. Das Begutachtungsverfahren

Mitte Juni 2004 hat das BMJ einen Entwurf zu einem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz in die allgemeine Begutachtung gegeben (BMJ-L318.017/0001-II.2/2004, 177/ME). Als Frist zur Abgabe von Stellungnahmen wurde – der grundsätzlichen Bedeutung des Vorschlags Rechnung tragend – der 10.9.2004 festgesetzt.

Beim BMJ sind ca. 80 Stellungnahmen eingelangt; viele davon setzen sich ausführlich mit dem Entwurf (im Folgenden: ME) auseinander. Die meisten Bemerkungen bezogen sich auf die materiellrechtlichen Voraussetzungen und die Sanktionen (§§ 1 bis 9). Die Stellungnahmen wurden im BMJ umfassend ausgewertet; in vielen Bestimmungen haben sie zu Änderungen des Entwurfs geführt. In den Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen werden wesentliche Änderungen gegenüber dem ME und ihre Gründe dargestellt.

Insgesamt versucht der vorliegende Entwurf, den Bedürfnissen und Bedenken der Wirtschaft ebenso wie jenen der Gerichte und Staatsanwaltschaften soweit wie möglich Rechnung zu tragen, ohne dabei aber die Wirksamkeit des neuen Instrumentariums, seine kostensparende Umsetzung sowie die Einhaltung der zwischenstaatlichen Verpflichtungen aus den Augen zu verlieren.

E. Entscheidung für das gerichtliche Strafrecht

Der vorliegende Entwurf schlägt vor, eine Verantwortlichkeit von Verbänden im gerichtlichen Strafrecht zu verankern. Dafür spricht zunächst auf den ersten Blick der Umstand, dass Gegenstand des Vorwurfs (auch) gegen den Verband ein gerichtlicher Straftatbestand ist. Meist werden wegen einer strafbaren Handlung nicht nur Verbände, sondern auch (und vor allem) natürliche Personen verfolgt werden; es drängt sich daher auf, dass das Verfahren gegen beide von derselben Behörde und nach derselben Verfahrensordnung – der Strafprozessordnung – geführt wird, sodass auch gegen beide jederzeit dieselbe Beweislage besteht. Es sollten gegen Verbände dieselben Eingriffsbefugnisse wie gegen natürliche Personen zur Verfügung stehen; andererseits sollten ihnen auch dieselben Verfahrensgarantien gewährt werden.

1. Zunächst ist festzuhalten, dass das Zivilrecht als Ort der Regelung von vornherein ausscheidet: Bloß zivilrechtliche Reaktionen sind nach dem Zweiten Protokoll und anderen EU-Rechtsakten für die Fälle ausgeschlossen, in denen eine Person in Führungsposition die Straftat begangen hat. Für die Fälle der mangelnden Überwachung oder Kontrolle genügen nach den meisten EU-Rechtsakten zwar grundsätzlich zivilrechtliche Sanktionen. Diese Lösung ist aber einerseits für die Bereiche des Rahmenbeschlusses gegen Menschenhandel und des OECD-Bestechungsübereinkommens ausgeschlossen. Andererseits ist kaum vorstellbar, wie mit den Mitteln des österreichischen Zivilrechts „wirksame, angemessene und abschreckende“ Reaktionsformen erreicht werden sollen, die den unionsrechtlichen Anforderungen entsprechen und insbesondere über Schadenersatz oder Rückzahlung der Bereicherung hinausgehen (vgl. oben A.1.4.); „punitive damages“ sind dem österreichischen Zivilrecht fremd. Überdies hängt eine Inanspruchnahme wegen deliktischen Handelns auf dem Zivilrechtsweg davon ab, dass ein Geschädigter vorhanden ist und auch die entsprechenden Schritte unternimmt, was nicht immer der Fall ist.

Bleibt die Wahl zwischen Verwaltungsstrafrecht und gerichtlichem Strafrecht, wobei in letzter Zeit als weitere Alternative auch ein Bußgeldverfahren nach Art des Kartellrechts ins Spiel gebracht wurde.

2. Eine Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden begegnet zunächst verfassungsrechtlichen Bedenken.

Zunächst ist aus Art. 91 Abs. 2 und 3 B-VG nach ständiger Judikatur des VfGH (seit VfSlg 12151) abzuleiten, dass auch unterhalb der Geschworenen- und Schöffengerichtsbarkeit ein Kernbereich strafbarer Handlungen besteht, die wegen ihrer hohen Sozialschädlichkeit mit schwerwiegender Strafe bedroht sind und die daher der Ahndung durch die Strafgerichtsbarkeit – deren Organe dazu wegen ihrer Unabhängigkeit besonders qualifiziert sind – vorbehalten sind. Unter schwerwiegenden Strafen, die eine Zuständigkeit der Strafgerichtsbarkeit verfassungsrechtlich gebieten, versteht der VfGH auch hohe Geldstrafen. Wenn daher gegen Verbände Sanktionen verhängt werden sollen, die angemessen und abschreckend sind, so kommt dafür nur das Justizstrafrecht in Betracht (so ausdrücklich Burgstaller in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 44 [Fn 134] zu Art. 91 Abs. 2 und 3 B-VG) – jedenfalls soweit damit strafbare Handlungen sanktioniert werden sollen, die hohe Sozialschädlichkeit aufweisen: für die Zuweisung von Verstößen in den durch die Verfassung den Gerichten vorbehaltenen Kernbereich des Strafrechts kann für juristische Personen nicht Anderes gelten als für natürliche Personen (näher Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 280 ff). (Anders wäre daher möglicherweise der Fall zu beurteilen, dass wegen Tatbeständen des Verwaltungsstrafrechts, also wegen Taten geringerer Sozialschädlichkeit, für juristische Personen – wegen deren wirtschaftlicher Potenz – hohe Geldstrafen im Verwaltungsstrafrecht vorgesehen werden; dies ist aber nicht Gegenstand dieses Entwurfs.).

Die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern (Art. 129a B-VG) können nicht zur Entscheidung in erster Instanz berufen werden; es kann ihnen nur die Aufgabe übertragen werden, vorangegangenes Verwaltungshandeln einer Verwaltungsbehörde (oder von Akten, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung getroffen wurden, was im gegenständlichen Zusammenhang aber keine Bedeutung erlangen kann) zu kontrollieren (VfSlg. 14891; Köhler in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 68 ff zu Art. 139a B-VG; Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 298 f). Es müsste daher die Bezirksverwaltungsbehörde zu Entscheidungen in erster Instanz berufen werden. Damit würde in erster Instanz eine Behörde entscheiden, die kein Tribunal im Sinne von Art. 6 MRK ist. Da die Entscheidungen in zweiter Instanz von den Unabhängigen Verwaltungssenaten kontrolliert würden, wäre der MRK zwar Genüge getan. Allerdings entfiele mangels gesonderter Anklagebehörde das – die Unparteilichkeit der Entscheidungsinstanz sichernde – Anklageprinzip (Art. 90 Abs. 2 B-VG), damit aber auch die Möglichkeit, die Korrektur erstinstanzlicher Fehlentscheidungen zu initiieren. Abgesehen von der bereits dargestellten Problematik in Zusammenhang mit Art. 91 B-VG stellt sich die Frage, warum Verfahren wegen des im Kern selben Tatvorwurfs gegen juristische Personen mit geringeren Rechtschutzstandards als in einem Verfahren gegen natürliche Personen geführt werden sollen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass für eine Verankerung im gerichtlichen Strafrecht eine klare Zuständigkeit des Bundes besteht (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG), während eine solche für eine Verankerung im Verwaltungsstrafrecht fehlt.

3. Darüber hinaus würde eine Zuweisung an Verwaltungsbehörden fundamentale verfahrensrechtliche Probleme aufwerfen.

Wollte man die Feststellung einer Verantwortlichkeit von Verbänden anderen Behörden als den Strafgerichten übertragen, so hätte dies zur Folge, dass der Tatvorwurf gegen die natürliche Person nach der StPO – daran wird ja kein Weg vorbeiführen –, der Vorwurf gegen den Verband wegen derselben strafbaren Handlung aber nach einer anderen Verfahrensordnung geführt wird, nämlich nach AVG und VStG. Nach diesen Verfahrensordnungen stehen aber bei weitem nicht die Ermittlungsbefugnisse zur Verfügung, die die StPO bietet. Das bedeutet: Entweder wird auf Beweissicherung durch Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Telekommunikationsüberwachung usw. schlechthin verzichtet, und die zulässigen Beweise, wie Zeugenvernehmungen, werden ein zweites Mal durchgeführt – die Ineffizienz dieser Vorgangsweise ist evident. Oder es muss auf die im Strafverfahren gegen natürliche Personen erlangten Beweise zurückgegriffen werden. Dies würde es aber erfordern, dass die juristische Person an deren Ermittlung beteiligt werden muss: Nach der Judikatur des VwGH zu § 9 Abs. 7 VStG ist die juristische Person dem Verwaltungsstrafverfahren gegen den verantwortlichen Beauftragten als Partei beizuziehen, wenn sie für die über diesen zu verhängende Strafe haften soll (VwGH 21.11.2000, 99/09/0002 und 31.1.2001, 98/09/0087; Besprechung in ZUV 2001, 6); im strafgerichtlichen Verfahren ist die Stellung des Haftungsbeteiligten in ähnlicher Weise gesetzlich geregelt (vgl. §§ 50, 444 StPO; § 41 MedienG; § 69 Abs. 2 LMG). Die juristische Person müsste also vor dem Strafgericht Nebenbeteiligte an der Seite der beschuldigten natürlichen Personen sein und würde erst danach von einer anderen Behörde, die sich im Wesentlichen auf die Beweisergebnisse des Strafgerichts stützen würde, selbst verfolgt werden. Die Unzweckmäßigkeit einer solchen, allen Grundsätzen der Verfahrensökonomie widersprechenden Lösung ist offensichtlich.

Eine Zuweisung an Verwaltungsbehörden wäre dann besonders problematisch, wenn die zu Grunde liegenden Sachverhalte Auslandsbezug aufweisen: Im Bereich des Verwaltungsstrafrechts gibt es weder detaillierte Regeln über die inländische Gerichtsbarkeit (wie in den §§ 62 ff StGB), noch stehen wie in der Strafjustiz umfassende Möglichkeiten zwischenstaatlicher Zusammenarbeit (Rechtshilfe, Vollstreckungsübernahme usw.) zur Verfügung.

4. Von Befürwortern einer Ansiedlung im Verwaltungsstrafrecht wird bisweilen das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht als Vorbild herangezogen. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht eine völlig andere Struktur aufweist als das österreichische Verwaltungsstrafrecht. Im Bußgeldverfahren ist die Strafprozessordnung anzuwenden (§ 46 Abs. 1 OWiG); bestehen Zusammenhänge zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit, so kann die Staatsanwaltschaft die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit  übernehmen, und es wird das Gericht zur Ahndung der Ordnungswidrigkeit zuständig (§§ 42, 45 OWiG). Es gibt in Deutschland weder eine gesonderte, von der StPO verschiedene Verfahrensordnung, noch besteht eine strenge Trennung zwischen Verwaltungs- und Justizbehörden wie in Österreich. Anders ausgedrückt: Der Grundsatz der Trennung zwischen Justiz und Verwaltung (Art. 94 B-VG) stünde in Österreich einem System nach dem Vorbild des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts entgegen.

5. Es ist auch der Vorschlag gemacht worden, ein Bußgeldverfahren ähnlich dem EG-Kartellverfahren oder dem in Österreich kürzlich im Kartellrecht geschaffenen Verfahren (BGBl. I Nr. 62/2002) anzuwenden (Venier, ÖJZ 2002, 718). Nach § 142 KartellG sind wegen Kartellverstößen auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde oder des Bundeskartellanwalts vom Kartellgericht Geldbußen zu verhängen; das Kartellgericht hat das Außerstreitverfahren anzuwenden (§ 43 KartellG). Die Bundeswettbewerbsbehörde kann Ermittlungen führen (§§ 11 ff WettbG) und hat dabei nach dem AVG vorzugehen; sie kann sich auch der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bedienen. Hausdurchsuchungen hat das Kartellgericht auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde anzuordnen (§ 12 WettbG); es hat dabei neben dem Außerstreitverfahren die Bestimmungen der StPO (§§ 142, 145) anzuwenden.

Wollte man ein Gericht nach dem Vorbild des Bußgeldverfahrens im österreichischen Kartellrecht (das EG-Kartellverfahren wäre insoweit kein Vorbild, weil dort in erster Instanz mit der Kommission eine Verwaltungsbehörde entscheidet) dafür zuständig machen, Sanktionen gegen Verbände auszusprechen, so könnten dadurch zwar die meisten oben (E.2.) dargestellten verfassungsrechtlichen Probleme vermieden werden: Jedenfalls die auf Art. 91 und 139a B-VG gestützten Einwände würden für ein solches Verfahren nicht gelten; allerdings bleibt der gleichheitsrechtliche Einwand bestehen, dass Verfahren wegen des im Kern selben Tatvorwurfs gegen juristische Personen in einem anderen Verfahren, nach dem Außerstreitgesetz, als gegen natürliche Personen geführt werden.

Vor allem aber treten die oben (E.3.) dargestellten verfahrensrechtlichen Probleme auch bei dieser Lösung in gleicher Weise auf.

Es darf nicht übersehen werden, dass sich ein Kartellbußgeldrecht in zwei Punkten von der hier zu regelnden Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten grundlegend unterscheidet: Zum Einen sind Kartellverstöße Zuwiderhandlungen von einer zwar beträchtlichen, aber doch begrenzten Sozialschädlichkeit; ihre schädlichen Auswirkungen sind auf den Bereich des Vermögens beschränkt. Demgegenüber können Verbände praktisch wegen aller gerichtlich strafbaren Handlungen verfolgt werden; es geht also auch um den Schutz der höchsten Rechtsgüter, wie Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Umwelt. Der Schutz dieser Rechtsgüter rechtfertigt auch gewichtigere Grundrechtseingriffe; die zur Kanalisierung solcher Eingriffe geschaffene Verfahrensordnung ist die StPO, sodass die Heranziehung anderer Verfahrensordnungen inadäquat bleiben wird.

Zum anderen können Kartellverstöße (sowohl nach europäischem als auch nach österreichischem Recht) nur von Unternehmen (oder Unternehmensverbänden) allein begangen werden, während wegen strafbarer Handlungen zumeist nicht nur die juristische Person, sondern auch natürliche Personen zu verfolgen sein werden. Das oben (D.3.) dargestellte Problem, dass wegen derselben strafbaren Handlung einerseits ein Strafverfahren gegen natürliche Personen (jedenfalls nach der StPO) und andererseits ein andersartiges Verfahren gegen eine juristische Person zu führen ist, stellt sich daher nur bei Kartellverstößen nicht.

Weiters steht im Bußgeldverfahren ein gegenüber dem gerichtlichen Strafverfahren nur sehr eingeschränkter Sanktionskatalog zur Verfügung; es gibt etwa weder eine bedingte Nachsicht der Strafe noch diversionelle Erledigungen.

Schließlich stellt sich auch die Frage, wer in einem Bußgeldverfahren dieser Art als Ermittlungs-, Antrags- und Initiativbehörde tätig werden soll. Eine solche Einrichtung müsste neu geschaffen werden – wie im Kartellrecht, wo der Bundeskartellanwalt die erwähnten Aufgabenbereiche wahrzunehmen hat. Betraut man aber etwa (naheliegender Weise) die Staatsanwaltschaft mit diesen Aufgaben, so nähert man sich wiederum dem gerichtlichen Strafverfahren.

Auch das Bußgeldverfahren in Kartellsachen ist daher als Vorbild für eine Umsetzung einer Verantwortlichkeit juristischer Personen letztlich ungeeignet (ebenso mit umfassender Begründung Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 291 f).

F. Grundzüge des Entwurfes

Der Entwurf schlägt vor, ein eigenes Bundesgesetz zu schaffen. Die neuen Bestimmungen sollen nicht nur auf juristische Personen, sondern auch auf bestimmte Gesellschaften (insbesondere auf Personenhandelsgesellschaften) anwendbar sein, die in ihrer Rechtsqualität juristischen Personen nahe kommen. Als Oberbegriff für juristische Personen und die erwähnten Gesellschaften schlägt der Entwurf den Begriff Verband vor.

Nach einem kurzen ersten Abschnitt, der Bestimmungen über den Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen enthält, soll das neue Gesetz aus zwei großen Abschnitten (2. und 3. Abschnitt) bestehen.

Der zweite Abschnitt enthält materiellrechtliche Bestimmungen, insbesondere über die Voraussetzungen, unter denen ein Verband für Straftaten verantwortlich werden kann, und über die Sanktion der Verbandsgeldbuße. Subsidiär sollen die Bestimmungen des Strafgesetzbuches anwendbar sein. Die wichtigsten Regelungen sind:

-          Der Entwurf geht davon aus, dass ein Verband grundsätzlich für jeden Deliktstypus verantwortlich werden kann, der im Besonderen Teil des StGB oder in den Nebengesetzen enthalten ist.

-          Bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen folgt der Entwurf grundsätzlich dem Modell der EU-Rechtsakte, die zwischen zwei Grundfällen unterscheiden (vgl. oben A.1.): einerseits die Begehung einer Straftat durch eine Person in Führungsposition (Entscheidungsträger), andererseits die Begehung durch unterstellte Personen (Mitarbeiter) bei mangelnder Überwachung oder Kontrolle.

-          Die Sanktion der Wahl soll die Geldbuße sein, die nach einem Tagessatzsystem berechnet werden sollen. Die Geldbußen sollen (zur Gänze oder zum Teil) bedingt nachgesehen werden können.

Der dritte Abschnitt enthält Sonderbestimmungen für das Verfahren gegen Verbände. Geregelt werden insbesondere die Einleitung des Verfahrens, die Zuständigkeit, die Beschuldigtenvernehmung, einstweilige Verfügungen, das Verfolgungsermessen und die Diversion, der Antrag auf Verhängung einer Buße und die Hauptverhandlung. Vorgeschlagen wird zwar eine gemeinsame Führung des Verfahrens (Vorverfahren wie Hauptverhandlung), der letzte Teil der Hauptverhandlung (Schlussanträge und Urteilsverkündung) soll aber in zwei gesonderten Abschnitten stattfinden. Soweit keine besonderen Verfahrensbestimmungen vorgeschlagen werden, soll subsidiär die StPO anwendbar sein.

G. Erforderliche flankierende Änderungen in anderen Bundesgesetzen

1. Soweit in einzelnen Gesetzen des Nebenstrafrechts eine Haftung juristischer Personen (teils auch anderer Rechtssubjekte) für Geldstrafen (teils auch für Verfalls- und Wertersatzstrafen, Verfahrenskosten usw.), die gegen natürliche Personen verhängt wurden, vorgesehen, wird größtenteils deren Aufhebung vorgeschlagen (MedienG, LMG bzw. zukünftig LMSVG, PatG, MarkenSchG, HlSchG, MusterSchG, GMG; vgl. die nähere Darstellung oben unter C.1. und unten bei Art. 3 bis 9).

2. Eine besondere Situation besteht im Finanzstrafrecht, weil die dort vorgesehenen Straftatbestände nach bestimmten Kriterien (insbesondere nach Wertgrenzen, vgl. § 53 FinStrG) entweder in die Zuständigkeit des Gerichts oder in jene der Finanzstrafbehörde (also einer Verwaltungsbehörde) fallen. Die im geltenden § 28 FinStrG vorgesehene Haftung von Verbänden für Geldstrafen, die über Mitglieder der Organe oder Dienstnehmer verhängt wurden, kommt daher sowohl im gerichtlichen als auch im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren zur Anwendung. Da eine (über die Haftung für Geldstrafen hinausgehende) eigenständige Verantwortlichkeit von Verbänden dem Verwaltungsstrafrecht bisher fremd ist, würde deren Einführung im Finanzstrafrecht einen Systembruch bedeuten.

Darüber hinaus können die Bestimmungen des vorgeschlagenen VbVG auch nicht ohne weiteres im gerichtlichen Finanzstrafrecht angewendet werden: Das Tagessatzsystem der Verbandsgeldbuße ist mit der im FinStrG vorgesehenen Bemessung der Geldstrafe nach dem Verkürzungsbetrag nicht kompatibel. Darüber hinaus sieht das VbVG diversionelle Erledigungen vor, während solche im Finanzstrafrecht (außer bei Jugendlichen) ausgeschlossen sind. Es wäre aber unvertretbar, wollte man wegen des selben Finanzvergehens gegen natürliche Personen eine Geldstrafe verhängen, das Verfahren gegen den Verband jedoch nach Diversion einstellen.

Zu diesen Fragen scheint ein eingehender Diskussionsprozess (insbesondere ein Begutachtungsverfahren) angebracht, sodass die Anpassung des Finanzstrafrechts einem späteren Schritt vorbehalten bleiben soll.

3. In Verfahren, die gegen einen Verband geführt werden, sollen sämtliche Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, insbesondere der Rechtshilfe, möglich sein (dies ist ein wesentlicher Grund, warum das Verwaltungsstrafrecht zur Umsetzung ungeeignet wäre, siehe oben E.3.). Zu diesem Zweck könnten sich Klarstellungen in einzelnen Bestimmungen des ARHG, allenfalls auch nur im EU-JZG, empfehlen. Diese rein technischen Änderungen werden anlässlich von ohnehin anstehenden Ergänzungen der erwähnten Gesetze in naher Zukunft nachgetragen werden.

4. Verurteilungen von Verbänden müssen in ein Register aufgenommen werden. Dies ist schon deshalb notwendig, weil der Entwurf in mehreren Bestimmungen eine Berücksichtigung früherer Verurteilungen des Verbandes vorsieht. Es liegt nahe, Verurteilungen von Verbänden in das Strafregister aufzunehmen. Darüber hinaus werden ein Rücktritt von der Verfolgung oder eine Einstellung des Verfahrens im Rahmen der Diversion im Geschäftsregister der Staatsanwaltschaft ersichtlich zu machen sein.

Die diesbezüglich erforderlichen Bestimmungen (insbesondere im Strafregistergesetz) sind eher technischer Art und werden einem späteren Schritt vorbehalten.

5. Weiters wird durch entsprechende flankierende Gesetzgebung sicherzustellen sein, dass die zuständigen Verwaltungs- oder Aufsichtsbehörden über die erforderlichen Rechtsgrundlagen in den Materiengesetzen des Verwaltungsrechtes verfügen, um auf eine Verurteilung eines Verbandes durch adäquate Maßnahmen reagieren zu können (z.B. Entzug der Gewerbeberechtigung; näher unten bei § 4, Pkt. 9.)

6. Schließlich wird durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen sicherzustellen sein, dass über einen Verband verhängte Geldbußen steuerlich nicht abzugsfähig sind.

H. Finanzielle Auswirkungen

Dass Strafverfahren nun auch gegen Verbände geführt werden können, birgt das Potential eines Mehraufwandes im Bereich der Sicherheits- und Justizbehörden in sich. Allerdings sieht der Entwurf vor, dass Verfahren gegen natürliche Personen und gegen Verbände wegen derselben Straftaten grundsätzlich gemeinsam zu führen sind. Es wird daher in den meisten Fällen das Verfahren gleichsam nur gegen zusätzliche Beschuldigte, nämlich die Verbände, zu führen sein; dass ein gänzlich „neues“ Verfahren entsteht, das ohne die Einführung der Strafbarkeit von Verbänden überhaupt nicht geführt worden wäre, dazu wird es voraussichtlich nur selten kommen.

Diesem – kaum quantifizierbaren – Mehraufwand steht ein Potential an Mehreinnahmen durch Geldbußen sowie durch im Rahmen der Diversion gezahlte Geldbeträge gegenüber, die in ihrer Höhe ebenso wenig prognostizierbar sind wie die Zahl der Verfahren, in denen ein Verband verfolgt werden wird.

Insgesamt ist zu erwarten, dass die Mehreinnahmen die Aufwendungen übersteigen werden.

I. Kompetenzgrundlage

Die Kompetenz des Bundes zur Gesetzgebung gründet sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 des Bundes-Verfassungsgesetzes.

J. Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Keine.


Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Verbandsverantwortlichkeitsgesetz)

Zum 1. Abschnitt (Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen)

Zu § 1 (Verbände)

1. Die Grundsatzbestimmung des § 1 Abs. 1 umreisst in Satz 1 grob den Regelungsgehalt des vorgeschlagenen Gesetzes: Verantwortlichkeit und Sanktionierung von Verbänden sowie das Verfahren, nach dem die Verantwortlichkeit festgestellt und Sanktionen auferlegt werden.

2. § 1 Abs. 1 Satz 2 bringt zunächst zum Ausdruck, dass Verbände nach dem vorgeschlagenen Gesetz nur für Straftaten verantwortlich gemacht werden können, die gerichtlich strafbar sind; verwaltungsbehördlich zu ahndende Taten bleiben außerhalb des Anwendungsbereichs. Für die Umschreibung des Begriffs „Straftat“ wurde bewusst jene aus der StPO idF des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, (§ 1 Abs. 1 Satz 2) übernommen. Entsprechend der auch im StGB gebräuchlichen Terminologie umfasst „mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung“ auch Unterlassungen.

Der Entwurf sieht vor, dass eine Verantwortlichkeit von Verbänden grundsätzlich in Bezug auf jeden (gerichtlichen) Straftatbestand eintreten können soll. Es wird davon abgesehen, den Kreis der Straftatbestände einzuschränken, etwa durch eine Liste oder durch grobe Kategorisierungen. Beide Möglichkeiten hätten den Nachteil, dass dadurch Lücken entstehen können; eine grobe Kategorisierung von in Betracht kommenden Tatbeständen würde überdies das Bestimmtheitsgebot verletzen. Eine Auflistung der Tatbestände wäre zwar grundsätzlich möglich, allerdings wäre das Ergebnis in Anbetracht der großen Zahl von bereits jetzt zu erfassenden Deliktstypen (oben Allgemeiner Teil, A.3.) unübersichtlich und (da die Auswahl nicht nach sachlichen Kriterien erfolgt) willkürlich; die Liste müsste überdies wegen der zu erwartenden weiteren Rechtsentwicklung in der EU und auf internationaler Ebene laufend ergänzt und erweitert werden.

Gegen die Anwendung auf alle Straftatbestände könnte eingewendet werden, dass damit auch Straftatbestände erfasst würden, bei denen eine Verantwortlichkeit von Verbänden gar nicht denkbar sei. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es, wenn diese Annahme zutrifft, in der Praxis dann eben keinen Fall geben wird.

Wenn daher in § 3 von der „Straftat“ die Rede ist, so ist damit jede Handlung erfasst, die unter (irgend)einen gerichtlichen Straftatbestand fällt, sei es im StGB oder in den Nebengesetzen. Ausgenommen sollen (zumindest vorläufig) Finanzvergehen sein (dazu oben Allgemeiner Teil, G.2.).

Dies bedeutet aber noch nicht, dass auch jeder Fall tatsächlich verfolgt werden muss: der Entwurf schlägt in gewissen Grenzen ein Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft vor (dazu unten bei § 18).

3. Die zwischenstaatlichen Rechtsakte sehen vor, dass juristische Personen für Straftaten verantwortlich gemacht werden müssen; die EU-Rechtsakte verweisen zur Frage, welche Einheiten unter diesen Begriff fallen müssen, zunächst auf das nationale Recht (z.B. Art. 1 lit. d Zweites Protokoll: „jedes Rechtssubjekt, das diesen Status nach dem jeweils geltenden innerstaatlichen Recht besitzt“).

Die Bestimmungen des vorgeschlagenen Bundesgesetzes sollen daher nach § 1 Abs. 2 zunächst auf juristische Personen anwendbar sein; erfasst sind daher grundsätzlich alle juristischen Personen, jene des privaten Rechts gleichermaßen wie jene des öffentlichen Rechts.

Juristische Personen des Privatrechts sind insbesondere Kapitalgesellschaften (Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften einschließlich der Europäischen Gesellschaft aufgrund der Verordnung des Rates Nr. 2157/2001, die in Österreich mit dem SE-Gesetz, BGBl. I 67/2004, wirksam wurde), Genossenschaften, Sparkassen, (ideelle) Vereine (im Sinn des Vereinsgesetzes 2002), Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, politische Parteien, Sachgesamtheiten (z.B. Fonds) und Stiftungen.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind zunächst die Gebietskörperschaften; daneben sind etwa die Einrichtungen der wirtschaftlichen und beruflichen Selbstverwaltung (Kammern), die Sozialversicherungsträger, die Universitäten (UniversitätsG 2002), die Hochschülerschaft und andere Interessensgemeinschaften, öffentlich-rechtliche Stiftungen (insbesondere der ORF) und Fonds und selbstständige Anstalten (z.B. Österr. Nationalbank, Finanzmarktaufsicht, Statistik Österreich, Arbeitsmarktservice) zu nennen. Zur hoheitlichen Tätigkeit siehe unten 6.

4. Die zwischenstaatlichen Rechtsakte lassen es wie gesagt offen, welche Einheiten der nationale Gesetzgeber als „juristische Person“ behandelt. Es stellt sich daher die Frage, ob auch bestimmte Gesellschaften, die keine juristischen Personen sind, einbezogen werden sollen. Zunächst ist festzuhalten, dass zahlreiche Staaten nicht nur juristische Personen (im Sinn ihrer Rechtsordnungen) erfassen. In Deutschland können Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen verhängt werden (§ 30 OWiG); ähnlich ist die Rechtslage etwa in Italien, Dänemark, Island, Portugal, Belgien, Ungarn und den Niederlanden. In anderen Rechtsordnungen bezieht sich die Verantwortlichkeit auf Unternehmen, entweder generell, so im EG-Kartellrecht und in Norwegen, Schweden, Griechenland und in der Schweiz, oder ergänzend, so in Dänemark. Auch in der Literatur wird gefordert, insbesondere Personenhandelsgesellschaften in die Verantwortlichkeit einzubeziehen (Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 336 ff, 378 ff; Bauer, Fragen der Verbandsstrafbarkeit 166 ff).

Der Entwurf schlägt in § 1 Abs. 2 vor, neben juristischen Personen auch diejenigen Gesellschaftsformen einzubeziehen, die zwar (zumindest nach herrschender Ansicht) keine juristischen Personen sind, aber diesen doch stark angenähert sind: Die Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG, EWIV) und die Eingetragenen Erwerbsgesellschaften (EEG). Diesen Gesellschaften kommt im Außenverhältnis eine der juristischen Person ähnliche Stellung zu; insbesondere sind sie zivilrechtlich wie diese deliktsfähig. Sie sind – unabhängig von den Gesellschaftern – Träger von Rechten und Pflichten, und es besteht ein Sondervermögen, das vom Vermögen der Gesellschafter getrennt ist. Die erwähnten Gesellschaften betreiben definitionsgemäß Unternehmen. Es schiene daher gleichheitswidrig, wollte man jene Gesellschaften, die juristische Personen sind (also insbesondere die GmbH, die AG und die Genossenschaft), für Straftaten verantwortlich machen, die Personenhandelsgesellschaften und die EEG aber nicht.

Gute Gründe sind auch dafür vorgebracht worden, das vorgeschlagene Gesetz auch auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts anwendbar zu machen: Unter dieser Rechtsform können Minderhandelsgewerbe und nichtgewerbliche Unternehmen betrieben werden, und die Wahl zwischen der Form der EEG und der GesbR steht im Einzelfall frei; die Differenzierung der Rechtsfolgen scheint daher sachlich wenig begründet (Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 339, 380 ff). Mangels Rechtspersönlichkeit nach bürgerlichem Recht kommt eine Verantwortlichkeit für Straftaten allerdings derzeit nicht in Betracht.

Der vorgeschlagene Kreis der Adressaten ist der selbe wie jener, der zu einer Abschöpfung der Bereicherung verurteilt werden kann (§ 20 Abs. 4 StGB), sowie jener, auf den sich im Verwaltungsstrafrecht die oben (Allgemeiner Teil, C.1.) dargestellten Bestimmungen in § 9 VStG beziehen (ähnlich § 28 FinStrG; vgl. auch § 161 StGB oder § 8a ZustellG).

5. Zwar wird auch der Nachlass (§ 547 ABGB) von der Rechtsprechung (SZ 64/19) und der herrschenden Lehre als juristische Person angesehen (vgl. Welser in Rummel, ABGB3 Rz 2 zu § 547; Koziol in Koziol/Welser, Band I12 64; Welser in Koziol/Welser Band II12 520; Eccher in Schwimann, ABGB2 Rz 1 zu § 547). Der Nachlass ist aber lediglich eine Konstruktion, um den Übergang zahlreicher einzelner Rechte und Pflichten von einer natürlichen Person (dem Erblasser) auf eine andere natürliche Person (den Erben) im Wege der Universalsukzession zu ermöglichen (und dadurch die für die Singularsukzession erforderlichen besonderen Erwerbs- und Schuldübernahmsakte zu ersparen: Kralik/Ehrenzweig, Erbrecht, 9). Eine Anwendung der vorgeschlagenen Gesetzes auf den Nachlass würde daher keinen Sinn machen. Aus Gründen der Rechtssicherheit schlägt der Entwurf daher vor (§ 1 Abs. 3 Z 1), den Nachlass vom Anwendungsbereich des Gesetzes auszunehmen; die Frage, ob (und inwieweit) der Nachlass eine juristische Person ist, soll damit aber nicht präjudiziert werden.

6. Die zwischenstaatlichen Rechtsakte sehen vor, dass bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts unter bestimmten Umständen von der Verantwortlichkeit ausgenommen werden können, nämlich Staaten und sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte und der öffentlich-rechtlichen internationalen Organisationen (z.B. Art. 1 lit. d Zweites Protokoll).

Der ME hatte vorgesehen, diese Bestimmung in der Weise umzusetzen, dass Bund, Länder und Gemeinden zur Gänze, sowohl in Bezug auf hoheitliches als auch in Bezug auf privatwirtschaftliches Handeln, vom Anwendungsbereich ausgenommen werden sollten, andere Körperschaften des öffentlichen Rechts nur, wenn sie hoheitliche Rechte ausüben. Diese Regelung ist in zahlreichen Stellungnahmen kritisiert worden. Es wurde vor allem eine Ungleichbehandlung darin gesehen, dass die drei Gebietskörperschaften selbst dann nach dem vorgeschlagenen Bundesgesetz nicht verantwortlich werden können, wenn sie selbst unternehmerisch oder sonst privatwirtschaftlich tätig werden (Beispiel: von einem Land betriebener Bauhof). In mehreren Stellungnahmen wurde gefordert, sämtliche öffentlich-rechtlichen Körperschaften generell vom Anwendungsbereich auszunehmen. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass auch einzelne privatrechtlich organisierte Körperschaften mit hoheitlichen Aufgaben beliehen sind und auch diese insoweit vom Anwendungsbereich ausgenommen werden müssen.

Der Entwurf trägt diesen Einwänden dadurch Rechnung, dass er vorschlägt, hoheitliches Handeln, von welcher juristischen Person auch immer, aus dem Gesetz auszuklammern, alle anderen Tätigkeiten jedoch grundsätzlich zu erfassen (§ 1 Abs. 3 Z 2). Die in den EU-Rechtsakten verwendeten Worte „in Ausübung hoheitlicher Rechte“ sollen durch den in der österreichischen Rechtssprache üblichen Begriff „in Vollziehung der Gesetze“ ersetzt werden. Die Grenzziehung soll daher jener entsprechen, die aus dem Bereich der Amtshaftung bekannt ist, vgl. Art. 23 B-VG und § 1 AHG. Der Halbsatz „soweit sie in Vollziehung der Gesetze handeln“ bezieht sich also nicht nur auf die „anderen juristischen Personen“, sondern auch auf den Bund , die Länder und die Gemeinden. Die gesonderte Erwähnung der Gebietskörperschaften wäre zwar streng genommen nicht erforderlich, scheint aber im Hinblick auf deren überragende Bedeutung bei der Vollziehung hoheitlicher Aufgaben doch zweckmäßig.

Die Bestimmung ist auch auf andere Staaten und internationale Organisationen anwendbar; deren gesonderte Anführung (wie noch im ME) erübrigt sich aber, weil sie ohnehin unter den Begriff „andere juristische Personen“ fallen.

7. Anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften (Art. 15 StGG) sowie religiöse Bekenntnisgemeinschaften (BGBl. I Nr. 19/1998) – unabhängig davon, ob einzelne als juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts anzusehen sind – sollen insoweit vom Anwendungsbereich des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes ausgenommen sein, als sie seelsorgerisch tätig sind (§ 1 Abs. 3 Z 3).

Der ME hatte eine weiter gehende Ausnahme für alle nicht unternehmerischen Tätigkeiten vorgeschlagen. Dies ist in mehreren Stellungnahmen als zu weit gehend und unsachlich kritisiert worden. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass es „zwischen“ der unternehmerischen Tätigkeit und der Seelsorge Tätigkeitsbereiche gibt (z.B. humanitäre Aufgaben), die nicht nur von Kirchen, Religionsgesellschaften und Bekenntnisgemeinschaften, sondern auch von anderen (oft auch nicht auf Gewinn ausgerichteten) Vereinigungen wahrgenommen werden, auf welche das Gesetz aber grundsätzlich anwendbar sein soll. Dieser Kritik soll die nunmehr vorgeschlagene Ausnahme (lediglich) für seelsorgerische Tätigkeit Rechnung tragen.

8. Als gemeinsamen Oberbegriff für juristische Personen und die erwähnten Gesellschaften verwendet der Entwurf den Begriff Verband. Die Verwendung eines gemeinsamen Oberbegriffes empfiehlt sich, um eine bessere Verständlichkeit der Bestimmungen des Gesetzes zu gewährleisten.

Gegen die Verwendung dieses Begriffs Verband wurden in mehreren Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren Einwände erhoben; so wurde darauf hingewiesen, dass unter einem Verband nach § 1 Abs. 5 des Vereinsgesetzes 2005 (VerG) ein Zusammenschluss von Vereinen zur Verfolgung gemeinsamer Interessen zu verstehen ist. Mangels geeigneter, auch sprachlich griffiger Alternativen wird der Begriff jedoch beibehalten.

Zu § 2 (Entscheidungsträger und Mitarbeiter)

Bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen folgt der Entwurf grundsätzlich dem Modell der EU-Rechtsakte, die zwischen zwei Grundfällen unterscheiden (vgl. oben Allgemeiner Teil, A.1.): einerseits die Begehung einer Straftat durch eine Person in Führungsposition, andererseits die Begehung durch unterstellte Personen bei mangelnder Überwachung oder Kontrolle (vgl. § 3). Die beiden Personenkreise – für die die Begriffe „Entscheidungsträger“ und „Mitarbeiter“ vorgeschlagen werden, die kürzer und prägnanter als die in den EU-Rechtsakten verwendeten sind – sollen in § 2 definiert werden.

1. Die Umschreibung des Entscheidungsträgers in § 2 Abs. 1 des Entwurfs soll der in den EU-Rechtsakten angesprochenen „Person, die eine Führungsposition innehat,“ (vgl. z.B. Art. 3 Abs. 1 des Zweiten Protokolls, oben A.1.1.) entsprechen. Eine Führungsposition, die den Entscheidungsträger ausmacht, wird in diesen Rechtsakten aus einem formalen Kriterium, der Befugnis zur Vertretung nach außen, sowie aus faktischer Einflussmöglichkeit hergeleitet, nämlich aus der Befugnis, Entscheidungen zu treffen, sowie aus einer „Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person“. Zu diesem letztgenannten – eher unklaren – Kriterium enthält der Erläuternde Bericht (ABl. 1999 C 91, 8) eingehende Ausführungen. Danach geht es letztlich um die (tatsächliche) Möglichkeit, die Geschäftsführung zu beeinflussen (der in der deutschen Fassung des Erläuternden Berichts verwendete Begriff „Verwaltung“ spiegelt andere Sprachfassungen nur unzureichend wieder: englisch „management“, französisch „gestion“, italienisch „gestione“). Beispielhaft führt der Bericht die Verantwortung für die interne Finanzkontrolle und die Rechnungsprüfung und die Mitgliedschaft in einem Aufsichts- oder Kontrollgremium innerhalb der juristischen Person an. Nicht erfasst werden sollen externe Prüfer, wie etwa Wirtschaftsprüfer.

Die im ME vorgeschlagene Fassung wurde in zahlreichen Stellungnahmen kritisiert. Auf Widerspruch stieß vor allem die Formulierung „Verantwortung für einzelne Tätigkeitsbereiche“, weil diese unpräzise sei und insbesondere so ausgelegt werden könne, dass auch nur mit untergeordneten Verantwortungsbereichen betraute Mitarbeiter Entscheidungsträger wären. Vielfach wurde gefordert, die Umschreibung am Begriff des „leitenden Angestellten“ (§ 309 Abs. 2 StGB) zu orientieren, der im Zusammenhang mit mehreren Straftatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts von Bedeutung ist. Kritisiert wurde auch, dass nach dem ME die Mitglieder der Organe jedenfalls Entscheidungsträger sein sollten.

Die nunmehr vorgeschlagene Umschreibung soll dieser Kritik Rechnung tragen. Die Vorgaben der EU-Rechtsakte sollen erfüllt werden, ohne über sie hinauszugehen; gleichzeitig soll eine möglichst harmonische Einbettung in die österreichische Rechtsordnung gewährleistet werden, indem so weit wie möglich an bestehende Begriffe angeknüpft wird, insbesondere jene in § 309 Abs. 2 StGB (sodass die zu dieser Bestimmung bzw. zu Bestimmungen, die auf diese verweisen, wie z.B. § 161 StGB, entwickelte Judikatur hier angewendet werden kann). Im Ergebnis dürfte mit der vorgeschlagenen Umschreibung eine weitgehende Kongruenz mit der deutschen Rechtslage gegeben sein (§ 30 Abs. 1 OWiG – in der Fassung des Gesetzes dBGBl. I 2002, 3387, mit dem der Kreis der erfassten Personen insbesondere um Mitglieder von Aufsichtsorganen und um Leitungspersonen ohne entsprechende formale Position erweitert wurde).

Z 1 entspricht dem ersten Fall der EU-Rechtsakte und erfasst Personen mit Außenvertretungsbefugnis. Ausdrücklich angeführt werden (vgl. § 309 Abs. 2 Satz 2 StGB) zunächst der Geschäftsführer (diese Bezeichnung wird für viele in Betracht kommende Verbände verwendet, z.B. GmbH, Genossenschaft, EWIV), das Vorstandsmitglied (AG, Genossenschaft, Stiftung) und der Prokurist (§§ 48 ff HGB).

Im Übrigen sollen jene Personen erfasst werden, die in vergleichbarer Weise dazu befugt sind, den Verband nach außen zu vertreten. Es sollen also nur jene Fälle von Vertretungsmacht einen Entscheidungsträger ausmachen, in denen die Vertretungsbefugnis jener eines Geschäftsführers, eines Vorstandsmitglieds oder eines Prokuristen vergleichbar ist. Es muss sich also um eine Art Generalhandlungsmacht handeln; Vertretungsmacht für eingeschränkte Tätigkeitsbereiche ist nicht ausreichend. Analog zur Prokura (vgl. § 50 HGB) kann eine Vertretungsmacht ausreichen, die auf den Betrieb einer einzelnen Niederlassung beschränkt ist. Welchem Organ (bzw. welchen Organen) Außenvertretungsbefugnis zukommt, wird nach den in Betracht kommenden Normen (Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Vereinsstatuten ...) festzustellen sein; auf die Bezeichnung kommt es nicht an, zumal bei einzelnen Verbänden die Bezeichnung freigestellt ist (z.B. Vereine, Parteien). Ob die Mitglieder der mit Vertretungsbefugnis ausgestatteten Organe tatsächlich Einfluss auf die Geschäftsführung haben, soll ohne Belang sein. Als Geschäftsführer sind auch geschäftsführende Gesellschafter von Personengesellschaften anzusehen (Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 161 Rz 8 mN).

Durch die Einschränkung auf organschaftliche oder rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht sollen jene Entscheidungsträger ausgeschlossen werden, die von außen (namentlich durch gerichtliche Entscheidung) eingesetzt werden, wie Masseverwalter, Sachwalter, Zwangsverwalter oder Notgeschäftsführer. Auf deren Handeln haben die Eigentümer keinen Einfluss; es wäre daher auch rechtspolitisch nicht begründbar, warum deren Handeln die Verantwortlichkeit des Verbandes auslösen soll.

Von Z 2 werden – entsprechend dem dritten Fall der EU-Rechtsakte – jene Personen erfasst, denen Kontrollbefugnis zukommt. Als Beispiel nennt der Entwurf die Mitglieder von Aufsichtsräten (diese fallen auch nach § 309 Abs. 2 StGB unter den Begriff des leitenden Angestellten) und von Verwaltungsräten. Im Übrigen soll Kontrollbefugnis den Entscheidungsträger ausmachen, soweit diese in leitender Position ausgeübt wird; damit werden etwa die Leiter einer Controlling- oder Revisionsabteilung erfasst, nicht jedoch Personen mit untergeordneter Kontrollbefugnis oder außenstehende Personen (z.B. Wirtschaftsprüfer). Die Formulierung entspricht jener, die der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2002 anlässlich der Umsetzung der EU-Rechtsakte verwendet hat (§ 30 Abs. 1 Z 5 am Ende OWiG idF dBGBl. I 2002, 3387).

Schließlich sollen von Z 3 jene Personen erfasst werden, die – entsprechend dem zweiten Fall der EU-Rechtsakte – ohne eine entsprechende Befugnis faktisch maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben. Diese Voraussetzung ist aus § 309 Abs. 2 Satz 1 StGB entnommen (und ist auch der oben wiedergegebenen Formulierung im Erläuternden Bericht zum Zweiten Protokoll sehr ähnlich). Die Judikatur hat unabhängig von der formellen Position als „leitenden Angestellten“ z.B. eine Person behandelt, die faktisch die Geschäftsführung ausübt (OGH JBl 1987, 798; RZ 1995/4) oder die als Kreditgeberin und spätere Erwerberin sämtlicher Geschäftsanteile das Unternehmen faktisch beherrscht (OGH JBl 1986, 713).

Auf Grund welchen Rechtsverhältnisses (Anstellung, Werkvertrag, Leiharbeitnehmer ...) der Entscheidungsträger für den Verband handelt, soll in allen Fällen irrelevant sein (anders als nach § 309 Abs. 2 StGB, der teilweise Anstellung verlangt).

2. Die Definition des Mitarbeiters in § 2 Abs. 2 des Entwurfs soll der in den EU-Rechtsakten angesprochenen „unterstellten Person“ (vgl. z.B. Art. 3 Abs. 2 des Zweiten Protokolls, oben A.1.1.) entsprechen.

Der ME hatte vorgeschlagen, die Umschreibung auf die Formulierung „Personen, die zu Handlungen im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes eingesetzt sind“, zu beschränken; in den Erläuterungen war angemerkt worden, die Vergabe eines Auftrages an ein anderes Unternehmen (z.B. an „Subunternehmer“) sei damit nicht erfasst.

In mehreren Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren wurde einerseits die Richtigkeit dieser zuletzt wiedergegebenen Feststellung vor dem Hintergrund des vorgeschlagenen Gesetzestextes in Zweifel gezogen. Andererseits forderten mehrere Stellungnahmen eine präzisere Umschreibung, etwa durch Aufnahme eines Weisungsverhältnisses als Tatbestandsmerkmal.

Der Entwurf schlägt vor, an die im Arbeitsrecht bestehenden Abgrenzungen anzuknüpfen. Als Ausgangspunkt wird der Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsvertragsrechts herangezogen, wie er insbesondere in § 1 Abs. 1 des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes (DHG) und in § 51 Abs. 1 und 3 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes (ASGG) umschrieben wird (vgl. auch § 2 Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, AuslBG).

Mitarbeiter nach Z 1 sind zunächst alle Arbeitnehmer, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen, also Angestellte und Arbeiter. Weiters sollen Lehrlinge und andere Personen in einem Ausbildungsverhältnis als „Mitarbeiter“ gelten.

Unter Z 2 sind zunächst Heimarbeiter im Sinn von § 2 Abs. 1 lit. a des Heimarbeitsgesetzes 1960 sowie diesen nach § 3 dieses Gesetzes gleichgestellte Personen erfasst (ebenso § 1 Abs. 1 DHG und § 51 Abs. 3 Z 1 ASGG). Daneben soll der aus dem Arbeitsrecht bekannte Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit übernommen werden. Als wesentliche Elemente solcher arbeitnehmerähnlicher Verhältnisse führen § 1 Abs. 1 DHG und § 51 Abs. 3 Z 2 ASGG die Arbeitsleistung im Auftrag und für Rechnung eines anderen und die wirtschaftliche Unselbständigkeit an, wobei weder ein Arbeitsverhältnis noch eine gewerbliche Tätigkeit vorliegen (vgl. auch § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG).

Die Bestimmung in Z 3 knüpft an die Regelungen des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) an. Als „Mitarbeiter“ sind nach Z 3 jene Arbeitskräfte zu behandeln, die zu einem Dritten (dem „Überlasser“ im Sinn von § 3 Abs. 2 AÜG) in einem Vertragsverhältnis stehen und von diesem dem Verband („Beschäftiger“ im Sinn von § 3 Abs. 3 AÜG) zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden.

In Z 4 sollen schließlich der öffentliche Dienst und vergleichbare Rechtsverhältnisse erfasst werden. Mitarbeiter iSd Z 4 sind zunächst Personen in einem Dienstverhältnis, also Beamte und Vertragsbedienstete. Daneben sollen in Z 4 aber auch Personen erfasst werden, die zwar Arbeitsleistungen erbringen, aber dies weder auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages noch auf Grund eines öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses tun, sondern auf Grund besonderer öffentlichrechtlicher Bestimmungen. Dies ist zunächst bei Soldaten, die Präsenz- oder Ausbildungsdienst leisten, der Fall (andere Soldaten gehören dem Bundesheer nach geltender Rechtslage auf Grund eines Dienstverhältnisses an, vgl. § 1 Abs. 3 Wehrgesetz 2001). Ebenso erbringen Zivildienstleistende in den Einrichtungen, denen sie vom Bundesminister für Inneres zugewiesen sind, ihre Arbeitsleistungen nicht auf Grund eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses. Ähnliches gilt für Personen, die im Rahmen sozialer Maßnahmen (Erziehung, Therapie), als Häftlinge oder im Rahmen gemeinnütziger Leistungen (§ 90d f StPO) Arbeitsleistungen erbringen (vgl. § 36 Abs. 1 Z 4 und 5 Arbeitsverfassungsgesetz). Die betreffende Person soll dabei als Mitarbeiter desjenigen Verbandes behandelt werden, für den die Arbeitsleistung erbracht wird, also entweder für den Rechtsträger selbst (z.B. Soldat für das Bundesheer) oder für Dritte (z.B. Häftling im Rahmen des Freigangs für ein privates Unternehmen).

Zum 2. Abschnitt (Verbandsverantwortlichkeit – Materiellrechtliche Bestimmungen)

Zu § 3 (Verantwortlichkeit)

1. In § 3 werden die Voraussetzungen umschrieben, unter denen eine Straftat einem Verband zuzurechnen ist. Die Summe dieser Voraussetzungen wird als Verantwortlichkeit bezeichnet. Die in der Literatur diskutierte Frage, ob die Verantwortlichkeit als analoges Konstrukt zur Schuld des Individualstrafrechtes anzusehen ist (vgl. Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 417 ff) oder sich auf die Umschreibung von Deliktsunrecht beschränkt (dafür zuletzt Moos in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, StGB-Kommentar, § 4 Rz 44 ff = Moos, Die Strafbarkeit juristischer Personen und der Schuldgrundsatz, RZ 2004, 98 [100 ff]), kann offen bleiben, zumal einerseits auch einer als Unrechtsfolge gedachten Geldbuße (wie einer Strafe) ein sozialethischer Tadel innewohnt (so Moos in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, StGB-Kommentar, § 4 Rz 52 = Moos, Die Strafbarkeit juristischer Personen und der Schuldgrundsatz, RZ 2004, 98 [104]) und andererseits „im Bereich der Verbandsverantwortlichkeit Fragen der Schuld und des Unrechts kaum sinnvoll getrennt voneinander darstellbar sind“ (so Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 333).

Die vorgeschlagene Regelung orientiert sich in wesentlichen Elementen an den Vorgaben der EU-Rechtsakte und der anderen zwischenstaatlichen Rechtsakte. Der Entwurf präzisiert insbesondere die Anforderungen, die an die Anlasstat zu stellen sind. In den EU-Rechtsakten ist zwar davon die Rede, dass die Anlasstat (sei es des Entscheidungsträgers, sei es des Mitarbeiters) „begangen“ worden sein muss; ob damit aber nur eine tatbestandsmäßige oder darüber hinaus auch eine rechtswidrige und eine schuldhafte Tat gegeben sein muss und ob Strafaufhebungsgründe dem Verband zu Gute kommen, lassen die Rechtsakte offen. Die in manchen Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren aufgestellte Behauptung, es sei nach den Rechtsakten eine „voll verantwortliche“ Begehung gefordert, ist daher zwar eine mögliche, aber keineswegs die einzige Auslegung. Ein Verständnis der Verpflichtungen der Rechtsakte aus der Perspektive innerstaatlicher Dogmatik greift zu kurz. Es geht bei der Umsetzung darum, ein insgesamt ausgewogenes, kohärentes und wirksames System zu schaffen.

Unter einer Straftat ist nicht nur eine vollendete Tat, sondern auch eine versuchte Tat (§ 15 StGB) zu verstehen; nicht nur die Tat des unmittelbaren Täters, sondern auch jene des Anstifters oder eines sonst Beteiligten (§ 12 StGB). Dies entspricht den Verpflichtungen aus der Mehrzahl der zwischenstaatlichen Rechtsakte (insbesondere die EU-Rechtsakte beziehen fast alle die Beteiligungsformen und überwiegend auch den Versuch mit ein).

Es wird (in Übereinstimmung mit den internationalen Vorgaben) vorgeschlagen, dass eine Verantwortlichkeit des Verbandes in zwei verschiedenen Fällen entstehen kann: Zum einen durch eine strafbare Handlung, die von einem Entscheidungsträger begangen wird (§  3 Abs. 2), zum anderen durch die Verwirklichung des äußeren Tatbestandes einer strafbaren Handlung durch Mitarbeiter und den Umstand, dass diese Tat dadurch erleichtert wurde, dass die gebotenen Vorkehrungen zu ihrer Verhinderung unterlassen wurden (§ 3 Abs. 3). In beiden Fällen muss ein Zusammenhang zwischen der Tat und dem Verband gegeben sein (§ 3 Abs. 1). Alle diese Voraussetzungen sind im Folgenden zu erläutern:

2. Eines der schwierigsten Probleme bei der Regelung einer Verantwortlichkeit von Verbänden ist die Umschreibung des Kriteriums, das die Zurechnung einer Straftat zur Sphäre des Verbandes und daher grundsätzlich eine Verantwortlichkeit auslösen soll.

2.1. In den zwischenstaatlichen Rechtsakten ist – der im Zweiten Protokoll gefundenen Formulierung folgend – zumeist das Kriterium enthalten, dass die Straftat „zu Gunsten“ der juristischen Person begangen wurde. Jedenfalls zu erfassen sind daher Taten, durch die der Verband bereichert wurde oder bereichert hätte werden sollen, sowie solche, durch die sich der Verband einen Aufwand erspart hat oder ersparen hätte sollen. Dieses Verständnis wird für den Bereich der Vermögensdelikte ausreichen. Für andere Deliktsgruppen, bei denen die Erlangung eines Vorteils nicht vom Tatbestand umfasst ist, wie etwa bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten oder bei terroristischen Straftaten einschließlich Terrorismusfinanzierung, greift dieses Verständnis jedoch zu kurz. Wird etwa in ein Fahrzeug ein falscher Ersatzteil eingebaut, und wird dadurch ein Unfall verursacht, bei dem Menschen getötet werden, so kann es nicht darauf ankommen, ob der richtige Ersatzteil teurer gewesen wäre als der tatsächlich eingebaute (sich der Verband durch den Einbau des falschen Teils also etwas erspart hat). Es würden daher wichtige Konstellationen einer Verantwortlichkeit des Verbandes entzogen (Löschnig-Gspandl, ÖJZ 2002, 241 [244 f]; Bauer, Fragen der Verbandsstrafbarkeit, 177 ff; Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 308 f, 412 f), wobei als Beispiele etwa die mangelhafte Absicherung einer Baugrube, Umweltverschmutzungen oder der Vertrieb gefährlicher Waren genannt werden.

Darüber hinaus ist keineswegs gesichert, dass das dargestellte enge Verständnis den zwischenstaatlichen Verpflichtungen gänzlich gerecht wird. So lautet die Voraussetzung „zu Gunsten“ im französischen Text „pour le compte“ (wörtlich: „auf Rechnung“), eine Formulierung, die auch im französischen Gesetz (Art. 121-2 Nouveau Code Pénal) verwendet wird und dort nicht zuletzt im Hinblick auf Deliktsgruppen, die andere Rechtsgüter als das Vermögen schützen, weit verstanden wird (vgl. Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 260 f).

2.2. Der ME hatte vorgeschlagen, die Zurechnung mit den Worten zu umschreiben, dass die Tat „im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes für diesen“, aber „nicht zu seinem Nachteil“ begangen worden ist. Diese Formulierung wurde in zahlreichen Stellungnahmen als missverständlich und undeutlich, teils auch als zu weit gehend kritisiert.

Der Entwurf greift einen Vorschlag einer Stellungnahme auf und schlägt in § 3 Abs. 1 vor, die Zurechnung der Tat zum Verband in Anlehnung an die Regelung im deutschen Recht (§ 30 OWiG) zu umschreiben. Die Zurechnung soll stattfinden, wenn entweder die Tat „zu Gunsten“ des Verbandes begangen worden ist oder durch sie „Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen“.

2.3. Unter Taten, die zu Gunsten des Verbandes begangen worden sind (§ 3 Abs. 1 Z 1), sind entsprechend den oben wiedergegebenen Vorgaben des EU-Rechts Taten zu verstehen, durch die der Verband bereichert wurde oder bereichert hätte werden sollen, sowie solche, durch die sich der Verband einen Aufwand erspart hat oder ersparen hätte sollen.

2.4. In § 3 Abs. 1 Z 2 werden außerdem Taten erfasst, durch die Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen. Welche Pflichten das im einzelnen sind, kann nur aus dem Tätigkeitsbereich des Verbandes erschlossen werden. Beschäftigt ein Verband Arbeitnehmer, so ist er dazu verpflichtet, diese vor Gefahren zu bewahren; produziert er Waren, so hat er Umweltverschmutzungen hintanzuhalten; vertreibt er Waren oder Dienstleistungen, so muss er darauf achten, dass diese seinen Kunden keine Schäden verursachen. Die Pflichten ergeben sich daher vor allem aus dem Zivil- und Verwaltungsrecht. Eine allgemeine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten soll für Verbände ebenso wenig bestehen, wie für natürliche Personen; neue Pflichten sollen durch die Bestimmung nicht geschaffen werden.

2.5. Durch diese Umschreibungen soll sichergestellt sein, dass Taten ohne hinreichenden Zusammenhang mit dem Verband und dessen Tätigkeit als Anknüpfung ausscheiden. Dies gilt zunächst für Taten, die sich unmittelbar gegen die Interessen des Verbandes richten; weiters für solche, die von Betriebsangehörigen ausschließlich auf eigene Rechnung, etwa unter Ausnutzung der durch die Tätigkeit geschaffenen Gelegenheiten, begangen werden (zB ein Handwerker begeht anlässlich von Arbeiten in einer Wohnung einen Diebstahl). Ausgeschlossen sind aber auch alle Taten, die lediglich in einem im Zuge der Tätigkeit für den Verband gesetzten Verhalten bestehen, durch das gegen eine für jedermann geltende Pflicht verstoßen wird, z.B. eine Verkehrsübertretung, ohne dass dies in einem Verantwortlichkeitszusammenhang mit Entscheidungsträgern steht.

Ob die handelnden Personen im Rahmen der ihnen eingeräumten Befugnisse geblieben sind, darauf soll es nicht ankommen.

3. Der erste Fall der Verantwortlichkeit von Verbänden besteht darin, dass ein Entscheidungsträger (vgl. die Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 1) eine Straftat begeht (§ 3 Abs. 2). Für die Zurechnung zum Verband ist erforderlich, dass die strafbare Handlung rechtswidrig und schuldhaft begangen worden ist; der Entscheidungsträger muss also tatbestandsmäßig gehandelt haben (sowohl den äußeren wie den inneren Tatbestand erfüllt haben), und es dürfen weder Rechtfertigungs- noch Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe vorliegen. Hat der Entscheidungsträger ein Vorsatzdelikt begangen, ist auch der Verband wegen des Vorsatzdeliktes verantwortlich; hat er ein Fahrlässigkeitsdelikt begangen, ist auch der Verband wegen des Fahrlässigkeitsdelikts verantwortlich.

Der Entwurf sieht davon ab, im Gesetzestext auf andere Strafausschließungs- oder -aufhebungsgründe einzugehen. Nach dem Zweck der Regelung werden aber die Strafaufhebungsgründe der Verjährung, des Rücktritts vom Versuch, der tätigen Reue oder der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat auch dem Verband zu Gute zu halten sein, nicht dagegen etwa der Tod des Entscheidungsträgers.

Mit den Worten „als solcher“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Taten von Entscheidungsträgern nur dann nach § 3 Abs. 2 zu beurteilen sind, wenn der Entscheidungsträger in Ausübung seiner (in § 2 Abs. 1 umschriebenen) leitenden Funktion gehandelt hat. Nimmt der Entscheidungsträger ausnahmsweise typische Mitarbeiteraufgaben wahr, so ist dies nur nach § 3 Abs. 3 zu beurteilen.

Der Kern des den Verband treffenden Vorwurfs (und der Grund für dessen Sanktionierung) besteht zwar – wie beim zweiten Fall, unten 4. – nicht darin, dass ein für ihn Tätiger (hier: der Entscheidungsträger) die Tat begangen hat, sondern darin, dass der Verband die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen, insbesondere Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen hat. Da aber ein Verband nur dadurch handeln kann, dass ihm das Handeln oder Unterlassen seiner Entscheidungsträger zugerechnet wird, ist die Begehung einer Straftat für den Verband durch einen solchen Entscheidungsträger quasi unwiderleglich als Ausdruck mangelnder Sorgfalt zur Verhinderung solcher Taten anzusehen (vgl. Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 423).

4. Für den zweiten Fall der Verantwortlichkeit (§ 3 Abs. 3) müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein.

4.1. Zum Einen (Abs. 3 Z 1) müssen Mitarbeiter (vgl. § 2 Abs. 2) einen „Sachverhalt rechtswidrig verwirklichen, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht“; durch diese – aus den im StGB enthaltenen Definitionen von Vorsatz (§ 5 Abs. 1) und Fahrlässigkeit (§ 6 Abs. 1) entlehnte – Formulierung soll zunächst ausgedrückt werden, dass der objektive Tatbestand eines Deliktstypus erfüllt sein muss. Es soll genügen, dass mehrere Mitarbeiter Teilhandlungen setzen, die in Summe das Tatbild erfüllen, und sie müssen auch nicht namentlich feststehen; dies soll durch die Verwendung des hier verwendeten Plurals ausgedrückt werden (anders in Abs.  2). Dadurch soll der arbeitsteiligen Organisation von Verbänden (bzw. der diesen zugeordneten Unternehmen) Rechnung getragen werden. Nicht ausreichend wird es allerdings sein festzustellen, dass irgendeiner der Mitarbeiter des Verbandes die Tat begangen hat; vielmehr muss der in Betracht kommende Personenkreis eingeschränkt und konkretisiert sein, etwa durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisationseinheit, durch bestimmte Aufgaben etc.

Darüber hinaus dürfen keine Rechtfertigungsgründe vorliegen, während es nicht darauf ankommen soll, ob die Mitarbeiter auch schuldhaft gehandelt haben; für die Berücksichtigung von Umständen, die im Individualstrafrecht einen Entschuldigungsgrund bedeuten, ist im Rahmen der zweiten Voraussetzung (Unterlassung der gebotenen und zumutbaren Vorkehrungen, dazu sofort 4.2.) genug Raum.

Zur Frage, ob es auch auf die innere Tatseite des Mitarbeiters ankommen soll, schlägt der Entwurf vor, zwischen Vorsatzdelikten und Fahrlässigkeitsdelikten zu unterscheiden: Um den Verband für ein Fahrlässigkeitsdelikt verantwortlich zu machen, soll die Verwirklichung des Tatbestandes durch Mitarbeiter und die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens genügen, weil die zweite Voraussetzung (dazu sofort) ohnehin eine subjektive Sorgfaltswidrigkeit (des Verbandes selbst) in sich trägt. Um dagegen eine Verantwortlichkeit des Verbandes für ein Vorsatzdelikt rechtfertigen zu können, scheint es unabdingbar, dass ein Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat (d.h. es muss zumindest ein Mitarbeiter sämtliche im Deliktstypus enthaltenen Vorsatzelemente in sich vereinen).

Zuzugestehen ist, dass die vorgeschlagene Lösung zur Unterscheidung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten (nämlich an den Vorsatz von Mitarbeitern anzuknüpfen) insofern nicht ganz konsequent ist, als ja der Kern des den Verband treffenden Vorwurfs nicht in der Begehung der Tat liegt, sondern darin, dass der Verband die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Tatsächlich ist auch ein Modell vorgeschlagen worden, bei dem sich Vorsatz und Fahrlässigkeit in Bezug auf die Unterlassung der Vorkehrungen ergeben (vgl. Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 424 ff). Allerdings scheint es zweifelhaft, ob in Bezug auf die Unterlassung der Vorkehrungen eine Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit in der Praxis möglich wäre. Die im Entwurf vorgeschlagene Lösung scheint daher in der Praxis leichter handhabbar zu sein. Im Ergebnis sind die Unterschiede zwischen der hier vorgeschlagenen Lösung und dem Modell von Löschnig-Gspandl aber gering.

4.2. Die zweite Voraussetzung soll darin bestehen, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben (Abs. 3 Z 2); damit wird das in den EU-Rechtsakten (z.B. Art. 3 Abs. 2 des Zweiten Protokolls) enthaltene Kriterium der „mangelnden Überwachung oder Kontrolle“ präzisiert. Welche Vorkehrungen im Einzelnen geboten sind, kann abstrakt nicht beantwortet werden; dies wird im Einzelfall je nach Größe und Struktur des Verbandes, den von dessen Tätigkeiten ausgehenden Gefahren, dem Ausbildungsstand und der Verlässlichkeit der Mitarbeiter usw. festzustellen sein. Maßstab für die gebotene Sorgfalt kann – wie auch sonst bei der Feststellung objektiver Sorgfaltswidrigkeit, zu deren Umschreibung hier die Formulierung „nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht lassen“ aus § 6 Abs. 1 StGB übernommen wurde – eine Rechtsnorm, eine Verkehrsnorm oder (in deren Ermangelung) das hypothetische Verhalten eines „mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundenen, besonnenen und einsichtigen Menschen“ (RV zum StGB, 30 BlgNR XIII.GP 68) sein (vgl. Burgstaller, WK2 § 6 Rz 38, 42 ff; Fuchs, AT I6, 12. Kap., Rz 12 ff). Die vorgeschlagene Regelung knüpft daher – wie der Fahrlässigkeitsbegriff im Individualstrafrecht – an bestehende Normen an und will keine zusätzlichen schaffen.

Das Kriterium der „gebotenen Sorgfalt“ beinhaltet, dass Maßnahmen überhaupt möglich sind. Sind die Maßnahmen nicht möglich, nicht geboten oder nicht zumutbar, so ist der Verband von der Verantwortlichkeit frei. Durch das Attribut „wesentlich“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Nichtbefolgung bloßer Formalvorschriften noch keinen Sorgfaltsverstoß im Sinn der Bestimmung darstellt.

Ein bestimmter Entscheidungsträger, der die Maßnahmen unterlassen hat, muss nicht feststehen; ebenso wenig ist von Bedeutung, ob die Maßnahmen vorsätzlich, fahrlässig oder nicht schuldhaft unterlassen worden sind.

Das Außer-Acht-Lassen der Sorgfalt muss weiters die Begehung der Tat durch den Mitarbeiter ermöglicht oder zumindest wesentlich erleichtert haben (Risikoerhöhung); nicht gefordert werden soll der Nachweis, dass die gebotene Sorgfalt die Tat verhindert hätte. Damit soll den Erfahrungen in Deutschland Rechnung getragen werden (der deutsche Gesetzgeber ist 1994 zum Prinzip der Risikoerhöhung übergegangen, indem er in § 130 OWiG die Worte „hätte verhindert werden können“ durch die Worte „verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“ ersetzt hat). Auch hier soll es auf die subjektive Erwartung des Entscheidungsträgers nicht ankommen; es ist also irrelevant, ob der Entscheidungsträger damit gerechnet hat (oder damit rechnen hätte müssen), dass die Unterlassung der Vorkehrungen die Tat erleichtert hat.

5. Der Verband wird also wegen eines Vorwurfs verantwortlich gemacht, der von einem Schuldvorwurf gegenüber natürlichen Personen verschieden ist. Es muss daher wegen der selben Tat sowohl eine Verantwortlichkeit eines Verbandes als auch eine Strafbarkeit einer natürlichen Person möglich sein. Dies wird auch in zahlreichen zwischenstaatlichen Rechtsakten ausdrücklich gefordert. Abs. 4 sieht daher vor, dass die Strafbarkeit natürlicher Personen (namentlich der Entscheidungsträger und Mitarbeiter) eine Verantwortlichkeit des Verbandes nicht ausschließt und umgekehrt. Eine Doppelbestrafung liegt darin nicht, weil unterschiedliche Subjekte wegen eines sie treffenden, je unterschiedlichen Vorwurfs sanktioniert werden.

Theoretisch wäre es denkbar, den Verband nur subsidiär verantwortlich zu machen, also nur dann, wenn keine natürliche Person bestraft werden kann (so in Teilbereichen das Schweizer Gesetz). Dies würde aber nicht nur den zwischenstaatlichen Rechtsakten widersprechen, sondern es wäre auch ungerecht (weil dann die Verantwortlichkeit des Verbandes von sachfremden Umständen abhängen kann) und kriminalpolitisch kontraproduktiv (weil es der Verband in der Hand hätte, durch Präsentation eines Schuldigen der eigenen Bestrafung zu entgehen, in der Literatur kritisch als „Sitzdirektor“ oder „Frühstücksdirektor“ apostrophiert, vgl. Pieth, Internationale Anstösse zur Einführung einer strafrechtlichen Unternehmenshaftung in der Schweiz, ZStrR 2001, 1 [15 f], Heine, Unternehmen, Strafrecht und europäische Entwicklungen, ÖJZ 2000, 871 [875]).

Zu § 4 (Verbandsgeldbuße)

Die zwischenstaatlichen Rechtsakte fordern, dass „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“ (zu diesem Begriff vgl. oben im Allgemeinen Teil, A.1.4.) gegen juristische Personen verhängt werden können; verpflichtend ist die Verhängung von Geldsanktionen, die Einführung anderer Sanktionen ist fakultativ (zu diesen unten 9.).

1. Um den Unterschied zur Geldstrafe des Individualstrafrechts zu verdeutlichen, schlägt der Entwurf vor, die über den Verband zu verhängende Sanktion als Geldbuße zu bezeichnen. Der vorzusehenden Sanktion soll sowohl general- als auch spezialpräventive Wirkung zukommen, es soll durch sie auch ein sozialethischer Tadel zum Ausdruck gebracht werden, aber im Unterschied zur Strafe des Individualstrafrechts kein individualethischer Tadel (insoweit übereinstimmend Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 430, und Moos in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, StGB-Kommentar, § 4 Rz 50 ff = Moos, Die Strafbarkeit juristischer Personen und der Schuldgrundsatz, RZ 2004, 98 [103 f]).

2. Die konkrete Ausgestaltung der Regelungen über Geldstrafen bzw. Geldbußen in europäischen Rechtsordnungen ist sehr unterschiedlich. In einigen Staaten wird die höchstens auszusprechende Geldstrafe betragsmäßig fixiert, etwa in Finnland (ca. 840 000 Euro), in Schweden (3 Mio. Kronen – ca. 330 000 Euro) oder in der Schweiz (5 Mio. SFr); ebenso in Deutschland (rund 500 000 Euro), wo dieser Betrag allerdings überschritten werden kann, damit die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil aus der Tat übersteigt (§ 30 Abs. 3 in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG). Ähnlich die Regelung in Slowenien, wo die Geldstrafe einerseits mit 150 Mio. Tolar (ca. 660 000 Euro) begrenzt ist, andererseits aber bis zum Zweihundertfachen des Gewinns aus der Straftat oder des durch diese verursachten Schadens bemessen werden kann. Umgekehrt ist in Griechenland primär eine Strafe bis zum Fünffachen des Gewinns aus der Straftat zu verhängen; nur wenn dieser nicht festgestellt werden kann, kann die Strafe mit bis zu 2,9 Mio. Euro bemessen werden. In Ungarn kann die Geldstrafe bis zum Dreifachen des Gewinns verhängt werden. In Frankreich ist die Höchststrafe das Fünffache des für natürliche Personen vorgesehenen Strafrahmens (für Geldstrafen), sodass beispielsweise die Höchststrafe für aktive Bestechung rund 760 000 Euro, für Betrug rund 1,1 Mio. Euro und für Drogenhandel rund 38 Mio. Euro beträgt. Zwei Staaten kennen ein Tagessatzsystem: In Italien können 100 bis 1000 Tagessätze verhängt werden; die maximale Höhe der Geldstrafe beträgt rund 1,5 Mio. Euro. In Portugal richtet sich die Anzahl der Tagessätze nach der im Gesetz vorgesehenen Freiheitsstrafdrohung; der für Wirtschaftsstraftaten üblichen höchsten Freiheitsstrafe von acht Jahren entsprechen 2920 Tagessätzen, wodurch die Geldbuße bis zu rund 13 Mio. Euro betragen kann.

Im EG-Kartellstrafrecht kann, wie oben bereits dargestellt, die Geldbuße bis zu 10 % des Vorjahresumsatzes betragen; es wurden bereits Geldbußen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro verhängt. Die im Prinzip gleiche Lösung gilt auch in Polen und im österreichischen Kartellrecht.

Dieser kurze Querschnitt, der keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, zeigt die große Bandbreite an Möglichkeiten, eine Verbandsgeldsanktion auszugestalten.

3. Für die in Österreich zu treffende Regelung ist zunächst festzuhalten, dass eine Anknüpfung an die im Gesetz (natürlichen Personen) angedrohte Geldstrafe nicht in Betracht kommt, weil im österreichischen Strafrecht bei schwereren Delikten lediglich Freiheitsstrafe angedroht wird. Wenig zweckmäßig scheint es auch, unmittelbar an den Gewinn aus der strafbaren Handlung oder den dadurch verursachten Schaden anzuknüpfen, weil es Fälle gibt, in denen kein Schaden, kein Gewinn oder keines von beiden vorliegt; diese Anknüpfung wäre auch deshalb inkonsequent, weil es der Entwurf auch bei der Begründung der Verantwortlichkeit (§ 3) vermeidet, auf Schaden oder Gewinn abzustellen. Die Festlegung eines für alle Straftatbestände gleichen Höchstbetrages der Geldbuße wäre inadäquat, weil dadurch die vom Gesetzgeber durch die unterschiedliche Höhe der angedrohten Freiheitsstrafe zum Ausdruck gebrachte Abstufung nach der Schwere (Sozialschädlichkeit) des Deliktstypus verloren ginge. Dem österreichischen Strafrecht entspricht es daher am besten, an die abgestuften Freiheitsstrafdrohungen im Besonderen Teil anzuknüpfen.

4. Der ME hatte zwar ein tagessatzähnliches System zur Bemessung der Geldbuße vorgeschlagen, aber zugleich ausdrücklich zur Diskussion gestellt, statt dessen eine betragsmäßigen Höchstgeldbuße, allenfalls ergänzt um eine Überschreitungsmöglichkeit bei besonders hohem Gewinn oder besonders hohem Schaden, einzuführen. Zum tagessatzähnlichen System bemerkte der ME, dieses habe zwar den Vorzug, dass auf die Besonderheiten des Einzelfalls in transparenter – und damit nachvollziehbarer und überprüfbarer – Weise eingegangen werden könne; Nachteil dieses Systems sei seine Komplexität, die in der Praxis doch einen gewissen Aufwand mit sich bringen werde.

Zahlreiche Stellungnahmen haben die vom ME vorgeschlagene Lösung als kompliziert und in der Anwendung aufwändig bezeichnet (häufig wurde darauf verweisen, dass eine Bemessung ohne Heranziehung von Sachverständigen kaum möglich sein werde), einzelne haben auch die mangelnde Plastizität kritisiert. Viele Stellungnahmen (darunter auch solche, die die vorgenannte Kritik geäußert haben) haben aber grundsätzlich ein tagessatzähnliches System befürwortet (exemplarisch Univ.-Prof. Dr. Tipold: „Sachgerechte Lösungen sind höher zu bewerten als Unannehmlichkeiten bei der Gesetzesvollziehung“).

Der Entwurf trägt der angeführten Kritik insoweit Rechnung, als ein einfacheres und plastischeres System vorgeschlagen wird (dazu sogleich), bleibt aber grundsätzlich beim Tagessatzsystem, das sich im Individualstrafrecht seit Jahrzehnten bewährt hat. Auch bei Verbänden kann zwischen der Schwere des Vorwurfs, die mit der Anzahl der „Tagessätze“ (also einer an die Besonderheiten des Verbandes angepassten Rechengröße) zum Ausdruck gebracht wird, und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unterschieden werden, nach der die Höhe dieser Rechengröße festgelegt wird. Die Bemessung der Höhe der Buße ist dadurch transparenter als bei einer Geldsummenstrafe (ebenso Löschnig-Gspandl, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, 444 f).

5. Der ME hatte als tagessatzähnliches System Folgendes vorgeschlagen: Analog zum Tagessatz sollte ein „Ertragsäquivalent“ innerhalb einer Bandbreite von 0,0005 bis 0,01 % des Jahresumsatzes errechnet werden; der Faktor innerhalb dieser Bandbreite sollte je nach Verhältnis von Umsatz und Gewinn (Umsatzrentabilität) des Verbandes gewählt werden, wobei die Erläuterungen darauf hinwiesen, dass dieses Verhältnis in Österreich je nach Wirtschaftsbranche sehr unterschiedlich sei und zwischen 1,5 und 30 Prozent liege. Das so errechnete „Ertragsäquivalent“ sollte mit einem Faktor multipliziert werden, den der ME je nach der für das betreffende Delikt im Gesetz vorgesehenen höchsten angedrohten Freiheitsstrafdrohung gestaffelt zwischen 500 und 1500 festsetzte.

Dieses System ist in einzelnen Stellungnahmen, vor allem aber auch in der öffentlich Debatte als „umsatzabhängig“ missverstanden worden. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass es den vorgeschlagenen Faktoren an Plastizität mangle und man sich von der tatsächlichen Dimension der möglichen Höhe der Bußen kein Bild machen könne.

Der Entwurf greift diese Kritik auf. Zum einen soll der Tagessatz (auf den Begriff Ertragsäquivalent wird verzichtet) grundsätzlich unmittelbar in Anknüpfung an den Ertrag (und nicht über den Umweg des Umsatzes) festgesetzt werden. Zum anderen soll der Umstand, dass es sich um einen Tagessatz handelt, dadurch verdeutlicht und vorstellbar gemacht werden, dass bei der Festsetzung des Tagessatzes vom 360sten Teil des Jahresertrages ausgegangen und der Tagessatz mit Faktoren zwischen 40 und 180 (dies entspricht sechs Monaten) vervielfacht werden soll (näher sogleich).

6. Die Höchstzahl der Tagessätze soll entsprechend der im österreichischen Strafrecht bestehenden Staffelung der Höchst(freiheits)strafen festgesetzt werden (§ 4 Abs. 3). Die im Individualstrafrecht bestehende „Progression“ der Freiheitsstrafdrohungen soll allerdings nicht übernommen werden, sondern flacher verlaufen. Der Grund dafür liegt einerseits im unterschiedlichen Charakter von Freiheitsstrafen und Geldbußen: eine Übernahme der Progression hätte entweder zu niedrige Geldbußen für Straftaten mit geringer Freiheitsstrafdrohung oder zu hohe für Delikte mit höchsten Freiheitsstrafdrohungen zur Folge. Andererseits soll damit auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich der Vorwurf gegenüber dem Verband nicht primär auf die Begehung der Straftat bezieht, sondern vor allem auf die Unterlassung der gebotenen Sorgfalt erstreckt.

Der Entwurf schlägt daher entsprechend der bei Straftatbeständen bestehenden Staffelung von Freiheitsstrafdrohungen eine Höchstzahl der Tagessätze zwischen 40 und 180 vor. Sieht ein Tatbestand ausnahmsweise nur Geldstrafe vor, so kommt der niedrigste Strafrahmen (40 Tagessätze) zur Anwendung..

7. Zur Bemessung der Höhe des Tagessatzes wird vorgeschlagen, primär an die Ertragslage anzuknüpfen (§ 4 Abs. 4).

7.1. Ziel ist es, dem Verband (in analoger Anwendung der für die Bemessung der Höhe der Tagessätze im Individualstrafrecht geläufigen Grundsätze) Überschüsse zu entziehen, ohne dass die Betriebsgrundlage gefährdet wird. Orientierungsgröße ist daher jener Zahlungsüberschuss des Verbandes, welcher nach Berücksichtigung notwendiger Investitionen und Fremdfinanzierungsaufwendungen grundsätzlich für Ausschüttungszwecke an die Eigentümer zur Verfügung stehen würde. Dies ist nämlich jener Betrag, über den der Verband frei disponieren könnte, ohne dass seine betriebliche Tätigkeit gefährdet wird oder eingeschränkt werden muss. Bei Unternehmen, welche in diesem Sinne keine Überschüsse produzieren, wird regelmäßig die Mindesthöhe zur Anwendung kommen (dazu sogleich). Durch die Beschränkung auf an die Eigentümer ausschüttbare Überschüsse wird nicht nur erreicht, dass die betriebliche Tätigkeit des Verbandes grundsätzlich nicht eingeschränkt werden muss, sondern es wird auch eine „indirekte Bestrafung“ von Arbeitnehmern, Gläubigern, Lieferanten etc. des Verbandes vermieden.

7.2. Nach den gleichen Grundsätzen soll bei der Beurteilung vorzugehen sein, inwieweit die sonstige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Verbandes in die Bemessung des Umsatzäquivalents einfließen soll. Zunächst ist festzuhalten, dass damit keinesfalls beabsichtigt ist, auf betriebsnotwendiges Vermögen (Anlage- und Umlaufvermögen) zu greifen. Dagegen scheint es sachgerecht, nicht betriebsnotwendiges Vermögen einzubeziehen, dessen Verwertung auch keinen negativen Einfluss auf die Ertragslage hätte. Wird z.B. eine nicht betriebsnotwendige Liegenschaft vermietet, so werden die entsprechenden Mieterträge bereits in den für die Bemessung primär heranzuziehenden Erträgen enthalten sein, und es würde eine zusätzliche Berücksichtigung eines potentiellen Veräußerungserlöses dieser Liegenschaft zu einer ungerechtfertigten Doppelberücksichtigung führen. Handelt es sich hingegen um eine nicht betriebsnotwendige, brachliegende Liegenschaft, so würde deren Veräußerung (mangels vorliegender Erträge) die Ertragslage des Verbandes insgesamt nicht beeinflussen und in diesem Fall wäre die Berücksichtigung gerechtfertigt.

Der bloße Umstand einer Konzernzugehörigkeit des Verbandes bedeutet noch nicht, dass dieser wirtschaftlich leistungsfähiger ist; daraus allein kann daher keine höhere Bemessung des Ertragsäquivalents im Vergleich zu einem unabhängigen Verband resultieren. Im Einzelfall wäre es allerdings denkbar, unterlassene Gewinnausschüttungen von Unternehmen, an denen der Verband beteiligt ist, zu berücksichtigen.

Durch diese Grundsätze ist gewährleistet, dass Unternehmen in ihrer Vermögensbildung nicht behindert werden.

Zur Berücksichtigung dieser Umstände wird ein Rahmen vorgeschlagen: Zu- oder Abschläge bis zu einem Drittel vom „Tagesertrag“.

7.3. Bei Verbänden, die Verluste schreiben und auch sonst eine schlechte Vermögenslage aufweisen, könnte nach diesen Kriterien keine Geldbuße festgesetzt werden. Dies wäre aber unbefriedigend. Der Entwurf schlägt daher vor, analog zur Mindesthöhe des Tagessatzes (§ 19 Abs. 2 StGB, 2 €) einen Mindesttagessatz vorzusehen.

7.4. Die Anknüpfung an die Ertragslage muss allerdings bei all jenen Verbänden versagen, die nicht auf Gewinn gerichtet sind. Für solche Verbände muss daher ein anderer Bemessungsmodus geschaffen werden.

Der Entwurf schlägt für solche Verbände einen Höchst- und einen Mindestbetrag des Tagessatzes vor, der sich an den Sätzen in § 19 StGB orientiert (2 bis 500 €). Dieser Rahmen scheint ausreichend, damit das Gericht die Vermögenslage des Verbandes umfassend berücksichtigen kann; so kann etwa die Herkunft (z.B. Spenden Dritter) und die Zweckwidmung von Einkünften oder Vermögen des Verbandes eine Rolle spielen.

Eine wichtige Gruppe unter den nicht auf Gewinn gerichteten Verbänden sind jene, die gemeinnützigen, humanitären oder kirchlichen Zwecken dienen. In den §§ 34 bis 47 BAO wird umschrieben, was unter diesen drei Begriffen zu verstehen ist und welche weiteren Voraussetzungen erfüllt sein müssen. In zahlreichen Bestimmungen des Steuer- und Abgabenrechts wird an diese Eigenschaft angeknüpft.

7.5. Der Entwurf verzichtet bewusst darauf, die heranzuziehenden Parameter allzu sehr festzulegen. Es sei daran erinnert, dass sich der Gesetzgeber anlässlich der Beratungen über das StGB – zu § 19 – gegen den Vorschlag der Regierungsvorlage (30 BlgNR XIII. GP) entschied, „für die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Bemessung des Tagessatzes ins einzelne gehende Vorschriften“ zu erlassen; Schätzungen sollten nicht nur – wie in der RV vorgeschlagen – dann zulässig sein, wenn sich die Bemessungsgrundlagen sonst nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand feststellen lassen, sondern „in allen Fällen“ (JA-Bericht 959 BlgNR XIII. GP, 5).

Es wird daher davon abgesehen, im einzelnen festzulegen, auf welchen Grundlagen das Gericht die Höhe des Ertrages bemisst; dies wäre auch kaum möglich, weil unterschiedliche Verbände unterschiedlichen Vorschriften unterliegen (z.B. Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz, internationale Rechnungslegungsvorschriften usw.). In diesem Sinn wird auch der Vorschlag des ME fallen gelassen, auf ein bestimmtes (nämlich das dem Urteil vorangehende) Geschäftsjahr abzustellen. Beispielsweise ermöglicht es die nun vorgeschlagene Regelung auch, den Durchschnittsertrag aus mehreren Jahren heranzuziehen.

8. Im Individualstrafrecht ist für den Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe die Festsetzung und Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe vorgesehen. Es wird jedoch davon abgesehen, für den Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldbuße eine Ersatzsanktion vorzusehen: Ist ein Verband zahlungsunfähig, so wird dies letztlich zum Konkurs oder Ausgleich führen. Nach § 58 Z 2 KO und § 28 Z 2 AO können jedoch „Geldstrafen wegen strafbarer Handlungen jeder Art“ im Konkurs- bzw. Ausgleichsverfahren nicht geltend gemacht werden. Diese Wertung des Gesetzgebers, dass der staatliche Strafanspruch gegenüber einer (ohnehin nur teilweisen) Befriedigung von Gläubigern zurücktritt, ist auch auf die Verbandsgeldbuße zu übertragen. Eine Ersatzsanktion ist daher entbehrlich.

9. Neben der Verhängung von Geldsanktionen sehen die zwischenstaatlichen Rechtsakte fakultativ die Einführung anderer Sanktionen vor. Als solche Sanktionen führt etwa das Zweite Protokoll an (Art. 4): Maßnahmen des Ausschlusses von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen; Maßnahmen des vorübergehenden oder ständigen Verbots der Ausübung einer Handelstätigkeit; richterliche Aufsicht; richterlich angeordnete Auflösung.

Die in anderen europäischen Rechtsordnungen vorgesehenen (strafrechtlichen) Sanktionen sind kaum überblickbar; neben den im Zweiten Protokoll angeführten werden etwa der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge oder die Veröffentlichung der Entscheidung angedroht.

Der österreichischen Strafrechtsordnung sind allerdings Nebenstrafen, wie der Entzug von Berechtigungen (z.B. des Führerscheins), weitgehend fremd; diese Entscheidungen sind dem Materiengesetzgeber bzw. der sachlich in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde überlassen. Es spricht viel dafür, von dieser Aufgabenverteilung zwischen Strafrecht und Verwaltungsrecht nicht grundsätzlich abzugehen. Bei der Einführung von Nebenstrafen ist daher Zurückhaltung angezeigt.

Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass für natürliche Personen zwei Arten von Strafen zur Verfügung stehen, die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe. Es könnte sich daher empfehlen, auch für Verbände etwas Ähnliches wie eine Freiheitsstrafe einzuführen.

In diesem Sinn wurde erwogen, eine Sanktion vorzuschlagen, die in dem Verbot der Führung eines bestimmten Betriebes oder einer bestimmten Betriebsstätte oder der Ausübung einer bestimmten Geschäftstätigkeit besteht. Ein solches Verbot hätte etwa für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren unter strengen Voraussetzungen verhängt werden können.

Es wurde aber schließlich davon abgesehen, solche Bestimmungen in den Entwurf aufzunehmen, einerseits im Hinblick auf starke Bedenken der Vertreter der Wirtschaft gegen eine solche als „Todesstrafe“ apostrophierte Sanktion, andererseits auch deshalb, weil die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer solchen Unrechtsfolge wie ihre Durchführung entsprechend der angesprochenen Aufgabenverteilung zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden doch besser letzteren überlassen bleiben soll.

Allerdings wird durch entsprechende flankierende Gesetzgebung sicherzustellen sein, dass die zuständigen Verwaltungs- oder Aufsichtsbehörden über die erforderlichen Rechtsgrundlagen verfügen. In zahlreichen Materiengesetzen des Verwaltungsrechtes ist vorgesehen, dass Verurteilungen natürlicher Personen deren Ausschluss von bestimmten Berechtigungen zur Folge hat (so z.B. nach § 13 GewO den Ausschluss von der Ausübung bestimmter oder aller Gewerbe, der nach § 87 GewO den Entzug der Gewerbeberechtigung nach sich ziehen kann). Solche Bestimmungen werden auf adäquate Rechtsfolgen einer Verurteilung des Verbandes zu erweitern sein.

Zu § 5 (Bemessung der Verbandsgeldbuße)

1. Die Bestimmungen über die Bemessung der Anzahl der Tagessätze im Einzelfall orientieren sich grundsätzlich an den §§ 32 ff StGB.

Als Gründe, die zur Verhängung einer hohen Buße führen, kommen primär die Umstände und Folgen der Tat in Betracht (Schaden, Gefährdung, Vorteil), wobei entsprechend den in § 3 umschriebenen Voraussetzungen der Verantwortlichkeit dem Umstand besonderes Gewicht zukommen soll, inwieweit der Verband Vorkehrungen zur Verhinderung solcher Taten getroffen hat und inwieweit er das Verhalten seiner Mitarbeiter in positiver oder negativer Weise beeinflusst hat. Berücksichtigt werden soll aber auch das Verhalten des Verbandes nach der Tat, namentlich ob der Verband die Ermittlungen unterstützt oder behindert hat und ob er Schritte zur Wiedergutmachung von Tatfolgen sowie zur zukünftigen Verhinderung ähnlicher Taten unternommen hat.

2. Einzelne Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren – insbesondere solche aus dem Bereich der Wirtschaft – haben gefordert, die Sanktion danach zu differenzieren, ob es sich um die Tat eines Entscheidungsträgers oder (nur) um eine solche eines Mitarbeiters handelt. Der Entwurf sieht zwar in § 4 davon ab, bei der Höchstzahl der Tagessätze eine Differenzierung vorzunehmen. Es scheint jedoch durchaus sachgerecht, einen besonderen Milderungsgrund für die Fälle einer Mitarbeitertat im Sinn des § 3 Abs. 3 vorzusehen (Abs. 3 Z 2). In diesen Fällen besteht der Vorwurf gegen den Verband darin, dass er die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, insbesondere indem er bestimmte Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen hat. Diese Voraussetzungen sind der Begehung durch Unterlassung (§ 2 StGB) vergleichbar. Begehung durch Unterlassung stellt einen Milderungsgrund dar (§ 34 Abs. 1 Z 5 StGB); diesem ist die in Abs. 3 Z 2 vorgeschlagene Bestimmung nachgebildet. Wie jeder andere Milderungsgrund, kann auch dieser seinem Gewicht nach von Erschwerungsgründen überwogen werden (Leukauf/Steininger, StGB3 Rz 10 zu § 34).

3. Der mildernde Umstand, dass die Tat bereits gewichtige rechtliche Nachteile für den Verband oder seine Eigentümer nach sich gezogen hat (Abs. 3 Z 6), ist dem letzten Fall des § 34 Abs. 1 Z 19 StGB nachempfunden; damit soll insbesondere auch in jenen Fällen eine mildere Bemessung der Buße ermöglicht werden, in denen eine natürliche Person aufgrund ihrer Doppelstellung als Entscheidungsträger und Eigentümer Gefahr läuft, zunächst als Täter der (die Verantwortlichkeit des Verbandes auslösenden) Straftat bestraft und dann nochmals indirekt durch die Verhängung einer Geldbuße über den Verband sanktioniert zu werden.

In Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren ist in diesem Zusammenhang mehrfach auf die sogenannte „Ein-Mann-GmbH“ hingewiesen worden, also eine GmbH, bei der der Geschäftsführer zugleich 100 % der Gesellschaftsanteile hält. Einige Stellungnahmen haben gefordert, in diesen Fällen von einer Bebußung gänzlich abzusehen. Dies ginge aber aus folgenden Gründen zu weit: Erstens ist davon auszugehen, dass die über den Verband zu verhängende Geldbuße oft höher zu bemessen sein wird als eine über den Entscheidungsträger zu verhängende Geldstrafe; mit letzterer allein kann dann bei einer Gesamtbetrachtung nicht das Auslangen gefunden werden. Zweitens könnte die Entscheidung zwischen Verfolgung und Absehen jenen in der Praxis zahlreichen Grenzfällen nicht gerecht werden, in denen zwar keine „Ein-Mann-GmbH“, aber sehr ähnliche Verhältnisse vorliegen (z.B. Anteil des Geschäftsführers von 99 %).

Den zahlreichen denkbaren Konstellationen kann daher eine flexible Bestimmung in Form einer Bemessungsvorschrift am besten gerecht werden. Sollte im Einzelfall – unter Berücksichtigung der Eigentumsverhältnisse und der Ertragslage des Verbandes – durch die Bestrafung natürlicher Personen bereits jenes Strafausmaß erreicht werden, dem eine angemessene Bebußung des Verbandes entsprechen würde, so wird die über den Verband (noch) zu verhängende Geldbuße an der Untergrenze (ein Tagessatz) festzusetzen sein.

4. Die §§ 32 ff StGB und insbesondere einzelne dort angeführte Erschwerungs- oder Milderungsgründe sollen durchaus einer subsidiären Anwendung zugänglich sein (§ 12 Abs. 1 VbVG), zumal ja die Aufzählung in Abs. 2 und 3 nur demonstrativ ist („insbesondere“). So wird etwa der Umstand, das der Verband schon früher wegen einer ähnlichen Tat verurteilt worden ist, in sinngemäßer Anwendung des § 33 Z 2 StGB erschwerend zu berücksichtigen sein.

Zur möglichen Berücksichtigung von Milderungsgründen auch noch nach Rechtskraft siehe unten bei § 27.

Hingewiesen sei hier darauf, dass der Entwurf vorschlägt, der bedingten Nachsicht eines Teils der Geldbuße einen wesentlich weiteren Anwendungsbereich zu geben als derzeit für natürliche Personen vorgesehen (siehe unten § 7); dies wird zur Folge haben, dass die tatsächlich zu zahlenden Verbandsgeldbußen geringer ausfallen werden als die ausgesprochenen.

Zu §§ 6 und 7 (Bedingte Nachsicht der bzw. eines Teiles der Verbandsgeldbuße)

Der Entwurf schlägt vor, dass gegen Verbände ausgesprochene Geldbußen unter bestimmten Voraussetzungen zur Gänze oder zum Teil bedingt nachgesehen werden können; die Bestimmungen sind weitgehend den §§ 43, 43a Abs. 1, 3 und 4 StGB nachempfunden.

1. Die Nachsicht der gesamten Geldbuße soll nach § 6 möglich sein, wenn die Anzahl der Tagessätze nicht mehr als 70 beträgt; diese Höchstgrenze entspricht nach § 4 Abs. 3 VbVG einer Freiheitsstrafdrohung von bis zu zwei Jahren und damit der in § 43 Abs. 1 StGB für die Nachsicht der gesamten Strafe vorgesehenen Höchststrafe. Die Probezeit soll – wie in § 43 StGB – höchstens drei Jahre dauern.

2. Während im Individualstrafrecht eine bedingte Nachsicht auch nur eines Teils der Strafe nicht zulässig ist, wenn die verhängte Freiheitsstrafe höher als drei Jahre ist (vgl. § 43 Abs. 4 StGB), sieht der Entwurf in § 7 für eine bedingte Nachsicht eines Teils der Verbandsgeldbuße keinerlei Höchstgrenze vor: Geldbußen gegen Verbände sollen also immer, unabhängig von ihrer Höhe, zum Teil bedingt nachgesehen werden können. Damit soll ein Anreiz geschaffen werden, die vom Gericht gleichzeitig zu erteilenden Weisungen zu befolgen (zu den Weisungen siehe sogleich 3. und im Einzelnen unten bei § 8). Die Bestimmung kann sowohl auf Geldbußen von mehr als 70 Tagessätzen als auch auf niedrigere Geldbußen angewendet werden.

Was die Höhe jenes Teils der Geldbuße anlangt, der nicht bedingt nachgesehen werden darf, so schlägt der Entwurf mindestens ein Sechstel und höchstens zwei Drittel der insgesamt verhängten Geldbuße vor. Die Regelung in § 43 Abs. 3 und 4 StGB (die zu verbüßende Strafe muss höchstens ein Drittel und mindestens einen Monat betragen) eignet sich für eine Anwendung auf Verbandsgeldbußen wegen des vorgeschlagenen unbegrenzten Anwendungsbereichs der teilbedingten Nachsicht nicht.

3. Durch die grundsätzlich unbegrenzte Anwendung der bedingten Nachsicht eines Teils der Geldbuße wird angestrebt, Weisungen im Verhältnis zu Verbänden eine größere Bedeutung zu geben als sie im Individualstrafrecht haben. Der Entwurf geht von der Erwartung aus, dass durch Weisungen eine Steuerung des zukünftigen Verhaltens des Verbandes besonders wahrscheinlich ist.

Eine völlige Loslösung der Weisungen von der bedingten Nachsicht (zumindest) eines Teils der Buße (dies befürwortet Löschnig-Gspandl, Die Strafbarkeit von Unternehmen, in: BMJ (Hg), Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 31 (2003), 187 [255]) scheint dagegen wenig zweckmäßig, weil dann der Anreiz zur Befolgung der Weisung wegfiele.

Zu § 8 (Weisungen)

Wie bereits erwähnt, soll Weisungen im Verbandsstrafrecht große Bedeutung zukommen. Zu diesem Zweck soll jede ausgesprochene Verbandsgeldbuße zumindest zum Teil bedingt nachgesehen werden können (§§ 6 und 7).

Der Entwurf unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Arten von Weisungen. Zum einen soll dem Verband jedenfalls Schadensgutmachung (Schadenersatz) aufgetragen werden, soweit diese noch nicht erfolgt ist. Zum anderen sollen Weisungen erteilt werden, die die Ursachen der Straftat beseitigen und auf diese Weise rechtstreues Verhalten des Verbandes in der Zukunft sicherstellen sollen. Da solche Maßnahmen einen tiefgreifenden Eingriff in die Unternehmensführung darstellen und überdies häufig von der Genehmigung durch Verwaltungsbehörden abhängen werden, sollen sie nur erteilt werden können, wenn der Verband zustimmt. Die hier vorgeschlagenen Weisungen verfolgen daher keine anderen rechtspolitischen Zielsetzungen als jene des Individualstrafrechts (§§ 50, 51 StGB).

Zu § 9 (Widerruf der bedingten Nachsicht der Verbandsgeldbuße)

Entsprechend der Systematik im StGB führt eine in der Probezeit oder nach der Entscheidung erster Instanz begangene Tat zu einer neuerlichen Verurteilung, eine vor der Entscheidung erster Instanz begangene Tat, die mit dieser schon abgeurteilt werden hätte können, in Anwendung von § 31 StGB (§ 12 VbVG) zu einer nachträglichen Verurteilung und Verhängung einer „Zusatzgeldbuße“. In diesen Fällen soll analog zum Individualstrafrecht (§§ 53, 55 StGB) die bedingte Strafnachsicht widerrufen werden können, ebenso wenn der Verband Weisungen nicht befolgt. Im Fall einer Zusatzgeldbuße soll abweichend von § 55 StGB, der nur die Alternativen (gänzlicher) Widerruf oder Absehen vom Widerruf kennt, eine flexiblere Vorgangsweise im Sinn einer Gesamtbetrachtung ermöglicht werden.

Zu § 10 (Rechtsnachfolge)

Der staatliche Strafanspruch gegen natürliche Personen erlischt mit deren Tod.

Wesentlich komplizierter stellt sich die Situation bei Verbänden dar, bei juristischen Personen wie bei Personengesellschaften. Diese können zwar beendet werden; in vielen Fällen gibt es aber einen neuen (oder anderen) Verband, der Rechtsnachfolger ist oder zumindest den Betrieb oder die Tätigkeit fortführt.

Die in Abs. 1 vorgeschlagene Regelung betrifft Fälle der Gesamtrechtsnachfolge; zu denken ist hier etwa an die Umwandlung, Verschmelzung, Spaltung, Übernahme nach § 142 HGB, Einbringung nach § 61a VAG oder § 92 Abs. 4 BWG. Tritt die Gesamtrechtsnachfolge nach der Tat, aber vor einer vom Gericht zu treffenden Entscheidung (z.B Verhängung einer Geldbuße, Erteilung von Weisungen, endgültige Nachsicht oder Widerruf bedingter Nachsicht) ein, so ist die Entscheidung gegen den Rechtsnachfolger zu fällen (Satz 1). Tritt die Gesamtrechtsnachfolge nach einer vom Gericht getroffenen Entscheidung ein, so wirkt diese für den Rechtsnachfolger (Satz 2); so werden etwa auch Verurteilungen eines Gesamtrechtsvorgängers dem Nachfolger zuzurechnen sein, wenn im Gesetz daran Rechtsfolgen geknüpft sind (vgl. §§ 5, 6).

Die verfahrensrechtliche Absicherung dieser Bestimmungen findet sich in § 16 Abs. 3.

Neben diesen Fällen der gesellschaftsrechtlichen Rechtsnachfolge ist es aber auch denkbar, dass ein Betrieb durch schuldrechtlichen Vertrag, etwa durch Kauf, Pacht, Leasing etc., übertragen wird. Im Zivil- und Handelsrecht ist eine weitgehende Übernahme von Verbindlichkeiten durch den Nachfolger vorgesehen (§ 1409 ABGB, § 25 HGB); ähnliche Bestimmungen sehen eine weitgehende Haftung des Erwerbers für Abgaben (§ 14 BAO) und Sozialversicherungsbeiträge (§ 67 Abs. 4 und 5 ASVG) vor.

Entsprechend dem im VbVG gewählten Ansatz, eine Verantwortlichkeit für Straftaten nicht einem Unternehmen, sondern dem Verband (als Rechtsform) zuzurechnen, wird jedoch für diese Fälle des Betriebs- oder Unternehmensübergangs grundsätzlich nicht vorgeschlagen, dass die Rechtsfolgen des VbVG auf den Nachfolger übergehen sollen. Nur um die Umgehung der in Abs. 1 vorgeschlagenen Bestimmungen zu vermeiden, wird vorgeschlagen, dass auch in Fällen der Einzelrechtsnachfolge gegen den „neuen“ Verband vorgegangen werden kann, wenn der Betrieb oder die Geschäftstätigkeit im Wesentlichen fortgeführt wird und im Wesentlichen die gleichen Eigentumsverhältnisse bestehen (Abs. 2).

Einen besonderen Fall der Rechtsnachfolge regelt Abs. 3, nämlich jenen, dass einem Verband eine Mehrheit von Verbänden nachfolgt (z.B. Spaltung). In diesen Fällen soll eine verhängte Geldbuße gegen jeden der Rechtsnachfolger vollstreckt werden können; andere Rechtsfolgen (z.B. Weisungen) können einzelnen Rechtsnachfolgern zugeordnet werden, etwa wenn sich eine Weisung auf einen bestimmten Betrieb oder einen bestimmten Tätigkeitsbereich bezieht, der von einem der Rechtsnachfolger übernommen worden ist.

Zu § 11 (Ausschluss eines Rückgriffs)

Voraussetzung für eine Verantwortlichkeit eines Verbandes ist nach § 3 des Entwurfs jedenfalls ein strafgesetzwidriges Verhalten eines Entscheidungsträgers oder eines Mitarbeiters des Verbandes. Aus der Sicht eines Verbandes, der für eine solche Tat verantwortlich gemacht und verurteilt wurde, könnte es daher nahe liegen, sich an jenen schadlos zu halten, die die Tat begangen haben.

Könnte der Verband die ihn treffenden Rechtsfolgen, insbesondere die Geldbuße, wiederum auf Einzelne überwälzen, so würde dies dem Zweck der Verbandsverantwortlichkeit diametral zuwiderlaufen. Tatsächlich könnte argumentiert werden, dass ein solcher Rückgriff nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen unzulässig wäre, etwa wegen Sittenwidrigkeit.

Zur Vermeidung von Unklarheiten – und Anregungen im Begutachtungsverfahren folgend – empfiehlt sich jedoch eine ausdrückliche Regelung.

Die vorgeschlagene Bestimmung schließt einen Rückgriff des Verbandes auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter aus. Unzulässig ist ein Rückgriff zunächst für Geldbußen; er soll aber auch für alle anderen Rechtsfolgen aus diesem Bundesgesetz ausgeschlossen sein: also etwa für die Kosten von Weisungen oder von im Rahmen der Diversion erbrachte Leistungen oder für Verteidigungskosten.

Zu § 12 (Anwendbarkeit der allgemeinen Strafgesetze)

1. Die im zweiten Abschnitt vorgeschlagenen Bestimmungen (namentlich die §§ 3 bis 9) verdrängen die entsprechenden Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, namentlich die §§ 4, 12 bis 16, 19, 43, 43a, 50, 51, 53 und 55 StGB. Im Übrigen sollen aber, ähnlich wie im Jugendstrafrecht (vgl. § 5 JGG), die Bestimmungen des StGB – insbesondere des Allgemeinen Teils – auch im Bereich der Verbandsverantwortlichkeit angewendet werden (Abs. 1). Dass etliche dieser Bestimmungen ausschließlich auf natürliche Personen zugeschnitten und daher auf Verbände unanwendbar sind, wie etwa die Bestimmungen über Freiheitsstrafen und freiheitsentziehende vorbeugende Maßnahmen, Amtsverlust oder Berauschung, versteht sich von selbst.

So werden einzelne der in den §§ 33 und 34 StGB angeführten Erschwerungs- und Milderungsgründe auf Verbände nicht passen, andere werden sinngemäßer Anwendung zugänglich sein (siehe schon oben bei § 5). Eine nachträgliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines zu einer Geldbuße verurteilten Verbandes wird in sinngemäßer Anwendung von § 31a Abs. 2 StGB zu einer entsprechenden Neubemessung des Tagessatzes führen können.

Der Verweis auf die allgemeinen Strafgesetze bedeutet etwa, dass neben der im Entwurf vorgesehenen Verbandsgeldbuße eine Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGB ausgesprochen werden kann. Wie im Strafrecht natürlicher Personen, dient die Abschöpfung der Wegnahme des durch die Tat erlangten Vorteils, die Geldbuße dagegen der Sanktionierung eines Vorwurfs (Schuld bei natürlichen Personen, Verantwortlichkeit bei Verbänden). Geldbuße und Abschöpfung können daher nebeneinander und unabhängig voneinander verhängt werden.

Ebenso werden Bestimmungen, nach denen die Strafbarkeit wegen einer Tat durch tätige Reue aufgehoben wird, auf Verbände anzuwenden sein: führt der Verband selbst die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen tätiger Reue herbei, so wird er von der Verantwortlichkeit für die Straftat frei. Bestimmungen, die vorsehen, dass die Strafbarkeit unter bestimmten Voraussetzungen wieder auflebt (z.B. § 153c Abs. 4), sind ebenfalls sinngemäß auf den Verband anzuwenden. Von diesen Fragen ist die Frage zu unterscheiden, ob dem Täter der Tat selbst tätige Reue zu gute kommt.

2. Anzuwenden sind auch die Bestimmungen des Individualstrafrechts über die inländische Gerichtsbarkeit (§§ 62 ff StGB). Eine österreichische Gerichtsbarkeit für Verbände wird immer dann vorliegen, wenn die Anlasstat (also die Tat des Entscheidungsträgers im Sinn von § 3 Abs. 2 oder der durch Mitarbeiter verwirklichte Sachverhalt im Sinn von § 3 Abs. 3) nach den Regeln der §§ 62 bis 65 und 67 Abs. 2 StGB den österreichischen Strafgesetzen unterliegt. Theoretisch wäre es zwar denkbar, auch in der Unterlassung der nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Vorkehrungen durch einen Entscheidungsträger (§ 3 Abs. 3) einen territorialen Anknüpfungspunkt zu sehen. Da aber die soziale Störung primär in der Tatbestandsverwirklichung liegt, kann darauf wohl verzichtet werden. Insoweit scheinen gesonderte Regelungen entbehrlich.

Einer ausdrücklichen Regelung bedürfen jedoch jene Anknüpfungstatbestände der inländischen Gerichtsbarkeit, die spezifisch auf natürliche Personen zugeschnitten sind, also Wohnsitz und Aufenthalt des Täters im Inland sowie dessen österreichische Staatsbürgerschaft. Für Verbände soll nach Abs. 2 statt dessen an den Sitz oder den Ort des Betriebes oder der Niederlassung angeknüpft werden.

Festzuhalten ist, dass zwischenstaatliche Rechtsakte bisher keine Regelungen über Gerichtsbarkeit in Bezug auf Verbände enthalten.

3. Grundsätzlich anwendbar sind auch die Bestimmungen des StGB über die Verjährung. Ein Verband wird wegen einer Straftat nicht mehr verfolgt werden können, wenn diese nach den §§ 57 f StGB verjährt ist. Ebenso sind die Bestimmungen über die Verjährung der Vollstreckbarkeit (§§ 59 f StGB) grundsätzlich einer Anwendung auf Verbände zugänglich. Einer besonderen Bestimmung bedarf es jedoch insoweit, als die Frist der Vollstreckungsverjährung in § 59 Abs. 3 StGB an die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe anknüpft. Daher wird in Abs. 3 vorgeschlagen, die Frist für die Verjährung der Vollstreckbarkeit nach der Anzahl der Tagessätze (der tatsächlich verhängten Geldbuße) gestaffelt festzusetzen.

Zum 3. Abschnitt (Verfahren gegen Verbände)

Zu § 13 (Einleitung des Verfahrens)

1. Es wird vorgeschlagen, für den Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens und damit zugleich auch für den Zeitpunkt, ab dem dem Verband die Rechte des Beschuldigten zustehen, einen Vorgriff auf die StPO idF des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, zu machen und den dort vorgesehenen materiellen Beschuldigtenbegriff (§ 48 Abs. 1 Z 1 StPO idF StPRG) auf die Verbandsverantwortlichkeit zu übertragen: Die Stellung als „belangter Verband“ soll einem Verband demnach ab dem Zeitpunkt zukommen, ab dem er auf Grund bestimmter Tatsachen verdächtig ist, dass er für eine Tat verantwortlich im Sinn des § 3 sei (Abs. 1).

Wie bereits in den Erläuterungen zu § 3 ausgeführt, unterscheidet sich das vorgeschlagene Modell der Verantwortlichkeit von der Schuld des Individualstrafrechtes. Es scheint daher unpassend, im Verfahrensrecht den Begriff „Beschuldigter“ auf den Verband anzuwenden. Der ME hatte als neutralere Umschreibung den Begriff „beteiligter Verband“ vorgeschlagen; dies wurde im Begutachtungsverfahren wegen Verwechslungsgefahr mit dem Privatbeteiligten kritisiert. Es wird daher der Begriff „belangter Verband“ vorgeschlagen.

Analog zum Individualstrafverfahren, in dem der Staatsanwalt die Wahl hat, ob er unmittelbar einen Strafantrag einbringt oder zunächst Ermittlungen beantragt, soll diese Wahl dem Staatsanwalt auch hier offen stehen.

Wie der Zweck des Strafverfahrens gegen eine natürliche Person, ist es aber auch Zweck des Verfahrens gegen einen Verband, eine Entscheidung über einen den Verband treffenden Verdacht (für eine Straftat verantwortlich zu sein) herbeizuführen. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Vorwurf einer Verantwortlichkeit nach dem vorgeschlagenen Bundesgesetz als strafrechtliche Anklage im Sinn des Art. 6 EMRK angesehen werden muss. Dem beteiligten Verband sollen (und müssen) daher die in der StPO vorgesehenen Verteidigungsrechte des Beschuldigten zustehen.

2. Der vorgeschlagene Abs. 2 enthält eine von § 46 StPO abweichende, den Besonderheiten des Verfahrens gegen Verbände Rechnung tragende Regelung über den Beginn der Frist, innerhalb der eine zur Privatanklage berechtigte Person einen Verfolgungsantrag stellen muss. Im Übrigen gelten für Privatanklagen die Bestimmungen der StPO (dazu sofort bei § 14).

Zu § 14 (Anwendung der Bestimmungen über das Strafverfahren)

1. Es ist ein Grundanliegen des vorliegenden Entwurfes, dass der gegen einen Verband gerichtete Vorwurf im Zusammenhang mit einer gerichtlich strafbaren Handlung („Verantwortlichkeit“) nach dem selben Verfahren behandelt wird wie ein Vorwurf gegen eine natürliche Person wegen derselben strafbaren Handlung. Abgesehen von einigen Sonderbestimmungen, auf die sogleich einzugehen sein wird, sollen daher die allgemeinen Regeln über das Strafverfahren auch für das Verfahren gegen Verbände gelten (Abs. 1).

Mit den allgemeinen Regeln über das Strafverfahren ist primär die StPO gemeint. Beispielsweise wird auch im Verfahren gegen Verbände in Anwendung des § 46 StPO eine Privatanklage möglich sein (was in der Praxis eine gewisse Bedeutung haben könnte, weil einige Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts Privatanklagedelikte sind). Gleiches gilt für das Institut der Privatbeteiligung (§§ 47 ff StPO); kann aus der Verantwortlichkeit des Verbandes ein privatrechtlicher Anspruch abgeleitet werden, so kann sich der Verletzte auch dem Verfahren wegen der Verantwortlichkeit des Verbandes anschließen. Erfasst sind aber auch strafverfahrensrechtliche Bestimmungen in anderen Gesetzen, etwa über besondere Zuständigkeiten oder Verfahrensrechte.

Wie im materiellen Recht, gibt es allerdings auch im Verfahrensrecht Bestimmungen, die ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind (z.B. über Verhaftung und Untersuchungshaft) und die daher auf Verbände nicht angewendet werden können.

2. Ein Verfahren gegen einen Verband ist als Strafsache im Sinn der Organisationsgesetze, die die Gerichte und die Staatsanwaltschaften betreffen, anzusehen (Abs. 2).

3. Soweit in der StPO oder in Organisationsgesetzen die Begriffe „strafbare Handlung“, „Vergehen“ oder „Verbrechen“ verwendet werden, sind diese im Hinblick auf Verbände als Bezugnahme auf Taten zu verstehen, für die der Verband verantwortlich gemacht werden könnte (Abs. 3). Desgleichen sollen Bestimmungen, in denen vom Verdächtigen, vom Beschuldigten oder vom Angeklagten die Rede ist, so verstanden werden, dass sie sich auf den belangten Verband beziehen, wie er in § 13 Abs. 1 umschrieben ist. Schließlich sind Bestimmungen, die sich auf die Strafe beziehen, in der Weise zu verstehen, dass sie sich auf die Verbandgeldbuße beziehen.

Zu § 15 (Zuständigkeit)

1. Wie bereits im Allgemeinen Teil der Erläuterungen dargestellt, soll das Verfahren gegen einen Verband grundsätzlich gemeinsam mit dem Strafverfahren gegen Mitarbeiter oder Entscheidungsträger geführt werden. Abs. 1 sieht daher zunächst vor, dass für das Verfahren gegen einen Verband das selbe Gericht sachlich, funktionell und örtlich zuständig sein soll, das für das Strafverfahren gegen eine natürliche Person wegen derselben Tat zuständig ist. Die Verfahren sollen „in der Regel“ (vgl. § 56 Abs. 1 StPO) gemeinsam zu führen sein; es wird auch das Endurteil gegen die natürlichen Personen und den Verband gemeinsam zu fällen sein (vgl. unten §§ 21 und 22). Unter den Voraussetzungen des § 57 StPO ist aber eine getrennte Führung zulässig.

Ausdrücklich klargestellt wird, dass dem Verband auch im Verfahren gegen die natürliche Person die Rechte des Beschuldigten zustehen (dies bedeutet, dass der Verband jedenfalls auch Rechtsmittel gegen die Verurteilung der natürlichen Person einlegen kann, soweit daraus eine Voraussetzung seiner Verantwortlichkeit abgeleitet wird; Berufung wegen Strafe zu Gunsten des Beschuldigten/Angeklagten wird dem Verband daher nicht zustehen). Dies gilt auch bei getrennter Führung der Verfahren.

Kann keine natürliche Person verfolgt werden (etwa weil diese flüchtig oder verstorben sind oder kein bestimmter Mitarbeiter ermittelt werden kann, der den Sachverhalt verwirklicht hat), so ist nur der Verband zu verfolgen (siehe § 21 Abs. 3).

2. Bei getrennter Führung richtet sich die Zuständigkeit nach den allgemeinen Zuständigkeitsregeln der StPO (§§ 8 ff , 51 ff), die nach § 14 Abs. 1 anzuwenden sind. Eine Modifizierung dieser Regeln ist nur insofern erforderlich, als die örtliche Zuständigkeit in gewissen Fällen an den Wohnsitz oder Aufenthalt des Beschuldigten anknüpft (§§ 52, 54 StPO). In diesen Fällen soll nach Abs. 2 an den Sitz des beteiligten Verbandes angeknüpft werden, besteht ein solcher im Inland aber nicht, an den Ort des Betriebes oder der Niederlassung. Ähnliche Bestimmungen kennen das deutsche (§ 444 Abs. 3 dStPO, § 88 Abs. 2 OWiG), französische und belgische Recht; vgl. auch § 75 JN. Subsidiär soll das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig sein.

Zu § 16 (Zustellung und notwendige Verteidigung)

1. Die Befugnis zur Empfangnahme von an den Verband zuzustellenden Schriftstücken wird sich aus Gesetz oder Satzung ergeben.

Ob zu eigenen Handen (§ 21 ZustellG) zuzustellen ist, wird grundsätzlich nach den Bestimmungen der StPO (§ 79 Abs. 1) zu entscheiden sein. Dem Verband sollen aber jedenfalls die Verständigung von der Einleitung des Verfahrens, der Antrag auf Verhängung einer Geldbuße (§ 21, als Pendant zur Anklageschrift und zum Strafantrag), die Ladung zur Hauptverhandlung und ein Abwesenheitsurteil zu eigenen Handen zugestellt werden (Abs. 1). Zu Einzelheiten der Verständigung von der Einleitung des Verfahrens, insbesondere zu ihrem Zeitpunkt, wird auf § 38 Abs. 4 StPO zurückzugreifen sein.

2. Juristische Personen und Gesellschaften sind nicht prozessfähig, bedürfen also zur Wahrnehmung der dem Beschuldigten entsprechenden Rolle im Verfahren eines Vertreters. Der Entwurf geht davon aus, dass die – nach Gesetz oder Satzung – zur Vertretung nach außen berufenen Organe auch zur Vertretung des Verbandes in einem gegen diesen geführten Strafverfahren berufen sind; einer gesonderten Bestimmung bedarf es daher nicht. In diesem Sinn kann es auch dem Verband überlassen bleiben, ob er – wenn mehrere Personen in Frage kommen – eine oder mehrere Personen die Vertretung wahrnehmen lässt und ob er diese Personen im Lauf der Zeit austauscht; davon ist das Recht des Gerichts zu unterscheiden, das Erscheinen bestimmter Personen zur Beschuldigtenvernehmung anzuordnen (vgl. Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Verbänden, JBl 2003, 496 [498 f]).

Von der Wahrnehmung der dem Beschuldigten entsprechenden Rolle im Verfahren ist die Rolle des Verteidigers zu unterscheiden. Das Recht des Verbandes, einen oder mehrere Verteidiger zu bestellen, bleibt daher von diesen Ausführungen ebenso unberührt wie die Bestimmungen der StPO über die notwendige Verteidigung.

3. Eine Regelung scheint nur für den Fall erforderlich, dass sich das zur Vertretung nach außen berufenen Organ zur Gänze in einer Interessenkollision befindet (vgl. Köck, Prozessuale Aspekte der Strafbarkeit von Verbänden, JBl 2003, 496 [500]): dies wird der Fall sein, wenn sämtliche Mitglieder dieses Organs selbst der Straftat verdächtig sind. Bestimmungen für vergleichbare Kollisionslagen finden sich im Zivil- und Gesellschaftsrecht (§ 271 ABGB, § 76 AktG, § 15a GmbHG), im Jugendstrafverfahrensrecht (§ 38 Abs. 5 Z 1 JGG) und – im Hinblick auf die hier interessierende strafrechtliche Verfolgung juristischer Personen – im belgischen Strafverfahrensrecht (Art. 2bis Code de Procédure Pénale).

Es wird daher vorgeschlagen (Abs. 2), dass das Gericht eine dritte Person als „Kollisionskurator“ bestellen soll, wenn sämtliche Mitglieder des zur Vertretung nach außen befugten Organs selbst im Verdacht stehen, die Straftat begangen zu haben. Im Strafverfahren bietet es sich an, mit dieser Aufgabe einen Verteidiger zu betrauen; es wird daher vorgeschlagen, dass das Gericht einen Verteidiger als Kollisionskurator zu bestellen hat (notwendige Verteidigung).

Aufgabe des Verteidigers ist einerseits die Verteidigung im Verfahren, andererseits auch alles zu unternehmen, um die Bestellung von Personen herbeizuführen, die für den Verband im Verfahren die Rolle des Beschuldigten wahrnehmen, ohne sich in Interessenkollision zu befinden. Die diesbezüglichen Aufgaben können nur sehr allgemein umschrieben werden, weil es je nach Struktur des Verbandes und Lage des Falles sehr unterschiedliche Konstellationen geben kann. So werden bei bemakelten Vorstandmitgliedern einer AG deren Aufsichtsrat einzuschalten, bei einer GmbH die Gesellschafter zu informieren oder bei einem Verein etwa eine Mitgliederversammlung einzuberufen sein.

Die Tätigkeit des Verteidigers endet, wenn der Verband entweder selbst einen Verteidiger bestellt oder einen Vertreter bestellt. Dabei wird es nicht ausgeschlossen sein, dass die verantwortlichen Organe eine Person bestellen, bei der die dargestellte Interessenskollision vorliegt: Wenn der Verband dies bewusst in Kauf nimmt, so besteht kein Anlass, dies nicht zuzulassen.

Die Tragung der Kosten der Tätigkeit des Verteidigers richtet sich nach § 41 StPO.

4. Nach § 10 Abs. 1 gelten die gegen einen Verband ausgesprochenen Rechtsfolgen auch gegen den Rechtsnachfolger. Nach dem Vorbild von § 97 Abs. 2 BAO sieht Abs. 3 vor, dass die Zustellung der die Maßnahme treffenden Verfügung auch gegen den Rechtsnachfolger wirkt.

Zu § 17 (Vernehmung als Beschuldigter)

Im Strafverfahren kommt der Unterscheidung, ob jemand als Zeuge oder als Beschuldigter vernommen werden soll, zentrale Bedeutung zu. Für das Verfahren gegen Verbände muss daher geregelt werden, welcher der beiden Gruppen die für das Unternehmen tätigen Personen zuzuordnen sind.

Der ME hatte vorgeschlagen, als Beschuldigte (nur) jene Entscheidungsträger und Mitarbeiter zu vernehmen, die der Straftat im Sinn von § 3 des Entwurfs verdächtig sind oder bereits verurteilt wurden. Im Begutachtungsverfahren wurde dies als zu eng kritisiert; auch Entscheidungsträger, die selbst nicht der Straftat verdächtig sind, müssten als Beschuldigte vernommen werden (und damit nicht unter Wahrheitspflicht aussagen).

Die RV greift diese Anregung auf und schlägt in Abs. 1 vor, dass sämtliche Entscheidungsträger im Sinn von Art. 2 Abs. 1 einerseits und jene Mitarbeiter, die der Straftat verdächtig sind oder bereits verurteilt wurden, andererseits als Beschuldigte zu vernehmen sind. Konsequenterweise sind diese Personen auch als Beschuldigte zu laden (§ 173 StPO), gegebenenfalls auch vorzuführen. Ist eine solche Personen auch Beschuldigter in einem gegen sie selbst geführten Strafverfahren, so wird die Vernehmung unter Einem stattfinden können.

Es soll in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, ob es die Vertretung durch einen Machthaber zulässt: die nur im bezirksgerichtlichen Verfahren anwendbare Bestimmung des § 455 Abs. 2 StPO soll im Verfahren gegen Verbände immer anwendbar sein.

Alle anderen für den Verband handelnden Personen, also nicht der Tat verdächtige Mitarbeiter, aber auch externe Berater, sollen nach dem Vorschlag des Entwurfs als Zeugen zu vernehmen sein (ähnlich im deutschen Recht). Dieser Personenkreis ist durch Entschlagungsrechte (§§ 152 f StPO) hinreichend geschützt.

Die in Abs. 2 vorgeschlagene Belehrung orientiert sich an der in der StPO idF des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, vorgesehenen Belehrung anlässlich der Vernehmung des Beschuldigten (§ 164 Abs. 1 StPO idF StPRG).

Zu § 18 (Verfolgungsermessen)

1. Die Einführung einer Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten ist eine tiefgreifende Neuerung im österreichischen Kriminalrecht und bedeutet Neuland für die Verfolgungsbehörden, aber auch für die Wirtschaft. Wiewohl sich die Verantwortlichkeit von Verbänden am Individualstrafrecht orientiert, unterscheidet sie sich von diesem doch insoweit, als Aspekten der Prävention eine noch größere Bedeutung zukommt als dort: Einerseits kann von Verbänden erwartet werden, dass sie aktiv Maßnahmen ergreifen, um der Begehung von Taten entgegenzuwirken, für die sie verantwortlich gemacht werden könnten. Andererseits sind auch die vorgeschlagenen Sanktionsmöglichkeiten (Weisungen, Diversion) noch stärker zukunftsorientiert (und damit präventiv) ausgerichtet als im Individualstrafrecht.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, im Verfahren gegen Verbände von dem im Individualstrafrecht in Österreich traditionellen Anklagezwang abzugehen und der Anklagebehörde – innerhalb gewisser Grenzen – die Befugnis einzuräumen, Opportunitätserwägungen in die Entscheidung einfließen zu lassen, ob ein Verband verfolgt werden soll. Ein solcher Schritt verstößt nicht gegen die zwischenstaatlichen Verpflichtungen, zumal die meisten EU-Mitgliedstaaten auch im Individualstrafrecht das Opportunitätsprinzip kennen (und daher alle Maßnahmen der Angleichung materiellrechtlicher Bestimmungen in der EU unter der Prämisse zu sehen sind, dass die Möglichkeit, im Einzelfall von der Verfolgung abzusehen, der Normalfall ist). Das Opportunitätsprinzip steht auch nicht – wie in einzelnen Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren behauptet – im Widerspruch zu dem (vom strafprozessualen Legalitätsprinzip zu unterscheidenden) Legalitätsgrundsatz nach Art. 18 B-VG: Diesem entspricht auch ein gesetzlich hinreichend determiniertes Verfolgungsermessen (Schroll in WKStPO § 34, Rz 4; Schroll, Diversion als Ausdruck eines Paradigmenwechsels der Strafrechtsdogmatik, in FS Moos [1997] 259 [267]; E. Steininger, Zur aktuellen Diskussion um das strafprozessuale Legalitätsprinzip und § 42 StGB, JBl 1989, 431).

Der Entwurf sieht daher – wie auch schon der ME – ein Ermessen der Staatsanwaltschaft vor, ob im Einzelfall ein Verband verfolgt werden soll.

2. Der ME hat als Voraussetzung für ein Absehen oder einen Rücktritt von der Verfolgung das Kriterium vorgeschlagen, ob der Ermittlungs- und Verfolgungsaufwand zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Sanktionen außer Verhältnis steht. Im Lichte der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens sowie weiterer Überlegungen soll dieses Kriterium zwar beibehalten, jedoch auf eine breitere Basis gestellt werden.

In diesem Sinn wird in Abs. 1 zunächst vorgeschlagen, der Entscheidung der Staatsanwaltschaft eine umfassende Abwägung aller relevanten Umstände zu Grunde zu legen. Abzuwägen sind: der den Verband treffende Vorwurf, konkretisiert durch die Schwere der Tat und das Gewicht der Pflichtverletzung (vgl. § 3 Abs. 1 Z 2) oder des Sorgfaltsverstoßes (§ 3 Abs. 3 Z 2); die Folgen der Tat (insbesondere der entstandene Schaden und sonstige negative Tatfolgen, aber auch eingetretene Bereicherung); das Verhalten des Verbandes nach der Tat (wurden Maßnahmen zur Vermeidung vergleichbarer Taten ergriffen?); und die rechtlichen Folgen der Tat, wobei sowohl die nach dem VbVG zu erwartenden Sanktionen, namentlich die voraussichtliche Höhe einer Geldbuße, als auch bereits eingetretene oder unmittelbar absehbare rechtliche Nachteile in Betracht zu ziehen sind, die den Verband (Schadenersatz, Maßnahmen von Verwaltungsbehörden) oder seine Eigentümer (vgl. den Milderungsgrund des § 5 Abs. 3 Z 6 und die Erläuterungen dazu) treffen.

Exemplarisch wird sodann ein Fall angeführt, in dem die Abwägung zu Gunsten einer Einstellung ausfallen wird: Das bereits im ME enthaltene Kriterium, ob der Ermittlungs- und Verfolgungsaufwand zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Sanktionen außer Verhältnis steht. Bei der Beurteilung der „Bedeutung der Sache“ wird auf alle Umstände der Tat zu achten sein, insbesondere auf deren Folgen und die dadurch entstandene Sozialstörung, aber etwa auch auf die Schwere der Sorgfaltsverstöße. Im Rahmen der Abschätzung der Sanktionen kann auch berücksichtigt werden, ob zu erwarten ist, dass eine Geldbuße einbringlich sein wird; ist der Verband etwa weitgehend mittellos (oder in Konkurs) und ist auch kein Rechtsnachfolger vorhanden (§ 10), bei dem eine Einbringung zu erwarten ist, so könnte es sich empfehlen, auf die Verfolgung zu verzichten.

Vor allem im bezirksgerichtlichen Verfahren wird diese Unverhältnismäßigkeit oft gegeben sein, sodass dort eine Verfolgung eines Verbandes in vielen Fällen nicht angezeigt sein wird.

3. In bestimmten Fällen soll ein Absehen von der Verfolgung jedoch ausgeschlossen sein (Abs.  2): Die in Z 1 und 2 angeführten Ausnahmetatbestände entsprechen den aus dem Individualstrafrecht wohlbekannten spezial- und generalpräventiven Gründen, die keiner näheren Erläuterung bedürfen.

Der in Z 3 angeführte Ausnahmetatbestand des besonderen öffentlichen Interesses macht den Kern des Verfolgungsermessens aus: denn welche öffentlichen Interessen im Einzelfall die Verfolgung angezeigt erscheinen lassen, kann abstrakt nicht umschrieben werden. Ein Anwendungsfall des öffentlichen Interesses könnte ein in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes fallendes Delikt sein, bei dem aber eine zwischenstaatliche Verpflichtung besteht, eine Verantwortlichkeit von Verbänden (bzw. von juristischen Personen) vorzusehen. Bei einem solchen Delikt wäre es nicht erstrebenswert, würde quasi routinemäßig jedes Verfahren gegen einen Verband eingestellt.

Öffentliches Interesse wird nicht mit medialer Aufmerksamkeit gleichzusetzen sein.

Zu § 19 (Diversion)

1. Das im Individualstrafrecht bewährte Instrument der Diversion (§§ 90a ff StPO) soll auch im Verfahren gegen Verbände nutzbringend angewendet werden können. Allerdings scheinen nicht alle Formen der Diversion für Verbände geeignet: Der außergerichtliche Tatausgleich ist spezifisch auf natürliche Personen zugeschnitten und soll daher hier nicht übernommen werden. Dagegen scheinen die übrigen in § 90a Abs. 1 StPO angeführten Formen der Diversion auch auf Verbände anwendbar, nämlich die Zahlung eines Geldbetrages, die Bestimmung einer Probezeit in Verbindung mit der Erfüllung bestimmter Pflichten und die Erbringung gemeinnütziger Leistungen.

Eine Beendigung des Verfahrens gegen Verbände soll grundsätzlich unter den gleichen allgemeinen Voraussetzungen wie im Verfahren gegen natürliche Personen stattfinden: Es muss der Sachverhalt hinreichend geklärt sein; eine Einstellung nach § 90 StPO (oder nach § 18 des Entwurfes) kommt nicht in Betracht; die strafbare Handlung fällt nicht in die Zuständigkeit des Schöffen- oder des Geschworenengerichts; die Tat hat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt; und günstige spezialpräventive Prognose. Im Übrigen soll aber auf zwei weitere im Individualstrafrecht enthaltene Voraussetzungen hier verzichtet werden, nämlich auf das Kriterium der nicht schweren Schuld (§ 90a Abs. 2 Z 2 StPO) sowie auf entgegenstehende generalpräventive Gründe. Das Kriterium der schweren Schuld kann auf die Verantwortlichkeit von Verbänden kaum übertragen werden. Was den Verzicht auf das Kriterium entgegenstehender generalpräventiver Gründe anlangt, so geht der Entwurf davon aus, dass den vorgesehenen diversionellen Maßnahmen jedenfalls generalpräventive Wirkung – also eine Beeinflussung anderer Verbände in Richtung auf größere Normtreue – innewohnt.

Als Ausgleich für diesen erleichterten Zugang zur Diversion ist der Entwurf insoweit strenger als bei natürlichen Personen, als die Gutmachung des durch die Straftat entstandenen Schadens und die Beseitigung anderer Tatfolgen unabdingbar sein soll, während von dieser Voraussetzung bei natürlichen Personen ganz oder teilweise abgesehen werden kann.

2. Die erste Form der Diversion ist (analog zu § 90 Abs. 1 Z 1 StPO) die Zahlung eines Geldbetrages (Abs. 1 Z 1). Bei dessen Festsetzung wird (zufolge § 14 Abs. 1) § 90c StPO sinngemäß anzuwenden sein, was auch durch das Klammerzitat zum Ausdruck gebracht werden soll. Unanwendbar ist allerdings jene Bestimmung, die die Höhe des Geldbetrages mit dem einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen entsprechenden Betrag begrenzt (§ 90c Abs. 2 Satz  1 StPO). Statt dessen soll sich die Festlegung des Geldbetrages an der in den §§ 4 und 5 geregelten Bemessung von Geldbußen orientieren; es wird vorgeschlagen, dass der Geldbetrag mit höchstens 50 Tagessätzen bemessen werden kann.

Die zweite Form der Diversion (Abs. 1 Z 2) besteht in der Bestimmung einer Probezeit in Verbindung damit, dass sich der Verband – soweit möglich und zweckmäßig – einer oder mehrerer jener Maßnahmen unterzieht, die nach § 8 Abs. 3 Gegenstand einer Weisung sein können. In diesem Fall werden die Bestimmungen des § 90f StPO sinngemäß anzuwenden sein.

Der ME hatte vorgesehen, dass die bloße Einstellung unter Bestimmung einer Probezeit, also ohne begleitende Maßnahmen, nicht möglich sein solle. Im Begutachtungsverfahren wurde darauf hingewiesen, dass damit in Fällen, in denen solche Maßnahmen entweder nicht angezeigt sind oder bereits vom Verband aus eigenem ergriffen wurden, die Probezeit als Diversionsform ausfällt. Daher schlägt der Entwurf nun vor, die Voraussetzungen analog zum Individualstrafrecht zu regeln („soweit möglich und zweckmäßig“, vgl. § 90f Abs. 2 StPO).

Die dritte Form der Diversion sind gemeinnützige Leistungen (Abs. 1 Z 3). Der ME hatte diese Form noch nicht vorgesehen. Im Begutachtungsverfahren ist dagegen in einzelnen Stellungnahmen überzeugend dargelegt worden, dass auch Verbände gemeinnützige Leistungen erbringen können. Diese werden sich allerdings inhaltlich häufig von gemeinnützigen Leistungen, die durch natürliche Personen erbracht werden, unterscheiden; insbesondere scheinen die Begrenzungen in § 90e Abs. 1 StPO allzu sehr auf natürliche Personen zugeschnitten und sollen daher nach dem Entwurf auf Verbände nicht anzuwenden sein. Die bloße Leistung eines Geldbetrages (z.B. an karitative Organisationen) wird regelmäßig noch nicht als gemeinnützig (vgl. § 90d Abs. 2 StPO) anzusehen sein.

3. Dass auch das Gericht auf eine diversionelle Erledigung hinzuwirken hat und das Verfahren mit Beschluss einstellen kann (§ 90b StPO), ergibt sich zwar schon über § 14 Abs. 1, soll aber in Abs. 2 ausdrücklich festgehalten werden.

Im Übrigen sind die Bestimmungen des IXa. Hauptstücks der StPO sinngemäß anzuwenden (§ 14 Abs. 1).

Zu § 20 (Einstweilige Verfügungen)

1. Schon der ME hat eine Bestimmung vorgeschlagen, die in einem frühen Verfahrensstadium die Sicherung der Einbringung einer zu erwartenden Geldbuße ermöglichen sollte. Inhaltlich orientierte sich diese einstweilige Verfügung an der bereits in § 144a StPO zur Sicherung einer Abschöpfung der Bereicherung oder eines Verfalls vorgesehenen einstweiligen Verfügung.

Einzelne Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren haben sich gegen ein solches Instrument ausgesprochen; dieses habe im Individualstrafrecht keine Entsprechung und sei daher „systemfremd“ oder sogar im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz bedenklich.

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass ein schematischer Vergleich zwischen Geldstrafe im Individualstrafrecht und Verbandsgeldbuße zu kurz greift. Im Individualstrafrecht ist die primäre Sanktion die Freiheitsstrafe; und zur Sicherung deren Vollstreckung steht in bestimmten (schweren) Fällen die Untersuchungshaft (Haftgrund Fluchtgefahr) zur Verfügung. Da die Geldstrafe lediglich im unteren Kriminalitätsbereich zur Anwendung kommt, scheinen Maßnahmen zu ihrer Sicherung nicht erforderlich. In jenem Bereich des Individualstrafrechts dagegen, in dem die Geldstrafe die primäre Sanktion ist, sieht das geltende Recht eine Sicherungsmöglichkeit vor: Im Finanzstrafrecht kann die Einbringung der Geldstrafe mittels einstweiliger Verfügung gesichert werden (§ 207a FinStrG).

2. Der Entwurf hält daher an dem vorgeschlagenen Sicherungsinstrument grundsätzlich fest, umschreibt die Voraussetzungen aber präziser als im ME. Die einstweilige Verfügung setzt zunächst einen dringenden Verdacht (vgl. § 180 StPO) voraus, dass der Verband für eine bestimmte Straftat verantwortlich sei. Weiters muss anzunehmen sein, dass über ihn eine Verbandsgeldbuße verhängt werden wird. Schließlich muss „auf Grund bestimmter Tatsachen“ (auch dieser Begriff ist aus § 180 StPO entnommen) zu befürchten sein, dass die Einbringung gefährdet oder wesentlich erschwert würde, wenn keine einstweilige Verfügung angeordnet wird.

Es soll auch möglich sein, nur einen Teil der Geldbuße mittels einstweiliger Verfügung abzusichern („wenn und soweit“). Bei der Prognose wird auch zu berücksichtigen sein, ob eine bedingte Nachsicht zu erwarten ist; nur soweit nicht mit bedingter Nachsicht zu rechnen ist, wird eine einstweilige Verfügung zulässig sein, weil für den bedingt nachgesehenen Teil schon begrifflich von Einbringlichkeit nicht gesprochen werden kann.

Kein Grund für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung wäre etwa die Befürchtung, dass – etwa wegen sich abzeichnender schlechterer Ertragslage – eine niedrigere Bemessung der Geldbuße zu erwarten ist. Ein Anlass für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird daher regelmäßig nicht in Vorgängen der üblichen Geschäftstätigkeit liegen, sondern vielmehr in Vorgängen, die der Beiseiteschaffung von Vermögen dienen (Übertragung an gutgläubige Dritte, Verbringung ins Ausland).

Es sollen dieselben Sicherungsmittel zur Anwendung kommen, die in der StPO (§ 144a Abs. 2) vorgesehen sind. Auch die übrigen Bestimmungen der StPO (§ 144a Abs. 3 bis 7) sollen anwendbar sein; subsidiär gilt (wie nach § 144a Abs. 1 letzter Satz StPO) die Exekutionsordnung.

Zu § 21 (Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße)

1. Im Individualstrafrecht beginnt das Hauptverfahren mit der Anklage: (§§ 207 ff StPO), vor dem Einzelrichter und dem Bezirksgericht dagegen mit bloßem Strafantrag (§§ 451 Abs. 1, 483 f StPO).

Analog dazu soll das Hauptverfahren gegen den Verband mit einem Antrag auf Verhängung einer Verbandgeldbuße eingeleitet werden (Abs. 1).

Der ME hatte vorgesehen, dass dieser Antrag in allen Fällen, also auch vor dem Einzelrichter und dem Bezirksgericht, die Form einer Anklageschrift haben und dass dem Verband in allen Fällen ein Einspruch gegen den Antrag zustehen soll; über den Einspruch hätte im bezirksgerichtlichen Verfahren der Gerichtshof erster Instanz zu entscheiden gehabt.

Dieser Vorschlag ist im Begutachtungsverfahren auf Kritik gestoßen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass durch die getrennte Prüfung der Anklage in den Verfahren vor dem Bezirksgericht und dem Einzelrichter (amtswegig nach §§ 451 Abs. 2, 485 StPO im Hinblick auf natürliche Personen; Entscheidung des übergeordneten Gerichtshofes über den Einspruch beim Verband) die Verbindung der Verfahren gegen den Verband mit jenen gegen natürliche Personen unterlaufen werde.

Der Entwurf trägt dieser Kritik Rechnung und schlägt vor, dass auf einen Antrag auf Verhängung einer Verbandgeldbuße im Verfahren vor dem Geschworenen- und Schöffengericht die Bestimmungen über die Anklageschrift, im Verfahren vor dem Einzelrichter und dem Bezirksgericht dagegen jene über den Strafantrag anzuwenden sind (sodass ein Einspruch in den zuletzt genannten Verfahren nicht in Betracht kommt). Im Hinblick darauf, dass die Feststellung der Verantwortlichkeit eines Verbandes häufig die Lösung komplizierter Rechts- und Tatsachenfragen voraussetzen wird, wird jedoch vorgeschlagen, dass auch in Strafanträgen „der Sachverhalt zusammenzufassen und zu beurteilen“ (diese Formulierung wird aus § 211 Abs. 2 StPO idFd StPRG entnommen) ist, aus dem sich die Verantwortlichkeit des Verbandes (§ 3) ergibt.

2. Entsprechend dem bereits mehrfach angesprochenen Ziel, das Strafverfahren gegen natürliche Personen und das Verfahren gegen den Verband gemeinsam zu führen, muss der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen einen Verband mit Anklagen oder Strafanträgen gegen natürliche Personen verbunden werden, wenn dies nach § 15 möglich ist (Abs. 2).

Nur wenn dies ausnahmsweise nicht möglich ist, ist ein selbstständiger Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße zu stellen (Abs. 3). Über einen solchen Antrag hat das Gericht in einem selbstständigen Verfahren nach öffentlicher mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden; gegen ein solches Urteil sind dieselben Rechtsmittel zulässig wie gegen ein Urteil, das im verbundenen Verfahren ergangen ist (§ 24).

Zu § 22 (Hauptverhandlung und Urteil)

1. Wurden die Anklagen gegen natürliche Personen und der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße verbunden und daher auch das Beweisverfahren im Rahmen der Hauptverhandlung gemeinsam geführt (dies wird der Normalfall sein), so soll nach dem Entwurf ein besonderes Verfahren der Urteilsfällung stattfinden (Abs. 1 bis 3). Ähnlich wie § 256 Abs. 2 StPO eine – in das Ermessen des Vorsitzenden gestellte – Trennung der Schlussvorträge und der Urteilsverkündung in die Schuldfrage einerseits und die Straffrage (einschließlich Privatbeteiligtenansprüche und Kosten) andererseits vorsieht, soll – allerdings zwingend – eine Trennung von Schlussvorträgen und Urteilsverkündung in jene betreffend die natürlichen Personen und jene betreffend den Verband stattfinden. Das vorangehende Beweisverfahren ist davon nicht betroffen, findet also gemeinsam statt.

Im Rahmen des ersten Abschnitts sollen also zunächst die Schlussvorträge zu Schuld und Strafe der natürlichen Personen und die Verkündung des diesbezüglichen Urteils stattfinden.

Im daran anschließenden zweiten Abschnitt sollen die Schlussvorträge und die Urteilsverkündung zu den Voraussetzungen der Verantwortlichkeit des Verbandes, also etwa zur Frage, ob gebotene und zumutbare Vorkehrungen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen wurden, und zu den über den Verband auszusprechenden Sanktionen stattfinden.

Hat der erste Abschnitt mit Schuldsprüchen der natürlichen Personen geendet, so soll die Hauptverhandlung ohne weiteres mit dem zweiten Abschnitt fortgesetzt werden (Abs. 2). Hat dagegen der erste Abschnitt mit Freisprüchen (aller) natürlichen Personen geendet, so bedarf es zur Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den Verband einer besonderen Erklärung des öffentlichen Anklägers, die dieser binnen drei Tagen abzugeben hat (Abs. 3). Gibt er diese Erklärung nicht ab, so kommt dies einer Zurückziehung der Anklage gleich, und das Gericht wird auch den Verband freizusprechen haben (§ 259 Z 2 StPO). Andernfalls wird die Hauptverhandlung im zweiten Abschnitt mit Schlussvorträgen und Urteilsverkündung gegenüber dem Verband fortgesetzt.

2. Die Abs. 4 und 5 enthalten Bestimmungen, die jene der StPO über den Inhalt von Urteilen und Urteilsausfertigungen ergänzen sollen.

Unabhängig davon, ob die Verfahren gemeinsam geführt wurden, hat jedes gegen einen Verband verkündetes Urteil bei Nichtigkeit (analog zu § 260 Abs. 1 Z 1 und 2 StPO) auszusprechen, für welche Tat der Verband auf Grund welcher Umstände für verantwortlich befunden wird; daneben hat es die in § 260 Abs. 1 Z 3 bis 5 StPO angeführten Inhalte (Sanktion, Bezeichnung der angewendeten Gesetzesbestimmungen, Privatbeteiligtenansprüche, Kosten) aufzuweisen (Abs. 4).

Für den Inhalt der Urteilsausfertigung kann weitestgehend auf § 270 Abs. 2 StPO verwiesen werden (Abs. 5); der in dieser Bestimmung enthaltene Verweis auf § 260 StPO ist so zu verstehen, dass dessen durch Abs. 4 modifizierter Inhalt gemeint ist.

Zu § 23 (Hauptverhandlung und Urteil in Abwesenheit)

Die Strafprozessordnung (§§ 427, 459) sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen in Abwesenheit des Beschuldigten die Hauptverhandlung durchgeführt und das Urteil gefällt werden kann.

Der Entwurf schlägt vor, dass auch dann, wenn der Verband in der Hauptverhandlung nicht vertreten ist, also weder durch vertretungsbefugte Organe noch durch einen Verteidiger, das Gericht die Hauptverhandlung durchführen, die Beweise aufnehmen und das Urteil verkünden kann. Voraussetzung dafür ist allerdings bei sonstiger Nichtigkeit (wie auch nach § 427 StPO), dass die Vorladung zur Hauptverhandlung wirksam, also zu eigenen Handen (§ 16 Abs. 1), zugestellt wurde und in der Ladung diese Rechtsfolgen angedroht wurden.

Es soll dem Gericht freistehen, ob es die Hauptverhandlung durchführt und das Urteil fällt („kann“). Kann daher mangels Beteiligung des Verbandes der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt werden, so wird eine Urteilsfällung nicht in Betracht kommen.

Das Urteil ist dem Verband zuzustellen (Satz 2), und zwar zu eigenen Handen (§ 16 Abs. 1); durch die Zustellung werden die Rechtsmittelfristen ausgelöst. Als Rechtsmittel kommt neben der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung der Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil (§ 427 Abs. 3 StPO) in Betracht.

Zu § 24 (Rechtsmittel)

Die StPO sieht gegen Urteile der Schöffen- und der Geschworenengerichte Nichtigkeitsbeschwerde und (Straf)Berufung (§§ 280, 344 StPO), gegen Urteile des Einzelrichters und des Bezirksgerichtes (volle) Berufung vor (§§ 463, 489 StPO), gegen Abwesenheitsurteile schließlich den Einspruch (§ 427 Abs. 3 StPO). Dieselben Rechtsmittel sollen auch gegen Urteile über Verbände ergriffen werden können. Dies soll unmissverständlich klargestellt werden, auch wenn es sich auch schon aus § 14 Abs. 1 erschließt. Klargestellt werden soll auch, dass kein Unterschied besteht, ob das Urteil gegen den Verband im verbundenen (§ 21 Abs.  2) oder im selbstständigen Verfahren (§ 21 Abs.  3) ergangen ist (anders als im selbstständigen Verfahren nach § 445 StPO).

Zu § 25 (Verfahren beim Widerruf einer bedingten Nachsicht)

Steht ein Widerruf einer bedingten Nachsicht einer Buße wegen neuerlicher Verurteilung des Verbandes während der Probezeit an, so wird schon nach § 14 das in § 494a StPO geregelte Verfahren anzuwenden sein. Diese Bestimmungen bedürfen aber insofern einer Anpassung an die Besonderheiten des vorgeschlagenen Gesetzes, als die sachliche Zuständigkeit an ein bestimmtes Ausmaß von Freiheitsstrafen anknüpft (§ 494a Abs. 2 StPO). Im Verfahren gegen Verbände soll statt dessen an die Anzahl der Tagessätze angeknüpft werden: der Widerruf von Bußen oder Teilen einer Buße von mehr als 55 Tagessätzen soll dem Gerichtshof, von mehr als 100 Tagessätzen dem Schöffen- oder Geschworenengericht vorbehalten sein.

Zu § 26 (Verständigung der zuständigen Verwaltungs- oder Aufsichtsbehörde)

Die in § 26 vorgeschlagenen Bestimmungen sollen vor allem eine ausreichende Information der zuständigen Verwaltungs- oder Aufsichtsbehörde sicherstellen; bei dieser Behörde wird es sich zumeist um die Gewerbebehörde handeln; bei bestimmten Unternehmensbereichen werden aber andere Behörden in Betracht kommen (z.B. die Finanzmarktaufsicht). Betrifft die Straftat den Arbeitnehmerschutz, wird zuständige Behörde auch die Arbeitsaufsichtsbehörde sein, also das Arbeitsinspektorat.

Zunächst soll diese Behörde vom Gericht von der Einleitung und der Beendigung eines Verfahrens gegen einen Verband zu verständigen sein, wobei die Verständigung von der Beendigung durch Übermittlung einer Ausfertigung des Urteils oder des Einstellungsbeschlusses zu geschehen hat (Abs. 1).

Die Regelung in § 26 Abs. 2, dass das Gericht die Behörde ersuchen kann, an der Überwachung der Einhaltung einer Weisung oder einer Maßnahme im Rahmen der Diversion nach § 19 Abs. 1 Z 2 mitzuwirken, hat im Wesentlichen deklaratorischen Charakter (Amtshilfe, Art. 22 B-VG). Gleiches gilt für die analoge Bestimmung für die Staatsanwaltschaften in § 26 Abs. 3.

Die vorgeschlagenen Bestimmungen lassen es den Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Staatsanwaltschaft, unbenommen, in jeder Lage des Verfahrens die Unterstützung der zuständigen Verwaltungsbehörde in Anspruch zu nehmen, wenn dies zweckmäßig erscheint, etwa zur Aufklärung über dem Verband im Verwaltungsverfahren erteilte Auflagen oder zur Frage, ob der Verband in der Vergangenheit Auflagen eingehalten hat.

Zu § 27 (Vollstreckung von Verbandsgeldbußen)

1. Der Einbringung von über natürliche Personen nach dem StGB (oder nach Nebengesetzen) verhängte Geldstrafen wird dadurch Nachdruck verliehen, dass der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe angedroht wird.

Diese Möglichkeit kommt bei gegen Verbände verhängten Geldbußen nicht in Betracht (siehe oben Erläuterungen zu § 4, Pkt. 6.). Der Entwurf schlägt daher in Abs. 1 vor, dass der Verband zur Zahlung binnen 14 Tagen aufzufordern ist; zahlt er nicht, so ist die Geldbuße nach dem Gerichtlichen Einbringungsgesetz 1962 einzubringen (vgl. § 409 Abs. 1 und 2 StPO).

2. In Abs. 2 wird ein besonderer Grund eines Zahlungsaufschubs vorgeschlagen, der die Schadensgutmachung fördern soll. Der Umstand der Schadensgutmachung ist bei der Strafbemessung von großer Bedeutung (§ 5 Abs. 3 Z 4). Hat der Verband bei Fällung des Urteils den Schaden noch nicht gutgemacht und konnte daher diese nicht mildernd berücksichtigt werden, so kann eine spätere Gutmachung in Anwendung des § 31a StGB zu einer nachträglichen Strafmilderung führen. Da eine Schadensgutmachung – etwa bei einer großen Zahl von Geschädigten – zeitaufwändig und schwierig sein kann, besteht die Gefahr, dass die Geldbuße zuvor vollstreckt wird. Um einem Verband eine zusätzliche Möglichkeit (und einen zusätzlichen Anreiz) zur Schadensgutmachung zu geben, kann bei schon absehbarer Schadensgutmachung auf Antrag ein Aufschub in der Dauer von bis zu sechs Monaten gegeben werden, damit der Verband dann einen Antrag auf nachträgliche Milderung stellen kann.

3. In Anlehnung an § 409a StPO wird weiters vorgeschlagen, dass das Gericht Zahlungsaufschub durch Ratenzahlung gewähren kann (Abs. 3). Der letzte Teilbetrag ist spätestens nach zwei Jahren zu zahlen; bei Verzug mit zwei Raten soll Terminverlust eintreten.

Zum 4. Abschnitt (Schlussbestimmungen)

Zu § 28 (In-Kraft-Treten)

In Hinblick auf die Notwendigkeit, dass sich die Normadressaten – juristische Personen und Personengesellschaften – auf die neue Rechtslage einstellen, scheint eine gewisse Legisvakanz geboten. Andererseits sollte diese aber nicht zu lange sein, weil Österreich bereits mit der Erfüllung internationaler Verpflichtungen in Verzug ist. Es wird daher ein Inkrafttreten am 1.1.2006 vorgeschlagen.

Zu § 29 (Verweisungen) und § 30 (Vollziehung)

Hier werden die üblichen Bestimmungen über Verweisungen und geschlechtsspezifische Formen sowie die übliche Vollzugsklausel vorgeschlagen.

Zu Artikel 2 bis 8 (Änderungen des Mediengesetzes, des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes, des Patentgesetzes, des Markenschutzgesetzes 1970, des Halbleiterschutzgesetzes, des Musterschutzgesetzes 1990 und des Gebrauchsmustergesetzes):

1. Einzelne Gesetze des Nebenstrafrechts (vor allem im Immaterialgüterrecht) sehen vor, dass der Betriebs- oder Unternehmensinhaber (teils auch der Leiter) – unabhängig davon, ob es sich um eine natürliche oder eine juristische Person handelt – neben dem (im Betrieb beschäftigten) Täter zu bestrafen ist, wenn er die Rechtsverletzung „nicht verhindert“ (§ 91 UrhG, § 159 Abs. 2 PatG, § 60 Abs. 3 und § 68h Abs. 3 MarkenSchG, § 22 Abs. 2 HlSchG, § 35 Abs. 2 MusterSchG, § 42 Abs. 2 GMG, § 19 Abs. 1 UWG). In den erwähnten Gesetzen (mit Ausnahme des UrhG) ist weiters angeordnet, dass die soeben erwähnte Strafbestimmung bei Unternehmen, deren Inhaber „eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, ein Verein oder ein anderes, nicht zu den physischen Personen gehöriges Rechtssubjekt“ ist, auf die Organe dieses Rechtssubjektes anzuwenden ist, wenn sie sich einer solchen Unterlassung schuldig gemacht haben.

In den erwähnten Gesetzen des Immaterialgüterrechts (mit Ausnahme des UrhG) ist schließlich vorgesehen, dass der „Inhaber des Unternehmens“ für über „die Organe“ verhängte Geldstrafen zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten haftet (§ 159 Abs. 3 PatG, § 60 Abs. 4 und § 68h Abs. 4 MarkenSchG, § 22 Abs. 3 HlSchG, § 35 Abs. 3 MusterSchG, § 42 Abs. 3 GMG). Bestimmungen über eine Haftung juristischer Personen (teils auch anderer Rechtssubjekte) für Geldstrafen (teils auch für Verfalls- und Wertersatzstrafen, Verfahrenskosten usw.), die gegen natürliche Personen verhängt wurden, sind auch in § 28 FinStrG, § 35 MedienG und § 69 LMG bzw. zukünftig § 86 LMSVG vorgesehen (vgl. auch schon oben im Allgemeinen Teil, C.1.).

2. Ausgehend von der Feststellung, dass diese Bestimmungen ähnliche rechtspolitische Zwecke wie die Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten verfolgen, stellte der ME in den Erläuterungen zur Erwägung, diese Bestimmungen aufzuheben. Als weiteres für die Aufhebung sprechendes Argument führte der ME an, die Bestimmungen seien nicht unproblematisch, soweit eine Bestrafung oder Haftung unabhängig davon angeordnet wird, ob dem Betriebsinhaber etc. ein Vorwurf gemacht werden kann. Insofern sei die Verantwortlichkeit von Verbänden das zielgenauere Instrument. Als gegen eine (gänzliche) Aufhebung sprechende Argumente führte der ME an, dass die bestehenden Bestimmungen einfach handhabbar seien und dass die Verbandsverantwortlichkeit in jenen Fällen, in denen der Unternehmens- oder Betriebsinhaber kein Verband ist, also vor allem bei Einzelunternehmern, nicht eingreifen könne.

Schließlich wies der ME darauf hin, dass es, sollte die Haftung für Geldstrafen, die gegen ein anderes Rechtssubjekt verhängt worden sind, im Grundsatz beibehalten werden, unvertretbar wäre, diese Haftung mit der eigenständigen Verantwortlichkeit von Verbänden zu kumulieren. Es wäre daher unumgänglich, die eine Rechtsfolge auf die andere anzurechnen.

Unter den Stellungnahmen, die sich zu dieser Problematik geäußert haben, halten sich zahlenmäßig die Befürworter und die Gegner einer Aufhebung die Waage.

3. Zunächst ist festzuhalten, dass es offensichtlich lediglich auf rechtshistorischen Zufälligkeiten beruht, ob für bestimmte Straftatbestände solche Sonderregelungen vorgesehen sind. Warum dies im Immaterialgüterrecht oder im Wettbewerbsrecht notwendig ist, dagegen bei dem Wirtschaftsstrafrecht zuzurechnenden Delikten des StGB (zB. §§ 123, 146, 151, 153b, 153c – e, 168b, 180 ff., 307, 308) nicht, ist sachlich nicht begründbar. Ebenso wenig ist verständlich, warum es für das In-Verkehr-Setzen von gesundheitsschädlichen oder verfälschten Lebensmitteln eine Haftungsbestimmung gibt, nicht jedoch für das In-Verkehr-Setzen von gesundheitsschädlichem oder verfälschtem Wein (§ 62 WeinG). Hingewiesen sei auch darauf, dass die Haftungsbestimmung im DevisenG mit dem DevisenG 2004 ersatzlos entfallen ist und dass in dem mit den angeführten Tatbeständen des Immaterialgüterechts vergleichbaren Tatbestand des § 25 des Sortenschutzgesetzes 2001 solche Bestimmungen fehlen.

Weiteres Indiz für die mangelnde sachliche Rechtfertigung ist, dass in den erwähnten Gesetzen teils alle drei erwähnten Regelungen – Strafbarkeit des Leiters bzw. Inhabers, wenn er die Begehung nicht verhindert; Anwendbarkeit dieser Strafbestimmung auf das Organ; Haftung juristischer Personen etc. für Geldstrafen –, teils nur einzelne davon enthalten sind und dass sie auch inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet sind.

Festzuhalten ist weiters, dass die praktische Relevanz der Bestimmungen begrenzt ist. Nach den Tatbeständen des Immaterialgüterrechts kommen schon Verurteilungen kaum vor; die Straftatbestände nach dem LMG kommen zwar in der Praxis durchaus häufig vor, auch hier ist aber die Haftungsbestimmung von geringer Bedeutung.

4. Es gibt daher gute Gründe, schon die Strafbarkeit des Leiters bzw. Inhabers, der die Begehung einer Tat durch unterstellte Personen nicht verhindert, sowie die Anwendbarkeit dieser Strafbestimmung auf Organe von juristischen Personen bzw. anderen (von natürlichen Personen verschiedenen) Rechtssubjekten aufzuheben. Zu einer solchen Entscheidung bedarf es jedoch eines eingehenden Diskussionsprozesses; dieser hat aber bisher noch nicht stattgefunden, sodass der Entwurf davon absieht, in diesen beiden Bereichen Änderungen vorzuschlagen. Eine Aufhebung dieser Bestimmungen scheint auch nicht unmittelbar aufgrund der Verbandsverantwortlichkeit, sondern eher aus allgemeinen strafrechtlichen Überlegungen indiziert.

5. Unmittelbar durch die Einführung der Verbandsverantwortlichkeit indiziert sind dagegen Änderungen bei der dritten Gruppe von Bestimmungen, der Haftung juristischer Personen (teils auch anderer Rechtssubjekte) für Geldstrafen (teils auch für Verfahrenskosten), zu denen bestimmte für die juristische Person etc. tätige Personen verurteilt worden sind. Es wäre völlig unvertretbar, wollte man einen Verband einerseits für eine Straftat, die ein Entscheidungsträger (§ 3 Abs. 2 VbVG) oder ein Mitarbeiter (§ 3 Abs. 3 VbVG) begangen hat, verantwortlich machen und ihn deshalb zu einer Geldbuße verurteilen, andererseits ihn auch noch für die Geldstrafe haften lassen, die über den Mitarbeiter oder Entscheidungsträger verhängt wurde. Dies wäre als Doppelsanktionierung anzusehen.

Neben den bereits oben (2.) angeführten Argumenten ist noch darauf hinzuweisen, dass bei den geltenden Haftungsbestimmungen ein Wertungswiderspruch auch darin liegt, dass eine Haftung zwar bei Geldstrafen eingreift, eine Heranziehung des Betriebsinhabers jedoch nicht in Betracht kommt, wenn über die unterstellte Person eine Freiheitsstrafe verhängt wird, es sich also um eine gravierende Tat handelt.

Betroffen sind im einzelnen das MedienG, das LMG (bzw. das LMSVG) und die Gesetze des Immaterialgüterrechts.

Zu Artikel 2 (Änderungen des MedienG)

§ 35 MedienG sieht vor, dass der Medieninhaber eines periodischen Mediums für Geldstrafen und Verfahrenskosten einschließlich der Kosten der Urteilsveröffentlichung zur ungeteilten Hand mit einem wegen eines Medieninhaltsdeliktes Verurteilten haftet; bei einem nach Ausspruch der Haftung eintretenden Wechsel in der Person des Medieninhabers haftet der neue Medieninhaber mit dem früheren. Der Medieninhaber ist zur Hauptverhandlung zu laden und hat die Rechte des Beschuldigten (§ 41 Abs. 6 MedienG).

Ein Vergleich dieser Bestimmungen mit den Voraussetzungen des VbVG ergibt folgende wesentliche Unterschiede:

Die Haftung ist an die Verurteilung des Täters geknüpft, ohne dass der Medieninhaber die Möglichkiet hätte, sich von ihr durch Hinweis auf die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt o.ä. zu befreien; sie ist also eine verschuldensunabhängige Haftung. Nach dem VbVG löst die Tat (jedenfalls des Mitarbeiters) nicht ohne weiteres die Verantwortlichkeit des Verbandes aus, vielmehr muss eine Sorgfaltsverletzung durch Entscheidungsträger hinzukommen. Die Regelung des VbVG scheint daher in höherem Maße sachgerecht.

Unterschiedlich ist auch der Kreis der Haftenden. Medieninhaber kann eine natürliche Person, aber auch ein Verband im Sinn des VbVG sein. Überdies tritt die Haftung nur ein, wenn es sich um ein periodisches Medium handelt. Diese Abgrenzungen hat der Gesetzgeber des Mediengesetzes (1981) aus dem alten Pressegesetz übernommen. Zwingende Gründe, die für die Beibehaltung dieser Abgrenzungen sprechen, sind nicht ersichtlich.

Aus den bereits im Einleitungsabschnitt (zu Artikel 2 bis 8) dargestellten Gründen sowie im Hinblick auf die größere Zielgenauigkeit, nicht zuletzt aber auch aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit und –vereinfachung wird daher vorgeschlagen, § 35 MedienG aufzuheben.

Diese Aufhebung zieht eine Folgeänderung in § 41 Abs. 7 MedienG nach sich.

Zu Artikel 3 (Änderungen des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes)

Nach § 69 LMG (im Wesentlichen gleichlautend § 86 LMSVG) haftet der Betriebsinhaber für Geldstrafen, Kosten der Urteilsveröffentlichung und als Bereicherung abgeschöpfte Geldbeträge, zu deren Zahlung ein Arbeitnehmer oder Beauftragter seines Betriebes wegen einer Lebensmittel-Straftat verurteilt worden ist, es sei denn, dass der Verurteilte die strafbare Handlung nicht im Rahmen der dienstlichen Obliegenheiten des Betriebes begangen hat. Der Betriebsinhaber ist zur Hauptverhandlung zu laden und hat die Rechte des Beschuldigten.

Die Bestimmung ist sowohl auf Betriebsinhaber anwendbar, die Verbände im Sinn des vorgeschlagenen VbVG sind, als auch auf andere Rechtsträger (insbesondere auf Einzelunternehmer).

Es wird daher vorgeschlagen, Verbände vom Anwendungsbereich des § 86 LMSVG auszunehmen.

Da das LMSVG am 1.1.2006 in Kraft treten wird, erübrigt sich eine gesonderte Bestimmung über das In-Kraft-Treten der Änderung.

Zu Artikel 4 bis 8 (Änderungen des Patentgesetzes, des Markenschutzgesetzes 1970, des Halbleiterschutzgesetzes, des Musterschutzgesetzes 1990 und des Gebrauchsmustergesetzes):

Die strafrechtlichen Bestimmungen des Patentgesetzes, des Halbleiterschutzgesetzes, des Musterschutzgesetzes 1990 und des Gebrauchsmustergesetzes sind erst kürzlich an jene des Markenschutzgesetzes 1970 angepasst worden (Patentrechts- und Gebührennovelle 2004, BGBl. I Nr. 149/2004).

Die Haftung trifft „eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, einen Verein oder ein anderes, nicht zu den physischen Personen gehöriges Rechtssubjekt“; diese Umschreibung deckt sich weitgehend mit der Definition des Verbandes in § 1 VbVG, insbesondere ist keine Haftung von Einzelunternehmern vorgesehen. Der Anwendungsbereich der geltenden Bestimmungen geht daher nicht über jenen des VbVG hinaus. Eine Aufhebung der Bestimmungen würde daher jedenfalls keine materiellrechtlichen Lücken entstehen lassen.

Offen bleibt nach der geltenden Rechtslage, welche verfahrensrechtliche Stellung das haftende Rechtssubjekt hat; Bestimmungen wie in § 35 MedienG oder in § 69 LMG fehlen. Insoweit bringt das VbVG Klarheit.

Da die rechtspolitischen Zwecke der geltenden Bestimmungen durch das VbVG gleichermaßen erreicht werden und das VbVG durch seine Verfahrensbestimmungen überdies einen wesentlichen Fortschritt an Rechtssicherheit bringt, wird vorgeschlagen, die Haftungsbestimmungen in den Gesetzen des Immaterialgüterrechts entfallen zu lassen.